2.132 (bau1p): Nr. 130 Rundschreiben des Reichskanzlers an die Landesregierungen. 12. Dezember 1919

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Nr. 130
Rundschreiben des Reichskanzlers an die Landesregierungen. 12. Dezember 1919

R 43 I /2327 , Bl. 19–20 Umdruck

[Betrifft: Ausländische Gesandtschaften bei den Ländern; innerdeutsche Gesandtschaften; Vertretung des Reichs bei den Ländern.]

In Gemäßheit der am 21. November 1919 im Reichskanzlerhause abgehaltenen Besprechung über die Gestaltung des Gesandtschaftsrechts der Länder beehre ich mich die beifolgende Regelung in Vorschlag zu bringen1.

1

Das PrStMin. hatte im Juli im Einverständnis mit allen Parteien der PrLV beschlossen, die noch bestehenden pr. Gesandtschaften in München, Dresden, Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Hamburg, Oldenburg und Weimar vom 1.10.19 ab aufzuheben (Schultheß 1919, I, S. 487 f.). Voraussetzung für diesen „Fortschritt auf dem Wege zur Stärkung der Reichsgewalt“ wäre aber, daß die übrigen Länder gleichfalls auf ihre innerdt. „diplomatischen Vertretungen“ verzichten (Der PrMinPräs. an die RReg., 14.3.19; R 43 I /2327 , Bl. 4). Die nichtpreußischen, vor allem die süddt. Länder wandten sich im Sommer 1919 gegen den Abbau des Gesandtenwesens, das sie als eines der letzten Zeichen ihrer durch die Weimarer RV stark eingeschränkten Staatlichkeit ansahen. Das PrStMin. entschloß sich daraufhin im September, die Aufhebung der Gesandtschaften vorerst auf den 1.4.20 zu verschieben. Als im Herbst außerdem gerüchtweise bekannt wurde, daß die Ententestaaten demnächst Gesandtschaften in München errichten wollten, hatte der RK die MinPräss. der Länder zu einer Beratung über ausländische Gesandtschaften bei den Ländern und den Verkehr der Länder untereinander und mit dem Reich für den 21.11.19 nach Berlin eingeladen. Die RReg., die sich am 24. 10. bereits mit diesen Fragen befaßt hatte (Dok. Nr. 86, P. 3), war durch den RK, RJM, RAM, RIM und dem RFM bei dieser Konferenz vertreten. Über die Aussprache liegt eine in der Rkei gefertigte beschlußprotokollartige Niederschrift bei den Akten (Entw., R 43 I /2329 , Bl. 30 f.; überarbeitete und den Teilnehmern übersandte Ausfertigung, ebd., Bl. 33 f.). Auf den Abdruck des Protokolls wird verzichtet, da es in beiden Fassungen nicht die in der zweistündigen Beratung hervorgetrtetenen Meinungsverschiedenheiten widerspiegelt. Insgesamt scheinen die an der Aufrechterhaltung des Gesandtschaftswesens interessierten Länder ihren Standpunkt „wenig energisch, auch teilweise unklar und inkonsequent“ vertreten zu haben, während die RReg. ihre entgegengesetzten – und hinsichtlich der vom RIM betriebenen Entsendung von Reichsbevollmächtigten in die Länder weiterreichenden – Absichten „in den Mantel des friedlichen Entgegenkommens gegenüber den Ländern (hüllte)“ (vgl. dazu aus Ländersicht den Bericht des hess. Gesandten in Berlin, von Biegeleben, vom 21.11.19; zit. bei Wolfgang Benz: Süddeutschland in der Weimarer Republik. S. 348 ff. sowie ebd. das Kapitel: Reichspolitik und Ländersouveränität – Die innerdeutschen Gesandtschaften, S. 198 ff.; aus Reichssicht die diesbezügliche Aufzeichnung des RIM vom 21.11.19 in: Nachl. Koch-Weser  Nr. 20, Bl. 67). – Das hier zum Abdruck gelangende Rundschreiben des RK stellt den im o. a. Protokoll angekündigten „Entwurf zu einer Vereinbarung“ zwischen der RReg. und den Ländern dar. Es lehnt sich eng an die im Protokoll aufgezeichneten Beratungsschwerpunkte der Konferenz vom 21. 11. an und gibt insofern auch das Besprechungsergebnis aus der Sicht der RReg. wider. Erarbeitet wurde das Rundschreiben vom RIM, der dem RK am 29. 11. einen entsprechenden Entw. übersandt hatte (R 43 I /2329 , Bl. 39–43). Seine vorliegende Fassung erhielt das Dok. durch nicht unerhebliche Abänderungen und Streichungen GehRegR Brechts, die der RK auf dem Anschreiben des RIM ausdrücklich billigte. Das Dok. ist auszugsweise (Teil II) abgedruckt bei Fritz Pötzsch: Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung. In: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. Bd. XIII, 1925, S. 66.

