2.17.1 (bau1p): [Anlage]

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Die Verwaltung der Zölle und Steuern durch das Reich

Als das Reich gegründet wurde, waren seine Aufgaben eng umgrenzt. Schulden waren nicht vorhanden, im Gegenteil herrschte infolge der Kriegsentschädigung ein gewisser Überfluß an Mitteln. Die Regelung der finanziellen Verhältnisse in der ersten Verfassung des Deutschen Reiches war daher verhältnismäßig einfach. Nach menschlichem Ermessen war es ausgeschlossen, daß das Reich jemals seine steuerliche Leistungsfähigkeit ernstlich anspannen müßte. Die Verfassung konnte daher unbedenklich der historischen Entwicklung, den politischen Verhältnissen und dem bundesstaatlichen Charakter des Reichs vollauf Rechnung tragen.

Nur in verhältnismäßig geringem Umfang nahm das Reich Steuerquellen für sich in Anspruch. Bei Steigerung seiner Bedürfnisse konnte es sich auf den bequemen Weg der Matrikularbeiträge stützen. Es konnte den Einzelstaaten unbedenklich die Verwaltung der Reichsabgaben überlassen, da auch bei ungleichmäßiger Durchführung der Abgabengesetze die erforderlichen Einkünfte gesichert erschienen, und da bei der Geringfügigkeit der Belastung des Einzelnen mit Reichsabgaben eine Verschiedenheit in der Behandlung seitens der einzelnen Bundesstaaten zu ernstlichen Klagen und Beschwerden der Steuerzahler nicht führte. Die Höhe der Reichseinnahmen an Zöllen und Steuern betrug im Jahre 1875 rund 240 Millionen M, 1881 rund 422 Millionen, 1891 rund 821,5 Millionen Mark oder rund 15 M auf den Kopf der damaligen Bevölkerung.

Schon im Laufe der letzten Jahre vor dem Krieg hatte sich das Bild völlig verschoben. Die Aufgaben des Reichs nahmen an Zahl und Kostspieligkeit fortwährend zu. Die Belastung mit Reichssteuern stieg. Sie betrug 1907 bereits 1410,2 Millionen Mark und erhöhte sich im Jahre 1913 auf 2128,3 Millionen Mark oder rund 32 M auf den Kopf der Bevölkerung. Die Reichsschulden wuchsen ständig. Sie erreichten die erste Milliarde im Jahre 1889, die zweite im Jahre 1894, die dritte im Jahre 1903, die vierte im Jahre 1907 und die fünfte im Jahre 1914. Schon damals trat die Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung in den finanziellen Beziehungen zwischen Reich und Ländern immer deutlicher in Erscheinung4.

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Infolge der bundesstaatlichen Verfassungsstruktur waren im Kaiserreich nicht nur die öffentlichen Aufgaben, sondern auch die Finanzquellen dem Reich und den nachgeordneten Gebietskörperschaften fest zugeordnet. Das Schwergewicht der Finanzhoheit lag bei den Bundesstaaten und den Gemeinden, die ihren Finanzbedarf im wesentlichen durch die direkten, einkommens- und vermögensabhängigen sowie die Real-Steuern sicherten und in diesem Bereich neben der Steuergesetzgebung auch die Steuerverwaltung und -rechtssprechung ausübten, was zu Ungleichmäßigkeiten bei der steuerlichen Belastung aller Staatsbürger führte. Das Reich war dagegen auf die indirekten, den Massenkonsum belastenden Verbrauchs- und (seit 1917) Umsatzsteuern sowie die Zölle und Stempelabgaben angewiesen, deren Ermittlung, Erhebung und Verwaltung weitgehend den Organen der Bundesstaaten oblag. Letztere mußten im Rahmen des Finanzausgleichs zu den bei der Forcierung der rüstungspolitischen Anstrengungen wachsenden Ausgaben des Reichs zwar subsidiäre Matrikularbeiträge beisteuern, doch konnte sich der Gedanke einer Schwerpunktverlagerung von den Bundesstaaten auf das Reich auch im steuerlichen Bereich nur zögernd durchsetzen. Erst 1906 gelang dem Reich mit der Erbanfallsteuer ein Einbruch und 1913 mit der Vermögenszuwachssteuer und den Finanzierungsgesetzten zur Wehrvorlage der materielle Durchbruch in die Kategorie der ertragreicheren direkten Steuern. Formell wurde dann ein weiterer Schritt in Richtung auf eine effektive und rationale reichseinheitliche Steuerpolitik mit den Gesetzen vom 26.7.18 über die Errichtung eines Reichsfinanzhofs und über die Reichsaufsicht über Zölle und Steuern gemacht (RGBl. S. 959  u. 962). Einzelheiten – auch zum folgenden – s. bei Franz Menges: Reichsreform und Finanzpolitik. S. 110 ff.; Peter-Christian Witt: Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches von 1903–1913. S. 356 ff.

