2.225 (bru1p): Nr. 225 Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über eine agrarpolitische Besprechung. 27. Januar 1931

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 4). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 1 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

Nr. 225
Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über eine agrarpolitische Besprechung. 27. Januar 1931

R 43 I /2546 , Bl. 47–49

Unter dem Vorsitze des Reichskanzlers fand am 27. Januar in der Reichskanzlei eine Besprechung mit Präsident Brandes, Graf Kalckreuth, den früheren Reichsministern Dr. Hermes und Professor Fehr sowie mit Professor Warmbold über agrarpolitische Grundfragen statt. An ihr nahmen der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Reichsminister Treviranus, Staatssekretär Dr. Pünder, Ministerialdirektor Dr. von Hagenow und Ministerialrat Dr. Feßler (als Protokollführer) teil.

Präsident Brandes wies auf die Notwendigkeit ausreichenden Schutzes der landwirtschaftlichen Veredlungsproduktion durch rasch wirkende Gleitzölle hin. Das Absinken der Preise führe zu einer Extensivierung der Betriebe. Im Osten ständen bereits 4000 Landarbeiterwohnungen frei. Die Bewegung würde sich fortsetzen, wenn es nicht gelänge, den Unterschied zwischen dem Preisniveau ländlicher Erzeugnisse und dem der Waren auszugleichen, die der Landwirt benötigt.

Der Reichskanzler hielt es hierzu für geboten, die Spanne des Zwischenhandels zu senken. Die Zölle könnten zwar einige Jahre in der bisherigen Höhe aufrechterhalten werden, würden aber die Schwierigkeiten auf die Dauer nicht beseitigen können. Bei aller Anerkennung der Leistungen der Genossenschaften ergeben sich Mängel hinsichtlich der Zinsbildung. Das Zinsproblem müsse im Zusammenhange angegriffen werden. Das Geld werde jetzt künstlich verteuert. Dabei sei mit einer weiteren Verknappung der Auslandsgelder zu rechnen. Die Vereinigten Staaten hätten selbst zunehmenden Geldbedarf.

[807] Auf Wunsch des Reichskanzlers gab Professor Warmbold eine eingehende Darstellung der weltwirtschaftlichen Verflechtung der Landwirtschaft und der Zukunftsaussichten der deutschen Agrarerzeugung. Er brachte dabei im wesentlichen die Gedanken zur Geltung, die in seiner Denkschrift niedergelegt sind1.

1

Die Denkschrift Prof. Warmbolds „Material zur deutschen Agrarfrage“ beschäftigte sich mit den denkbaren wirtschaftspolitischen Möglichkeiten, die die RReg. besaß, um der dt. Landwirtschaft – angesichts der weltweiten Überproduktion agrarischer Erzeugnisse – den notwendigen erforderlichen Schutz zu gewähren. Die RReg. konnte nach Warmbolds Ansicht entweder ein Vollmonopol für den Handel mit in- und ausländischen Agrarerzeugnissen schaffen oder, mit gewissen Modifikationen, die bisherige Landwirtschaftspolitik fortführen. Für den Fall einer Fortführung der bisherigen Agrarpolitik hatte Warmbold eine Reihe von Vorschlägen zur Bekämpfung der Krise in der Landwirtschaft gemacht: Die inländische landwirtschaftliche Erzeugung dürfe den dt. Bedarf nicht decken. Das System der beweglichen Zölle müsse, um den Inlandspreis in gewünschtem Maße vom Weltmarktpreis abzusetzen, durch Maßnahmen der Qualitätsbezahlung, der Standardisierung, der Verbesserung der Absatzorganisation und durch den Zwang zur Verwendung inländischer Erzeugnisse ergänzt werden. Die aus der Vorkriegszeit stammende Tendenz, die Produktion ohne genügende Beachtung der Produktionskosten zu erhöhen, sollte aufgegeben werden, da die Produktionskostensenkung wichtiger als die Produktionskostenvermehrung sei. Kulturflächen, auf denen die Ernteerhöhung mit fallenden Kosten unmöglich sei, sollten entweder stillgelegt oder auf andere Kulturen umgelegt werden, bei denen die Produktionskosten gesenkt werden könnten (R 43 I /2546 , Bl. 5–46; die Denkschrift war bei der Rkei am 26.1.31 eingegangen. Eine kurze Würdigung von Feßler vom 27. 1. in R 43 I /2546 , Bl. 3).

