2.96.1 (bru1p): Osthilfeprogramm.

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Osthilfeprogramm.

Der Reichskanzler legte eingangs der Besprechung die Absichten dar, die hinsichtlich der Einrichtung einer Oststelle bestanden haben. Schwierigkeiten seien jetzt dadurch entstanden, daß der Herr Reichsernährungsminister sich keine Exekutive nehmen lassen wollte. Dadurch habe die Oststelle kein eigentliches Aufgabengebiet mehr. Der anliegende Erlaß I, der in der heutigen Besprechung zwischen dem Reichsinnenministerium und dem Reichsernährungsministerium aufgestellt worden sei, sei nicht annehmbar, da er letzten Endes zur Bildung eines neuen Ministeriums führe. Im übrigen könne man unmöglich die Fragen auf dem sozialen, kulturellen und gesundheitlichen Gebiet aus dem Geschäftsbereich des Reichsministeriums des Innern nehmen und der Oststelle übertragen. Ebenso sei es mit dem Landarbeiterwohnungsbau hinsichtlich des Geschäftsbereichs des Reichsarbeitsministeriums. Der anliegende Erlaß II sei auch nicht möglich, da die Oststelle auf Grund dieser Regelung eine Stelle ohne Arbeitsgebiet sei1.

1

S. Dok. Nr. 95, Anm. 1.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erwiderte, daß er alles mitmache, was Klarheit schaffe, da er wissen müsse, wer vor dem Reichstag verantwortlich sei. Die Notwendigkeit der klaren Regelung werde gewiß niemand ablehnen können. Er könne aber keiner Regelung zustimmen, die Unklarheit lasse, und die die Aufgabengebiete nicht scharf umgrenze. Es müsse doch anerkannt werden, daß er als Minister für Ernährung und Landwirtschaft keinen entscheidenden Faktor auf dem Gebiet der Agrarpolitik aus der Hand geben könne. Der vorliegende Erlaß II biete keine Schwierigkeiten, da er klar umreiße, daß der Geschäftsbereich für die Durchführung der Angelegenheiten der zuständigen Reichsministerien unberührt bleibe. Umschuldung, Siedlung und Betriebssicherung könnten nur einheitlich gehandhabt werden. Nach den Vorschlägen von Preußen wolle man ihm jede Möglichkeit der Mitarbeit nehmen2. Die in Betracht kommenden Fragen bieten eine gewisse Einheit, bei[363] der die eine von der anderen abhängig sei. Im vorliegenden Falle handele es sich zudem um ein Reichsgesetz, das auch einheitlich von der Reichsseite durchgeführt werden müsse. Er spreche sich nur für eine reinliche Trennung aus und könne keinen halben Vorschlag akzeptieren.

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Nach dem pr. Vorschlag sollte sich die Osthilfe zunächst nur auf Ostpreußen, Pommern, die Grenzmark, Ostbrandenburg, Ober- und Niederschlesien erstrecken. Zur Durchführung der Osthilfe sollten in diesen Gebieten Landstellen errichtet werden, die der Oststelle bei der Rkei unterstehen sollten. Als Chefs der Oststelle waren RM Treviranus und der PrWohlfM Hirtsiefer vorgesehen. Die Oststelle sollte u. a. die Umschuldungsrichtlinien erlassen, das Verfahren bei der betriebswirtschaftlichen Prüfung der sanierungsfähigen Betriebe regeln, die zur Verfügung stehenden Mittel verteilen und Dienstanweisungen für die Landstellen erlassen (R 43 I /1822 , Bl. 30–34, mit Anstreichungen und Marginalien des RK).

Im Laufe der weiteren Aussprache, an der sich der Vizekanzler und Reichsminister der Finanzen, der Reichsminister des Innern, Staatssekretär Trendelenburg und Staatssekretär Zweigert beteiligten, erklärte sich Reichsminister Treviranus bereit, als Reichskommissar seine Entscheidungen auf dem Gebiet der Osthilfe im engsten Einvernehmen mit den Reichsressorts zu treffen. Man könne eine diesbezügliche Regelung in der Geschäftsanweisung festlegen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft bezeichnete diesen Vorschlag als einen gangbaren Weg. Hiernach würde tatsächlich die Exekutive vom Reichsernährungsministerium ausgeführt, während die Weitergabe der Weisungen an die Landstellen von der Oststelle ausgehe.

