2.84.1 (bau1p): 1. Auslieferungsfrage.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 3). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett BauerKabinett Bauer Bild 183-R00549Spiegelsaal Versailles B 145 Bild-F051656-1395Gustav Noske mit General von Lüttwitz Bild 183-1989-0718-501Hermann EhrhardtBild 146-1971-037-42

Extras:

 

Text

RTF

1. Auslieferungsfrage.

Es wurde die Frage erörtert, ob mit Rücksicht auf die näher geschilderten inneren Schwierigkeiten, die eine Befolgung der Auslieferungsersuchen der Entente zeitigen würde2, nicht versucht werden soll, die Entente zum Verzicht auf die Auslieferung zu bewegen. Dies könne vielleicht bei Gelegenheit der Vorstellung der neuen Geschäftsträger geschehen, die auf die Gefahren hinweisen und gegebenenfalls zum Ausdruck bringen müßten, daß das ganze Kabinett zurücktreten und die Folge die Anarchie sein würde. Vielleicht könne man anbieten, daß die einzelnen Fälle in Deutschland selbst untersucht würden, gegebenenfalls unter Beteiligung von Vertretern der betreffenden ausländischen Staaten, und daß man auf eine Amnestie der hiernach etwa zu verurteilenden Personen verzichte. Nach eingehender Erörterung gelangte man zu dem Ergebnis, daß offiziell in dieser Angelegenheit keine Schritte unternommen werden sollen. Es wurde hierbei auf die Unwahrscheinlichkeit hingewiesen, mit den geschilderten Maßnahmen etwas zu erreichen und betont, daß wir durch Unterzeichnung des Friedensvertrages das Recht verwirkt hätten, mit dem Rücktritt der Regierung zu drohen, wenn es sich nunmehr um Erfüllung des Friedensvertrages handele. Auch erschien es zweifelhaft, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Auslieferung verlangt werde, umsomehr, als auch bei französischen Militärs keine große Neigung für eine Auslieferung bestehe3. Dagegen erschien es zweckmäßig, unter der Hand bei[314] unseren bisherigen Gegnern darauf hinzuwirken, daß die Auslieferung unterbleibt. Der Reichsminister des Auswärtigen wird in dieser Hinsicht das Weitere veranlassen4.

2

Vgl. dazu die Tagebuchaufzeichnung Koch-Wesers: „Kabinettssitzung über die Auslieferung. Kein Ausweg. Ausführen ist praktisch unmöglich, da kein Beamter sich findet, der ausführt. Hinhalten macht erst recht lächerlich. Weigerung ist gleichbedeutend mit Einmarsch“ (hschr. Aufzeichnung vom 16.10.19 [!]; Nachl. Koch-Weser , Nr. 20, Bl. 5; die Datierung ist offensichtlich fehlerhaft, da am 16. 10. ausweislich der Akten keine diesbezüglichen Besprechungen stattfanden und die Aufzeichnung inhaltlich den Verlauf der Kabinettsberatungen vom 18. 10. wiedergibt).

3

Dieser Hinweis könnte sich auf eine Mitteilung RFM Erzbergers beziehen, der in einem Brief vom 8.8.19 den RAM über eine Unterredung des bisherigen stellvertretenden Leiters der Wako, MinDir. von Stockhammern, mit dem frz. Gen. Dupont unterrichtete. In dem Gespräch soll der Gen. erklärt haben, Marschall Foch werde als zusätzliche Gegenleistung für die von ihm anläßlich der Ermordung des frz. Sergeanten Paul Manheim geforderte Sühnezahlung in Höhe von 1 Mio Goldfranken nicht auf der auch von ihm als „odios und als in Widerspruch mit den militärischen Ehrenbegriffen“ empfundenen Auslieferung der sog. Kriegsverbrecher bestehen. Erzberger erbot sich, die verlangte Summe von privater Seite zu beschaffen (Nachl. Erzberger , Nr. 53). – Zum Fall Manheim s. Schultheß 1919, I, S. 297 f. Als die RReg. am 1. 9. bekanntgab, sie habe den geforderten Betrag an die frz. Reg. überwiesen, verlangte der DNVP-Abg. von Graefe in einer NatVers.-Anfrage Aufklärung über den Geldgeber. Die Anfrage wurde vom RAM in einer Sitzung des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten am 7. 10. mündlich beantwortet; eine öffentliche Beantwortung lehnte der RAM als „zur Zeit aus Gründen der äußeren Politik unerwünscht“ ab (NatVers.-Bd. 339 , Drucks. Nr. 1051  und 1148).

