2.173.6 (bru1p): 6. Frage der Weiterleitung der vom Reichsrat am 20. November 1930 angenommenen Gesetzentwürfe an den Reichstag.

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6. Frage der Weiterleitung der vom Reichsrat am 20. November 1930 angenommenen Gesetzentwürfe an den Reichstag.

Der Reichskanzler ersuchte, die vom Reichsrat am 20. November 1930 verabschiedeten Gesetze zum Wirtschafts- und Finanzplan der Reichsregierung15[646] einstweilen noch nicht an den Reichstag weiterzuleiten, vielmehr die Entscheidung über die weitere Behandlung der Vorlage bis zur nächsten Ministerbesprechung, die voraussichtlich am Abend des 26. November stattfinden werde, zurückzustellen. Er nahm Bezug auf das anliegende, den Reichsministern abschriftlich zugegangene Schreiben der Reichskanzlei vom 21. November d. Js. an die Fraktionsvorstände der hinter der Regierung stehenden Parteien16 und führte aus, daß er beabsichtige, bis zum Abend des 26. November gemeinsam mit dem Reichsminister der Finanzen, Dietrich, die Parteiführer aller Parteien zu empfangen, um mit ihnen die weitere parlamentarische Behandlung sowohl der Notverordnung vom 26. Juli 1930 wie auch des Wirtschafts- und Finanzplans der Reichsregierung zu besprechen17. Er bedauerte, daß inzwischen von der Wirtschaftspartei und der Christlich-Sozialen Vereinigung18 entgegen seinen Wünschen bereits Anträge zur Notverordnung vom 26. Juli im Haushaltsausschuß des Reichstags eingebracht worden seien19. Dadurch werde die Einwirkung auf die SPD, die sich bisher erfreulicherweise mit Anträgen zurückgehalten habe, sehr erschwert. Er glaube, daß bezüglich der Notverordnung vom 26. Juli günstigstenfalls nur so viel zu erreichen sein werde, daß der Haushaltsausschuß seine gegenwärtigen Beratungen mit einer Entschließung an die Reichsregierung beende20. Dieses Ergebnis werde auch nur dann zu erreichen sein, wenn die Reichsregierung auf die Schankverzehrsteuer verzichtet. Das Schicksal der Bürgersteuer hänge ausschlaggebend von der Haltung der SPD ab.

15

Der RR hatte am 20. 11. folgende GesEntwürfe angenommen: das Gehaltskürzungsges. mit allen Stimmen bei Enthaltung Sachsens, Braunschweigs und Thüringens, das Personalaufwandsges. mit 53 gegen 3 Stimmen und 10 Enthaltungen, das Ges. über die Ausgabenbegrenzung des Reichs, der Länder und Gemeinden mit allen Stimmen gegen die Stimme Thüringens. Das Tabaksteuerges. wurde in namentlicher Abstimmung mit 45 gegen 21 Stimmen angenommen. Mit Stimmenmehrheit wurde das Ges. über die Realsteuersenkung, das Ges. über die Verbilligung des mit öffentlichen Mitteln geförderten Kleinwohnungsbaus, das Ges. über Abbau und Beendigung der Wohnungszwangswirtschaft und das Kleinwohnungsbürgschaftsges. verabschiedet (Niederschriften über die Vollsitzungen des RR, Jahrgang 1930, S. 557–564).

16

Das von Pünder unterzeichnete Schreiben hatte folgenden Wortlaut: „Namens des Herrn Reichskanzlers darf ich darauf aufmerksam machen, daß der Wirtschafts- und Finanzplan der Reichsregierung gestern abend in einer Vollsitzung, soweit der Reichsrat in Betracht kommt, seine Erledigung gefunden hat und seine weitere verfassungsmäßige Erledigung nicht verzögert werden darf. Der Herr Reichskanzler läßt daher hiermit die dringende Bitte aussprechen, einstweilen zu keiner der zum Wirtschafts- und Finanzplan gehörenden Gesetzesvorlagen irgendwelche Anträge stellen zu wollen, auch nicht im Zusammenhang mit den gerade im Gang befindlichen Beratungen des Haushaltsausschusses über die Notverordnung vom 26. Juli d. J. Um nach aller Möglichkeit ein einheitliches Vorgehen sicherzustellen, hat der Herr Reichskanzler bereits ab Montag nächster Woche Fraktionsführerbesprechungen in Aussicht genommen, zu denen noch besondere Einladungen ergehen werden“ (Abschrift in R 43 I /1447 , Bl. 242).

17

S. Dok. Nr. 178.

18

Richtig: Christlich Sozialer Volksdienst (ChrSVD).

19

Antrag Nr. 23 des Abg. Hermann (WP): GesEntw. zur Änderung der NotVO vom 26.7.30 betr. die Bürgersteuer. Antrag Nr. 25 des Abg. Rippel (ChrSVD): GesEntw. über die Aufhebung der Gemeindegetränkesteuer (5. RT-Ausschuß, V. Wahlperiode, 16. Sitzung vom 2.12.30, S. 178–180).

20

Vgl. die Entschließungen des Haushaltsausschusses vom 2.12.30, RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 329 .

[647] Bezüglich der zum Wirtschafts- und Finanzplan gehörenden neuen Gesetze werde die Reichsregierung Entscheidung darüber zu treffen haben, ob sie dem Reichstag zur Weiterberatung zugeleitet werden könnten, oder ob sie noch vor dem Zusammentritt des Reichstags in Gestalt einer neuen Notverordnung verkündet werden müßten. Sein Ziel gehe unter allen Umständen dahin, mit den Gesetzen, allerdings ohne den Etat 1931, bis zum 23. Dezember 1930 im Reichstage fertig zu werden. Eine längere Verhandlungsfrist könne dem Reichstage unter keinen Umständen zugestanden werden. Dieser müsse die Gesetze en bloc annehmen. Die Lage der deutschen Finanzen und der Kredit der deutschen Wirtschaft im Auslande hänge ausschlaggebend davon ab, daß der neue Plan auch vor Weihnachten restlos erledigt sei.

Die Staatssekretäre Joël und Zweigert wurden gebeten, bis zur nächsten Kabinettssitzung die Frage abschließend zu prüfen, welche der neuen Gesetze auf Grund des Art. 48 verkündet werden können. Besondere Schwierigkeiten werde der Versuch einer parlamentarischen Erledigung der Novelle zum Tabaksteuergesetz machen. Nach seiner Meinung sei die parlamentarische Verabschiedung eines derartigen Gesetzes überhaupt nicht möglich, wegen der allzu starken Interessengegensätze nicht nur der verschiedenen Parteien, sondern auch innerhalb der einzelnen Parteien selbst, und darum werde man die Tabaksteuer und die bereits beschlossenen agrarpolitischen Maßnahmen, d. i. den Verwendungszwang von Hopfen und die Heraufsetzung der Höchstgrenze für Futtergerstenzoll, jedenfalls durch Notverordnung durchführen müssen.

Eine Aussprache fand nicht statt. Die Weiterberatung wurde auf Mittwoch, den 26. November, vertagt21.

21

Zum Fortgang der Beratungen s. Dok. Nr. 183.

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