2.130.2 (bru1p): 2. Politische Lage.

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2. Politische Lage.

Der Reichskanzler teilte mit, daß er jetzt mit Vertretern aller Parteien des Reichstags mit Ausnahme der Nationalsozialisten und der Deutschnationalen gesprochen habe27. Mit Vertretern der Zentrumspartei habe er auch noch nicht offizielle Fühlung genommen28. Im großen und ganzen hätten die hinter der Regierung stehenden Parteien erklärt, daß sie auf dem Boden des Programms der Reichsregierung ständen. Bedenklich seien die Resolutionen einzelner[496] Regierungsparteien29. Aus innen- und außenpolitischen Gründen müsse er eindringlich vor derartigen Resolutionen warnen.

27

Die Akten der Rkei enthalten, außer dem zusammenfassenden Vermerk Pünders vom 8. 10. (Dok. Nr. 135), keine Aufzeichnungen über die Verhandlungen mit den Parteien. Zu den Besprechungen mit der DNVP und mit Hitler am 5. 10. s. Brüning, Memoiren, S. 191–196 und Treviranus, Das Ende von Weimar, S. 162.

28

Der RK unterrichtete am 13. 10. den Vorstand und die Fraktion der Zentrumspartei über die politische Lage (Morsey, Zentrumsprotokolle, Dok. Nr. 621–624).

29

Die WP hatte öffentlich ein Moratorium für die Reparationszahlungen gefordert (DAZ Nr. 461–462 vom 4.10.30).

Von großer Bedeutung sei naturgemäß der Beschluß der SPD. Der Beschluß lasse nach seiner Auffassung die Türen offen30.

30

In einer Entschließung vom 3. 10. war die SPD-Fraktion „für die Sicherung der parlamentarischen Grundlage und für die Lösung der dringendsten finanzpolitischen Aufgaben“ eingetreten und hatte betont, daß sie an den Grundsätzen der bisherigen Außenpolitik festhalte, „die zur Befreiung des Rheinlandes und zur Herabsetzung der Reparationsleistungen geführt hat“ (Ursachen und Folgen, Bd. VIII, S. 96).

Er sei der Überzeugung, daß die Regierung in der jetzigen Zusammensetzung vor den Reichstag treten müsse. Eine Koalition nach rechts oder links sei nicht möglich, weil die Regierungsparteien dann auseinanderfallen würden. Auch der Herr Reichspräsident sei der Auffassung, daß die Regierung in der jetzigen Zusammensetzung vor den Reichstag treten müsse. In der Öffentlichkeit seien auch Möglichkeiten einer anderen Zusammensetzung des Reichskabinetts erörtert worden. Unter anderem sei von der Möglichkeit eines Beamtenkabinetts gesprochen worden. Er halte ein Beamtenkabinett gerade in der jetzigen Situation für ganz unmöglich. Die Besprechungen mit den Parteien über das Programm der Regierung hoffe er am Montag, den 6. Oktober, abgeschlossen zu haben. Es könne dann vielleicht am Dienstag, den 7. Oktober, dem Herrn Reichspräsidenten berichten, welche parlamentarischen Möglichkeiten für die Durchführung des Programms vorhanden seien31. Im Augenblick sehe er vor allen Dingen 3 Schwierigkeiten im Parlament:

31

Der RK suchte den RPräs. am 8. 10. auf: s. Dok. Nr. 135.

a)

ein Mißtrauensvotum der Kommunisten gegen das Gesamtkabinett32 und einzelne Mißtrauensvoten gegen die Reichsminister Dr. Curtius33, Dr. Wirth34 und Dr. Groener35. Es sei zu hoffen, daß diese Mißtrauensvoten mit Unterstützung der SPD dadurch erledigt werden könnten, daß ein Antrag auf Übergang zur Tagesordnung Annahme finde36;

[497] b)

Anträge auf Aufhebung der Notverordnungen. Er hoffe, daß diese Anträge einer Sonderkommission des Reichstags überwiesen würden37, die Sonderkommission werde sich hoffentlich mit diesen Anträgen recht lange beschäftigen. Diese beiden Punkte sehe er nicht für besonders schwierig an. Besonders schwierig sei jedoch

c)

ein Antrag der Kommission auf Einstellung der Youngzahlungen. Dieser Antrag sei parlamentarisch als eine Entschließung aufzufassen. Die Annahme einer derartigen Entschließung sei deshalb leicht möglich, weil vielleicht auch Abgeordnete der Regierungsparteien hierfür stimmen würden. Aus der Annahme einer derartigen Entschließung befürchte er sehr bedenkliche Auswirkungen im Auslande, besonders auf den deutschen Kredit. Gewiß würden die Frage des Young-Planes und die Frage der interalliierten Schulden in absehbarer Zeit ins Rollen kommen müssen. Im gegenwärtigen Moment sei es jedoch aussichtslos, diese Fragen entscheidend vorwärts zu treiben38.