[73] Der Regierungsentwurf der neuen Verfassung beschränkte sich aber darauf, das überlebte und nur noch formell in Geltung befindliche System der Matrikularbeiträge abzuschaffen, die Einheit in der Gesetzgebung über die Reichssteuern durch Beseitigung der Reservatrechte einzelner Länder herzustellen und die Verwaltung nur bei den Zöllen und Verbrauchssteuern für das Reich in Anspruch zu nehmen, sonst aber den Weg für die natürliche Entwicklung frei zu lassen5. Für die Übernahme der Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern war wohl weniger das Bedürfnis nach einer Steigerung der Einnahmen, als der enge Zusammenhang der Zollverwaltung mit den auswärtigen Verhältnissen und das Streben nach völliger Einheitlichkeit bei der Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern im Interesse von Handel und Industrie maßgebend. Von der Notwendigkeit der Schaffung direkter Reichssteuern war man zwar überzeugt, aber man glaubte bis zum Abschluß des Friedens dieses Gebiet zu einem erheblichen Teile der Verfügungsfreiheit der Einzelstaaten überlassen zu können, und vor allem auch um die Übernahme der Verwaltung direkter Reichssteuern durch das Reich selbst im Interesse der Einzelstaaten herumkommen zu können.

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Der amtliche Entw. einer RV, bearbeitet von StS Preuß, war zusammen mit einer begründenden Denkschrift im „Deutschen Reichsanzeiger“ Nr. 15 vom 20.1.19 veröffentlicht worden. In Verhandlungen mit den Länderregg. und im Staatenausschuß erfuhren die pauschal formulierten §§ 3 u. 4 des Entw. über die ausschließliche Gesetzgebungs- und Verwaltungshoheit des Reichs bei den Zöllen sowie über die prinzipielle Kompetenz des Reichs zur Inanspruchnahme aller Steuerquellen Einschränkungen und Veränderungen, die über einen Zwischenentw. in Art. 7 des vom RIM am 21. 2. der NatVers. vorgelegten RVEntw. eingegangen sind (NatVers.-Bd. 335 /I, Drucks. Nr. 59). Auf diese Verfassungsvorlage beziehen sich die aufgeführten Bestimmungen, bei denen allerdings die vorläufig durchgesetzten Sonderrechte verschiedener Länder betr. die selbständige Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern wie auch die Reservatsrechte bei der Bier- und Branntweinbesteuerung (ebd., Artt. 115–117) fehlen.

Schon damals war dieser Entschluß schwer. Hatte sich doch das Verhältnis zwischen den aus Steuern zu befriedigenden Einnahmebedürfnissen des Reichs, denen der Einzelstaaten und denen der Gemeinden, das vor dem Kriege[74] ungefähr 2,1 zu 1,1 zu 1,8 war, völlig umgekehrt, und auf ungefähr 14 zu 2 zu 3 verschoben. Waren doch damals schon die Schulden des Reichs auf über 150 Milliarden gestiegen und betrugen somit ein Vielfaches der Gesamtschuld der Einzelstaaten und der Gemeinden6.

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Die schon in den Vorkriegsjahren ansteigende Tendenz der Reichsschuldenentwicklung hatte sich in den Kriegsjahren fortgesetzt, da die Finanzierung der öffentlichen Ausgaben nur etwa zu einem Fünftel durch Steuern, zum überwiegenden Teil aber durch Neuverschuldung mittels Anleihen und durch Geldschöpfung mittels Schatzanweisungen erfolgte. Einen Überblick über „Die Finanzen des Deutschen Reiches in den Rechnungsjahren von 1914 bis 1918“ legte die RReg. in ihrer Denkschrift vom 12.3.19 vor (NatVers.-Bd. 335 /I, Drucks. Nr. 158). Dieser Überblick kann jedoch nur als vorläufig angesehen werden, da erst in der „Denkschrift über die finanzielle Lage des Reichs“ vom 29.7.20 der Versuch gemacht wird, die vorschußweise getätigten, aber noch nicht durch Übernahme auf den Anleihe- oder Schatzanweisungskredit verrechneten Ausgaben den Etats der Kriegsjahre hinzuzurechnen (RT-Bd. 363 , Drucks. Nr. 254 , insbesondere S. 5 f.). Danach betrug, ausgehend von einer Vorkriegsschuld von 5,4 Mrd M, die Vermehrung der schwebenden und fundierten Reichsschuld in den Rechnungsjahren 1914–1918 150,9 Mrd M.