Der Reichskanzler erklärte, daß er nunmehr die Sitzung unterbreche, um mit den Vertretern von Preußen, die in der Reichskanzlei anwesend seien, auf Grund des Vorschlages Treviranus Fühlung zu nehmen.

Die Sitzung wurde unterbrochen.

Nach Wiedereröffnung der Sitzung erklärte der Reichskanzler daß die Vertreter von Preußen an und für sich auf die Einrichtung einer Oststelle verzichten, aber auf die Schaffung von zwei Reichskommissaren Wert legten. Die Aufgaben, die der Oststelle zufallen sollten, würden dann den beiden Kommissaren zufallen.

Die Aussprache über die Schaffung von zwei Kommissaren statt der Oststelle ergab Einverständnis darüber, daß der Reichsminister Treviranus im engsten Einvernehmen mit den zuständigen Reichsressorts, insbesondere mit dem Reichsernährungsministerium, handeln wird.

Hierauf wurden die Vertreter von Preußen – Staatsmin. Hirtsiefer, Präsident Klepper und Direktor Lauffer – zugezogen.

Der Reichskanzler legte nun dar, daß es sich gezeigt habe, daß die Schaffung einer Oststelle nicht möglich sei. Statt dessen sollen zwei Reichskommissare vom Herrn Reichspräsidenten ernannt werden. Der Reichskommissar der Reichsregierung, Minister Treviranus, werde bei seinen Amtshandlungen im engsten Einvernehmen mit den Reichsressorts handeln. Ob der von Preußen ernannte Kommissar, Minister Hirtsiefer, in engster Fühlungnahme mit den preußischen Ressorts handeln werde, oder ob er von der Preußischen Staatsregierung Generalvollmacht erhalte, sei eine rein preußische Angelegenheit. Es sei nunmehr die Frage zu klären, was haben die Kommissare zu tun.

Staatsminister Hirtsiefer erwiderte hierauf, daß die Preußische Regierung in der letzten Besprechung einen diesbezüglichen Entwurf vorgelegt habe3. An der Hand dieses Entwurfes könne man die vom Reichskanzler gestellte Frage prüfen.

3

S. Anm. 2.

Präsident Klepper ergänzte diese Ausführungen noch dahin, daß für die zwischen Reich und Preußen zu treffenden Vereinbarungen maßgebend sei[364] das Ergebnis der Besprechung, die der Reichskanzler mit dem Preußischen Ministerpräsidenten geführt habe. Von dem Ergebnis dieser Besprechung könnten die preußischen Vertreter nicht abgehen.

Der Reichskanzler bemerkte dazu, daß er mit dem Preußischen Ministerpräsidenten lediglich die Einrichtung einer Oststelle vereinbart habe. Über die eigentlichen Ausführungsbestimmungen sollte noch eine Vereinbarung getroffen werden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft führte aus, daß die Zusammenarbeit zwischen dem Reich und Preußen außerordentlich zu begrüßen sei. Für die Tätigkeit der Kommissare sei, soweit es sich um den von der Reichsregierung benannten Kommissar handelt, für ihn entscheidend, daß dieser Kommissar in engstem Kontakt mit den Reichsressorts handle. Für ihn sei nicht die formelle Seite entscheidend, sondern lediglich die materielle, nämlich, daß er in allen wesentlichen Fragen beteiligt werde.

Präsident Klepper legte dar, daß Preußen seinem Reichskommissar, dem Minister Hirtsiefer, Generalvollmacht gebe, daß deshalb eine Fühlungnahme mit den preußischen Ressorts nicht besonders vorzusehen sei.

Der Reichskanzler erwiderte darauf, daß nach Auffassung der Reichsregierung Minister Treviranus keine Generalvollmacht erhalte, sondern nur im engsten Einvernehmen mit den betreffenden Reichsressorts handeln könne. Es handelt sich, soweit die Reichsseite in Frage komme, lediglich um eine Konzentration nach außen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erwiderte, daß die grundsätzlichen Bestimmungen und die grundlegenden Ausführungsbestimmungen von dem Reichskanzler im Benehmen mit dem Preußischen Ministerpräsidenten zu erlassen seien. Um Klarheit zu schaffen, müsse er darlegen, daß die Exekutive von den Landstellen nicht zu trennen sei. Infolgedessen müsse eine enge Verbindung mit den zuständigen Ressorts, insonderheit mit seinem Ressort, bestehen. Im übrigen sei ihm gleich, welcher Stelle die Landstellen formell unterstellt werden. Ihm komme es lediglich darauf an, seine verantwortliche Mitarbeit sicherzustellen.

