2.247.1 (bru1p): 1. Agrarpolitik.

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1. Agrarpolitik.

Zunächst berichtete der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft eingehend über das Ergebnis der Verhandlungen mit Vertretern des Einheitsverbandes der Genossenschaften1. Er wies insbesondere auf die starke Erhöhung[890] der Zinsspanne hin, die sich bei Weitergabe der 170 Millionen der Rentenbank-Kreditanstalt für landwirtschaftlichen Personal-Kreditbedarf an die Preußenkasse von dieser an die Zentral-Provinzial-Kreditinstitute und weiter an die örtlichen Kassen ergebe (4,5 + 1½ + 2 bis 3 + 2 bis 4 + ¾% Wechselspesen).

1

Zum bisherigen Stand der Kabinettsberatungen über das Agrarproblem s. Dok. Nr. 246, P. 3. In der Unterredung des RK mit dem Raiffeisenverband am 20. 2. waren Fragen der genossenschaftlichen Rationalisierung und der Zinsen besprochen worden. „Neue Gedanken wurden nicht vorgebracht“ (Aufzeichnung des MinR Feßler vom 24.2.31, R 43 I /1297 , Bl. 202 bis 205; Zitat Bl. 205). Durchschriften eines ausführlichen Protokolls und einer längeren Zusammenfassung dieser Besprechung befinden sich in R 43 I /1297 , Bl. 183–201 und Bl. 207 bis 212.

Zu den Forderungen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft auf Beseitigung der Mineralwassersteuer für Kakaomilch2 und der Befreiung der Pasteurisierung der Milch von der Umsatzsteuer3 führte der Reichsminister der Finanzen aus, daß die Umsatzsteuer durch die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs mehrfach gefährdet gewesen sei, und daß deswegen eine besondere gesetzliche Regelung wegen der Pasteurisierung der Milch erfolgen müsse. Wichtiger als dies und die Freistellung der Kakaomilch von der Mineralwassersteuer sei eine vernünftige Organisation des Milchabsatzes, an der es insbesondere auch hinsichtlich der Versorgung von Berlin fehle.

2

Mineralwassersteuergesetz vom 15.4.30 (RGBl. I, S. 139 ).

3

Umsatzsteuergesetz vom 8.5.26 (RGBl. I, S. 218 ).

Das Genossenschaftswesen kranke an der Politisierung der Landwirtschaft. Die Gehälter seien im allgemeinen nicht herabgesetzt worden. In der Preußenkasse habe es allerdings der Preußische Finanzminister durchgesetzt. Entscheidend für ihre Arbeit seien die Persönlichkeiten in der Leitung. Eine geistige Umstellung sei erforderlich.

Der Zuschlag von 1¼% zu den Geldern der Rentenbank-Kreditanstalt durch die Preußenkasse sei übermäßig hoch. Ihre Verwaltungskosten hätten sich seit der Vorkriegszeit versechsfacht. Im übrigen könnten ihr keine sachlichen Vorwürfe gemacht werden.

Daß mehrere Stellen bei der Weitergabe der Gelder das Risiko einkalkulierten, sei unberechtigt. Die Genossenschaften müßten sich wieder daran gewöhnen, nur an sichere Schuldner Geld auszuleihen.

Diese Frage müßte mit den Zentral-Kreditinstituten besprochen werden. Die Zinsspanne müsse verringert werden. Die Revision der Genossenschaften sei zu verschärfen. Wenn sie nicht die erforderlichen Verbesserungen durchführten, sei ihnen der Kredit zu sperren. Es schade nichts, wenn einige Genossenschaften zusammenbrächen. Durch den Versuch, den Schaden des festgefrorenen Kredites durch hohe Zinsen hereinzuholen, würden auch die gesunden Betriebe ruiniert.