[476] I. Nach Artikel 78 der Reichsverfassung ist die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten ausschließlich Sache des Reichs. Danach kommen, wie dies bei den Verhandlungen über die Reichsverfassung allseitig festgestellt ist, Gesandtschaften der Länder bei auswärtigen Mächten nicht mehr in Frage. Soweit solche nicht durch den Krieg ohnehin ihr Ende erreicht haben, sind sie spätestens mit dem 1. April 1920 aufzulösen. An diesem Grundsatz ist auch dann festzuhalten, wenn einzelne auswärtige Regierungen auf Grund des Schlußsatzes in der Einleitung zu dem Friedensvertrage, welcher dahin geht, daß „mit dem Ende des Kriegszustandes die amtlichen Beziehungen der alliierten und assoziierten Mächte mit Deutschland und mit dem einen oder anderen der deutschen Staaten (der englische Text lautet: with any of the german states) wieder aufgenommen (werden)“, es unternehmen sollten, Gesandtschaften bei den Ländern einzurichten. Die Länder werden jedem derartigen Versuch2 unter[477] Bezugnahme auf die Vorschriften der Verfassung entgegentreten und die fremde Macht an das Auswärtige Amt des Reichs verweisen, dem allein die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten obliegt. Wenn die betreffende Macht auf ihrer Forderung beharrt und das Agrément für den betreffenden Beamten nachsucht, wird auch dies dem Auswärtigen Amt mitzuteilen und ihm die Antwort zu überlassen sein. Wird der Gesandte gleichwohl eingesetzt, so würden hinsichtlich aller Fragen, die er an die betreffende deutsche Regierung stellt, er auf deren Unzuständigkeit zu deren Beantwortung hinzuweisen und zu ersuchen sein, die Fragen durch den beim Reich akkreditierten Vertreter zu stellen. Ob in dem Fall, daß ein oder mehrere Gesandte einer der bisher feindlichen Mächte bei einer Landesregierung gleichwohl beglaubigt werden, das Reich alsdann seinerseits einen diplomatischen Agenten zu der betreffenden Landesregierung entsendet, darf späterer Prüfung vorbehalten bleiben. Die Reichsregierung und die Landesregierungen sind darüber einig, daß die Bildung diplomatischer Korps an anderen Orten als dem Sitze der Reichsregierung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern sein wird.

2

Am 21. 11. hat der dt. Gesandte in Bern, Adolf Müller, an das AA berichtet, daß die frz. Reg. an ihrem „Anspruch auf Besetzung bundesstaatlicher Gesandtenposten in Deutschland nachdrücklich festhalten (wolle)“. Nach Aussage seines Informanten, des päpstlichen Nuntius Maglione, habe man „in Vatikanischen Kreisen darüber gelacht“; er möchte aber davor warnen, diese Projekte leicht zu nehmen, da es sehr fraglich erscheine, ob die übrigen All. den Eifer der Franzosen hemmen könnten oder wollten (R 43 I /159 , Bl. 15). – Zur Errichtung einer frz. Gesandtschaft in München s. weiter in dieser Edition: Das Kabinett Fehrenbach, Dok. Nr. 12.

