2.65.1 (bru1p): 1. Beantwortung des offenen Briefes des Vorsitzenden des Verwaltungsrats der Deutschen Reichsbahngesellschaft an den Reichskanzler.

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1. Beantwortung des offenen Briefes des Vorsitzenden des Verwaltungsrats der Deutschen Reichsbahngesellschaft an den Reichskanzler.

Der Reichsverkehrsminister begründete den von ihm vorgelegten Entwurf einer Antwort an den Präsidenten des Verwaltungsrats der Reichsbahngesellschaft auf dessen Schreiben vom 18. 6.1. Er führte dazu aus, daß er auf die[263] Erwähnung der Notwendigkeit einer Reform an den Gehältern der leitenden Beamten und an der Leistungszulage besonderes Gewicht legen müsse. Der Bürodirektor der Hauptverwaltung erhalte beispielsweise eine Leistungszulage von 8000 RM jährlich. Es sei nach einigen Schwierigkeiten gelungen, Herrn von Siemens zur Mitteilung der Gehälter der leitenden Beamten zu veranlassen, allerdings erst durch Berufung auf die Auskunftspflicht der Reichsbahn nach dem Reichsbahngesetz2 und Androhung der Anrufung des Reichsbahngerichts3. Herr von Siemens habe gebeten, diese Mitteilungen vertraulich zu behandeln. Dies müsse aber abgelehnt werden, da kein Grund vorhanden sei, die Bezüge von Reichsbeamten vor den zuständigen Stellen vertraulich zu halten. Der Generaldirektor der Reichsbahngesellschaft erhalte 122 000 RM jährlich. Sein Stellvertreter 78.000 RM, die übrigen Vorstandsmitglieder 58.000 bis 60.000 RM. Der Leiter der Abteilung Bayern 81.000 RM. Die Gehälter der Präsidenten der Reichsbahn-Direktionen lägen weit über denen der Präsidenten der Landesfinanzämter. Zweifellos müsse angesichts dieser Bezüge auf eine Reform gedrungen werden.

1

Der Präs. des RB-Verwaltungsrats v. Siemens hatte in einem offenen Brief an den RK vom 18.6.30 (veröffentlicht von WTB Nr. 1229 vom 20. 6. in R 43 I /1052 , Bl. 112, vgl. DAZ Nr. 281–282 vom 21.6.30) die finanzielle Situation der RB dargelegt. Das neue RB-Gesetz (RGBl. 1930 II, S. 359 ) habe anstelle einer finanziellen Erleichterung eine Verschärfung gebracht. Die RB habe die 1929 auferlegten Lohnerhöhungen, die Mehrausgaben auf sozialem Gebiet und die höheren Abgaben nach dem Youngplan voll zu tragen. Statt der von der RB vorgeschlagenen Tariferhöhung um ca. 150 Mio RM habe die RReg. nur eine Erhöhung von 65 Mio RM genehmigt. Die Personalkosten seien nach Gründung der Gesellschaft im Jahre 1924 um 31% gestiegen, obwohl der Personalbestand um 62 000 Köpfe verringert worden sei. Die Personalkosten nähmen im Rechnungsjahr 1930 66%, die Pensionslasten allein 11% sämtlicher Betriebsausgaben in Anspruch. Die Betriebsausgaben würden daher 1930 die Einnahmen um mehrere hundert Mio RM übersteigen. Das Defizit könne auch nicht durch eine dauernde Drosselung der Sachausgaben gedeckt werden. Deshalb halte sich Siemens für verpflichtet, den RK darauf hinzuweisen, daß eine Herabsetzung der Personalausgaben der Gesellschaft am direktesten eine finanzielle Entlastung geben würde. Die Finanzlage der RB werde außerdem durch eine Beförderungssteuer und die wachsende Konkurrenz von Lastkraftwagenverkehr und Binnenschiffahrt belastet (Schreiben v. Siemens’ an den RK vom 18.6.30 in R 43 I /1052 , Bl. 68–72). Gegen den Vorschlag der Lohnsenkung hatten der Einheitsverband der Eisenbahner Deutschlands und die Gewerkschaft Dt. Lokomotivführer mit dem Hinweis protestiert, die RB habe unter Berufung auf die Reparationslasten einen dauernden Personalabbau betrieben, der zu schwierigen dienstlichen Verhältnissen der RB-Bediensteten geführt habe (Schreiben des Einheitsverbandes vom 28.6.30 in R 43 I /1052 , Bl. 81–84; Schreiben der Lokomotivführergewerkschaft vom 1.7.30 a.a.O., Bl. 92–93). Der RVM hatte am 27.6.30 der Rkei den Entw. einer Antwort des RK an Siemens übersandt, in dem es hieß, daß die RReg. die finanziellen Schwierigkeiten, mit denen die RB zu kämpfen habe, anerkenne. Die RReg. sei sich auch der Tatsache bewußt, daß die finanzielle Bewegungsfreiheit der RB unter dem Druck der ihr auferlegten Lasten und der stark gestiegenen Personalausgaben sich schon in den Vorjahren trotz eingetretener Tariferhöhungen derart verengt habe, daß sie ihren gesetzlichen Verpflichtungen nur unter Zurückstellung notwendiger Arbeiten für die Erhaltung und Erneuerung der Anlagen nachkommen konnte. Deshalb habe die RReg. der Erhöhung der Güter- und Personentarife zugestimmt, trotz der grundsätzlichen Bedenken, die sie in der gegenwärtigen Zeit gegen jede Tariferhöhung hege. Die RReg. erkenne an, daß die starke Steigerung des Personalaufwands zu berechtigten Besorgnissen Anlaß gebe, jedoch müsse die Senkung der Personalkosten mit einer allgemeinen Verbilligung der Preise Hand in Hand gehen. In diesem Zusammenhang müsse die RReg. eine Gehaltskürzung für die leitenden RB-Beamten fordern, da die RB-Gehälter erheblich höher als diejenigen gleichgestellter Reichsbeamten lägen. Schließlich wies der Briefentwurf auf das Arbeitsbeschaffungsprogramm der RReg. hin, die auf die Mitwirkung der RB rechne. Die RB habe dagegen in weitgehendem Maße dringende wirtschaftliche Arbeiten gedrosselt und von notwendigen Aufträgen abgesehen, und trotz weitgehenden Entgegenkommens der RReg. hätten die Verhandlungen zwischen der RB und dem RVM bisher nicht zu einem die RReg. befriedigenden Ergebnis geführt (Konzept des Schreibens in R 43 I /1052 , Bl. 86–90 u. 96–99).

