2.110.1 (bru1p): [Aussprache über die Führung der Außenpolitik.]

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[Aussprache über die Führung der Außenpolitik.]

Der Reichsminister des Auswärtigen erbat vor Eintritt in die Erörterung der auf der Tagesordnung der bevorstehenden Genfer Völkerbundstagung stehenden Beratungsgegenstände eine Aussprache über die grundsätzliche Frage der Führung der deutschen Außenpolitik.

Diese Aussprache der Kabinettsmitglieder fand darauf ohne Zuziehung von Ressortvertretern bei alleiniger Anwesenheit des Staatssekretärs von Bülow statt.

Der Reichsminister des Auswärtigen knüpfte an die Erörterungen über außenpolitische Fragen in der Ministerbesprechung vom 20. August 1930 an1. Er erinnerte daran, daß der Reichsminister für die besetzten Gebiete bei dieser Besprechung zugesagt habe, sein von der Königsberger Allgemeinen Zeitung gebrachtes Interview über die Ostpolitik alsbald durch die Königsberger Allgemeine Zeitung öffentlich dementieren zu lassen, weil er das Interview in Wirklichkeit gar nicht gegeben habe. Daraufhin sei, ebenfalls in der Ministerbesprechung vom 20. August, eine Verständigung des Reichskabinetts über die Fragen der Ostpolitik erreicht worden. Ferner sei damals nochmals hervorgehoben worden, daß Interviews, die die auswärtige Politik berühren, nach § 12 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Reichsregierung nur nach vorherigem Benehmen mit dem Auswärtigen Amt gegeben werden dürfen2. Der Reichskanzler habe ihm nach der Sitzung zugesichert, daß er sich alsbald in öffentlicher Rede über die ausschließliche Verantwortlichkeit für die Führung der deutschen Außenpolitik durch den Reichskanzler und den Reichsminister des Auswärtigen auslassen werde und habe dies auch in seiner bekannten Trierer Rede vom 31. August d. Js. getan3. Demgegenüber habe er zu seinem[409] schmerzlichen Bedauern feststellen müssen, daß der Reichsminister für die besetzten Gebiete die versprochene Richtigstellung in der Königsberger Allgemeinen Zeitung nicht veranlaßt habe, obwohl das angebliche Königsberger Interview nach wie vor den Anstoß zu den unerfreulichsten Pressekommentaren des In- und Auslandes gegeben habe und daher unbedingt aus der Welt hätte geschafft werden müssen. Reichsminister Treviranus habe sein angebliches Interview nicht nur nicht widerrufen, sondern darüber hinaus in Königsberg eine neue Rede über die Außen- und Ostpolitik gehalten4. In dieser Rede befinde sich u. a. ein Satz, der darauf hinauslaufe, daß Deutschland Revisionsforderungen erst stellen sollte, wenn es stark genug geworden sei, um sie durchzusetzen. Dieser Satz sei naturgemäß vom Ausland aufs schärfste unterstrichen und ausgebeutet worden, und zwar natürlich in dem Sinne, daß Reichsminister Treviranus damit auf eine spätere Möglichkeit der Durchsetzung der Revision mit Gewalt habe anspielen wollen. Der Deutsche Botschafter in Paris, von Hoesch, habe in einem Telegramm vom 27. August 1930 – Nr. 841 – berichtet, wie verhängnisvoll diese Kundgebung des Reichsministers für die besetzten Gebiete auf die auswärtigen Beziehungen Deutschlands, insbesondere auf die Beziehungen zu Frankreich, gewirkt habe5. Angesichts dieser erneuten Einmischung des Reichsministers Treviranus in die Fragen der Außenpolitik habe er sich in einer Wahlrede, die er in Freiburg gehalten habe, in freundschaftlicher Form von ihm distanziert. Dadurch habe er sich jedoch noch keineswegs die Genugtuung verschafft, die er beanspruchen müsse. Vielmehr müsse mit aller Deutlichkeit klargestellt werden, daß die Dinge so, wie sie von Reichsminister Treviranus bisher behandelt worden seien, nicht fortgeführt werden könnten. Mit den angeführten Dingen sei die Reihe der Beanstandungen über die Einmischung des Reichsministers Treviranus in die Außenpolitik[410] noch nicht zu Ende. Nachdem der Reichskanzler in seiner Trierer Rede zum Ausdruck gebracht habe, daß die elementarste Voraussetzung für eine gesunde Außenpolitik ihre Kontinuität und Stabilität sei und daß der Reichsminister des Auswärtigen und der Reichskanzler verfassungsmäßig für die Führung der Außenpolitik allein verantwortlich sind, sei in dem offiziellen Parteiorgan des Reichsministers Treviranus, nämlich in den Volkskonservativen Stimmen, ein Artikel über die Außenpolitik erschienen, der mit den Darlegungen des Reichskanzlers unvereinbar sei6. Dadurch sei in der Öffentlichkeit neue Verwirrung erzeugt worden. Ferner habe Reichsminister Treviranus auf einen Artikel Poincarés über die deutsche Ostpolitik in der Sonntagsnummer der Berliner Börsenzeitung vom 31. August 1930 – Nr. 405 – eingehend unter Nennung seines Namens erwidert7. Diesen Artikel habe Reichsminister Treviranus unter keinen Umständen veröffentlichen dürfen. Darum habe er sich genötigt gesehen, Reichsminister Treviranus am 1. September zu telegraphieren, daß er seine außenpolitischen Erklärungen, insbesondere in der Börsenzeitung, für unzulässig und unangebracht halte und daß er ihn dringend bitte, weitere programmatische Äußerungen zur Außenpolitik zu unterlassen8. In der Tat halte er es für eine Unmöglichkeit, daß ein aktiver deutscher Minister sich in der Presse über Außenpolitik mit französischen Politikern einlasse. Ganz besonders[411] müsse er Einspruch dagegen erheben, daß Reichsminister Treviranus in diesem Artikel eine Anbiederungspolitik gegenüber Italien propagiere, die der amtlichen deutschen Außenpolitik gerade in diesem Augenblick sehr unbequem geworden sei. Reichsminister Treviranus habe durch alle seine Einmischungen in die Außenpolitik eine Situation geschaffen, die er als Reichsminister des Auswärtigen sich nicht mehr gefallen lassen könne. Er müsse darauf bestehen, daß ihm vor der Öffentlichkeit Genugtuung geschehe, und zwar durch einen Beschluß des Reichskabinetts. Ohne diese Klarstellung werde er sich außerstande sehen, zu der bevorstehenden Tagung des Völkerbundes nach Genf zu reisen, um dort die deutsche Außenpolitik zu vertreten.