Der Reichsarbeitsminister schloß sich diesen Ausführungen an. Er beurteilte die Möglichkeit durchgreifender Änderungen bei den Genossenschaften ungünstig. Das Reich müsse eingreifen, um die Zinsspanne zu ermäßigen. Zu rasche Fortschritte in der Rationalisierung des Verteilungsapparates würde die Gefahr der Rückschläge bringen. Übermäßiges Drängen der Reichsregierung belaste sie dann mit einer Verantwortung. Im übrigen sei der gute Wille des Einheitsverbandes der Genossenschaften anzuerkennen.

[891] Der Reichskanzler machte weitere Maßnahmen für die Landwirtschaft von der Beseitigung der Mißstände im Genossenschaftswesen abhängig. Das Verständnis für diese Maßnahmen in der Öffentlichkeit würde dann auch wachsen. Allerdings sei es fraglich, wie rasch Fortschritte zu erzielen wären.

Reich, Preußen und die anderen Länder müßten sich davor sichern, daß das Genossenschaftswesen in kurzen Zeiträumen immer wieder Sanierungsaktionen fordere. Das Revisionswesen sei zu verbessern und insbesondere auf die Geschäftsgebarung auszudehnen. Das Material über die Höhe des Umsatzes bei den Genossenschaften und über die Gehälter müsse nachgeprüft werden4. Es komme in Frage, daß es zur öffentlichen Diskussion gestellt würde, damit die Bevölkerung über das Vorgehen zahlreicher Kreditgenossenschaften aufgeklärt würde. In vielen Bezirken würde dann wohl die Demagogie des Landbundes aufhören. Die letzte Landbund-Tagung in Pommern sei im äußersten Maße zu verurteilen.

4

Es handelt sich wahrscheinlich um Zahlen aus der in Dok. Nr. 246, Anm. 15 genannten Denkschrift es REMin.

Der Reichsbankpräsident gab zu, daß die Gehälter und Zinsen bei den Genossenschaften einer besonderen Kontrolle bedürften. Im übrigen sei allerdings das Revisionswesen auch sachlich abgestellt. Die provinzialen Vereinbarungen über die Zinssätze seien jetzt über Ostpreußen und die Grenzmark auf Pommern, Schlesien und Brandenburg ausgedehnt worden5. Ob sich die Bewegung fortsetzen werde, lasse sich noch nicht übersehen. Die Verhältnisse lägen in den einzelnen Provinzen verschieden. Deswegen seien auch die Zinssätze nicht einheitlich festzulegen. Verhandlungen mit den Zentral-Kredit-Instituten der Genossenschaften müßten zunächst auf diese beschränkt bleiben, weil andernfalls der Gegensatz, insbesondere auch zu den Sparkassen, jede erfolgreiche Diskussion sehr erschweren würde. Bei den Sparkassen sei insbesondere auch zu berücksichtigen, daß sie der Staatsaufsicht unterlägen. Ihre Beteiligung in einem späteren Stadium der Verhandlungen könne in Frage kommen.

5

Mit Schreiben vom 21.2.31 teilte der RbkPräs. mit, daß unter der Mitwirkung der Rbk die bisher nur in Ostpreußen und der Provinz Grenzmark bestehenden Zinsvereinbarungen auf die genannten Provinzen ausgedehnt worden seien (R 43 I /1297 , Bl. 176–177).

Zweckmäßig wäre die Erörterung nur auf die Darlehenszinsen beschränkt. Es müsse vermieden werden, daß sie auf die Einlagezinsen abgedrängt würde.

Auch der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sprach sich für eine beschleunigte Verhandlung mit den Zentralstellen im Sinne der vorliegenden Vorschläge aus. Ohne Senkung des Zinsfußes seien die Sanierungsmaßnahmen unwirksam. Die örtlichen Kassen seien tatsächlich die Träger des Risikos. In erster Linie müsse sich daher der Druck auf die Zentralstellen richten. Die Preußenkasse habe es verstanden, sich verhältnismäßig gut zu sanieren. Sie habe ihren Kredit um etwa 200 Millionen eingeschränkt.

Ein Einfluß des Reichs auf die Preußenkasse sei bisher trotz der Beteiligung mit 50 Millionen nicht möglich gewesen6.

