2.63.1 (bru1p): Deckungsvorlagen.

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Deckungsvorlagen.

Die Besprechung diente der ersten Fühlungnahme der Reichsregierung mit den hinter ihr stehenden Parteien.

Der Reichskanzler der Reichsminister der Finanzen und der Reichsarbeitsminister nahmen Gelegenheit, in längeren Ausführungen den Standpunkt der Reichsregierung darzulegen und die Vorlagen im einzelnen zu erläutern und zu begründen1.

1

Über die Vorlagen vgl. Dok. Nr. 57, P. 2.

Der Reichskanzler erklärte insbesondere, daß die Reichsregierung grundsätzlichen Änderungen in dem System der vorgeschlagenen Deckung nicht zustimmen könne. Versuche der Parteien, nach dieser Richtung zu verhandeln, seien von vornherein zum Scheitern verurteilt. Er bat daher, sich mit den Regierungsvorschlägen grundsätzlich einverstanden zu erklären.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß es sich bei den Vorlagen gewissermaßen nur um das Vorspiel der von der Reichsregierung geplanten großen Aufräumungsarbeit zur Sanierung der deutschen Finanzen handle. Die Vorarbeit bringe nur den Ausgleich des Reichshaushalts. Das weitergehende Sanierungsprogramm zerfalle in 3 Etappen,

1.

die Sanierung der Finanzen der Gemeinden;

2.

nach der Schaffung des finanziellen Ausgleichs in den Haushaltsplänen des Reichs, der Länder und der Gemeinden müsse mit großer Vorsicht an eine Senkung der überspannten Steuern, namentlich der Einkommensteuer, herangegangen werden;

3.

sodann müsse ein scharfer Trennungsstrich gezogen werden zwischen den Finanzen des Reichs, der Länder und der Gemeinden.

Die Fraktionsführer legten ihrerseits darauf die Auffassung ihrer Parteien dar. Während die Vertreter des Zentrums, der Bayerischen Volkspartei, der Christlich-nationalen Arbeitsgemeinschaft und der Wirtschaftspartei ausführten, daß sie die Regierungsvorlagen im großen und ganzen als geeignete Verhandlungsgrundlage annehmen könnten, äußerten die Vertreter der Deutschen Volkspartei und der Demokratischen Partei tiefer gehende grundsätzliche Bedenken ihrer Fraktionen2.

2

Am 1.7.30 hatte die DVP-RT-Fraktion folgende Beschlüsse gefaßt: „1. Arbeitslosenversicherung: Fraktion fordert Reform, die Reg. Vorschläge bez. Beitragserhöhung nicht intransigent. Auf jeden Fall Prüfung des § 163. 2. Fraktion wendet sich einstimmig gegen Einkommensteuererh[öhung], mit großer Mehrheit gegen Reichshilfe. Ersatz durch Ersparnisse, Kopfsteuer und Kürzung der Überweisungen […]“ (R 45 II /67 , S. 253).

[256] Der Abg. Scholz (DVP) erkannte die Notwendigkeit als richtig an, das Defizit im Reichshaushaltsplan jetzt abzudecken, meinte aber, daß die Deckung in noch weiterem Maße, wie die Reichsregierung es vorgesehen habe, durch Abstriche erfolgen müsse.

Zur Frage der Arbeitslosenversicherung äußerte er sich dahin, daß die vorgeschlagenen Reformen von seiner Fraktion sehr begrüßt würden3. Seine Fraktion fordere aber darüber hinaus eine Änderung des § 163 des Gesetzes nach der Richtung hin, daß mit der unbedingten Darlehnspflicht des Reichs gegenüber der Reichsanstalt gebrochen werde4. Von der vorgeschlagenen Erhöhung der Beiträge um 1% erklärte er, daß es sich hierbei um eine sehr kritische Frage handle. Jedenfalls könne er noch nicht erklären, daß seine Fraktion eine Erhöhung um ein volles Prozent mitmachen werde.

3

Zur Reform der ALV vgl. Dok. Nr. 45, P. 8 und Dok. Nr. 46, P. 1.

