2.190.2 (bru1p): 2. Agrarpolitische Forderungen.

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2. Agrarpolitische Forderungen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft begründete eingehend seine Anträge auf Erweiterung des Zollschutzes für die landwirtschaftliche Veredlungsproduktion5. Er wies dabei auf die Erfolge hin, die mit den gleitenden Zöllen auf dem Gebiete der Getreidewirtschaft gemacht worden seien. Die Überproduktion der landwirtschaftlichen Erzeugnisse in der Welt mache es erforderlich, der Regierung die Möglichkeit zu raschen und durchgreifenden Zollerhöhungen zu geben. Voreindeckungen müßten vermieden werden. Das gelte insbesondere auch für die Veredlungsproduktion der Weltwirtschaft. Das Sinken der Futterpreise in der Welt führe zwangsläufig zu einer starken Steigerung der Veredlungsproduktion. Der Überschuß bedrohe auch die deutsche Landwirtschaft, insbesondere die bäuerlichen und Siedlungsgebiete. Die Einfuhr an Schweinen insbesondere steige von Monat zu Monat. In den ersten neun Monaten des Jahres 1930 habe sie sich im Verhältnis zu dem gleichen Zeitraum des Vorjahres mehr als verdoppelt6. In England beeinflusse[694] die Tendenz, die Erzeugnisse der Dominien zu bevorzugen, den Aufkauf in den anderen Ländern. Besonders Dänemark leide darunter und drücke verstärkt mit seiner großen Überproduktion nach Deutschland.

5

Der REM hatte in seiner Vorlage vom 5. 12., die an sämtliche RMM und an das Büro des RPräs. verteilt worden war, die Einführung von beweglichen, unbegrenzten Zöllen für Rindvieh, Schweine, Fleisch, Milch, Butter, Käse und Kasein beantragt und außerdem vorgeschlagen, die beweglichen Zölle für Getreide, Erbsen und Bohnen über den 31.3.31 hinaus aufrechtzuerhalten. Das Ges. über Zolländerungen vom 15.4.30 (RGBl. I, S. 131 ) habe sich bewährt, da es die dt. Getreidepreise von den Schwankungen des Weltmarktes unabhängig gemacht habe. Ähnliche Preisschwankungen wie bei Getreide würden in nächster Zeit in zunehmendem Maße auch bei den Erzeugnissen der Vieh- und Milchwirtschaft eintreten, weil die Überproduktion an Futtermitteln in der Welt zwangsläufig zu einer Forcierung der Vieh- und Milchwirtschaft geführt habe. – Feßler bemerkte dazu im Referentenvortrag: „Es kann als eine Folge der Maßnahmen zur Steigerung der Getreide- und Futtermittelpreise und der beweglichen Zölle auf diesem Gebiete betrachtet werden, wenn auch für die Veredlungserzeugnisse der Landwirtschaft unbegrenzte Gleitzölle geschaffen werden sollen.“ – Durch die Umorientierung Großbritanniens auf neuseeländische Agrarerzeugnisse hätten Dänemark und Holland einen großen Teil ihres Absatzgebietes verloren und drängten daher mit ihren Butterexporten auf den dt. Markt. Deshalb seien zum Schutz der dt. Veredlungslandwirtschaft neben den Gleitzöllen für Getreide nun auch Gleitzölle für Rindvieh, Schweine, Fleisch, Milch- und Molkereiprodukte notwendig. Der REM sei sich bewußt, daß diese Neuregelungen wegen der bestehenden handelsvertraglichen Bindungen vorläufig nur psychologische Bedeutung haben würden (Vorlage vom 5.11.30 sowie Referentenvortrag Feßlers vom 8. 11. in R 43 I /2426 , Bl. 91–96).

6

1929 wurden 18 928 t Schweine importiert, 1930 23 554 t (Stat. Jb. f. das Dt. Reich 50 (1931), S. 183).

Die Gestehungskosten seien draußen sehr gering. Der Zentner Kleie koste 2,50 RM, Gerste 4,– RM, Hafer 3,50 RM. Trotz des finnischen Vertrages7 seien die Preise für Butter in letzter Zeit von 137 auf 128 RM gesunken. Die Schweinepreise betrügen jetzt nur 58 RM gegen 56 RM im Durchschnitt der Jahre 1911–1913, die Preise der Schlachtrinder 55 RM gegen 44 RM, der gesamte Viehindex nur 104% der Vorkriegszeit. Die Einfuhr von Butter sei von 542 000 dz im Jahre 1913 auf etwa schätzungsweise 1 480 000 im Jahre 1930 gestiegen8. Die Käseeinfuhr habe sich seitdem verdreifacht, ebenso die Einfuhr von Kasein. Der Wert der Vieherzeugung belaufe sich auf 9 Milliarden. Die Hälfte entfalle auf Vieh und Fleisch, die andere Hälfte auf Molkereiprodukte. Die handelsvertraglichen Bindungen verhinderten Zollerhöhungen außer der Butter, Kasein, Quark, Schweinen und Schweinefleisch. Gleichwohl würde die Ermächtigung an die Regierung, die Zölle für die Veredlungsprodukte frei zu bestimmen, eine stark beruhigende Wirkung auf die Landwirtschaft ausüben.