1

S. Dok. Nr. 104, P. 3.

2

S. Dok. Nr. 104, Anm. 17.

3

In der Trierer Wahlrede vom 31. 8. hatte der RK betont, daß es in der dt. Außenpolitik nicht damit getan sei, dieses oder jenes Endziel programmatisch aufzustellen. Die Endziele ergäben sich aus der gesamten Lage Dtlds von selbst, und über sie könne und solle in Dtld kein Streit sein. Worauf es ankomme, sei vielmehr, die Mittel und Wege zu suchen und zu finden, die Dtld dem Ziele näherbringen könnten. „Die elementarste Voraussetzung für eine gesunde und erfolgreiche Außenpolitik ist ihre Stabilität und ihre innere Konsequenz, ohne die ein Land wie Deutschland nicht darauf rechnen kann, in der Entwicklung der internationalen Beziehungen seine eigene Stellung zu festigen und ihr Achtung und Dauerhaftigkeit zu verschaffen. Das Schicksal unseres Volkes in Abenteuer irgendwelcher Art zu verstricken, kann keinem verantwortlichen deutschen Staatsmann in den Sinn kommen. Ich sollte denken, daß der Herr Außenminister und ich, die wir verfassungsmäßig für die Führung der Außenpolitik allein verantwortlich sind, in unseren Personen die Gewähr dafür bieten, daß von solchen Abenteuern keine Rede sein kann.“ Der hier zitierte Passus basierte auf einem Formulierungsvorschlag des AA, den Vortr.LegR Reinebeck am 29. 8. an ORegR Pukaß gesandt hatte (R 43 I /163 , Bl. 13–14. Der Text der Rede wurde von WTB Nr. 1738 am 31.8.30 veröffentlicht: R 43 I /163 , Bl. 12).

4

Der RMbesGeb. hatte am 26. 8. in Königsberg in einer Rede vor der KVP gesagt, daß die Auffassung, wie er sie in seiner Ansprache zum Abstimmungstag vertreten habe, Gemeingut des dt. Volkes werden müsse. Er habe ausdrücklich keine Forderungen angemeldet, sondern nur die Feststellung getroffen, daß durch die Grenzziehung im Osten Dtld und Polen beunruhigt würden und der europäische Friede gefährdet werden könne. „Mit einer bloßen Anmeldung von Protesten kann man keine Politik machen […]. Für so notwendig ich bei meiner Gegnerschaft gegen die bisherigen außenpolitischen Bindungen eine Revision der Verträge halte, so kann der Zeitpunkt für eine solche Aktion doch erst dann bestimmt werden, wenn die innere Stärke unseres Volkes uns die Gewißheit gibt, daß wir Atemkräfte genug haben, um einen solchen Anspruch durchzuhalten. Sonst ist der Schaden weit größer als der Nutzen […]. Aber ich würde selbst als Außenminister nicht daran denken, Polen die Gelegenheit zu geben, dieses Problem jetzt in Genf aufzurollen und es abzudrehen. In dieser Frage besteht nicht der leiseste Gegensatz zwischen uns und dem Kabinett“ (DAZ Nr. 395–396 vom 27.8.30).

