2.239.1 (bru1p): Behandlung der Reparationsfrage.

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Behandlung der Reparationsfrage.

Die Aussprache sollte dem Zweck dienen, die vom Reichsminister des Auswärtigen und Reichsminister der Finanzen einzunehmende Stellungnahme zur Reparationsfrage in der für Dienstag, den 10. 2., im Reichstag bevorstehenden Aussprache über die auswärtige Politik festzulegen.

Die Frage der von der Reichsregierung in Zukunft zu befolgende Reparationspolitik soll in einer besonderen Besprechung in kleinem Kreise, zu der der Reichskanzler einladen wird, später behandelt werden1.

1

Die nächste, aus den Akten ersichtliche Reparationsbesprechung fand am 7.5.31 statt: s. Dok. Nr. 291.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß er vor dem Reichstag die Reparationsfrage zwar in breiter Form zu behandeln beabsichtige, daß er diese Frage im Rahmen seiner außenpolitischen Rede aber nicht besonders in den Vordergrund schieben wolle. Er werde sich auch darauf beschränken, allgemeine[855] Gesichtspunkte zu entwickeln und ein Eingehen auf Einzelheiten möglichst vermeiden. Den augenblicklich in der Presse behandelten Plan d’Ormesson’s2 werde er nur kurz streifen in der Annahme, daß die deutsche Presse einen Wink über die amtlicherseits gewünschte Einstellung hierzu erwarte. Ferner werde er zu dem bekannten Antrag des Christlich-sozialen Volksdienstes, der eine alsbaldige Aufnahme von Revisionsverhandlungen wünsche, Stellung nehmen3. Dabei gehe er von der Annahme aus, daß die Reichsregierung die Annahme dieses Antrages ruhig hinnehmen könne. Es müsse nur vermieden werden, daß eine Festlegung der Regierung bezüglich des Zeitpunktes der Verhandlungen erfolge4. Im übrigen werde er sich ganz im Rahmen der Ausführungen halten, die der Herr Reichskanzler kürzlich bei der Eröffnung der Etatsdebatte im Reichstag gemacht habe5.

2

Der frz. Publizist Wladimir Graf d’Ormesson hatte in der Zeitung „Europe Nouvelle“ vom 6.2.31 einen Plan zur vorläufigen Herabsetzung der Reparationen und zur Rüstungsbegrenzung vorgelegt. Dtld sollte in den Jahren 1931–1933 nur die Hälfte des ungeschützten Teils der Annuitäten zahlen, wenn die USA für diesen Zeitraum auf die Überweisung von 50% der frz. Schuldzahlungen verzichte. Außerdem sollten sich Dtld und Frankreich verpflichten, ihre Wehrmachtsbudgets um ein Zwölftel zu kürzen (Übersetzung des Artikels in der Germania Nr. 61 vom 6.2.31, Nachl. Pünder , Nr. 87, Bl. 4–5).

3

Antrag des ChrSVD vom 5.12.30 in RT-Bd. 449 , Drucks. Nr. 421 . Vgl. auch Dok. Nr. 130, Anm. 38.

4

In seiner RT-Rede vom 10.2.31 betonte der RAM, daß sich Dtld nicht einseitig vom Young-Plan lossagen werde, sondern über die Reparationen „nur auf dem Vertragsboden, nur mit den Mitteln internationaler Rechtsordnung verhandeln und handeln“ werde. Der RAM betonte jedoch, daß die dt. Regierungen eine Garantie für die Erfüllbarkeit des Neuen Plans stets abgelehnt hätten (RT-Bd. 444, S. 883 –884).

5

Der RK hatte in der RT-Sitzung vom 5. 2. erklärt, daß der von der RReg. eingebrachte Etat auch dazu diene, durch wirtschaftspolitische Maßnahmen, „die im Auslande unangenehm empfunden werden“, eine Gesamtlösung des Reparationsproblems vorzubereiten. Dagegen sei die RReg. nicht gesonnen, sich das Tempo und den Zeitpunkt besonderer Schritte aus innerpolitischen Gründen diktieren und sich aus Popularitätsgründen in Situationen hineinmanövrieren zu lassen, aus denen nicht eine Besserung der Lage, sondern nur eine Schädigung des dt. Volkes hervorgehen würde (RT-Bd. 444, S. 680 ).

