2.217.1 (bru1p): Behandlung der Reparationsfrage.

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Behandlung der Reparationsfrage.

Reichsminister Dr. Curtius verlas zunächst einen eingehenden Bericht des deutschen Botschafters in Rom, v. Schubert, über seine Demarche bei dem italienischen Außenminister Grandi wegen der beabsichtigten italienischen Konvertierungsanleihe1. Nach diesem Bericht sind die Vorbereitungen für die Konvertierungsanleihe bereits so weit gediehen, daß sie kaum noch vermeidbar ist. Allerdings hat sich Mussolini auf die eindringlichen deutschen Vorstellungen hin die letzte Entscheidung noch vorbehalten2.

1

Die Konvertierung einer Anleihe bedeutet die Umwandlung der Schuldbedingungen einer Anleihe in eine neue Anleihe mit verändertem Zinsfuß und/oder veränderten Tilgungsbedingungen. Nach den Bestimmungen des Young-Plans hatten die Gläubigerregierungen das Recht, von Dtld die Mobilisierung ihres nicht aufschiebbaren Anteils der Annuität zu verlangen, wenn sie die Mobilisierung zur Konvertierung innerer Schulden verwenden wollten. Nach einem Vermerk des MinR Vogels stand Italien auf Grund des Verteilungsplans der Annuitäten aus der ungeschützten Annuität von 650 Mio RM ein Betrag von 42 Mio RM zu. Von dieser Summe war nach der Auflegung der Younganleihe ein Teil von 35–37 Mio RM noch nicht mobilisiert. „Italien betreibt gegenwärtig nur die Mobilisierung seines Anteils an der ungeschützten Annuität auf dem inneren Markt. Hierzu bedarf es der Ausstellung der auf Italien entfallenden Anteile aus der deutschen Schuldbescheinigung durch die BIZ.“ […] „Es ist möglich, daß Italien mit seinem Vorgehen gewisse politische Absichten verfolgt. Deutschland kann Italiens Vorgehen nicht hemmen, obschon es an der Auflegung einer Mobilisierungsanleihe auf dem italienischen Markte nicht ganz uninteressiert ist. Die Anleihe wird nach außen als deutsche Anleihe gewertet, und ihre Bedingungen tangieren daher den deutschen Kredit im allgemeinen“. […] „Sollte die Kommerzialisierung weitgehend gelingen, würde Italien aus dem Ring der an der ungeschützten Annuität interessierten Reparationsgläubigermächte ausscheiden. Dies wäre für Deutschland unter Umständen nicht unerwünscht. Italien könnte alsdann bei demnächstigen Versuchen Deutschlands, eine Reduktion der amerikanischen Schuldenforderungen vorzunehmen, mit Deutschland parallel vorgehen“. (Vermerk des MinR Vogels vom 3.10.30, R 43 I /672 , Bl. 104–105. Vgl. RGBl. 1930 II, S. 508 , Anlage III zum Young-Plan, Ziff. 126). Der ital. FM Mosconi hatte der BIZ in einem Schreiben vom 26.9.30 mitgeteilt, daß die ital. Reg. die Mobilisierung von 35 Mio RM auf dem inneren Markt zur Konvertierung ihrer Staatsschulden beabsichtigte. RbkPräs. Luther übersandte am 30.9.30 dem RK eine Abschrift dieses Schreibens (R 43 I /672 , Bl. 102–103). Die offizielle Benachrichtigung über die ital. Konvertierungsanleihe erhielt die RReg. von der BIZ am 17.11.30 (Abschrift in R 43 I /672 ,  Bl. 108–109). In einer Chefbesprechung vom 3.12.30 hatte die RReg. beschlossen, „daß man sich dem italienischen Verlangen nicht widerspruchslos fügen solle, weil eine Verallgemeinerung der Mobilisierung der ungeschützten Annuitäten durch die übrigen Gläubigermächte Deutschland sicherlich sehr unerwünscht sein werde. Anderen Gläubigermächten werde man demnächst auch nur dann entgegentreten können, wenn man sich von vornherein schon dem ersten Lande gegenüber, das mit der Mobilisierung beginnt, zur Wehr gesetzt habe. Ein Erfolg gegenüber Italien erscheine auch nicht ausgeschlossen, da zum mindesten Frankreich den jetzigen italienischen Schritt nur sehr ungern sehe“ (Vermerk des MinR Vogels vom 4.12.30, R 43 I /762 , Bl. 145–146).