Nach seiner Auffassung wird der Westen der Vereinigten Staaten seine Agrarerzeugung noch ausdehnen können. Auch in Argentinien bieten sich noch in dieser Richtung Möglichkeiten, durch vermehrte Anwendung des Mähdreschers. Verbrauch und Erzeugung würde sich vorläufig auch wohl noch weiter wie 105 zu 115 verhalten, allerdings werde der Preisdruck vom Westen der Vereinigten Staaten auf den Osten, der bereits zur Stillegung zahlreicher Betriebe geführt habe, im Osten eine wesentliche Produktionsverringerung zur Folge haben. Auch in den anderen Ländern, in denen die Agrarproduktion mit Verlust arbeite, werde sich eine Einschränkung in absehbarer Zeit auswirken. Dann würden die Preise wieder anziehen.

Zur Zeit seien die Preise der Veredlungsproduktion der Landwirtschaft in geringerem Maße gefallen als die Getreide- und Futtermittelpreise. Daraus ergebe sich eine rasche Steigerung der Veredlungserzeugung. Sie werde sich in sinkenden Preisen auswirken.

Die deutsche agrarische Erzeugung sei größer als allgemein angenommen werde. Wenn sie weiter steige wie bisher, so werde der Bedarf bald überschritten sein. Dann würde das bisherige System der Schutzmaßnahmen gegen die Auslandskonkurrenz nicht mehr wirken.

Deswegen sei nicht die volle Befriedigung des Inlandsbedarfs anzustreben, wenn nicht zwangsläufig ein Monopol für die landwirtschaftliche Produktion herbeigeführt werden soll. Es sei besser, die Zahl der Milchkühe, die 10 Millionen betrage, nicht zu steigern, wohl aber ihre Durchschnittsleistungen, die durch Verfütterung von Ölkuchen und durch bessere Zuchtwahl rasch bis an die Aufnahmefähigkeit der deutschen Märkte getrieben werden können.

Der Anbau von Roggen auf sandigen und trockenen Böden belaste die Gesamtbilanz erheblich. Sie müßten insbesondere im Osten aufgeforstet oder als Schafweiden verwendet werden. Auch die Getreideproduktion auf nassen und[808] schweren Böden sei verlustreich. Sie müßte auf Grünland umgestellt werden. Beschleunigung sei geboten. Die Steigerung der Waldflächen würde in 30–40 Jahren ihre Vorteile zeigen, dann sei mit drückendem Holzmangel zu rechnen.

Er schätze die trockenen Böden, die aus der Getreideproduktion herausgenommen werden müßten, auf 1 Million Hektar. Die Roggenproduktion würde dann um 500 000 t zurückgehen.

Die unsichere Lage der Veredlungsproduktion führe zu Überlegungen, ob bewegliche Zölle auch für sie eingeführt werden müßten. In der Getreidewirtschaft hätten sie sich bewährt.

Die russischen Verhältnisse seien unübersichtlich. Sie würden nicht von Wirtschaftsgesetzen, sondern durch politischen Zwang bestimmt. Würde die Ausfuhr dorther gesteigert, so würden die Unruhemomente auf dem Weltmarkte zunehmen.