32

Mißtrauensantrag der KPD gegen die Reg. Brüning vom 13.10.30, RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 14 . Außerdem brachten die NSDAP am 14. 10. (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 60 ) und die DNVP am 15. 10. (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 76 ) Mißtrauensanträge gegen die RReg. ein.

33

Mißtrauensantrag der Landvolkpartei gegen den RAM vom 16.10.30, RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 102 ; Mißtrauensantrag der NSDAP gegen den RAM vom 18. 10. wegen seiner Haltung in Genf, RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 124 ; Mißtrauensantrag der DNVP gegen den RAM vom 18. 10., RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 127 .

34

Mißtrauensantrag der NSDAP gegen den RIM vom 18. 10. wegen Sperrung der Polizeizuschüsse an Thüringen und seiner Stellungnahme gegen die thüringischen Schulgebete, RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 125 ; Mißtrauensantrag der DNVP gegen den RIM vom 18. 10., RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 128 .

35

Mißtrauensantrag der NSDAP gegen den RWeM vom 18. 10. wegen seiner wehrfeindlichen Einstellung (Uhrenerlaß, Ulmer Prozeß), RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 126 ; Mißtrauensantrag der KPD gegen den RWeM vom 18. 10., RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 134 .

36

Gegen diese Mißtrauensanträge brachten Z, DVP und BVP am 18. 10. den Antrag ein: „Der Reichstag nimmt die Erklärung der Reichsregierung zur Kenntnis und geht über alle eingebrachten Mißtrauensanträge, auch die gegen die einzelnen Minister gerichteten, zur Tagesordnung über“, RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 135 . Der Antrag wurde in der 5. RT-Sitzung am 18.10.30 mit 317 gegen 234 Stimmen angenommen (RT-Bd. 444, S. 213 ). Die SPD-Fraktion hatte dem Antrag geschlossen zugestimmt: s. RT-Bd. 444, S. 202 –204.

37

Die RReg. setzte gemäß Art. 48, 3 RV am 11.10.30 den RT von der NotVO vom 26.7.30 in Kenntnis (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 12 ). Anträge auf Aufhebung der NotVO stellten die KPD am 13. 10. (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 15 ), die NSDAP am 14. 10. (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 61 ) und die DNVP am 16. 10. (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 90 ). Die WP beantragte am 16. 10., die NotVO in bezug auf die Erhöhung der Gemeindebiersteuer und die Einführung der Gemeindegetränkesteuer außer Kraft zu setzen (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 95 ). Der RT überwies am 18. 10. die Anträge mit 337 gegen 220 Stimmen an den Haushaltsausschuß (RT-Bd. 444, S. 213 ).

38

Die KPD brachte am 13. 10. den Antrag ein, alle Zahlungen auf Grund des Youngplans mit sofortiger Wirkung einzustellen (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 16 ). Die Landvolkpartei forderte am 13. 10. die RReg. auf, die im Youngplan vorgesehenen Schutz- und Revisionsmöglichkeiten sofort zu ergreifen (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 22 ). Am 14. 10. ersuchte der ChrSVD die RReg., baldmöglichst in Verhandlungen über die Revision des Youngplans einzutreten (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 53 ). Die NSDAP beantragte am 14. 10., die RReg. solle unverzüglich die nötigen Schritte zur Aufhebung des VV und der auf ihm aufgebauten Tributverträge unternehmen (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 62 ). Die DNVP interpellierte am 13. 10. wegen des Youngplans (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 82 ). Die WP stellte am 16. 10. den Antrag, Verhandlungen wegen eines Zahlungsaufschubs mit dem Ziel aufzunehmen, im Rahmen des Neuen Plans keine weiteren Zahlungen mehr zu leisten (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 91 ). Auf Antrag des Z-Abg. Esser überwies der RT am 18. 10. diese Anträge mit 321 gegen 237 Stimmen an den Auswärtigen Ausschuß (Antrag Essers: RT-Bd. 444, S. 188 ; Abstimmung: RTBd. 444, S. 213 ).

