1.10.1 (bru2p): Ergebnis der Reise der Vertreter der deutschen Industrie nach Rußland.

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Ergebnis der Reise der Vertreter der deutschen Industrie nach Rußland1.

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Vgl. Dok. Nr. 259. Das AA rechnete mit einem Gesamtobligo der dt. Industrie für Rußlandgeschäfte von mindestens 600 Mio RM. Für 1931 seien russische Aufträge von 150 bis 200 Mio RM zu erwarten; kämen die von den Industriellen gewünschten Sonderbestellungen hinzu, erhöhe sich das Gesamtobligo auf 1,1 Mrd. RM. Dies würde die Garantiesumme von Reich und Ländern von bisher 400 Mio RM auf 750 Mio RM erhöhen. Das AA wies auch auf die schwierige Lage des sowjetischen Außenhandels hin, da mehrere westliche Staaten die Einfuhr russischer Waren wegen der sowjetischen Dumpingpreise verboten hätten (Aufzeichnung des MinDirig. Meyer in R 43 I /139 , Bl. 283–284).

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg berechnete das gesamte volkswirtschaftliche Obligo der Russen nach Abschluß der geplanten Verträge mit rund 1 Milliarde Mark. Es setzt sich aus

500

Millionen von früheren Abschlüssen,

300

Millionen der geplanten Abschlüsse,

200

Millionen der weiter geplanten Abschlüsse,

50

Millionen Schiffslieferungen,

30–40

Millionen Eisenbahnmaterial

zusammen. Zahlungen aus früheren Geschäften sind abgezogen.

Das Reich hat bisher 40%, die Länder haben 30% garantiert.

Die Garantie sei in diesem Falle notwendig und berechtigt, weil den privatwirtschaftlichen Unternehmungen ein staatskapitalistischer Betrieb gegenüberstände. Das Risiko sei für die privaten Unternehmungen allein nicht zu tragen.

Es frage sich, ob das Reich sie leisten könne, ohne daß der Wert der Reichsgarantie vermindert würde. Jetzt bereits machten sich Anzeichen dafür bemerkbar. Deswegen würde die Erweiterung der Garantie nur möglich sein, wenn ein Prämienreservefonds gebildet würde in Anlehnung an das Verfahren privater Versicherungsunternehmungen. Auch dann aber würde die Finanzierung noch schwierig sein. Sie würde allerdings dadurch erleichtert, daß die Russen Anzahlungen in Wechseln leisteten. Diese Tatsache und die raschere Zahlung von Zinsen wögen nach Ansicht der beteiligten Ressorts die Verlängerung der Zahlungsfristen auf.

Neben der außenpolitischen Wirkung des Abschlusses werde zu prüfen sein, wie sich die vermehrten Bestellungen und Zahlungen auf die europäische und insbesondere die deutsche Wirtschaft auswirken würden. Der Druck auf die russische Ausfuhr würde außerordentlich verstärkt.

Vor schematischer Berechnung der zusätzlichen Arbeitsbeschaffung – etwa 4000 RM Aufträge = 1 Arbeiter im Jahre – müsse gewarnt werden. Würde es sich um Inanspruchnahme in Deutschland bereits vorhandener Finanzierungsmöglichkeiten handeln, so würden andere Unternehmungen entsprechend zurückgedrängt und die Beschäftigung nicht erweitert, sondern nur umgruppiert werden. Werde es möglich sein, auch zusätzliche Finanzierung durchzuführen, so würde auch der Arbeitsmarkt entsprechend entlastet werden.

Abschließend werde mit den Industrievertretern noch nicht verhandelt werden können. Der Gefahrenpunkt sei nicht Abschluß mit Rußland, sondern mit dem gegenwärtigen Regime. Auf lange Sicht werde Rußland stets mit seinen 160 Millionen Einwohnern und den außerordentlich großen natürlichen Reichtümern ein sicherer Vertragsgegner sein. Das gegenwärtige System werde nach sachverständigem Urteil mit etwa 20% Fehlinvestitionen zu rechnen haben, ein Prozentsatz, der nach anderen Erfahrungen nicht übermäßig hoch erscheine.