5

Hoesch hatte in diesem Telegramm den Bericht der frz. Nachrichtenagentur Havas über die Königsberger Rede zitiert und die Vermutung geäußert, daß der frz. Korrespondent bewußt gefälscht habe: „Empfehle dringend, Havasvertreter auf seine Entstellungen aufmerksam zu machen und ihm zu Gemüte zu führen, welche ungeheure Verantwortung er auf sich nimmt, wenn er durch seine Berichterstattung die Worte und Absichten der deutschen Minister entstellt und damit die Beziehungen zwischen beiden Ländern vergiftet“ (Telegramm Nr. 841 vom 27.8.30, R 43 I /163 , Bl. 5–6).

6

Der RAM spielte auf zwei Artikel in den „Volkskonservativen Stimmen“ Nr. 31 vom 31.8.30 an, deren gemeinsame Schlagzeile „Gegen Diktate und Pazifismus“ lautete. Der eine Artikel („Das Ende des Stresemann-Kurses“) resumierte eine Wahlrede von Treviranus in Kassel folgendermaßen: „Dies Bekenntnis zu einer aktiven Revisionspolitik ist das ganze außenpolitische ‚Programm‘ der Konservativen Volkspartei, und wir werden nicht ruhen, es bei passenden und ‚unpassenden‘ Gelegenheiten so lange zu wiederholen, bis es Gemeingut der Deutschen geworden ist.“ Der andere Beitrag („Youngplan und was weiter?“ von Walther Kayser) forderte die Revision des Neuen Plans: „Das Reformwerk der Regierung Brüning ist die Voraussetzung der von Treviranus nicht nur für die Tributlasten, sondern vor allem auch für die deutsche Ostgrenze geforderten aktiven Revisionspolitik. Durch innenpolitische Reformen zur außenpolitischen Revision, – das ist das Gebot ernsthafter deutscher Befreiungspolitik.“

7

Unter dem Titel „Im Osten nichts Neues“ hatte Raymond Poincaré einen Artikel in der Berliner Börsen-Zeitung Nr. 403 vom 30.8.30 veröffentlicht, in dem er gegen die dt. Forderungen nach Revision der Ostgrenze Stellung nahm. Frankreich habe seit 1919 ständig gegenüber Dtld nachgegeben, ohne dafür einen Gegenwert zu erhalten. Dtld habe den Kellogg-Pakt unterzeichnet und damit auf Gewaltanwendung verzichtet. Art. 19 VV sei für die Änderung der Ostgrenze nicht anwendbar. Poincaré bezweifelte, „daß man jemals für den Korridor oder Oberschlesien eine Lösung finden wird, die besser als der gegenwärtige Zustand ist und ebenso dem Standpunkt des Reiches wie dem Polens gerecht wird“. Treviranus hatte am 31. 8. in der Berliner Börsen-Zeitung Nr. 405 mit dem Aufsatz „Im Westen nichts Neues“ geantwortet. Die Debatte um die Revision der Pariser Vorortverträge, die nicht in Dtld begonnen habe, wäre überhaupt nicht entstanden, wenn in der Welt die Überzeugung fest verankert wäre, daß diese Verträge den Frieden für ewige Zeiten sicherten: „Hätte sich der amerikanische Senat als Garant der Verträge ausgeschaltet, […], wenn er dieser Überzeugung wäre? Würde Italien so ungestüm auf Revision drängen, wenn es glaubte, daß die Verträge dem sich entwickelnden Leben Raum genug zur Entfaltung gäben? Sind die Verträge für Europa da, oder lebt Europa für die Verträge?“ Für die „Zugeständnisse“, die „eine notdürftige Korrektur einiger Schönheitsfehler des Versailler Vertrages“ seien, habe Frankreich als Gegenwert vom dt. Volk die – in völkerrechtlich verbindlicher Form – freiwillige Garantie der durch ein Zwangsdiktat gezogenen Westgrenze erhalten. Treviranus beharrte auf der Anwendbarkeit des Art. 19 VV für das dt. Revisionsbegehren (beide Zeitungsartikel befinden sich in R 43 I /163 , Bl. 17–21).

