2.158.1 (bru1p): Abrüstungsfrage.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 9). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 1 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

Abrüstungsfrage.

Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete zunächst über den Sachstand1. Er führte sodann aus, daß er es nicht für zweckmäßig halten würde, im gegenwärtigen Augenblick die deutsche Taktik zu wechseln, d. h. die Aufrüstung anzukündigen anstatt, wie bisher, die Abrüstung zu fordern. Gegen eine solche Änderung des deutschen Vorgehens spreche außenpolitisch die Reparationslage, innenpolitisch die Finanzlage. Das hindere nicht, daß man die Schärfe der deutschen Tonart in den Verhandlungen bei der Préparatoire2 noch wesentlich erhöhen könne. Jede Festlegung der Versailler Bestimmungen in künftigen Abrüstungsbestimmungen müsse brüsk abgelehnt werden.

1

Wegen der 7. Session der – seit 1926 tagenden – vorbereitenden Abrüstungskommission vom 6. 11.–9.12.30 (s. Schultheß 1930, S. 453–456) war es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem RWeMin. und dem AA gekommen. Das RWeMin. hatte sich dafür ausgesprochen, zwar nicht die quantitative, wohl aber die qualitative bzw. moralische Rüstungsgleichheit für Dtld zu fordern; d. h. Dtld sollte berechtigt sein, entgegen den Bestimmungen des VV alle Waffengattungen, auch die bisher verbotenen, zu besitzen. Das AA wollte diesen Vorstoß für die internationale Abrüstungskonferenz 1931 aufsparen. Außerdem hatte das AA die Berufung General v. Seeckts als Delegierten anstelle des bisherigen dt. Vertreters Graf Bernstorff abgelehnt. Das RWeMin. war an dieser Frage wenig interessiert (Aufzeichnung Plancks vom 21.10.30, R 43 I /517 , Bl. 201, im Anhang: Durchschrift aus dem AA: „Richtlinien für den deutschen Delegierten zur bevorstehenden Tagung der Vorbereitenden Abrüstungskommission“, a.a.O., Bl. 202–205).

2

Damit ist die Commission préparatoire de la Conférence du désarmement (C.P.D.) gemeint.

Der Reichswehrminister gab der Meinung Ausdruck, daß die deutsche Sprache bisher zu vorsichtig gewesen sei. Wir müßten öffentlich die Befreiung von den Bestimmungen von Versailles fordern. Die Aufrüstungsforderungen des Generals von Seeckt halte er für verfrüht3. Zur Leitung der deutschen Delegation halte er in erster Linie den Grafen Bernstorff als geeignet4.

3

In einem Interview mit United Press hatte Seeckt gefordert, Dtld müsse auf der kommenden C,P.D.-Tagung die Verringerung aller Armeen auf den dt. Standard fordern. Werde diese Forderung abgelehnt, solle die dt. Delegation die Parität der Bewaffnung für die Reichswehr verlangen (DAZ Nr. 505–506 vom 30.10.30; vgl. Schultheß 1930, S. 221).

4

Die Anregung zur Berufung Seeckts scheint vom RPräs. ausgegangen zu sein (H. Meier-Welcker, Seeckt, S. 604). Gegen die Berufung Seeckts anstelle Bernstorffs hatte RM Dietrich bei Pünder „lebhaftesten Protest“ eingelegt (Handschriftlicher Vermerk Pünders, R 43 I /517 , Bl. 206).

Zur Frage der Berufung Seeckts in die dt. Abrüstungsdelegation nahm GenMaj. v. Schleicher in einem Schreiben an StS Meissner vom 5.12.30 folgendermaßen Stellung:

„Die Verwendung des Generaloberst von Seeckt bei der endgültigen Kommission wird durch seine verschiedenen mündlichen und schriftlichen Äußerungen über die Abrüstungsfrage nicht unbedingt ausgeschlossen. Es bleibt aber immer mißlich, eine Persönlichkeit mit der Vertretung der deutschen Interessen zu betrauen, die sich bereits öffentlich so festgelegt, und zwar in einer Richtung festgelegt hat, die unserem in Genf bisher vertretenen Standpunkt nicht in allen Punkten gleichläuft.

Davon abgesehen, möchte ich Ihnen aber ganz vertraulich zum Ausdruck bringen, daß ich nach meiner sehr genauen Kenntnis der Persönlichkeit des Generaloberst von Seeckt ihn als deutschen Vertreter auf einer internationalen Konferenz nicht für sehr geeignet halte, weil er die freie Rede nicht besonders beherrscht und ein ausgesprochen schlechter Debatter ist“ (Entw. im Nachl. Schleicher , MA N 42, Nr. 33, Bl. 77).

[592] Der Chef der Heeresleitung5 betonte, daß dem Deutschen Reich zur Zeit das primitivste Maß von Sicherheit fehle. Außerdem sei der Zustand der Rüstungsillegalität außen- wie innenpolitisch unangenehm. Innenpolitisch besonders auch deshalb, weil im Volk zur Zeit die Bemühungen der Wehrmacht um die deutsche Wehrhaftigkeit nicht genügend anerkannt würden. Das sei noch ein Jahr zu ertragen, wenn die große Politik es erfordere. Der Zustand sei aber äußerst unerwünscht. Das Wort „Aufrüstung“ müsse man vermeiden. Man dürfe nur von der Herstellung engstens bemessener Sicherheit sprechen.