4

S. Dok. Nr. 53, P. 1, Anm. 2.

Zur Frage der Deckungsvorlagen bemerkte er, daß seine Fraktion grundsätzliche Bedenken gegen eine Erhöhung der Einkommensteuer habe. Auch der Sonderbesteuerung der Personen im öffentlichen Dienst stehe seine Fraktion negativ gegenüber, da sie gegen jede Sonderbesteuerung sei. Als Gegenvorschlag rege seine Fraktion die Einführung der Kopfsteuer in den Gemeinden an. Die Erschließung einer solchen Steuerquelle für die Gemeinden, die seine Fraktion unbedingt für erforderlich halte, werde dem Reich eine Kürzung der Überweisungen ermöglichen.

Zusammenfassend erklärte er, daß seine Fraktion gern bereit sei, mit der Reichsregierung zusammenzuarbeiten, um das gesteckte Ziel zu erreichen, daß sie aber bezüglich der einzuschlagenden Wege zum Teil anderer Meinung sei wie die Reichsregierung und daß sie sich vorbehalte, entsprechende Anträge zu stellen.

Der Abg. Esser führte aus, daß nach der Auffassung des Zentrums die Hauptschwierigkeit der Situation darin liege, wie man zu der notwendigen Mehrheitsbildung komme. Die Möglichkeiten hierzu seien sehr begrenzt, da der ablehnende Standpunkt der Sozialdemokratie und Nationalsozialisten feststehe. Ein Zusammenhalten aller hinter der Regierung stehenden Fraktionen sei daher unbedingt notwendig. Man müsse das Deckungsprogramm als ein einheitliches Ganzes nehmen und einheitlich dafür eintreten. Geschehe dies nicht, so könne er nicht dafür garantieren, daß z. B. der Arbeiterflügel des Zentrums die Reformen in der Arbeitslosenversicherung mitmache. Jedenfalls müsse die Deutsche Volkspartei die Beitragserhöhung in der Arbeitslosenversicherung mitmachen und von einer Änderung des § 163 des Gesetzes im gegenwärtigen Augenblick absehen. Eine gegenteilige Forderung zerschlage jede Mehrheitsbildung. Die von der Volkspartei vorgeschlagene Kopfsteuer als Ersatz für eine von der Regierung vorgeschlagene Steuer halte das Zentrum für unmöglich. Wenn das Regierungsprogramm nicht wesentlich geändert werde, werde das Zentrum für das Regierungsprogramm stimmen.

[257] Der Abg. v. Lindeiner-Wildau bemerkte zunächst, daß er nur für seine Gruppe sprechen könne, nicht aber auch für die ihnen angeschlossene Bauern- und Landvolkpartei, deren Entschließungen ihm noch nicht bekannt seien.

Sodann führte er aus, daß seinen Freunden die Deckungsvorschläge der Regierung nicht weit genug gingen. Bei den Regierungsvorschlägen handle es sich nur um eine Zwischenlösung. Darüber hinaus müsse aber Sicherheit geschaffen werden für die Fortsetzung des Sanierungswerkes im Herbst. Seine Freunde seien im großen und ganzen bereit, die Zwischenlösung mitzumachen, wünschten aber, daß die notwendige Sanierung der Gemeinden schon jetzt in Angriff genommen werde. Der Einführung einer Kopfsteuer stehe er positiv gegenüber. Ferner halte er auch die Einführung einer Schankverzehrsteuer für möglich. Für einen steigenden Finanzbedarf müsse an einer stärkeren Belastung des Tabaks gedacht werden. Bezüglich der Reichshilfe der Personen im öffentlichen Dienst meinte er, daß es falsch sei, die Maßnahmen als einmalig darzustellen, vielmehr müssen sie schon jetzt als Auftakt für die unbedingt notwendige Kürzung der Gehälter offen gekennzeichnet werden.

Der Abg. Drewitz erklärte, daß seine Fraktion erst am Sonntag, den 6. Juli, offiziell zu den Vorlagen Stellung nehmen werde. Schon heute könne er sagen, daß nach der Auffassung seiner Freunde stärkere Sicherungen gegen ein weiteres Defizit geschaffen werden müßten. Insbesondere müsse verhütet werden, daß die Ausgaben zu Lasten einer weiteren Erhöhung der Realsteuern wüchsen.

