2.104.1 (bru1p): 1. Kartellpolitik.

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1. Kartellpolitik.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg trug den Inhalt des beiliegenden Entwurfs eines Schreibens an den Vorläufigen Reichswirtschaftsrat vor1. Er wies u. a. darauf hin, daß die Frage des Lohnniveaus im Kohlenbau außerordentlich schwierig sei. Es müßten zunächst wirtschaftliche Vorfragen geklärt werden. Ähnlich sei die Situation in der Eisenproduktion.

1

In dem von dem RWiMin. entworfenen Schreiben dankte die RReg. dem Vorl. RWiR für dessen Preisbildungsgutachten vom 13.8.30 (vgl. Dok. Nr. 87, Anm. 9). Die RReg. schließe sich der Auffassung des RWiR an, „daß die allgemeine und plötzliche Aufhebung der Preisbindung […] angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht zweckmäßig erscheint, daß vielmehr Preisbindungen nur in solchen Einzelfällen untersagt werden sollten, in denen sie volkswirtschaftlich ungerechtfertigt und schädlich erscheinen“. Der RWiR solle zunächst die Preisgestaltung in der Kohle-, Eisen-, Baustoff- und Düngemittelwirtschaft sowie die Preisbindungen bei Gegenständen des täglichen Bedarfs und bei Büchern, Treibstoffen und Gummireifen untersuchen (Schreiben des RWiM an StS Pünder vom 19.8.30 mit Entw. der Antwort an den Vorl.RWiR und Gutachten des RWiR vom 13.8.30 in R 43 I /1203 , Bl. 57–65).

Der Reichskanzler stimmte Staatssekretär Dr. Trendelenburg hierin zu. Er betonte jedoch die Notwendigkeit, daß die Reichsregierung in anderen Dingen, z. B. in der Frage der Kohlenhandelspreise, initiativ vorgehe. Auch in der Zementindustrie müßten die Preise gedrückt werden. In bezug auf die Markenartikel folge er den in dem Entwurf des Reichswirtschaftsministeriums gemachten Vorschlägen2.

2

Trendelenburg schlug die Überprüfung der Preisbindung bei Putzmitteln, Haushaltsseifen und Waschmitteln, Zahnpasten, Kohlepapier und Farbbändern, Rasierklingen und Schallplatten vor und bemerkte: „Bei der Beurteilung der Angemessenheit der auf diesen Wirtschaftsgebieten geschützten Preisspannen wird zu erwägen sein, ob nicht die Markenware schon infolge der für sie entwickelten Reklame in der Regel sehr viel häufiger umgeschlagen wird als lose Ware […] Es wäre ferner der Einwand auf seine Berechtigung zu prüfen, daß der Hersteller einer Markenware die Zubilligung einer möglichst hohen Handelsspanne als Werbemittel benutzt, um den Händler zum Vertrieb gerade seiner Ware unter Zurücksetzung der konkurrierenden losen Ware oder ähnlicher Ware anderer Markenartikelfabrikanten zu veranlassen“ (Entw. des Schreibens an den Vorl.RWiR, R 43 I /1203 , Bl. 60–61).

[384] Der Reichsminister der Justiz sprach sich dagegen aus, daß in den Markenartikeln zur Zeit eine Aufhebung der Preisbindungen erfolge.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen äußerte den Wunsch, einige Einzelheiten aus dem Schreiben herauszulassen, z. B. die Frage der Preisgestaltung von Schallplatten, Zahnpaste und ähnlichen Dingen. Auch die außerordentlich schwierige Frage der Preisbindungen im Buchhandel werde nach seiner Auffassung zur Zeit am besten ausgeschaltet.

Es sei im übrigen notwendig, daß die Zement- und Linoleum-Industrie jetzt ihre Preise abbaue3. Das Reichswirtschaftsministerium müsse dieserhalb mit den in Betracht kommenden Herren verhandeln. Desgleichen sei es notwendig, daß das Reichsernährungsministerium wegen einer Preissenkung der Düngemittel die erforderlichen Schritte ergreife. Notfalls dürfe die Reichsregierung nicht davor zurückschrecken, ein Kartell zu zerschlagen. Die schlimmste Preisverteuerung trete durch den Zwischenhandel ein.