7

S. Dok. Nr. 109, P. 1.

8

1930 wurden 133 157 t Butter importiert (Stat. Jahrbuch 50 (1931), S. 186).

Die Ermächtigung hinsichtlich der Zölle für Getreide, Erbsen und Linsen ende mit dem 31. März 19319. Sie müsse darüber hinaus aufrechterhalten bleiben.

9

S. das Ges. über Zolländerungen vom 15.4.30, Art. 5 III (RGBl. I, S. 133 ).

Ministerialdirektor Ritter führte folgendes aus: Die Aufrechterhaltung der Gleitzölle für Getreide, Erbsen und Linsen seien unbedenklich. Handelspolitische Bindungen beständen nicht.

Auch gegen Gleitzölle für Vieh und Fleisch beständen keine durchschlagenden Bedenken außenpolitischer Art. Allerdings würden die Zölle keine Preissteigerungen zur Folge haben. Die Einfuhr von Fleisch10 und Schweinen11 sei sehr stark zurückgegangen. Das Gefrierfleischkontingent sei aufgehoben12. In Dänemark sei durch den Rückgang der Einfuhr nach Deutschland eine starke Mißstimmung entstanden. Weitere Zollerhöhungen für Rindvieh seien allerdings bedenklich. Immerhin könnten auch sie hingenommen werden.

10

1929 wurden 130 048 t Fleisch, Speck und Fleischwürste eingeführt, 1930 112 008 t (Stat. Jahrbuch 50 (1931), S. 185).

11

S. dagegen Anm. Nr. 6.

12

S. Art. 5 VI des Ges. über Zolländerungen vom 15.4.30, RGBl. I, S. 133 .

Dagegen sei eine Erhöhung des Butterzolles mit äußerst schwerer Gefahr verbunden. Schon bei den deutsch-finnischen Verhandlungen habe eine Boykottbewegung gegen deutsche Waren in Holland, Dänemark, Lettland und Estland eingesetzt, die außerordentlich bedenkliche Formen angenommen habe13. Bei den Verhandlungen in Genf sei die Abneigung gegen die deutsche Handelspolitik in sehr bedenklicher Weise zum Ausdruck gekommen14. Nur sehr[695] intensiven Bemühungen sei es gelungen, die Regierungen dazu zu veranlassen, gegen den Boykott der deutschen Waren zu wirken. Es sei mit Erfolg geschehen. Die Bewegung werde aber sofort wieder einsetzen, wenn der Butterzoll erhöht würde. Dann würde das Zollkontingent von 5000 Tonnen, das Finnland zugestanden sei, auch den anderen Einfuhrländern gegeben werden müssen. Es sei aber insbesondere bei Holland nur ein geringer Bruchteil der Gesamteinfuhr; der Rest müsse zu dem hohen Zoll verzollt werden.

13

Vgl. Dok. Nr. 99, Anm. 9.

14

Die II. Genfer Zollkonferenz hatte vom 17.–28.11.30 getagt (Schultheß 1930, S. 459).

Der Handel würde bestrebt sein, das Kontingent auch im Verkehr mit anderen buttererzeugenden Ländern auszunutzen und so würde die zollverbilligte Einfuhr auch aus Neuseeland, Frankreich, der Schweiz und Österreich getätigt werden.

Der Rückgang im Butterpreise erkläre sich aus der starken Voreindeckung, die wieder abgestoßen werden müsse. Es möchte abgewartet werden, wie sich der Butterzoll auswirkt, wenn diese Mengen verwertet sind.

Der Käsezoll sei gegen fünf Länder gebunden15. Eine Kündigung der Verträge könne nicht in Frage kommen, insbesondere nicht bei Frankreich. Die Ermächtigung würde also lediglich eine Beunruhigung nach sich ziehen.

15

Der Käsezoll (Tarifnr. 135) war durch folgende Verträge gebunden: Dt.-ital. Handelsvertrag vom 31.10.25, RGBl. II, S. 1040 ; Dt.-Niederländischer Vertrag vom 26.11.25, RGBl. 1926 II, S. 158 ; Dt.-Dänische Vereinbarung über Zollerleichterungen vom 20.3.26, RGBl. II, S. 372 ; Dt.-Schweizerischer Vertrag vom 14.7.26, RGBl. II, S. 680 ; Dt.-frz. Handelsvertrag vom 17.8.27, RGBl. II, S. 766  sowie Dt.-finnisches Zusatzabkommen vom 25.11.29, RGBl. 1930 II, S. 996 .

Der Reichskanzler verließ dann die Sitzung, um Vertreter des Handwerks zu empfangen16.

16

S. Dok. Nr. 191.

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