II. Wenn auch die Reichsverfassung keine ausdrückliche Bestimmung darüber enthält, daß das bisher unter den deutschen Ländern ausgeübte Gesandtschaftsrecht in Fortfall kommt, so widerspricht es doch dem Sinne der Reichsverfassung, daß noch fernerhin Gesandtschaften im eigentlichen Sinne, d. h. diplomatische Vertretungen mit den im Völkerrechte begründeten Prärogativen der Gesandten, insbesondere also dem Rechte der Exterritorialität eingerichtet werden. Zwischen den deutschen Ländern bestehen nur staatsrechtliche, aber nicht völkerrechtliche Beziehungen. In dieser Richtung ist mit dem Fortfall der Monarchien innerhalb des Reichs und mit der durch die Reichsverfassung teils schon begründeten, teils angebahnten Vereinheitlichung eine Umwandlung der bisherigen verfassungsrechtlichen Zustände Deutschlands eingetreten. Demgemäß hat auch die Reichsverfassung vom 11. August 1919 bewußt davon abgesehen, eine dem Artikel 10 der bisherigen Reichsverfassung entsprechende Bestimmung, wonach es dem Kaiser oblag, den Mitgliedern des Bundesrats den üblichen diplomatischen Schutz zu gewähren, für die Mitglieder des Reichsrats einzuführen. Das, wie ohne weiteres anerkannt wird, fortbestehende Bedürfnis der Landesregierungen, <ihre Wünsche bei der Reichsregierung durch bevollmächtigte Persönlichkeiten, die ständig oder vorübergehend mit dieser Aufgabe betraut sind, zu vertreten und>3 sich über die Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs sowie über dessen allgemeine inneren und äußeren politischen Verhältnisse zu unterrichten, findet den besten Ausdruck in der Vertretung der Länder beim Reichsrat. Wie bisher, so wird auch in Zukunft der Reichskanzler und jeder Reichsminister es als seine Aufgabe betrachten, die Regierungen der Länder nach jeder Richtung hin über die Absichten und Tendenzen der Reichsregierung zu unterrichten, wie dies Artikel 67 Satz 1 der Reichsverfassung ausdrücklich vorsieht. Die Preußische[478] Regierung hat ihrerseits erklärt, daß sie gleichfalls bereit ist, den Vertretungen der Länder beim Reichsrat in gleicher Weise, wie dies früher den bei ihr beglaubigten Gesandten der Länder gegenüber geschehen ist, die gewünschten Auskünfte über Fragen der Beziehungen zwischen Preußen und den nichtpreußischen Landesregierungen in bereitwilliger und entgegenkommender Weise zu erteilen. Nach den in der Sitzung vom 21. November gefallenen Äußerungen ist anzunehmen, daß bei einigen Landesregierungen der Wunsch besteht, ihrem ersten Vertreter beim Reichsrat auch fernerhin die Amtsbezeichnung Gesandter beizulegen. <Auch in diesem Falle würden nach dem Gesagten diese als Gesandte bezeichneten Vertreter der deutschen Landesregierungen beim Reichsrat nicht im völkerrechtlichen Sinne zu dem in Berlin beim Reiche akkreditierten diplomatischen Korps gehören. Unter dieser Voraussetzung würde die Reichsregierung gegen eine derartige Amtsbezeichnung keine grundsätzlichen Bedenken erheben.>4<Sie schlägt ihrerseits die Bezeichnung als „bevollmächtigter Minister“ vor.>5

3

<…> Ergänzung durch GehRegR Brecht (vgl. Anm. 1).

4

<…> Diese Sätze sind durch GehRegR Brecht redaktionell überarbeitet worden (vgl. Anm. 1).

5

<…> Ergänzung durch GehRegR Brecht (vgl. Anm. 1).

Nachrichtlich wird bemerkt, daß im Verfolg der hier entwickelten Gesichtspunkte und unter der Voraussetzung ihrer Durchführung die Preußische Regierung ihre zur Zeit noch unterhaltenen Gesandtschaften bei den Landesregierungen mit dem 1. April 1920 in Fortfall kommen läßt6.

6

An dieser Stelle ist der folgende Abs. und ein ganzer Abschnitt III aus dem Entw. des RIM herausgenommen worden (vgl. R 43 I /2329 , Bl. 42 f.), und zwar: „Nur für den Fall der nach den vorstehenden Ausführungen wohl als ausgeschlossen zu betrachten ist, daß einzelne Landesregierungen gleichwohl entgegen dem von Preußen ausgesprochenen Wunsche Gesandte bei der Preußischen Regierung beglaubigen wollen, würde diese äußerstenfalls zwei Gesandtschaften – eine für die süddeutschen und eine für die norddeutschen Länder – errichten.“ Im Abschnitt III wird die Notwendigkeit einer dauernden Vertretung des Reichs bei den Ländern begründet. Vgl. dazu die sinngleichen Ausführungen im Schreiben des RIM an den RK vom 13.1.20 (Dok. Nr. 147). Über diese umfangreiche Streichung teilt UStS Albert dem RIM bei Übersendung der Ausfertigung mit: „Der Abschnitt III des dortigen Entwurfs ist vorläufig zurückgehalten worden. Es dürfte taktisch vorzuziehen sein, wenn diese Frage mit den anderen nicht verwischt, sondern nötigenfalls später gesondert behandelt wird. Der Herr Reichskanzler bittet, sie vorher im Kabinett noch sachlich zur Entscheidung zu bringen“ (R 43 I /2329 , Bl. 48). – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 133, P. 10.

Die Regierungen der Länder beehre ich mich zu ersuchen, die hier entwickelten Grundsätze einer Prüfung zu unterziehen und das Ergebnis mir sobald als möglich mitteilen zu wollen7.

7

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 141.

<Die Frage, ob und in welcher Weise künftig die Reichsregierung zu den einzelnen Ländern besondere Vertreter entsenden könnte, bleibt vorbehaten.>8

8

<…> Ergänzung durch GehRegR Brecht (vgl. Anm. 1).

Bauer

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