6

Vgl. dazu Dok. Nr. 148, Anm. 37.

[892] Staatssekretär Trendelenburg sah die einzige Möglichkeit einer Ausschaltung der Konkurrenz in ausreichenden Zusammenschlüssen. Risiko, Unkosten und Verteilungsorganisation müßten bei der Zinsspanne berücksichtigt werden, ohne daß aber gleichsam ein Kettenhandel mit Geld betrieben würde. Das Kreditvolumen sei im Verhältnis zum Verteilungsapparat bei den Genossenschaften zu klein.

Reichsminister Treviranus hielt es für zweckmäßig, wenn die Rentenbank-Kreditanstalt und die Preußenkasse zusammengefaßt würden.

Der Reichskanzler stellte nach eingehender Aussprache fest, daß die Reichsregierung beschleunigt mit der Preußischen Staatsregierung, der Reichsbank und der Preußischen Staatsbank in Verhandlungen mit der Rentenbank-Kreditanstalt, der Preußenkasse und dem Reichsverband der landwirtschaftlichen Genossenschaften wegen einer Vereinfachung und Verbilligung des genossenschaftlichen Kreditwesens verhandelt werden solle7.

7

S. Dok. Nr. 249, Anm. 3.

Die Zuziehung der Girozentrale in einem späteren Stadium der Verhandlungen wurde vorbehalten.

Der Reichskanzler hielt es für geboten, daß die Maßnahmen, die innerwirtschaftlich zur Sanierung der Landwirtschaft getroffen werden müssen, soweit irgend möglich, terminmäßig festgelegt werden. An ihre Durchführung sollen insbesondere die Zollmaßnahmen gebunden sein.

Zur Frage der Standardisierung gab der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft die Erklärung ab, daß die Maßnahmen in Verbindung mit den Interessenten und den Ländern bearbeitet würden. Die Bestimmungen wegen Roggen, Weizen und Gerste könnten in 4 Wochen, wegen der Eier in 2 Wochen, wegen Butter in 8 Wochen vorliegen8.

8

Vgl. Dok. Nr. 284, P. 1.

Mais beabsichtige der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft zur Geflügelzucht nur den genossenschaftlich organisierten Züchtern verbilligt zur Verfügung zu stellen. Es werde versucht, den Mais zu eosinieren, um Schiebungen auszuschließen.

Bei Butter wies der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft darauf hin, daß es für Länder mit Ausfuhrüberschuß leichter sei, die Interessenten zu Qualitätssteigerungen zu erziehen, als für Länder mit Einfuhrbedarf. Allerdings habe sich auch in Deutschland bereits der Brauch gebildet, daß nur für die besten Butterklassen Preisnotierungen gegeben würden. Die Preise hätten sich in letzter Zeit nach vorübergehender Steigerung wieder etwas gesenkt. Sie ständen ungefähr auf gleicher Höhe wie der Preis in Kopenhagen, nämlich 150,– RM, trotz des Zolles von 25 RM für den Zentner. In Berlin sei der Großhandelspreis 20% höher. Gefordert werden müsse, daß mindestens der Durchschnittspreis von drei Jahren erreicht werde, etwa 175 M für den Zentner. Das würde einer Bezahlung der Milch mit 16 Pfennigen für den Liter gleichkommen. Nach außen dürfe dieser Richtpreis aber nicht in die Erscheinung treten. Die Butterfrage dürfe nicht im Bunde mit dem Auslande gesehen werden.

[893] Auch beim Rindereinfuhrkontingent wären Bedenken geltend gemacht worden, die sich später als nicht zutreffend erwiesen hätten.