8

Eine vom RK abgezeichnete Abschrift des Telegramms befindet sich in R 43 I /163 , Bl. 15.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete erwiderte, daß er in der Frage des von der Königsberger Allgemeinen Zeitung gebrachten Interviews alsbald nach der Ministerbesprechung vom 20. August mit dem Hauptschriftleiter der Zeitung gesprochen und den Sachverhalt gegenüber der Hauptschriftleitung richtiggestellt habe. Von einer formellen Dementierung seiner Interviews habe er abgesehen, um der Sache nicht erneuten Auftrieb zu geben. Er habe sich darauf beschränkt, durch die Königsberger Allgemeine Zeitung seine wirkliche Auffassung über die Notwendigkeiten der deutschen Ostpolitik klarstellen zu lassen. Er stehe im Begriff, wiederum nach Königsberg zu reisen und werde bei dieser Gelegenheit die von dem Reichsminister des Auswärtigen gewünschte öffentliche Klarstellung über das mißverstandene Interview herbeiführen9. Auf die Trierer Rede des Reichskanzlers habe er nichts veranlaßt; insbesondere stehe er dem Artikel in den Volkskonservativen Stimmen fern. Das, was der Reichskanzler in Trier ausgeführt habe, sei etwas Selbstverständliches. Es liege ihm auch absolut fern, sich in die amtliche Außenpolitik des Reichs einmischen zu wollen. Andererseits aber könne er nicht verhindern, daß er als Parteipolitiker im politischen Kampf gelegentlich in die Zwangslage komme, bezüglich seiner persönlichen Anschauung zur Außenpolitik Farbe zu bekennen. Er bedauere es außerordentlich, daß der Reichsminister des Auswärtigen dadurch in eine unbequeme Lage gekommen sei. Er sei aber der Meinung, daß, nachdem der Reichsminister des Auswärtigen in seiner Freiburger Rede und der Reichskanzler in der Trierer Rede die Kompetenzfrage für die amtliche Außenpolitik absolut eindeutig klargestellt haben, jetzt nichts weiter zu geschehen brauche. Er habe nicht die Absicht, im weiteren Verlauf des Wahlkampfes sich nochmals mit Fragen der Außenpolitik zu befassen. Wenn das Kabinett heute zu Beschlüssen kommen sollte, die über den Inhalt der vorgenannten Freiburger und Trierer Reden hinausgehen, so werde sein politisches Prestige vor der Öffentlichkeit derartig in Mitleidenschaft gezogen, daß er sich nicht werde halten können und sich daher dazu gedrängt sehen müsse, aus dem Reichskabinett auszuscheiden. Er wolle aber nochmals erklären, daß es ihm ferngelegen habe, dem Reichsminister des Auswärtigen Schwierigkeiten zu bereiten. Bei der von dem Reichsminister des Auswärtigen aufgezählten Häufung von Verquickungen seiner Person mit der Außenpolitik handle es[412] sich um ein zufälliges Zusammentreffen unglücklicher Umstände, für das er nicht ganz verantwortlich gemacht werden könne.

9

Am 4. 9. distanzierte Treviranus sich von dem Interview mit der Königsberger Allgemeinen Zeitung (WTB Nr. 1773 vom 5.9.30 in R 43 I /163 , Bl. 40).

Demgegenüber wiederholte der Reichsminister des Auswärtigen daß er sich unmöglich damit werde abfinden können, wenn ihm durch die heutige Ministerbesprechung nicht in irgendeiner Form vor der Öffentlichkeit Genugtuung werde. Er könne nicht nach Genf gehen, wenn die von ihm geforderte Klarstellung unterbleibe. Er beabsichtige auch keinen Schlag gegen das Prestige des Reichsministers Treviranus; darum brauche das Kabinett in seinen Entschließungen keineswegs über das hinauszugehen, was in den Reden von Freiburg und Trier bereits zum Ausdruck gekommen sei.

Der Reichsminister des Innern führte aus, daß es in normalen Zeiten unter den obwaltenden Umständen gar nicht zweifelhaft sein könne, daß ein Konflikt im Kabinett vorhanden sei. Er sei auch der Meinung, daß es besser gewesen wäre, wenn Reichsminister Treviranus im jetzigen Wahlkampf die Behandlung der Fragen der Außenpolitik anderen Kräften seines Lagers überlassen hätte. Wenn der Konflikt bis nach den Wahlen nicht bereinigt sei, sei das Kabinett entwurzelt. Darum müsse er dringend raten, die Verständigung schnellstens herbeizuführen. Nach seiner Meinung bestehe für den Reichsminister des Auswärtigen keine Veranlassung, bei der Verfolgung seiner amtlichen Politik von der gegensätzlichen Auffassung des Reichsministers Treviranus besonders Notiz zu nehmen. Es werde genügen, wenn nochmals festgestellt werde, daß programmatische außenpolitische Reden durch andere Minister als den Reichsminister des Auswärtigen zu unterbleiben haben und daß der Reichskanzler die in seiner Trierer Rede enthaltene Klarstellung über die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für die deutsche Außenpolitik nochmals wiederhole.

Der Reichskanzler brachte zwischendurch die in der soeben erschienenen B.Z. am Mittag vom 3. September 1930 Nr. 240 enthaltene Indiskretion über den Gegenstand der heutigen Ministerbesprechung10 zur Sprache und wandte sich mit scharfen Worten gegen den für die sachliche Arbeit der Reichsregierung verhängnisvollen Mangel an Zurückhaltung bei Mitteilungen gegenüber der Presse. Er kündigte an, daß er sich in Zukunft bei Feststellung weiterer Indiskretionen in der Presse in die Zwangslage versetzt sehen werde, rücksichtslos mit der Einleitung von Disziplinarverfahren einzuschreiten. Er bemerkte ferner, daß ihm von Reichsminister Treviranus gesagt worden sei, die im „Tempo“ vom 2. September erschienene Notiz über ein von Reichsminister Curtius an Reichsminister Treviranus gerichtetes Protesttelegramm gehe auf den Vortragenden Legationsrat Reinebeck zurück.