Reichsminister Dietrich erklärte, daß auch er sich darauf vorbereite, in der Debatte zur Reparationsfrage das Wort zu ergreifen. Er denke sich die Entwicklung der Aussprache so, daß zunächst der Reichsaußenminister im Rahmen seiner großen außenpolitischen Rede allgemeine Ausführungen zur Reparationsfrage mache, und daß er in der Diskussion auf das Vorbringen der Diskussionsredner eingehen werde. Auch er werde sich dabei an die grundsätzlichen Ausführungen des Reichskanzlers halten, d. h. er werde ausführen, daß die Reichsregierung sich durch innerpolitischen Druck zu keinerlei Torheiten verleiten lassen werde, und daß die Reichsregierung zunächst abwarten wolle, ob und inwieweit die von ihr getroffenen Sanierungsmaßnahmen zur Überwindung der bestehenden Schwierigkeiten ausreichen. Er werde dem Ausland gegenüber mit großer Offenheit sprechen und stark betonen, daß die Krise sehr wesentlich dadurch mit verschuldet sei, daß die Gläubigerländer es an der ihen obliegenden Zusammenarbeit mit Deutschland hätten fehlen lassen, und daß sie im Gegenteil die Lage Deutschlands durch die Kapitalabzüge nur erschwert hätten6. Die Störungen der Weltwirtschaft seien in einem starken[856] Maße durch die Reparationen verschuldet. An den Reichsbankpräsidenten Luther richte er die Frage, welche Rückwirkungen eine praktische Inangriffnahme des Reparationsproblems auf die deutschen Banken voraussichtlich haben werde. Nach seiner Meinung sei eine Lösung des Reparationsproblems nur im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung mit Frankreich möglich. Dieses Problem der Auseinandersetzung mit Frankreich müsse angepackt werden, bevor die Abrüstungsfrage geregelt sei. Darum werde die Reichsregierung nicht allzulange zögern dürfen, sich über den Weg, den sie in der Reparationsfrage einschlagen wolle, klar zu werden.

6

Der RFM hat in der Haushaltsdebatte zur Reparationsfrage nicht das Wort ergriffen.

Der Reichskanzler führte aus, daß das Ziel einer Lösung der Reparationsfrage sowohl über Amerika wie auch über Frankreich angestrebt werden müsse. Der Hebel müsse bei beiden Ländern gleichzeitig angesetzt werden. In der bevorstehenden Aussprache müsse in erster Linie dafür gesorgt werden, daß in der Welt Verständnis für die Reparationsfrage geweckt werde. Dabei müsse aber verhütet werden, daß eine Festlegung der Regierung hinsichtlich bestimmter Schritte in der Reparationsfrage erfolge. Andererseits sei es innerpolitisch auch unmöglich, sich nach der negativen Seite hin absolut festzulegen. Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, als ob die Regierung in absehbarer Zeit auf Reparationslösungsmöglichkeiten verzichte. Vielleicht bietet der Plan d’Ormesson’s, der sicherlich nicht ohne Fühlungnahme mit dem französischen Außenministerium veröffentlicht worden sei7, eine Möglichkeit, reparationspolitische Gespräche mit der Gegenseite in Gang zu bringen. Der Plan d’Ormesson’s sei zwar in seiner jetzigen Form nicht annehmbar, die Reichsregierung dürfe ihn aber nicht a limine abweisen, müsse vielmehr zu erkennen geben, daß sie bereit sei, sich über das Thema zu unterhalten. Die ganze Reparationsfrage müsse im Schwebezustand erhalten bleiben.