3

Zur Preispolitik der Zementindustrie vgl. Dok. Nr. 66, Anm. 1. In einem Schreiben vom 11.8.30 an den Leiter des Kartellreferats im RWiMin., MinR Josten, das StS Trendelenburg der Rkei am 14. 8. zusandte, hatte der Generaldirektor der Deutschen Linoleumwerke, Dr. Heilner, eine behördlich festgesetzte Preissenkung für Linoleum mit der Begründung abgelehnt, daß Linoleum „im wesentlichen ein kunstgewerbliches Erzeugnis darstellt, das in Tausenden von Mustern, Farben, Größen, Breiten und Stärken der Mode der verschiedensten Länder unterworfen ist und dessen Kalkulation infolge dieser Umstände in größerem Maße durch fixe Unkosten und die Umsatzentwicklung als wie durch die Bewegung von Rohstoffen und Löhnen beeinflußt wird. Dieser Artikel eignet sich meiner Überzeugung nach überhaupt nicht zur Beaufsichtigung auf Grund der Kartellverordnung […], weil die zur Aufsichtführung verpflichtete Behörde die Verantwortung für […] eine Preissenkung […] einfach nicht übernehmen kann, es vielmehr der höheren Einsicht der Fabrikleitung überlassen muß, welche wirtschaftlichen Maßnahmen dieser in der Fabrikation und in der kaufmännischen Handhabung so sehr komplizierte Artikel erfordert“ (R 43 I /1158 , Bl. 86–91; Zitat Bl. 88–89). Einem Vermerk des MinR Feßler vom 3.9.30 zufolge wurde die Linoleumindustrie durch die starke Einwirkung des RWiMin. veranlaßt, zum 1.9.30 die Preise um 5–7% herabzusetzen und die Bindung des Handels an einen Aufschlag von 45% auf die Werkpreise aufzuheben (R 43 I /1158 , Bl. 92). Der Verband Dt. Linoleumhändler protestierte in einem Brief an den RK vom 23.8.30 gegen die Aufhebung der Preisbindung für Linoleum (R 43 I /1158 , Bl. 83–85).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte sich bereit, wegen einer Preissenkung der Düngemittel Verhandlungen einzuleiten.

Der Reichspostminister betonte die Notwendigkeit, daß die Reichsregierung jetzt hauptsächlich aus politischen Gründen in der Frage der Preisbindungen vorgehe. Die Presseabteilung müsse darauf hinweisen, daß das Reichspostministerium eine Preissenkung der Preise in der Zementindustrie erreicht habe4. Die Öffentlichkeit sei ferner davon in Kenntnis zu setzen, daß das Reichspostministerium solange Lineoleum nicht verwenden werde, bis die Linoleumindustrie in der Preisgestaltung entgegenkomme. Desgleichen sei der Öffentlichkeit mitzuteilen, daß die Preise in der Ziegelindustrie gesenkt worden seien.

4

Vgl. dazu Dok. Nr. 66, Anm. 8.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen betonte gleichfalls die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit über die bereits erzielten Preissenkungen zu unterrichten.

[385] Es bestand Übereinstimmung darüber, daß die Presseabteilung der Reichsregierung das Weitere im Benehmen mit den in Betracht kommenden Ressorts veranlassen wird5.

5

Die Rkei übersandte der Reichspressestelle am 23.8.30 Material über die Kartellpolitik (Vermerk Pünders in R 43 I /1158 , Bl. 82).

Es bestand ferner Übereinstimmung darüber, daß Staatssekretär Dr. Trendelenburg den Entwurf des Schreibens an den Vorläufigen Reichswirtschaftsrat noch umarbeiten und insbesondere in der Form energischer gestalten wird.

Das Schreiben wird sodann dem Reichskabinett nochmals vorgelegt werden6.

6

S. Dok. Nr. 105, P. 2.

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