10

Die BZ hatte ihre Meldung mit der Schlagzeile „Schriftliche ‚Note‘ an Treviranus. Curtius gegen Einmischung in seine Außenpolitik“ aufgemacht (R 43 I /1446 , Bl. 209).

Der Reichsminister des Auswärtigen erwiderte, daß er diese Mitteilung unverzüglich aufklären lassen wolle.

Staatssekretär von Bülow erklärte kurze Zeit später, daß er den Vortragenden Legationsrat Reinebeck inzwischen zur Sache befragt und daß dieser dienstlich die Erklärung abgegeben habe, der genannten Pressenotiz fernzustehen. Er habe am 2. September an der Hochzeitsfeier im Hause des Reichsaußenministers[413] teilgenommen und an diesem Tage weder mit dem Redakteur des „Tempo“ noch mit einem sonstigen Pressevertreter ein Wort zur Sache gesprochen11.

11

Die politischen Redakteure der Ullstein-Blätter „Tempo“ und „Vossische Zeitung“, Josef und Max Reiner, gaben am 5. 9. Ehrenerklärungen für Vortr.LegR Reinebeck ab. Reinebeck übersandte Abschriften dieser Erklärungen am 6. 9. an Pünder (R 43 I /163 , Bl. 124–126).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft meinte, daß man die Angelegenheit nach der bisherigen Aussprache auf sich beruhen lassen könne. Durch die Rede des Reichskanzlers in Trier sei auch nach außen hin die erforderliche Klarstellung erfolgt. Im übrigen sei die Ressortverantwortlichkeit des Reichskanzlers und der Reichsminister in der Reichsverfassung (Artikel 56) festgelegt. Darüber hinaus seien weitere Feststellungen überflüssig.

Der Reichsverkehrsminister setzte auseinander, daß nach Durchführung der Rheinlandräumung das bisherige große Ziel der deutschen Außenpolitik erreicht sei, und daß jetzt ein neuer Abschnitt der deutschen Außenpolitik beginne, über dessen Ziele das Reichskabinett sich einig werden müsse. Er glaube feststellen zu können, daß über das neue Ziel keine Meinungsverschiedenheiten im Kabinett bestünden. Auch im deutschen Volk seien Meinungsverschiedenheiten in diesem Punkte kaum vorhanden. Er meinte weiter, daß in der jetzigen schwierigen Zeit, die Deutschland durchzumachen habe, jede Erschwerung der Außenpolitik unerwünscht sei und daß durch Reichsminister Treviranus trotz guter Absichten für den Reichsminister des Auswärtigen eine Erschwerung seiner Politik eingetreten sei. Darum habe er weitgehendes Verständnis für den Standpunkt des Reichsministers Curtius. Trotzdem glaube er sagen zu müssen, daß eine formelle öffentliche Desavouierung des Reichsministers Treviranus nicht gut möglich sei. Er schlage vor, über die Ministerbesprechung eine Verlautbarung an die Presse zu geben, in der gesagt werden soll, daß das Reichskabinett sich über die Außenpolitik ausgesprochen habe, auch daß im Anschluß an die Trierer Rede nochmals festgestellt worden sei, daß der Reichsminister des Auswärtigen und der Reichskanzler für die Außenpolitik allein verantwortlich sind. Im übrigen aber werde es genügen, wenn das Reichskabinett sich intern dahin einige, daß im weiteren Verlauf des Wahlkampfes in die verfassungsmäßigen Zuständigkeiten für die Außenpolitik nicht mehr eingegriffen werde.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete erklärte sich ausdrücklich damit einverstanden, daß eine Verlautbarung mit dem vom Reichsverkehrsminister vorgeschlagenen Inhalt herausgegeben werde und bestätigte ferner, daß seine persönlichen Auffassungen über die Ziele der deutschen Außenpolitik von denen der übrigen Kabinettsmitglieder in keiner Weise abwichen. Ferner erklärte er, daß er bei seiner bevorstehenden erneuten Reise nach Königsberg eine Gelegenheit suchen werde, unzweideutig von dem mißverstandenen Interview in der Königsberger Allgemeinen Zeitung abzurücken.

Der Reichsminister des Auswärtigen bat noch um Feststellung, daß auch der Artikel des Reichsministers Treviranus in der Sonntagsnummer der „Berliner[414] Börsen-Zeitung“ unzulässig und mit der Geschäftsordnung der Reichsregierung nicht vereinbar sei.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete erkannte die Richtigkeit dieses Standpunktes des Reichsministers des Auswärtigen an, bat aber, von einer Desavouierung vor der Öffentlichkeit abzusehen.

Der Reichsminister des Auswärtigen erwiderte, daß er zufrieden sei, wenn die allgemeine Frage der Zuständigkeit für die deutsche Außenpolitik nochmals klargestellt werde.