7

Hoesch hatte über d’Ormessons Aufsatz berichtet, daß er kein Versuchsballon der Frz. Reg. sei, daß d’Ormesson aber seine Gedankengänge mit frz. Politikern vorher durchgesprochen habe (Telegramm Nr. 144 vom 5.2.31, R 43 I /310 , Bl. 267–268). Briand bezeichnete die Anregungen d’Ormessons in einem Gespräch mit Hoesch „als bemerkenswerten Versuch der Einleitung einer öffentlichen Diskussion über das fragliche Problem, indem er dabei d’Ormesson als einen Mann von Talent und vortrefflicher Gesinnung pries. […] Auf meine Frage, ob er Gedankengänge d’Ormessons für sachlich beachtlich halte, beschränkte Minister sich auf die vorsichtige und von ihm ausdrücklich als vertraulich gekennzeichnete Feststellung, daß er derartige Anregungen für interessant erachte. […] Seinen Informationen nach sei Amerika noch nicht so weit, auf Anregungen der von d’Ormesson gegebener Art einzugehen. Es bliebe mithin vor der Hand nichts anderes übrig, als den in Amerika von innen heraus sich entwickelnden Prozeß der Erkenntnis sich weiter auswirken zu lassen“ (Telegramm Hoeschs Nr. 170 vom 11.2.31, R 43 I /310 , Bl. 278–279).

Reichsbankpräsident Dr. Luther erwiderte auf die Frage des Reichsministeriums der Finanzen, daß wohl niemand in der Lage sei, in der Kreditfrage eine einigermaßen sichere Voraussage zu machen. Der Schwebezustand in der Reparationsfrage sei sicherlich nicht kreditfördernd. Er wirke überall lähmend. Er könne auch nicht empfehlen, im Augenblick von den Möglichkeiten des Young-Planes praktischen Gebrauch zu machen. Allenthalben seien leichte Besserungsanzeichen der Situation erkennbar. Dies trete z. B. in der Mitwirkung Frankreichs bei der Vorfinanzierung des Verkaufs von Reichsbahnvorzugsaktien[857] klar zutage8. Der Kurs der Reichsmark sei in den letzten Tagen nicht unerheblich gestiegen, woraus gefolgert werden könne, daß ein Rückstrom von Reichsmark nach Deutschland stattfinde. Wenn die Reichsregierung in der bevorstehenden außenpolitischen Aussprache die Gläubigermächte deshalb angreifen werde, daß sie ihrerseits den Erfüllungswillen Deutschlands nicht unterstützt haben, so werde dies nach seiner Meinung vom Auslande wohl verstanden werden. Er empfehle auch dringend, die wirtschaftsstörenden Wirkungen der Reparationen rückhaltlos klarzulegen. Er habe in seinem Gespräch mit Vertretern der Gläubigermächte das Bild gebraucht, daß durch die forcierten Reparationen der Goldstrom in unnatürlicher Weise den Berg hinaufgepumpt werde. Mit diesen Ausführungen habe er auf die Gegenseite sichtlich Eindruck gemacht. Es könne deshalb gar nichts schaden, wenn die Störungsfolgen der Reparationen stark unterstrichen würden, und wenn man die Gegenseite attackiere, weil sie ihrerseits ihren Verpflichtungen zur Ermöglichung der Reparationen nicht nachkomme.

8

Das RFMin. hatte RB-Vorzugsaktien des Reichs für rd. 200 Mio RM an die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, an die „Allianz“ und andere private Versicherungsunternehmen verkauft. Der Kaufpreis sollte in Raten innerhalb von zwei Jahren bezahlt werden. Eine internationale Bankengruppe, zu der auch frz. Banken gehörten, hatte der Reichsfinanzverwaltung den Kaufpreis vorgeschossen (DAZ Nr. 36 vom 22.1.31, R 43 I /310 , Bl. 212).

Der Reichskanzler erklärte zusammenfassend, daß in der bevorstehenden Aussprache also im wesentlichen dieselbe Linie eingehalten und fortgesetzt werden müsse, die er in seiner letzten Reichstagsrede bereits vorgezeichnet habe. Er stellte in Aussicht, daß er binnen kurzem zu einer Besprechung in kleinem Kreise einladen werde, um die von der Regierung in der Reparationsfrage einzuschlagende Politik näher zu erörtern.

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