Trotzdem hatte sich damals die Reichsregierung der Hoffnung hingegeben, von einem weiteren Fortschreiten auf dem Gebiet der Vereinheitlichung des Finanzwesens absehen zu können, dessen außerordentlich große innerpolitische Tragweite sie nicht verkannte. Der Entwurf des Friedensvertrags hat diese Hoffnung zu Schanden gemacht. Schon die deutschen Gegenvorschläge waren nur durchführbar bei grundlegender Änderung in der materiellen Steuergesetzgebung und in der Steuerverwaltung. Die endgültig festgesetzten Friedensbedingungen machen diese radikalen Änderungen zu einer absoluten Notwendigkeit. Die Änderungen müssen zweierlei Art sein. Einmal muß die Gesetzgebung über sämtliche Steuerquellen, soweit sie nicht rein örtlicher Natur sind, für das ganze Reich in eine Hand, in die Hand des Reiches gelegt werden, wobei auf die gerechte Verteilung der erzielten Einnahmen zwischen Reich, Ländern und Gemeinden im Interesse der Lebensfähigkeit aller Beteiligten der größte Wert zu legen sein wird. Die Arbeit der im Reichsfinanzministerium eingesetzten Kommissionen7 lassen an diesem Ergebnis keinen Zweifel zu. Aber davon wird an anderer Stelle zu reden sein. Heute handelt es sich darum, daß auch die Verwaltung der Abgaben von einer Zentralstelle aus einheitlich geleitet werden muß. Es ist heute damit zu rechnen, daß das Reich einen Bedarf an Einnahmen für seine eigenen Zwecke von jährlich rund 17½ Milliarden Mark hat, wozu dann noch die Verpflichtungen gegenüber unseren Vertragsgegnern kommen, für die man wohl einen Zuschlag von etwa 10% zu dem obigen Betrag ansetzen kann. Diesem Bedarf des Reiches steht ein Einnahmebedarf der Länder und Gemeinden von rund 6 Milliarden Mark gegenüber. Der Gesamtbedarf des Reiches sowie der Länder und Gemeinden muß von dem gleichen Kreise von Steuerzahlern und Steuerobjekten gedeckt werden. Handelte es sich heute um die Gründung des Reiches, kein denkender Mensch würde angesichts dieser Verhältnisse es auch nur für erwägenswert halten, die Verwaltung der Abgaben dem Reiche zu entziehen, das an dem Verwaltungsergebnis mit[75] etwa 70% (1913: 41,91%) beteiligt ist, während sich der Anteil der Gemeinden auf etwa 20% (1913: 36,21%), der Anteil der Länder, der jetzigen Inhaber der Verwaltung, auf nur etwa 10% (1913: noch 21,88%) stellt.

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Protokolle der zwischen dem 20. 5. und 27. 6. im RFMin. stattfindenden 2.–5. Sitzung der Finanzkommissionen von Reich, Ländern und Gemeinden befinden sich im Nachl. Saemisch , Nr. 100.

Die Wucht der Tatsachen, die sich in diesen Zahlen ausdrückt, und der Folgen, die sich aus ihnen für das wirtschaftliche und staatliche Leben ergeben, ist aber so groß, daß sie auch vorhandene Einrichtungen mit der Gewalt eines Naturereignisses über den Haufen werfen wird, soweit sie diesen Tatsachen keine genügende Rechnung tragen.

Das Reich muß aus diesen natürlichen Gesichtspunkten heraus unter den heutigen Verhältnissen die gesamte Finanzverwaltung in die eigene Hand nehmen. Das läßt sich auch noch im einzelnen nachweisen und begründen.