Das Kabinett einigte sich daraufhin auf den nachstehenden Wortlaut eines Kommuniqués für die Presse:

„Anläßlich der bevorstehenden Abreise der deutschen Delegation zur Genfer Völkerbundstagung fand heute unter Vorsitz des Reichskanzlers Dr. Brüning eine Aussprache über die auf der Genfer Tagung zur Erörterung kommenden Fragen sowie die damit zusammenhängenden außenpolitischen Probleme statt. Die eingehende Aussprache im Ministerkreise führte zu einer völligen Übereinstimmung mit dem Vortrage des Reichsministers des Auswärtigen, Dr. Curtius. Der Reichskanzler stellte abschließend die einmütige Zustimmung des Reichskabinetts zu den Ausführungen seiner Trierer Rede fest, wonach Kanzler und Außenminister verfassungsmäßig für die Führung der Außenpolitik allein verantwortlich sind und Voraussetzung für Stabilität und Konsequenz einer erfolgreichen Außenpolitik das Weiterschreiten auf der bisherigen grundsätzlichen Linie bildet.“12

12

Das Kommuniqué wurde von WTB Nr. 1760 am 3.9.30 veröffentlicht. Zu dem Konflikt zwischen RAM und RMbesGeb. vgl. J. Curtius. Sechs Jahre Minister, S. 165 f.; G. R. Treviranus, Das Ende von Weimar, S. 275–277; H. Brüning, Memoiren, S. 184.

Das Kabinett trat sodann unter Zuziehung der Ressortvertreter in die Erörterung der einzelnen Beratungsgegenstände der bevorstehenden Völkerbundstagung ein.

Organisation des Völkerbundssekretariats.

Der Reichsminister des Auswärtigen erklärte, daß die Organisation des Völkerbundssekretariats so, wie sie jetzt sei, unmöglich fortbestehen dürfe. Der Generalsekretär Drummond13 mit seinem französischen Adlatus14 beherrsche und beeinflusse die Völkerbundspolitik in absolut einseitigem, den deutschen Interessen keineswegs zuträglichem Sinne. Er habe schon bei früheren Gelegenheiten mit Drummond ernste Auseinandersetzungen wegen seiner Personalpolitik im Völkerbundssekretariat gehabt, und er sei entschlossen, sich die Benachteiligung Deutschlands durch Drummond nicht weiter gefallen zu lassen. Ein Unterkomitee des Völkerbundes, das mit der Ausarbeitung von Reformvorschlägen für das Generalsekretariat beauftragt worden sei, habe bereits gewisse Vorschläge gemacht, deren Durchführung jedoch Frankreich sowohl wie England zu hintertreiben versuchten. Der deutsche Vorschlag gehe nach der Richtung, den Generalsekretär möglichst stark an eine Mitwirkung[415] der – bisher acht – Untergeneralsekretären zu binden. Er bitte um die Zustimmung des Kabinetts zur Weiterverfolgung dieser Linie15.

13

Generalsekretär Sir Eric Drummond (Großbritannien).

14

Joseph Avenol (Frankreich), Stellvertretender Generalsekretär.

15

Zu den Beratungen über eine Reorganisation des Generalsekretariats s. Dok. Nr. 130, Anm. 17.

Der Reichskanzler stellte die Zustimmung des Reichskabinetts hierzu fest.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg bemerkte noch, daß unbedingt ein stärkerer Einfluß Deutschlands bei der Bearbeitung wirtschaftlicher Fragen angestrebt werden müsse. Der gegenwärtige Zeitpunkt sei vielleicht geeignet, diesen Zielen näherzukommen. Bisher seien nämlich die wirtschaftlichen Fragen in dem unter Leitung des Engländers Salter stehenden Wirtschafts- und Finanzkomitee bearbeitet worden. Salter habe den Vorsitz niedergelegt, und man gehe jetzt daran, das bisher einheitliche Komitee in zwei selbständige Komitees aufzuteilen, nämlich in ein Komitee für Wirtschaftsangelegenheiten und ein Komitee für Finanzsachen. Als Vorsitzender für das Wirtschaftskomitee sei der Italiener Stoppani ausersehen. Das Finanzkomitee solle dem Engländer Loveday anvertraut werden. Beide Komiteevorsitzenden seien dem Franzosen Avenol unmittelbar nachgeordnet. Deutschland sei lediglich im Wirtschaftskomitee durch einen Referenten, nämlich Herrn Hußlein, vertreten. Dieses Maß von Vertretung sei absolut unzureichend. Deutschland müsse unbedingt den Vorsitz im Wirtschaftskomitee beanspruchen.

Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß diesen Bestrebungen auch nach seiner Meinung der Vorzug vor den in Fluß befindlichen Bemühungen um die stärkere Vertretung Deutschlands in sozialpolitischen Angelegenheiten zu geben sei, und daß es verfehlt sein würde, wenn Deutschland sich mit Zugeständnissen auf dem Gebiet der Bearbeitung sozialpolitischer Angelegenheiten zum Nachteil der Wünsche auf wirtschaftspolitischem Gebiet abfinden lasse.