4

Den Verlauf der Kabinettsberatungen gibt RIM Koch wie folgt wieder: „David sagt natürlich, es muß ausgeliefert werden. Die französische Regierung glaubt noch immer daran, daß wir Militaristen sind. Man muß ihr den Glauben an unsere Zweideutigkeit nehmen. – Als ob man irrsinnige Gedankengänge jemandem dadurch austreiben kann, daß man sich ihnen unterwirft. Erzberger will auch nachgeben. Aber nur äußerlich. Nachher soll durch Winkelzüge versucht werden, zu erreichen, daß nichts dabei herauskommt. Müller ist entschieden dafür, schon jetzt zu drohen, daß wir abtreten müssen, wenn die Auslieferung verlangt wird, da das Verlangen unerfüllbar ist. Ich trete ihm bei. […] Ob man bleiben wolle oder nicht, man könne einfach nicht bleiben. Die Regierung werde lächerlich werden. Schiffer will nichts von der Drohung wissen. Wir müssen ausharren, so ungern wir es tun. – Aber auch Aburteilung durch unsere Gerichte ist unmöglich. Denn wie können wir unsere U-Boot-Kommandanten aburteilen? Wir können doch nur die verurteilen, die gemeiner Verbrechen beschuldigt sind! […] Er sieht auch nur den Weg abzuwarten; später wird man die Sache möglichst dilatorisch behandeln. Erzberger verzichtet, da er sich Schiffer völlig anschließt. Bauer glaubt auch, daß wir unsere Affäre nicht verbessern, wenn wir jetzt an die Entente herantreten. Koch [sic] beharrt dabei, daß ein sofortiger Schritt besser ist als abwarten. Aber er will wissen, was geschehen soll, wenn nun die [Auslieferungs-]Note kommt. Soll dann die Unmöglichkeit oder die Bereitwilligkeit erklärt werden? Bauer: Dann wird man Bereitwilligkeit erklären, aber die Leute nicht finden können“ (hschr. Aufzeichnung vom 16.10.19; Nachl. Koch-Weser , Nr. 20, Bl. 5 ff.; zur fehlerhaften Datierung s. Anm. 2). Zum Fortgang der Angelegenheit berichtet Koch unter dem 20. 10., er habe inzwischen seinen Parteifreund RJM Schiffer dafür gewonnen, der Entente gegenüber die Unerfüllbarkeit des Auslieferungsbegehrens zu vertreten. Schiffer wolle den All. anbieten, regierungsseitig eine Aufforderung an die Beschuldigten zu richten, aber gleichzeitig erklären, daß Zwangsmaßnahmen gegenüber den Auszuliefernden unmöglich seien. Für dieses Vorgehen sollten nun die Zentrumsminister gewonnen werden, „allerdings wohl ohne Erzberger“. Am 22. 10. werde er auf Veranlassung von UStS Lewald „einer Art Verschwörung in dieser Sache im Automobilklub“ beiwohnen, an der u. a. auch der RWeM sowie MinDir. Simonshschr. verbessert aus: Simson – teilnehmen würden. Am 22. 10. berichtet Koch, Schiffer bleibe in der Rücktrittsfrage unnachgiebig. Er halte „Ausharren auch bei Drohungen der Entente für patriotisch. Darüber läßt sich reden“ (nach den mschr. Übertragungen der Tagebuchaufzeichnungen; Nachl. Koch-Weser, Nr. 16, S. 319 ff.; hschr. Aufzeichnungen liegen dazu nicht vor). – Die Kabinettsberatungen werden am 28. 10. fortgesetzt (s. Dok. Nr. 88, P. 1).

Extras (Fußzeile):