 

Nur eine starke Zentralgewalt auf dem Gebiet der Finanzverwaltung kann die restlose Sicherheit dafür schaffen, daß die Steuergesetze lückenlos und unter Ersparung aller überflüssigen Kosten durchgeführt werden. Es geht um das Leben und Sterben des Deutschen Reiches. Da muß das Reich auch auf die Geschäftsführung bei der Einnahmeverwaltung den unmittelbaren Einfluß haben. Jedes Zwischenglied ist schädlich. Das Reich kann, ebensowenig wie jeder Privatmann in der gleichen Lage es könnte, seine Einnahmeverwaltung selbständigen und unabhängigen Geschäftsführern überlassen, wenn diese auch noch so gut und zuverlässig arbeiten. Dazu kommt noch ein weiterer Gesichtspunkt. Noch auf Jahre hinaus wird das Reichsfinanzministerium mit wichtigen gesetzgeberischen Arbeiten befaßt sein. Für diese gesetzgeberischen Arbeiten ist aber eine Trennung von der Finanzverwaltung schädlich, wie die bisherige Praxis zur Genüge gezeigt hat. Gesetzgebung und Verwaltung müssen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen. Ihre Organe sind auf einen gesunden Austausch zu ihrem Gedeihen angewiesen. Bei einem Auseinanderreißen werden die Arbeiten erschwert und verzögert und müssen auch in ihrer Güte notleiden. Die Gesetzgebung muß die Verwaltung und die Verwaltung die Gesetzgebung befruchten, zumal wo es sich in Zukunft darum handeln wird, durch gesetzgeberische Tätigkeit die Mängel zu beseitigen, die Lücken auszufüllen, die bei der Ausführung der Abgabengesetze vielleicht zum Vorschein kommen werden. Auch drängt die Schwierigkeit und der Umfang der Aufgaben auf dem Gebiet der Finanzgesetzgebung und der Finanzverwaltung dazu, auf die Schaffung eines einheitlichen nach jeder Richtung hin ausgebildeten und leistungsfähigen Beamtenstandes Sorge zu tragen. Nur bei einer Zusammenfassung der Beamtenorganisationen durch das Reich wird diese Aufgabe restlos gelöst werden können.

Nur die Reichsverwaltung wird weiter dem einzelnen Steuerzahler das Gefühl der Sicherheit vor Benachteiligung und unterschiedlicher Behandlung verschaffen können. Und gerade das ist von außerordentlicher psychologischer Bedeutung. Jeder einzelne Deutsche wird steuerlich bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit, bis zu einer bisher für fantastisch gehaltenen Höhe belastet werden. Eine derartige Belastung wird nur ertragen werden, wenn völlige Gleichmäßigkeit, absolute Einheitlichkeit unbedingt gewährleistet wird. Jede anscheinende oder tatsächliche Bevorzugung einzelner Länder oder einzelner[76] Steuerzahler kann zu den schwersten Konsequenzen, zur Gefährdung des gesamten Aufbaues des Reiches führen. Nur die einheitliche Reichsverwaltung kann fernerhin der Regierung die Möglichkeit geben, vor der Öffentlichkeit und vor der Volksvertretung die schwere Verantwortung für die steuerliche Belastung zu übernehmen. Unmittelbar und ohne Zwischenglied muß die Reichsregierung Rechenschaft geben können von der Art und Weise, wie die Steuergesetze ausgeführt werden.

Nur bei Übernahme der Verwaltung in eigene Hand kann das Reich, und das ist vielleicht das Ausschlaggebendste, den Einfluß auf die Steuererhebung ausüben, die Klarheit in der Finanzgebarung sich verschaffen, die für die loyale Erfüllung des Friedensvertrages erforderlich ist. Das Reich als solches, nicht aber die Gesamtheit der Einzelstaaten, ist zur Ausführung des Friedensvertrages verpflichtet. Es allein trägt die volle Verantwortlichkeit gegenüber den Vertragsgegnern. Verhindert oder erschwert ein Teil des deutschen Reiches die Erfüllung der Friedensbedingungen, so werden die Vertragsgegner sich nicht an diesen Teil, sondern an das Reich wenden, und unter dieser Nichterfüllung müssen möglicherweise Landesteile leiden, die eine Schuld in irgendwelcher Form nicht trifft. Es ist infolgedessen von zwingender Notwendigkeit, daß den Vertragsgegnern gegenüber das Reich als solches mit allen erdenklichen Machtbefugnissen bekleidet gegenübertritt. Würde die Reichsregierung nicht aus sich selbst heraus die Zentralisierung in der Finanzverwaltung durchführen, so würde die Vielheit der Verwaltungskörper eine stete Quelle von Streitigkeiten und Beanstandungen der gegnerischen Kontrollorgane werden und letzten Endes dazu führen, daß die Feinde je nach ihren Tendenzen sich entweder auf unerträgliche Weise in die Verwaltung selbst einmischen und Zwietracht zwischen Reich und Einzelstaaten säten, oder aber die Einheitlichkeit der Verwaltung ihrerseits erzwingen würden, die freiwillig durchzuführen versäumt wurde.