5

Korrekt müßte es kommissarischer Chef der Heeresleitung heißen, da General Heye formell bis zum 31.10.30 der Chef der Heeresleitung war; Heye befand sich seit Mitte Oktober im Urlaub, sein Nachfolger v. Hammerstein versah seitdem die Geschäfte des Chefs der Heeresleitung (DAZ Nr. 485–486 vom 18.10.30).

Der Chef der Marineleitung schloß sich diesen Ausführungen an.

Vortragender Legationsrat von Weizsäcker erklärte, daß die kommenden Kommissionsarbeiten für eine große politische Aktion wenig Spielraum böten. Deutschen allgemeinen Forderungen gegenüber würde die Préparatoire sich für unzuständig erklären oder aber sie grundsätzlich zurückweisen, wodurch Deutschland verfrüht vor die große politische Entscheidung gestellt würde.

Der Reichskanzler stellte zur Erwägung, ob nicht die Zuziehung des Generals von Seeckt als außerordentlich militärischen Sachverständigen politische Vorteile bringen würde. Ihn anstelle des Grafen Bernstorff mit der Leitung der Delegation zu betrauen, erscheine ihm nicht empfehlenswert.

Der Reichsminister des Auswärtigen und Staatssekretär von Bülow sprachen sich gegen die Verwendung des Generals von Seeckt zum jetzigen Zeitpunkt aus, weil seine Stellung in der Delegation der Bedeutung dieser Persönlichkeit nicht entsprechend würde und General von Seeckt sich gerade jetzt im Auswärtigen Ausschuß besonders auf die Aufrüstung festgelegt habe6.

6

Der Auswärtige Ausschuß des RT hatte eine Entschließung der Abgg. Dauch (DVP) und Westarp (KVP) angenommen, die die RReg. aufforderte, mit äußerstem Nachdruck auf der Abrüstung der anderen Staaten zu bestehen und Klarheit darüber herbeizuführen, ob die anderen Mächte bereit seien, diese im VV festgelegten Verpflichtungen zu erfüllen (DAZ Nr. 507–508 vom 31.10.30; Schultheß 1930, S. 220).

Es wurde vereinbart, die Verwendung des Generals von Seeckt in der Abrüstungsfrage für einen späteren Zeitpunkt, z. B. die kommende Abrüstungskonferenz, im Auge zu behalten.

Der Reichskanzler wies sodann hinsichtlich deutscher Aufrüstungswünsche darauf hin, daß man vielleicht im nächsten Jahr noch genötigt sein werde, den beratenden Ausschuß, der im Youngplan vorgesehen sei7, einzuberufen, und daß dieser sehr wohl die Rüstungsausgaben beanstanden könne. Man müsse das in Rechnung stellen.

7

S. Dok. Nr. 134, Anm. 4.

[593] Der Reichsminister des Auswärtigen bemerkte hierzu, anstelle von Aufrüstung müsse man von jetzt ab deutscherseits die „Parität der Sicherheit“ fordern. Die deutschen Beschwerden und Forderungen in der Abrüstungsfrage würden zweckmäßigerweise demnächst durch Reden der berufenen Persönlichkeiten der Reichsregierung öffentlich zu erläutern sein.

Der Reichskanzler bezeichnete hierfür als geeigneten Zeitpunkt den Zeitraum zwischen Vertagung der Französischen Kammer und vor Zusammentritt des Reichstags am 3. Dezember.

Es wurde vereinbart, daß der Reichsminister des Auswärtigen und der Reichswehrminister in dieser Zeit mit je einer Rede bzw. einem Interview nach vorherigem Benehmen an die Öffentlichkeit treten sollten.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß die Weltmeinung zur Zeit scharfe Worte in diesen Fragen wesentlich leichter zu ertragen gelernt habe als noch vor etwa einem halben Jahr.

Der Reichsminister des Auswärtigen bemerkte abschließend, so sehr er sich jetzt gegen die öffentliche Aufrüstungsforderung wehre, so sehr sei er andererseits gewillt, alle tragbaren illegalen Rüstungsmaßnahmen zu decken. In bezug auf das Verhältnis zu Polen glaube er sogar, daß derartige Maßnahmen an unserer Ostgrenze die Verhandlungen mit diesem Nachbarn erleichtern könnten. Es sehe zur Zeit so aus, als ob das Jahr 1931 der Reparationsfrage gewidmet sein werde, dann könne man vielleicht 1932 die Rüstungsfrage in den Vordergrund schieben.

Es wurde vereinbart, daß über Richtung und Zeitmaß der deutschen Außenpolitik demnächst eine Aussprache unter Vorsitz des Herrn Reichskanzlers mit dem Herrn Stellvertreter des Reichskanzlers, dem Herrn Reichsminister des Auswärtigen, dem Reichswehrminister und etwa noch anderen hinzuzuziehenden Kabinettsmitgliedern stattfinden solle8.

8

Vgl. Dok. Nr. 198.

Die Besprechung wurde hierauf geschlossen9.

9

Zur weiteren Behandlung der Abrüstungsfrage s. Dok. Nr. 205.

Extras (Fußzeile):