2

Der ital. AM Grandi hatte in einer Unterredung mit Botschafter v. Schubert die dt. Einwände gegen die Mobilisierung als unberechtigt zurückgewiesen. Schubert hatte darauf erwidert, daß die ital. Konvertierungsanleihe im freien Handel notwendig auf den Kurs der Young-Anleihe, vielleicht noch tiefer sinken werde [Die dt. Young-Anleihe notierte am 8.1.71,5% (DAZ Nr. 11–12 vom 9.1.31). Die ital. Konvertierungsanleihe sollte zu 100 aufgelegt werden]. Wenn sich diese Befürchtungen bewahrheiten würden, müsse Dtld die Hoffnung auf eine Besserung des dt. Kredits im Auslande auf lange Zeit aufgeben. Eine Wiederankurbelung der dt. Wirtschaft, die ohne Heranziehung ausländischen Kapitals nicht durchführbar sei, liege auch im Interesse der Reparationsgläubiger, Italien handle auf lange Sicht gegen sein eigenes Interesse, wenn es von einer Möglichkeit des Young-Plans zu einer falschen Zeit Gebrauch mache. „Endlich ging ich auch noch einmal auf die allgemeinen politischen Erwägungen ein und gab der Befürchtung Ausdruck, daß das Bekanntwerden der italienischen Aktion sehr ungünstig auf die Entwicklung unserer Beziehungen zurückwirken werde. Man werde es bei uns sehr übel empfinden, daß Italien das erste Land sei, das von dem Mittel der bei uns mit Recht so sehr verpönten Mobilisierung Gebrauch mache.“ Auf Grund dieser Ausführungen hatte Grandi die Angelegenheit Mussolini vorgetragen, der das Problem einige Tage studieren wolle (Abschrift des Berichts Schuberts in R 43 I /310 , Bl. 169 bis 175).

[778] Beschlüsse über die Weiterbehandlung der Angelegenheit wurden nicht gefaßt3.

3

Am 14.1.31 berichtete v. Schubert, daß Grandi ihm erklärt habe, daß die ital. Reg. den dt. Standpunkt in der Mobilisierungsfrage einleuchtend finde und daher vorläufig auf ihr Recht auf Mobilisierung ihres Teils der ungeschützten Annuitäten verzichte (Telegramm Nr. 18, Pol. Arch. des AA, Wirtschaftsreparationen, Friedensvertrag 20, Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Bd. 7).

Der Reichskanzler teilte sodann mit, daß auf den den Anwesenden bekannten Brief des amerikanischen Botschafters Sackett an Hoover eine Antwort noch nicht eingegangen sei4. Dies sei übrigens auch noch nicht möglich, weil der Brief Sacketts sehr verspätet abgegangen sei.

4

Vgl. Dok. Nr. 207. StS v. Bülow berichtete dem RK am 2.2.31, daß US-Botschafter Sackett ihn über die Antwort Präsident Hoovers unterrichtet habe. „Der Präsident habe ihm für seine Darlegungen gedankt und mitgeteilt, daß diese ihn lebhaft interessiert hätten. Er habe aber in diesem Schreiben in keiner Weise zu den Problemen Stellung genommen. Der Botschafter vermied es auszusprechen, daß der amerikanische Präsident auf den Vorschlag der Einberufung einer Konferenz nicht eingegangen sei. Von sich aus bemerkte der Botschafter ergänzend, daß der amerikanische Präsident zur Zeit mit sehr erheblichen innerpolitischen Schwierigkeiten zu kämpfen habe. Er wisse außerdem aus anderen Anzeichen, daß er keine Zeit habe, sich in nennenswerter Weise um außenpolitische Fragen zu kümmern. Außerdem sei Herr Cotton, der amerikanische Unterstaatssekretär des Äußern, soeben operiert worden und schwebe nach den Zeitungsnachrichten in Lebensgefahr. Dadurch sei die treibende Kraft für außerpolitische Dinge in Washington ausgefallen, was sich auch auf anderen Gebieten bemerkbar mache“ (R 43 I /310 , Bl. 252–253).