Bei dieser Sachlage muß die Reichsregierung mit allem Ernst und mit allem Nachdruck den Standpunkt vertreten, daß die Einheit in der gesamten Verwaltung der Reichsabgaben herbeigeführt werden muß.

 

Die Reichsregierung verkennt dabei nicht, daß die Übertragung der Verwaltung auch der direkten Steuern auf das Reich für die Länder einen herben Verlust, nicht nur an lieb gewordenen Überlieferungen und berechtigter Eigenart, sondern auch an äußerer Machtfülle bedeuten könnte. Aber einmal bringt die Reichsverwaltung der direkten Steuern den Einzelstaaten doch auch nicht unwesentliche Vorteile. Diejenigen Steuern, die den Ländern und Gemeinden noch verbleiben, müssen aus sachlichen und technischen Gründen von der Reichsfinanzverwaltung miterhoben werden. Die Reichsverwaltung wird sich dieser Pflicht nicht entziehen. Den Einzelstaaten und Gemeinden wird damit ein Verwaltungsapparat zur Verfügung gestellt, der sicherlich allen berechtigten Ansprüchen genügt und den Einzelstaaten gegenüber dem bisherigen Zustand außerordentliche Ersparnisse an Verwaltungskosten gestattet. Daß dieser Verwaltungsapparat auch in der Lage ist, alle berechtigten völkischen und örtlichen Interessen zu wahren und zu schützen, dafür wird eine starke[77] Dezentralisation innerhalb der Reichsverwaltung Sorge zu tragen haben. Die Übertragung der Verwaltung der direkten Steuern auf das Reich bringt dabei den Einzelstaaten die Befreiung von einer Last und einer Verantwortung, die bei den vielen Schwierigkeiten und Kämpfen, zu denen die Erhebung der hohen direkten Steuern führen kann, ihnen nur erwünscht sein muß. Das Reich wird sich bei seiner Größe eher mit der undankbaren und unerfreulichen Aufgabe abfinden können als die Länder, bei denen die Durchführung bei den heutigen aufgeregten und unruhigen Zeiten zu bedenklichen Zuständen führen kann.

Diese Gründe müssen um so stärker wirken, als die materielle Gesetzgebung fast ganz auf das Reich übergehen wird, auch die Verwaltung der Zölle und eines großen Teiles der indirekten Steuern schon Kraft der Verfassung Reichssache ist8. Es handelt sich also nur um einen kleinen Teil der Finanzverwaltung, der in den kleinen Ländern nur wenige Dutzend Beamte umfaßt und als selbständige Einrichtung und bei einem Fehlen der Beziehungen zu den übrigen Steuergebieten ersprießliche Leistungen nicht wohl erwarten läßt. Gegenüber den großen Opfern, die die Einzelstaaten dem Reichsgedanken auf dem Gebiete der Heeresverwaltung und auf dem Gebiete des Verkehrswesens mit seinen Hunderttausenden von Beamten und Angestellten haben bringen müssen, ist die Übertragung dieses Bruchteiles der Finanzverwaltung, den die Verwaltung der direkten Steuern darstellt, bei objektiver Betrachtung doch nur von geringer Bedeutung.

8

Der Verfassungsausschuß der NatVers. hatte am 18. 6. die Arbeiten an einem neuen, den endgültigen Wortlaut der RV vorbereitenden Verfassungsentw. abgeschlossen (NatVers.-Bd. 336 , Mündlicher Bericht des 8. Ausschusses über den Entw. einer Verfassung des Dt. Reiches, Drucks. Nr. 391). Danach wurde dem Reich die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz nicht nur – wie schon in den vorherigen Entwürfen – auf dem Gebiet der Zölle (Art. 6 Ziffer 6 RVEntw.), sondern auch für alle übrigen Steuerquellen, die „ganz oder teilweise für Reichszwecke in Anspruch genommen werden“, zugesprochen (Art. 7 RVEntw.). Die reichseigene Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern ist im Art. 83 RVEntw. festgelegt.