Der Reichsminister des Auswärtigen erwiderte, daß er sich selbstverständlich im Sinne der Anregungen von Staatssekretär Dr. Trendelenburg bemühen werde und begrüßte in diesem Sinne ganz besonders, daß Staatssekretär Trendelenburgs Mitreise nach Genf in sicherer Aussicht steht.

Neuwahlen zum Völkerbundrat.

Der Reichsminister des Auswärtigen teilte mit, daß bei der bevorstehenden Tagung drei Mächte für ausscheidende Ratsmitglieder neu zu wählen sein würden. Bei zwei Mächten, nämlich bei Guatemala als Vertreterin für die südamerikanischen Staaten und Norwegen als Vertreterin für das ausscheidende Finnland bestünden keine Schwierigkeiten. Diese Neuwahlen seien gewissermaßen zwangsläufig. Politisch schwierig sei dagegen die Frage des Ersatzes für das ausscheidende Kanada. Für diesen Sitz kandidiere in erster Linie China. Deutschland habe diese Kandidaten bisher freundschaftlich unterstützt. China könne jedoch nur dann sein Ziel erreichen, wenn zuvor mit 2/3-Majorität seine Wiederwählbarkeit festgestellt werde. Diese 2/3-Majorität werde sich nach Lage der Verhältnisse nicht zusammenfinden. Er halte es dafür für richtig, an der bisherigen freundschaftlichen Haltung Deutschlands gegenüber China festzuhalten. Nach China sei Irland der erste Answärter. Bei den guten Beziehungen[416] Deutschlands zu Irland könne er naturgemäß sich nicht gegen Irland aussprechen. Andererseits müsse er darauf Rücksicht nehmen, daß England aus naheliegenden Gründen Irland nicht gern im Völkerbundrat vertreten wissen wolle. Er bitte, ihm für die Abgabe der deutschen Stimme möglichst freie Hand zu lassen, um ihm zu ermöglichen, seine Entschließungen dem Verlauf der Verhandlungen anzupassen. Er werde selbstverständlich, wenn die Entwicklung der Dinge einen hochpolitischen Charakter annehmen sollte, vor entscheidenden Schritten mit dem Reichskabinett nochmals Fühlung nehmen und die Stellungnahme des Gesamtkabinetts erbitten16.

16

Vgl. das Ergebnis der Wahlen zum VB-Rat in Dok. Nr. 130.

Der Reichskanzler stellte die Zustimmung des Reichskabinetts zu diesen Ausführungen fest.

Wahl eines Richters für das Haager Schiedsgericht.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß dem Völkerbund die Ernennung eines Mitgliedes für den Ständigen Internationalen Schiedsgerichtshof im Haag obliege. Bei der bevorstehenden Wahl werde höchstwahrscheinlich ein deutsches Mitglied ernannt werden, da Deutschland bisher im Schiedsgericht keinen Sitz habe. Die Wahl erfolge auf Grund von Vorschlägen, die von den nationalen Komitees der wahlberechtigten Mächte eingereicht worden seien. Das deutsche Nationale Komitee, bestehend aus den Herren von Staff, Koch-Weser, Schücking und Kriege, habe die Herren Professor Schücking17 und Exzellenz Kriege18 benannt. Von diesen Vorschlägen habe nur die Kandidatur des Professors Schücking praktische Bedeutung. Exzellenz Kriege komme für eine Wahl nicht in Betracht. Er bitte um die Ermächtigung, sich bei der Wahl für Professor Schücking einsetzen zu können.

17

Walther Schücking, Professor für öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Kiel.

18

Johannes Kriege, Wirkl. GehR, Direktor im AA a. D., war zum Zeitpunkt seiner Nominierung bereits 71 Jahre alt.

Ministerialdirektor Gaus fügte auf Wunsch des Reichsministers des Auswärtigen erläuternd hinzu, daß Professor Schücking ein Mann von hohem nationalen Empfinden sei und in rechtlichen und rechtspolitischen Dingen im Auslande großes Ansehen genieße. Professor Schücking werde daher den Aufgaben eines Richters beim Haager Schiedsgericht durchaus gerecht werden können.

Der Reichsminister der Finanzen äußerte auf Grund seiner persönlichen Bekanntschaft mit Professor Schücking Bedenken gegen seine Eignung. Er meinte, Professor Schücking sei zwar eine hervorragende Autorität auf dem Gebiete des Völkerrechts, sei aber zu sehr objektive Gelehrtennatur, um die bei den Entscheidungen des Haager Schiedsgerichts sehr häufig mitspielenden Gesichtspunkte der Weltpolitik mit genügender Schärfe für Deutschland vertreten zu können. Politischen Einflüssen gegenüber, die im Haag natürlich eine sehr große Rolle spielen würden, sei Professor Schücking seiner ganzen idealen Verantwortung nach zu harmlos.