Zur Frage eines Monopols für agrarische Erzeugnisse erklärte Präsident Brandes, es würde nicht erheblich höheren Nutzeffekt haben als die bisherigen Maßnahmen, wohl aber ein ungeheueres Betriebskapital erfordern, das weit über eine halbe Milliarde betragen müsse, allein um die Ernte einigermaßen aufzunehmen. Deswegen könne er sich nicht für ein Monopol aussprechen. Ähnlich äußerte sich Graf Kalckreuth, der dafür eintrat, daß an der Börse im Herbst bereits Terminhandel bis zur nächsten Ernte ermöglicht würde.

Auch der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hielt die Maßnahmen, die bisher getroffen worden seien, für ähnlich wirksam wie ein Monopol. Die Anbauverhältnisse hätten sich bereits stark umgestellt, er rechne für 1931/32 nur noch mit 6½ Millionen t Roggen2. Auch die Hafererzeugung müsse auf Gerste oder andere Pflanzen umgestellt werden. Notwendig sei ein Generalbebauungsplan. Er bat unter Zustimmung des Reichskanzlers, daß die Spitzenorganisationen der Landwirtschaft alsbald eingehende Erörterungen darüber anstellen sollten, wie dieser Generalbebauungsplan auszugestalten und durchzuführen sei.

2

1931 wurden im Dt. Reich 6 680 003 t Roggen gegenüber 7 679 160 t im Jahre 1930 geerntet (Stat. Jb. für das Dt. Reich 51 (1932) S. 62).

Reichsminister a. D. Hermes schilderte eingehend die Maßnahmen der Selbsthilfe, die von Genossenschaften getroffen worden seien. Förderung des Unterrichtes und der Allgemeinbildung der jungen Bauernbevölkerung, Zollmaßnahmen zur Unterstützung der Selbsthilfebestrebungen der Landwirtschaft seien geboten.

Die Absatzorganisationen der Genossenschaften seien allerdings noch in den Anfängen. Aber in der Qualitätserzeugung seien bereits Fortschritte gemacht. Es sei ein Vorsprung des Auslandes von 15–20 Jahren einzuholen.

Die starke Zersplitterung des Genossenschaftswesens sei in der Spitze durch eine Einheitsorganisation ersetzt worden3. Sie habe in der Erfassung des Getreides und seinen Verkauf bereits wesentliche Fortschritte gemacht. Das[809] gleiche gelte in der Geflügelzucht und Eierverwertung, im Obst- und Gemüsebau sowie in der Milchwirtschaft. Der Revisionsfrage werde erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet.

3

Der Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften – Raiffeisen e. V. war am 13.2.30 von den Genossenschaften des Raiffeisenverbandes, des RLB, der Christlichen Bauernvereine und der Dt. Bauernschaft gegründet worden (Barmeyer, Andreas Hermes und die Organisationen der deutschen Landwirtschaft, S. 141).

Im Kreditwesen lägen Mängel vor. Die Zinshöhe erkläre sich aber aus den hohen Habenzinsen, die auf die Verzinsung mündelsicherer Papiere mit 8 bis 14% bei Kommunalanleihen Rücksicht nehmen müsse. Die Zusammenarbeit mit den Sparkassen und anderen Kreditanstalten könne sowohl durch das Zinsabkommen, mehr aber noch durch Vereinbarungen über den Besitzstand gefördert werden. Auf die Genossenschaften werde ein unzulässiger Druck ausgeübt zugunsten der Sparkassen.

Die Einzelfragen sollen unter Zuziehung der Preußenkasse behandelt werden.

Es bestand Einverständnis darüber, daß das System der labilen Zölle fortgeführt und auch die Magazinierung weiter erfolgen solle. Einwirkungen auf stärkeren Verbrauch von Getreide, Einfuhrscheine nach Zweckmäßigkeit, Zölle für Leguminosen sollen bei Fortsetzung der Verhandlungen dem Reichskanzler vorgeschlagen werden, der inzwischen die Sitzung verlassen hatte.

Die Verhandlungen werden am 29. Januar vormittags 9 Uhr fortgesetzt werden4.

4

S. Dok. Nr. 228.

Extras (Fußzeile):