Staatssekretär Trendelenburg verwahrte sich dagegen, daß die außenhandelspolitisch wichtige Frage des Butterzolles im Bunde mit dem Ausland gesehen würde. Die Schwierigkeiten lägen in der unterschiedlichen Behandlung gerade der großen Buttereinfuhrländer gegenüber Finnland mit seinem Zollkontingent9. Für die Niederlande bedeute dies Kontingent nur etwa 1/6 des Ausfuhrbedarfs. Praktisch würde die ganze Kontingentsmenge von allen für die Buttereinfuhr in Frage kommenden Staaten eingeführt werden, etwa ein gutes Drittel des Gesamtimports. Das Ausland würde die Kontingentsfrage, die stark umstritten sei, grundsätzlich zur Erörterung und Entscheidung stellen.

9

Vgl. Dok. Nr. 99, Anm. 9.

In ähnlichem Sinne sprach sich der Vortr. Legationsrat Eisenlohr aus. Für die Butterüberschußländer gäbe es nur zwei große Absatzmärkte: Deutschland und England. Bei Erhöhung deutscher Zölle würde die Butter auf den englischen Markt drücken, der in zunehmendem Maße von Neuseeland und anderen Dominions beliefert würde. Die Preise würden weiter sinken. Dänemark habe gegen England eine Aktivität der Handelsbilanz von etwa 800 Millionen Mark. Es wäre runiert, wenn die Butterausfuhr auch dorthin unterbunden würde. Für Holland lägen die Verhältnisse etwas günstiger.

Der Reichskanzler hielt eine Erhöhung der Butterzölle nur dann für möglich, wenn die Frage der Standardisierung geregelt wäre, andernfalls handele es sich nur um eine theoretische Bereinigung. Den Genossenschaften müsse ein Anreiz geschaffen werden, den Butterabsatz zu steigern. Vielleicht könne das durch den Richtpreis geschehen und dadurch, daß zugunsten der guten Butter der Preis der schlechten gedrückt würde. Die Kaufkraft der Massen sei für den Butterpreis bedeutsam.

England werde nach sicheren Auskünften in absehbarer Zeit zur Einführung von Zöllen10 und Bevorzugung seiner Dominions übergehen. Die Gewerkschaften selbst vertreten diese Forderung gegenüber der Arbeiterpartei mit zunehmendem Nachdruck11. Auch die heimische Buttererzeugung in England solle dadurch gefördert werden. Sehr stark sei die Einfuhr aus Irland, das zur Zeit das glücklichste Land der Welt sei.

10

Die Einführung von Schutzzöllen wurde von den brit. Konservativen gefordert (Schultheß 1931, S. 328, 339, 344 f.).

11

S. Dok. Nr. 237, Anm. 5.

Dänemark und Holland seien mehr auf Deutschland angewiesen als auf England.

Wenn die Reparationen aus Ausfuhrüberschüssen gezahlt werden müßten, so würden die umliegenden Agrarländer zwangsläufig ruiniert. Es handele sich also nur darum, ob dieser Prozeß ein oder zwei Jahre früher eintreten würde. Deswegen sei die Entscheidung, die zu treffen sei, besonders weittragend.

Es müsse damit gerechnet werden, daß die Welt noch jahrelang schwerste Kämpfe auf handelspolitischem Gebiete mit Zöllen, Dumpings und anderen Maßnahmen führen werde. Das Problem der Reparationen hänge damit auf[894] das engste zusammen. Sie würden wohl kaum noch länger als 1 Jahr erfüllt werden können. Würde das Ausland vermehrte Kredite gewähren, so könne sich der Zeitpunkt noch um ein weiteres Jahr verschieben, länger voraussichtlich aber nicht. Es wäre gut, wenn der kritische Zeitpunkt im Sommer 1932 eintrete, weil dann in drei Ländern entscheidende Wahlen vorüber seien.

Deutschland müsse für den Ausbruch der akuten Reparationskrise, die durch handelspolitische Kämpfe verschärft würde, innerwirtschaftlich gerüstet sein. Dann sei es besser, die Entscheidung rasch zu erzwingen, als hinzuhalten. Auf diesen Gesichtspunkt müsse die ganze Politik eingestellt werden, sonst komme die Regierung vor Situationen, die niemand meistern könnte.