Präsident Klepper bemerkte dazu, daß der von Preußen benannte Kommissar, Minister Hirtsiefer, nur mit dem Minister Treviranus als Reichskommissar zusammenzuarbeiten haben werde. Im übrigen müßten die Landstellen von den Reichskommissaren ressortieren. Inwieweit Reichsminister Treviranus bei seinen Entscheidungen auf die Wünsche der Reichsressorts Rücksicht zu nehmen habe, sei für das Verhältnis der beiden Kommissare zueinander gleichgültig.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erwiderte, daß die vom Präsidenten Klepper dargelegte formelle Seite zutreffend geschildert sei. Die praktische Regelung habe sich allerdings zu vollziehen unter gemeinsamer Leitung des Reichsministers Treviranus mit ihm.

Präsident Klepper stellte noch einmal fest, daß die vorgesetzte Dienststelle der Landstellen die beiden Reichskommissare seien.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft bestätigte dies.

[365] Der Reichskanzler stellte im Ausgang der Aussprache fest, daß praktisch die Landstellen ihre Schreiben an die beiden Kommissare zu richten hätten. Wenn die beiden Kommissare sich in der den Landstellen zu erteilenden Antwort geeinigt hätten, würden die Bescheide an die Landstellen von den beiden Kommissaren ausgehen. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Kommissaren würde die Entscheidung des Reichskanzlers im Benehmen mit dem Preußischen Ministerpräsidenten erfolgen.

Der Reichskanzler bemerkte weiter, daß jetzt wohl festzulegen sei, welche Angelegenheiten von der Zentrale sofort zu erlassen seien.

Hierzu bemerkte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft daß unter Berücksichtigung der preußischen Vorschläge zunächst eine Geschäftsanweisung ausgearbeitet werden müsse.

Präsident Klepper hob hervor, daß man sofort in eine Aussprache über die preußischen Vorschläge eintreten könne, da diese Vorschläge eine geeignete Verhandlungsgrundlage darstellten. Von Preußen sei alles geschehen, um möglichst die Angelegenheit beschleunigt zur Erledigung zu bringen. Die preußischen Unterlagen seien in der letzten Besprechung verteilt worden.

Hierzu erklärte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft daß dies nicht zutreffend sei. Die Unterlagen seien den Reichsvertretern nur in zwei Exemplaren übergeben worden.

Präsident Klepper betonte nochmals die Bereitwilligkeit der preußischen Vertreter, zu verhandeln, insbesondere auch über die Personalien zu sprechen.

Hierzu bemerkte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft daß über die Personalien gesprochen werden könne. Allerdings müsse man sich zunächst innerhalb der Reichsvertreter verständigen.

Darauf zogen sich die preußischen Vertreter zurück.

Der Reichskanzler trat nunmehr in eine Besprechung der Personalien ein.

Man verständigte sich in der Aussprache auf folgenden Vorschlag:

a) Ostpreußen:

Ministerialrat Mussehl

b) Pommern:

Major a. D. von Dewitz

c) Grenzmark:

Oberregierungsrat Dr. Tietmann

d) Niederschlesien:

Vizepräsident Schwendy

e) Oberschlesien:

Oberpräsident Dr. Lukaschek4.

4

Der PrMinPräs. hatte in einem Brief an den RK vom 29.7.30 den MinR Mussehl und den ORegR Tietmann als Landstellenkommissare vorgeschlagen (R 43 I /1822 , Bl. 8); auf v. Dewitz und Lukaschek hatten sich Brüning und Braun in der Besprechung vom 31.7.30 geeinigt (R 43 I /1822 , Bl. 11). In Ostbrandenburg sollte vorerst keine Landstelle errichtet werden (vgl. Anm. 2).

Hinsichtlich der Frage der Stellvertreter einigte man sich dahin, daß es im gegenwärtigen Augenblick nicht möglich sei, die Stellvertreter zu bezeichnen. Im übrigen solle man es den Leitern der Landstellen überlassen, zu bestimmen, von welchem Beamten sie vertreten werden.