2

§ 32 des RB-Gesetzes (RGBl. 1930, II, S. 374 ).

3

§ 44 des RB-Gesetzes (RGBl. 1930, II, S. 376 ).

Der Reichsverkehrsminister erklärte, er habe beanstandet, daß er das Schreiben des Herrn von Siemens erst durch die Presse erfahren habe. Demgegenüber betonte der Reichskanzler daß es ihm rechtzeitig zur Kenntnis gebracht worden sei.

Über die Verhandlungen wegen des Beschaffungsprogramms berichtete der Reichsverkehrsminister daß bisher eine Einigung auf eine Beteiligung der Reichsbahn mit 350 Millionen RM erzielt worden sei. Sicherlich werde aber die Reichsbahn auch noch über diese Summe hinausgehen müssen.

Der Reichskanzler und der Reichsminister der Finanzen regten an, das Antwortschreiben erst nach der Sitzung des Verwaltungsrats der Reichsbahngesellschaft in Stuttgart abzusenden und zu veröffentlichen.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg und Reichsminister Treviranus machten Abänderungsvorschläge zu Abs. 3 der Seite 4 des Entwurfs, der sich mit der Preissenkungsaktion befaßt4. Es wurde vereinbart, hierüber noch eine Fühlungnahme mit den beteiligten Ressorts herbeizuführen.

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Der von Trendelenburg und Treviranus kritisierte Absatz lautete im Entw.: „Die Reichsregierung sieht es als eine ihrer wesentlichsten Aufgaben an, zur Erhaltung der deutschen Wirtschaft die Erzeugerkosten zu verbilligen. Die hiermit in Verbindung stehende Senkung der Personalkosten muß aber Hand in Hand gehen mit einer Verbilligung der Preise, die sich von den schon stark gesunkenen Rohmaterialpreisen bis zum Einzelhandel auswirken muß [um dadurch zwar die Nominal-, nicht aber die Realbezüge zu mindern, und], um so sonst schwer erträgliche soziale Schädigungen zu vermeiden“ (R 43 I /1052 , Bl. 88). Der in eckige Klammern gesetzte Satzteil war in der endgültigen Antwort des RK nicht mehr enthalten. Zur Beurteilung des Preisproblems durch Trendelenburg s. Dok. Nr. 66, Anm. 1.

Der Reichskanzler schlug vor, das Antwortschreiben nicht von ihm, sondern vom Reichsverkehrsminister ausgehen zu lassen, um die Zuständigkeit[264] des Reichsverkehrsministers gegenüber dem Verwaltungsrat der Deutschen Reichsbahngesellschaft zu betonen.

Es wurde beschlossen, den endgültigen Text in der geplanten Ministerbesprechung vom Dienstag, den 8. 7., zu verabschieden5.

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S. Dok. Nr. 66, P. 7.

Auf Anfrage des Reichsverkehrsministers bat der Reichskanzler mit der Genehmigung der Personentariferhöhung bis nach Beendigung der Verhandlungen über das Beschaffungsprogramm zu warten.

Es wurden im Kabinett aber keine Bedenken dagegen geäußert, daß die Reichsbahngesellschaft schon jetzt mit ihren Vorbereitungen zur Durchführung der geplanten Erhöhung der Personentarife beginne.

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