Der Zinsdruck, der von den Reparationszahlungen auf die Wirtschaft ausgehe, sei entscheidend. Die weitere Entwicklung müsse psychologisch sorgfältig vorbereitet werden.

Wegen der hohen Zins- und Reparationslasten sei Deutschland gezwungen, eine Politik zu machen, die es bedauere. Schließlich würden die Agrarstaaten die Reparationen zahlen müssen.

Als vor kurzer Zeit Morgan12 die Erklärung von ihm gefordert habe, daß Deutschland keine Revision des Young-Planes anstrebe, habe er ihn darauf hingewiesen, daß die amerikanischen Farmer dadurch ruiniert würden, daß ihr Absatz gerade auch nach Deutschland unmöglich sei. Er habe erwidert, daß eine veränderte Situation gegeben wäre, wenn es gelänge, dies den Farmern klarzumachen.

12

Wahrscheinlich Shepard Morgan. 1924–1930 als Finanzberater des Reparationsagenten Parker Gilbert, danach Direktor der Chase National Bank, New York. Eine Begegnung des RK mit Morgan hatte am 11.2.31 stattgefunden (Nachl. Pünder  Nr. 43, Bl. 251).

Die Stimmung in Holland hätte vom Auswärtigen Amt dadurch beeinflußt werden können, daß Deutschland auf die Rede des holländischen Generalstabschefs, in er dieser auf die belgischen Grenzbefestigungen als Schutz für Holland angespielt habe, weit schärfer reagiert hätte13.

13

Der niederländische Generalstabschef General Seyffardt hatte in einem Zeitungsinterview erklärt, die von der belg. Reg. geplante Verstärkung der belg. Grenzbefestigungen werde nach seiner Ansicht die Möglichkeit eines dt. Angriffs auf Belgien und Frankreich durch Holland hindurch eher verringern als erhöhen (Bericht des dt. Gesandten in Den Haag, Graf Zech, an das AA vom 14.2.31, in Pol. Arch. des AA, Abt. II Politik 13 Belgien, Akten betr. Militärangelegenheiten Bd. 7). Das AA wies die dt. Gesandtschaft am 19.2.31 an, wegen der Äußerung Seyffardts bei der holländischen Reg. vorstellig zu werden (Konzept im Pol. Arch. des AA, a.a.O.). Der holländische Verteidigungsminister Deckers erklärte einem Beamten der dt. Gesandtschaft am 21. 2., daß er die Ausführungen Seyffardts verurteile und vor allem im Hinblick auf ihre Wirkung in Dtld bedaure (Durchschrift eines Berichts der Gesandtschaft Den Haag vom 22.2.31, Pol. Arch. des AA, a.a.O.).

Der Reichsminister der Finanzen teilte die Auffassung des Reichskanzlers, Dänemark könne mit Deutschland keinen Kampf führen, ohne sich selbst zugrunde zu richten. Es könne manche Ware nur aus Deutschland beziehen, z. B. Ölkuchen. Andere würden ihm von England teurer geliefert werden als von Deutschland.

Auch die holländische Lage sei schwach. Es sei nur stark als Geldgeber. Boykottbewegungen seien zwar unbequem und könnten schweren Schaden bringen14. Aber Holland führe immer noch für ½ Milliarde Mark Waren nach[895] Deutschland aus und könne darauf nicht verzichten. Die Agrarstaaten würden wegen der Reparationsleistungen ruiniert. Würde der Kaffeezoll verdoppelt, so würde auch Brasilien die Zusammenhänge spüren.

14

Vgl. Dok. Nr. 99, Anm. 9.

In Deutschland beruhe die hohe Zinslast auch auf den Reparationen. Ohne sie wäre die Landwirtschaft unter geringerem Druck. Die Maßnahmen für sie brauchten dann nicht so einschneidend zu sein wie jetzt. Auch er wolle bei dieser Sachlage die Bedenken gegen einen Butterzoll zurückstellen.