Demgegenüber wurde festgestellt, daß der Vorschlag des Nationalen Komitees bindend sei, daß für die deutsche Vertretung in Genf gar keine Möglichkeit[417] bestehe, den Vorschlag des Nationalen Komitees durch die Benennung eines eigenen Kandidaten abzuändern.

Auf eine Frage des Reichsministers des Innern erwiderte der Reichsminister des Auswärtigen daß eine Niederlegung des Schiedsrichteramts möglich sei und daß die Neuwahl alsbald nach der Amtsniederlegung erfolgen werde.

Hierzu bemerkte der Reichsminister des Innern daß er auf Grund seiner persönlichen Bekanntschaft mit Professor Schücking davon überzeugt sei, daß dieser sein Amt sofort niederlegen werde, wenn die Reichsregierung ihm aus irgendwelchen Gründen demnächst einen solchen Schritt nahelegen sollte.

Das Reichskabinett erklärte sich daraufhin mit dem Vorschlage des Reichsministers des Auswärtigen in dieser Frage einverstanden.

Frage der Abrüstungskommission und des Sicherheitskomitees.

Zur Frage der Abrüstung bemerkte der Reichsminister des Auswärtigen daß die deutsche Taktik nur dahin gehen könne, auf baldigen Abschluß der Arbeiten des vorbereitenden Ausschusses, der im Oktober erneut zusammentrete, zu drängen19.

19

Zu den Vorbereitungen für die Tagung der Abrüstungskommission s. Dok. Nr. 158.

Das Reichskabinett nahm hiervon in zustimmendem Sinne Kenntnis.

Zu den Arbeiten des Sicherheitskomitees führte der Reichsminister des Auswärtigen aus, daß der Entwurf für den Abschluß einer Konvention vorliege. Der Entwurf sehe die Festlegung von Demarkationslinien beim Kampf zu Lande vor und dementsprechend gewisse Kontrollmöglichkeiten des Völkerbundes. Frankreich strebe darüber hinaus den Ausbau eines Sanktionssystems an. Deutschland habe bei den bisherigen Verhandlungen an der Seite Englands gestanden. England sei für die Demarkationslinie und gewisse dazugehörige Empfehlungen des Völkerbundsrats eingetreten. Die Empfehlungen sollen aber den Ländern letzten Endes Handlungsfreiheit lassen. Angestrebt werde deutscherseits auch eine Demarkationslinie für den Seekrieg und den Luftkrieg20.

20

Der Grundgedanke des Kriegsverhütungspaktes geht auf eine Anregung zurück, die Dtld. im März 1928 dem Sicherheitskomitee des VB vorgetragen hatte: „Die an einem Streit beteiligten Staaten sollen sich im voraus verpflichten, den Empfehlungen, die ihnen der Rat im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens gibt, Folge zu leisten“ (Runderlaß des Vortr.LegR v. Weizsäcker vom 18.10.30, R 43 I /495 , Bl. 214). Während der Frühjahrstagung des Sicherheitskomitees hatte der dt. Vertreter, Gesandter Göppert, vorgeschlagen, der VB-Rat solle bei einem drohenden Kriege zwischen zwei Staaten als Vorbeugungsmaßnahme eine doppelte entmilitarisierte Demarkationslinie bestimmen, um Grenzzwischenfälle zwischen den streitenden Parteien zu verhindern (Telegramm Göpperts, Del. Nr. 4 vom 30.4.30, R 43 I /517 , Bl. 149–150; der dt. Vorschlag wurde von WTB Nr. 856 am 30.4.30 veröffentlicht: R 43 I /517 , Bl. 148).

Der Reichsminister des Auswärtigen bat um die Bevollmächtigung, sich dem englischen Standpunkt anzuschließen und sich gegen den von Frankreich propagierten Ausbau von Sanktionskriegen und die bindende Völkerbundskontrolle zu wenden21.

21

Vgl. dazu Dok. Nr. 130.

Der Reichswehrminister fügte erläuternd hinzu, daß in Zukunft bei außenpolitischen Spannungen ein starker politischer Druck durch Überfliegen feindlichen Gebietes mit Luftgeschwadern ausgeübt werden könne. Überhaupt werde in Zukunft dem Luftkrieg ein besonderes Schwergewicht zukommen. Abmachungen[418] über eine Demarkationslinie zu Lande seien verhältnismäßig unwichtig; darum sei es gut, wenn man auch Vereinbarungen über eine Demarkationslinie in der Luft anstrebe. Ferner sei es durchaus erwünscht, eine Demarkationslinie für den Seekrieg durchzusetzen, auch wenn England dagegen sei.

Der Reichsminister des Auswärtigen wurde ermächtigt, den deutschen Standpunkt in dem besprochenen Sinne zu vertreten. Ihm wurde jedoch aufgegeben, für den Fall, daß es zur Unterzeichnung eines formellen Abkommens kommen sollte, vor der Unterzeichnung nochmals die Entscheidung des Reichskabinetts einzuholen.

Die Fortsetzung der Beratung wurde daraufhin auf den Nachmittag vertagt.

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