Der Abg. Meyer stellte als obersten Grundsatz für das Deckungsprogramm die Notwendigkeit größtmöglicher Abstriche am Etat auf. Zu den Vorschlägen des Hansabundes bemerkte er, daß es sich dabei, nach der Auffassung seiner Freunde, nur um einen technischen Versuch der Vertagung der Deckung handle5. Dieser Versuch sei auf allzu großes Vertrauen zum Aufstieg der Konjunktur aufgebaut und werde daher von ihnen nicht gebilligt. Die Demokratische Fraktion sei bereit, die Beitragserhöhung der Arbeitslosenversicherung zu bewilligen, halte aber eine Änderung des § 163 im gegenwärtigen Augenblick nicht für durchsetzbar. Eine Zustimmung zur Reichshilfe der Personen im öffentlichen Dienst falle seiner Fraktion schwer, da sie der Meinung sei, daß man die Beamten nicht einseitig belasten könne. Richtiger sei es, die Reichshilfe in ein allgemeines Notopfer (Zuschlag zur Einkommensteuer) auszubauen. Im übrigen aber müsse die Senkung der Beamtengehälter in absehbarer Zeit kommen, und es sei richtig, diese Kürzung zu gegebener Zeit offen als Gehaltskürzung zu betreiben. Das ganze Deckungsprogramm, das die Reichsregierung jetzt vorgelegt habe, müsse in den größeren Rahmen eines umfassenden Finanzreformprogramms gestellt werden. Es genüge nicht, den Reichshaushalt zu sanieren, darüber hinaus müsse auch an die notleidenden Gemeinden, bei denen die Verhältnisse erheblich schlechter lägen als im Reich,[258] gedacht werden. Die zur Sanierung der Gemeinden ins Auge zu fassenden neuen Steuerquellen müßten schon jetzt festgelegt werden. Als solche neuen Steuerquellen bezeichnete er die Kopfsteuer und die Schankverzehrsteuer. Gleichzeitig hiermit müsse eine Sperre gegen weitere Erhöhung der Realsteuern in Kraft gesetzt werden.

5

Der Hansa-Bund hatte in einem Brief an den RK vom 14.6.30 Einsparungen am Reichshaushalt in Höhe von 700–800 Mio RM und vom 1.10.30 ab Steuersenkungen von mehr als 1 Mrd. RM gefordert (R 43 I /2364 , Bl. 281–288; der Brief an den RK wurde im Heft 25 der Flugschriften des Hansa-Bundes „Ausgabensenkung statt Steuererhöhung“ veröffentlicht: in R 43 I /2365 , Bl. 29–52 vorhanden).

Der Abg. Leicht erklärte, daß seine Fraktion den neuen Deckungsvorlagen vor den früheren Vorlagen den Vorzug gebe und den Regierungsvorschlägen im allgemeinen zustimme. Seine Fraktion werde es begrüßen, wenn die Gehälter der hochbezahlten festbesoldeten Angestellten der Privatindustrie in die Reichshilfe der Personen im öffentlichen Dienst miteinbezogen würden. Im übrigen schloß er sich den Erörterungen des Abg. Esser über die Notwendigkeit der Mehrheitsbildung an.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte in seiner Erwiderung auf die Ausführungen der Parteiführer, daß er vorsorglich Entwürfe für die Einführung einer Kopfsteuer und Schankverzehrsteuer habe ausarbeiten lassen, daß er aber nicht glaube, schon vor der Herbsttagung des Reichstags mit diesen Entwürfen hervortreten zu sollen6.

6

Zur Kopfsteuer s. Dok. Nr. 67.

Der Reichskanzler warnte in einem Schlußwort vor übertriebenem Pessimismus und den daraus entspringenden Forderungen einzelner Fraktionen nach Sicherungen für die Zukunft, die über die jetzigen Regierungsvorlagen hinausgehen.

Beschlüsse wurden nicht gefaßt. Der Reichskanzler stellte jedoch eine Fortsetzung der Beratung in Aussicht, sobald sich aus der bevorstehenden ersten Beratung der Deckungsvorlagen im Plenum des Reichstags die Haltung der Fraktionen zur Sache in der Aussprache weiter offenbart und geklärt haben werde7.

7

Die erste Beratung der Deckungsvorlagen fand am 7.7.30 im RT statt (RT-Bd. 428, S. 6188 –6214).

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