Auf die Frage des Reichskanzlers, ob bei der jüngst abgehaltenen Besprechung zwischen Frankreich und England über die Goldfrage auch das Reparationsproblem behandelt worden sei5, erwiderte Ministerialdirektor Dr. Ritter, daß hierüber volle Gewißheit noch nicht zu erlangen gewesen sei. Keinesfalls sei die Frage offizieller Verhandlungsgegenstand gewesen. Die von unseren diplomatischen Vertretungen eingezogenen Erkundigungen hätten kein klares Bild ergeben6.

5

Im Januar 1931 fanden Verhandlungen zwischen der brit. und der frz. Reg. über die Goldabflüsse von London nach Paris statt. Gegenstand der Beratungen war außerdem die Forderung Großbritanniens, daß die während des Ersten Weltkriegs in England aufgenommenen frz. Anleihen in Gold zurückbezahlt werden sollten (DAZ Nr. 13–14 vom 10.1.31).

6

Berichte der dt. Botschaften in Paris und London über die brit.-frz. Verhandlungen in R 43 I /310 , Bl. 166–167, 196–198, 204–205, 238–246, 248–249.

Auf Wunsch des Reichskanzlers wurde zugesagt, daß die Erkundigungen fortgesetzt werden sollen, insbesondere soll auch versucht werden, auf privatem Wege Näheres zu erfahren.

[779] Der Reichskanzler erklärte, er habe die Besorgnis, daß sich hinter unserem Rücken eine geschlossene Front der Reparationsgläubiger gegen Deutschland zusammenschließe und daß wir daher alles Interesse daran haben müßten, dieses Ziel unserer Gegner baldigst zu erkennen und zu durchkreuzen. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage erörtert, ob nicht etwa die Tatsache, daß Frankreich und Amerika ihren Diskont außergewöhnlich stark gesenkt haben, auf politische Gründe zurückgehe7. Daß dies etwa ein Entgegenkommen gegenüber den Engländern darstelle, für die England irgendwelche politische Gegenleistungen gewährt habe, daß uns diese politischen Konzessionen aber noch nicht bekannt geworden seien. England sei nämlich der Nutznießer der Diskontsenkung, denn Snowden beabsichtige die starke Zinslast des inneren englischen Anleihedienstes abzusenken, indem er die inneren englischen Anleihen auf einen niedrigeren Zinsfuß konvertiert. Die Diskontsenkung ist eine wirksame Vorbereitung für Konvertierungsabsichten.

7

Die USA hatten am 23.12.30 den Diskontsatz auf 2% gesenkt; Frankreich war diesem Schritt am 2.1.31 gefolgt. Die DAZ sah in diesem Schritt eine Aktion zugunsten Großbritanniens (DAZ Nr. 3–4 vom 4.1.31).

Der Reichskanzler erklärte, daß die ganze Angelegenheit einer konsequenten Durchdenkung bedürfe. Es müsse verhindert werden, daß wir bei späteren Schritten in der Reparationsfrage auf eine schon vorhandene, gegen uns gerichtete Front der Reparationsgläubiger stoßen. Deutscherseits müsse alles geschehen, um das Zustandekommen einer derartigen Front zu verhüten, oder, wenn sich eine Einigung schon angebahnt habe, diese wieder zu erschüttern. Die zuständigen Ressorts sollen daher eine Ausarbeitung zu Papier bringen, in der auch die nur theoretischen Möglichkeiten eines etwaigen gemeinsamen Vorgehens unserer Gläubiger behandelt werden sollen8. Die Besprechungen sollen alsbald fortgesetzt werden9.

8

S. Dok. Nr. 220.

9

Vgl. Dok. Nr. 239.

Reichsminister Dr. Curtius erklärte, daß er bei der bevorstehenden Ratstagung des Völkerbundes in Genf sicherlich auf die Reparationsfrage hin angesprochen werden würde. Er werde den übrigen Mächten alsdann keinen Zweifel daran lassen, daß die Reichsregierung eine weitere Absenkung des sozialen Niveaus in Deutschland nicht verantworten wolle. Neue Steuern seien unmöglich. Wann Deutschland irgendwelche Schritte in der Reparationsfrage unternehmen werde, hänge von der Entwicklung des Etats ab. Keinesfalls aber werde Deutschland die Gläubigermächte vor Überraschungen stellen. Er werde auch sagen, daß in nächster Zukunft, d. h. nicht schon im Februar, ein deutscher Schritt zu erwarten sei. Er werde aber andeuten, daß Deutschland die Länder rechtzeitig in Kenntnis setzen werde, wenn ein Moratorium notwendig werden sollte.

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