Nunmehr wurden die preußischen Herren wieder zu der Aussprache zugezogen.

[366] Nachdem der Reichskanzler den Herren mitgeteilt hatte, welche Auffassung von den Reichsressorts in der Frage der Personalien vertreten werde, entfernte er sich, um dem Herrn Reichspräsidenten zwecks Vortrag aufzusuchen.

Den Vorsitz übernahm der Reichswehrminister.

Präsident Klepper führte aus, daß die Frage der Ernennung der Stellvertreter für Preußen von grundsätzlicher und wesentlicher Bedeutung sei. Die Stellvertreterfrage sei für Preußen eine Hauptsache, da in einzelnen Provinzen Preußen dem Leiter nur zugestimmt habe mit Rücksicht darauf, daß gewisse Stellvertreter für sie eingesetzt würden. Im übrigen habe auch der Preußische Ministerpräsident sich mit dem Herrn Reichskanzler in der Unterredung auf die bezeichneten Stellvertreter geeinigt.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und Reichsminister Treviranus führten aus, daß sie zur Frage der Stellvertreter keine Stellung nehmen könnten, da die Stellvertreter ihnen nicht bekannt seien. Es sei doch viel verlangt, zu einer Personalfrage entscheidend Stellung zu nehmen, wenn man die Personen nicht kenne.

Der Reichswehrminister betonte, daß es ihm neu sei, daß auch in der Stellvertreterfrage eine Einigung zwischen dem Reichskanzler und dem Preußischen Ministerpräsidenten erzielt worden sei.

Der Reichsminister des Innern schlug vor, doch erst die Kommissare selbst zu ernennen. Hinterher könne man dann die Stellvertreterfrage in einer kommissarischen Besprechung regeln.

Präsident Klepper verneinte diese Möglichkeit.

Daraufhin schlug der Reichswehrminister vor, die Verhandlungen abzubrechen.

Präsident Klepper betonte, daß sowohl dem Organisationserlaß des Herrn Reichspräsidenten als auch der beabsichtigten Verordnung zur Durchführung des Dritten Abschnittes der Verordnung des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände vom 26.7.1930 Preußen erst dann zustimmen könne, wenn in allen Punkten eine Einigung erzielt worden sei. Im übrigen sei die Notverordnung des Herrn Reichspräsidenten, soweit sie sich auf den Vollstreckungsschutz beziehe, unzulänglich, da die Fristsetzung vom 31. Dezember unmöglich eingehalten werden könne5. Es müsse hier eine Neuregelung erfolgen, insbesondere über die Fristsetzung in der Weise, daß die Frist von der Einleitung der Vollstreckung zu laufen beginnt.

5

S. § 6 Abs. 2 des 3. Abschnitts der NotVO vom 26.7.30 (RGBl. I, S. 316 ).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft führte noch aus, daß es zur Zeit keinen Zweck habe, weiter zu verhandeln. Es müsse erst die Rückkehr des Kanzlers abgewartet werden. Die Verantwortung für die verspätete Herausgabe der beabsichtigten Verordnung trage allein Preußen. Er werde sich gegen diese unnötige Verzögerung in der Öffentlichkeit schützen und die ganze Verantwortung auf Preußen abwälzen.

[367] Nach Rückkehr des Reichskanzlers teilte der Reichswehrminister das Ergebnis der in Abwesenheit des Reichskanzlers geführten Aussprache dem Reichskanzler mit.

Der Reichskanzler erwiderte, daß in der Besprechung mit dem Preuß. Ministerpräsidenten die Frage der Stellvertreter der Leiter der Landstellen überhaupt nicht gestreift sei. Es müsse hier ein Irrtum vorliegen.

Man verständigte sich schließlich dahin, daß eine weitere Besprechung über den Gegenstand morgen Nachmittag 5 Uhr stattfinden solle6. In den morgigen Vormittagsstunden solle eine Einigung innerhalb der Reichsressorts über die Frage erzielt werden.

6

S. Dok. Nr. 97.

Der Reichskanzler bemerkte, daß er an den Besprechungen nicht teilnehmen könne, da er auf einige Tage verreisen müsse.

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