Reichsminister Treviranus wies auf die Entwicklung hin, die der dänische Export genommen habe. Er sei mehr und mehr vom englischen Markte auf den deutschen abgedrängt worden. Deswegen hätten schon vor Jahren einsichtige Dänen die Frage nach einem Agrarkartell mit dem mitteleuropäischen Wirtschaftsgebiet aufgeworfen. Der große Vorsprung, den die dänische Landwirtschaft im Kriege gemacht habe, schlösse aber Möglichkeiten dieser Art bis auf weiteres aus. Im übrigen stimme er den Ausführungen des Reichskanzlers und des Reichsministers der Finanzen zu. Die Verantwortung sei England zuzuschieben.

Die Qualitätssteigerung der Landwirtschaft in Deutschland müsse als Rüstung für den Kampf beschleunigt werden. Die Boykottbewegung in Holland sei seinerzeit nicht durchgeführt worden. Deutschland sei gegen die Nachbarländer im Vorteil. Es müsse als Schuldner das Gesetz des Handelns für sich in Anspruch nehmen.

Vortr. Legationsrat Eisenlohr wies auf die Mängel des Butterzolles hin. Das Kontingent werde dazu führen, daß die Güte der fremden Ware nachlasse. Auf lange Sicht werde eine Agrarvereinbarung mit Dänemark notwendig werden. Den Engländern und Amerikanern würde es ziemlich gleichgültig sein, ob Dänemark und Holland ruiniert würden. Deutschland sei zur Zeit innerwirtschaftlich geschwächt. Sein Export würde in der schlimmsten Weise getroffen. Es sei dann bei einem Reparationskonflikt dem Gegner gegenüber im schwersten Nachteile. Deutschlands Waren würden in Dänemark und Holland durch englische ersetzt werden. Die englische Industrie würde einen starken Auftrieb nehmen.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg hielt es auch für sicher, daß England in absehbarer Zeit zum Schutzzoll übergehen würde. Bei der Frage, ob die handelspolitischen Schwierigkeiten jetzt von Deutschland so vermehrt werden sollten, oder ob gewartet werden solle, bis durch die englische Wirtschaftspolitik Dänemark und Holland abgedrängt würden, sei die enorme Arbeitslosigkeit in Deutschland zu berücksichtigen. Dänemark und Holland seien jetzt stärker als Deutschland. Sie könnten sich für die Angriffe aus England jetzt bereits sichern. Die Gegenmaßnahmen der beiden Länder würden einsetzen, sobald die Erhöhung des Butterzolles im Prinzip beschlossen sei. Es empfehle sich daher, die Butterfrage zurückzustellen, bis sie durch Einführung des Präferentialsystems in England akut geworden sei.

Der Reichsarbeitsminister betonte erneut, daß er an seiner ablehnenden Stellung zum Butterzoll festhalten müsse. Der Auffassung des Reichskanzlers[896] könne er beitreten, wenn Deutschland nicht zur Zeit 5 Millionen Arbeitslose hätte15. Es frage sich nur, ob Zeit und der Weg richtig gewählt würden16.

15

Im Januar 1931 waren bei den Arbeitsämtern 4 886 925 Arbeitslose gemeldet (Stat. Jb. für das Dt. Reich 51 (1932), S. 291).

16

Im Protokoll wurde der vorhergehende Satz gestrichen: „Grundsätzlich stimme er mit den Auffassungen überein.“

Die Nachbarstaaten würden die deutsche Schwäche in vollem Maße ausnützen. Die Ausfuhr Deutschlands würde außerordentlich stark zurückgehen.

Die Arbeiterschaft erhebe geschlossen beim Herrn Reichspräsidenten Vorstellungen. Sie weise darauf hin, daß sie in letzter Zeit fast alle Lasten der Umstellung getragen habe17. Die Entscheidung müsse deswegen zurückgestellt werden18.

17

Vgl. Dok. Nr. 238 und Dok. Nr. 251.

18

Zur Fortsetzung der Beratung s. Dok. Nr. 248, P. 1.

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