Vor allem aber darf man sich, mag man über die Bedeutung der landeseigenen Verwaltung auf dem Gebiet der direkten Steuern denken wie man will, dem Gedanken nicht verschließen, daß die Existenz des Reiches diesen weiteren Verzicht fordert. Man muß sich bewußt sein, daß der Weiterbestand und die Lebensfähigkeit Deutschlands die größten Opfer seitens der Länder rechtfertigt und erfordert.

Von diesem hohen Gesichtspunkt aus muß die Absicht des Reiches, auch die direkten Steuern und somit die gesamten Abgaben, mögen sie Reichs- oder Landesabgaben sein, in die Verwaltung des Reiches zu übernehmen, beurteilt werden9 . Man kann dabei gewiß sein, daß auch die Öffentlichkeit sich völlig hinter eine Landesregierung stellen wird, die bei der oben geschilderten Sachlage[78] dem Reich das Opfer der Aufgabe der landeseigenen Steuerverwaltung bringen wird. Denn jedem Deutschen wird immer über den Interessen seines engeren Heimatstaates das Wohl und Weh des Reiches stehen.

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Die Bahnen zur Verwirklichung der beabsichtigten Reform der Finanzverfassung waren in dem RVEntw. vom 18. 6. vorgezeichnet. Unter extensiver Auslegung der Bestimmungen konnte aus ihnen die Kompetenz des Reiches zur Überleitung der gesamten Finanzverwaltung auf das Reich abgeleitet werden. So ist das Reich befugt, unter Beachtung gewisser Auflagen „im Wege der Gesetzgebung Grundsätze über die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben“ aufzustellen (Art. 11 RVEntw.) und „durch Gesetz die Vorschriften über 1. die Einrichtung der Abgabenverwaltung der Länder, soweit es die einheitliche und gleichmäßige Durchführung der Reichsabgabengesetze erfordert; 2. die Einrichtung und Befugnisse der mit der Beaufsichtigung der Ausführung der Reichsabgabengesetze betrauten Behörden“ zu erlassen (Art. 84 RVEntw.). Als prinzipiell am weitreichendsten sollte sich allerdings die im zweiten Halbsatz des Art. 14 RVEntw. enthaltene Bestimmung erweisen: „Die Reichsgesetze werden durch die Landesbehörden ausgeführt, soweit nicht die Reichsgesetze etwas anderes bestimmen.“ Mit dieser Formulierung war die Möglichkeit geschaffen, durch einfaches – nicht verfassungsänderndes – Reichsgesetz die Verwaltungshoheit im Bereich der Steuern von den Ländern auf das Reich zu übertragen. Im Vorfeld der Verwirklichung dieser Vorschrift konnte das Reich darüber hinaus mit Art. 15 RVEntw. drohen, der das Reich zur Aufsicht über die Durchführung von Reichsgesetzen durch Landesbehörden ermächtigte.

Eine Skizze, die eine unverbindliche Übersicht der Einrichtung der künftigen Reichsfinanzverwaltung geben soll, ist als Anlage beigefügt10. Aus dieser Skizze ergibt sich, daß die Reichsregierung alle Geschäfte der Reichsfinanz- und der Reichsschatzverwaltung schon in der Lokalverwaltung in einer einheitlichen Spitze zusammenfassen und damit die Möglichkeit schaffen will, im Interesse einer gesunden Dezentralisation das Schwergewicht der Geschäftsführung in die Lokalverwaltung zu legen.

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R 43 I /2430 , Bl. 9; nicht abgedruckt. – Nach diesem Organisationsplan treten an die Stelle der unterschiedlich strukturierten Landesfinanzverwaltungen, die bisher nur bei den Zollbehörden Verwaltungsangleichungen zugelassen hatten, einheitlich aufzubauende Mittelinstanzen, Landesfinanzämter genannt. Ihren jeweils drei Abteilungen für Besitz- und Verkehrssteuern, für Zölle und Verbrauchssteuern sowie für die Reichsvermögensverwaltung sollen auf lokaler Ebene Hauptsteuer- und Hauptzollämter nachgeordnet werden. Siehe dazu weiter Dok. Nr. 30, P. 4.

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