Die vordringliche Aufgabe für das Parlament werde in der Verabschiedung des Schuldentilgungs- und Kreditermächtigungsgesetzes bestehen39 . Eine Verabschiedung dieses Gesetzes auf Grund des Artikels 48 werde im Auslande keinen Eindruck machen. Es werde zweckmäßig sein, auf Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs vor der Behandlung des Antrages auf Einstellung der Youngzahlungen im Parlament hinzuwirken.

39

Die RReg. leitete den Entw. über das Schuldentilgungsgesetz am 13. 10. dem RT zu (RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 21 ), der das Gesetz am 18. 10. mit 322 gegen 237 Stimmen verabschiedete (RT-Bd. 444, S. 213 ). Das Gesetz wurde am 25.10.30 im RGBl. I, S. 467  veröffentlicht.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen gab der Hoffnung Ausdruck, daß der Kredit bald zustande kommen werde40.

40

S. dieses Dok., P. 4.

[498] Der Reichsarbeitsminister stimmte dem Reichskanzler darin zu, daß die Schuldentilgungsvorschriften nicht auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung erlassen werden könnten.

Der Reichsverkehrsminister machte darauf aufmerksam, daß im Falle der Nichtannahme des Reformprogramms der Reichsregierung durch das Parlament keine Mittel zur Verfügung stehen würden, um die Schulden zu tilgen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft vertrat die Auffassung, daß ein kommunistischer Antrag auf Einstellung der Youngzahlungen auch von rechts abgelehnt werden würde. Die Rechte habe jedoch vermißt, daß die wirkliche Lage Deutschlands in der Plenarsitzung in Genf stark genug betont worden sei. Eine geschickte Formulierung in der Regierungserklärung könne gerade in reparationspolitischer Hinsicht manche Schwierigkeiten vermeiden.

Staatssekretär Dr. Schäffer berichtete kurz über das Schuldentilgungsgesetz und über den Stand der Anleiheverhandlungen. Er teilte unter anderem mit, daß der Entwurf des Schuldentilgungsgesetzes dem Bankenkonsortium übermittelt worden sei. Die amerikanischen Juristen seien der Auffassung, daß die Ansammlung des Schuldentilgungsfonds primär der Rückzahlung des ausländischen Kredites dienen müsse. Die voraussichtlichen Geldgeber seien ferner der Auffassung, daß die Annahme des Schuldentilgungsgesetzes durch das deutsche Parlament die Voraussetzung für das Inkrafttreten des Kreditvertrages bilde. Vorgesehen seien 4¾% Zinsen und 1¼% Provision. Die Rückzahlungen des Darlehens sollten halbjährlich erfolgen. Von deutscher Seite müsse alles daran gesetzt werden, möglichst rasch eine Bindung der Amerikaner herbeizuführen.

In finanzieller Hinsicht stimme ihn (Staatssekretär Schäffer) zur Zeit besonders bedenklich der Abzug ausländischer Gelder von den deutschen Banken, den er in der letzten Zeit auf ungefähr 7–800 Millionen Mark schätze. Wenn dieser Abzug sich in derselben Weise fortsetze, würden die deutschen Banken genötigt sein, ihrerseits in Deutschland Kredite zu kündigen. Das würde das Ende für viele mittlere und kleinere Industrien bedeuten.

Der Reichskanzler vertrat die Auffassung, daß das Schuldentilgungs- und Kreditermächtigungsgesetz dem Reichsrat sofort zugehen müsse. Die Unterzeichnung des Anleihevertrages müsse am besten noch heute, den 4., eventuell Sonntag, den 5. Oktober, erfolgen41. In einer Presseerklärung über den Abschluß der Anleiheverhandlungen müsse es vermieden werden, irgendein Junctim mit dem Finanzprogramm der Reichsregierung herzustellen.

41

Der Anleihevertrag wurde am 11.10.30 unterzeichnet: s. Dok. Nr. 131, Anm. 6.

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