Staatssekretär WeismannWeismann erklärte für den Preußischen Ministerpräsidenten, daß dieser für seine Person eine Garantieübernahme mit aller Entschiedenheit ablehne2. Sie könne bei der schwierigen Finanzlage Preußens nicht getragen[950] werden, was übrigens auch nach seiner Auffassung im Reich zutreffe. Die Privatindustrie müsse das Risiko allein übernehmen. Die günstigen Schilderungen der russischen Verhältnisse in letzter Zeit ließen den Schluß zu, daß eine Garantieübernahme nicht nötig sei oder das anerkennende Urteil, wenn sie gefährdet würde, nicht in vollem Maße zuträfe. Auf eine Frage des Reichsministers des Auswärtigen erwiderte er, Preußen habe bisher gegen Rußland eine Garantie in Höhe von 130 Millionen M übernommen. Rußland scheine stark auszuverkaufen. Es hätte für 10 Millionen Dollar Bilder nach den Vereinigten Staaten verkauft, auch die russische Staatsbibliothek verkaufe wertvolle Bücher. Das sei kein gutes Zeichen.

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ORegR Planck hatte am 14.3.31 vermerkt, der PrMinPräs. sei auf das entschiedenste gegen jede erweiterte Garantie für neue Aufträge. Preußen werde sich keinesfalls an einer solchen Garantie beteiligen (R 43 I /139 , Bl. 289).

Ministerialrat SommerSommer erklärte für den Preußischen Handelsminister, daß er von dieser Auffassung abweiche, und daß ein Ausgleich innerhalb des Preußischen Staatsministeriums nötig sein werde.

Der Reichsminister des Auswärtigen wies noch darauf hin, daß bei einer früheren Garantieübernahme mit einer entsprechenden Mehreinstellung von Arbeitern gerechnet worden sei. Auch die Amerikaner gewährten den Russen langfristige Kredite. Sie würden das Geschäft statt der deutschen Firmen machen. Auf eine Frage des Reichskanzlers führte der Reichsbankpräsident aus, daß die Zahlungsfähigkeit der Russischen Regierung nicht einwandfrei festgestellt werden könne. Die Stimmung sei günstig, aber die Lage der russischen Landwirtschaft sei eher beunruhigend. Bedenklich sei, daß Rußland für das Geschäft keine Anzahlungen in Gold leiste.

Nachdem die Industrievertreter erschienen waren, wurde die Aussprache fortgesetzt.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg stellte vier Fragen:

1.

Sind die Bedingungen, die in Rußland vereinbart wurden, unabänderlich?

2.

Wie werden die Aussichten des Fünfjahresplans beurteilt und das Risiko, das beim Abschluß von Verträgen mit den gegenwärtigen Machthabern besteht?

3.

Auf welchem Wege sollen die Verbindlichkeiten abgedeckt werden, insbesondere durch die Ausfuhr welcher Waren? Wo ist die Unterbringung zu erwarten?

4.

Können die Prämiensätze der Industrie von 2,1% erhöht werden?

Geheimrat KlöcknerKlöckner bejahte die erste Frage. Es sei sehr schwer gewesen, die Bedingungen zu erreichen. Sie seien günstiger als die des alten Abkommens. Über einige Modalitäten müßte zwar noch weiterverhandelt werden. Die grundsätzlichen Vereinbarungen könnten von der Industriekommission nicht nochmals zum Gegenstand von Besprechungen gemacht werden, weil sie zugesagt hätten, sich für ihre Annahme einzusetzen.

Die Eindrücke, die auf der Reise gesammelt worden seien, seien wesentlich günstiger, als zunächst erwartet worden sei. Im Lande herrsche Ordnung; die Führer seien von außerordentlicher Energie, die Armee in gutem Stande. Die Industrievertreter hätten die Überzeugung gewonnen, daß die Russen zahlen würden. Insbesondere die Aussichten auf starke Steigerung der Ölproduktion seien sehr groß. Die wesentliche Gefahr bestehe in der Möglichkeit, daß[951] das Ausland sich gegen russische Waren absperre. Das sei aber wohl kaum zu erwarten, weil alle Länder sich das Geschäft nicht entgehen lassen wollten.

Eine Erhöhung der Prämiensätze komme für die Eisenerzeugung nicht in Frage. Die Lieferung von 600 000 t sei ein Verlustgeschäft in Höhe von etwa 15 Millionen. Die Konkurrenz der anderen Länder zwinge zu niedrigerer Preisstellung. Es werde lediglich im Interesse der Arbeiterschaft abgeschlossen. Ob die Eisenverarbeitung, deren Lieferung etwa 240 Millionen betrage, eine Prämienerhöhung tragen könne, sei fraglich. Die Reichsgarantie sei für die Industrie eine Beruhigung; ohne sie könne das Risiko nicht getragen werden. Es bestehe immer noch in so starkem Maße, daß die Existenz der Betriebe davon abhängig sei. Sonst würden Stillegungen in Frage kommen. Übrigens könne auch die Reichsgarantie notleidend werden. Die Industrie unterzeichne die Wechsel. Das Ausland würde sie eher rediskontieren, als deutsche öffentliche Anleihen aufnehmen. Es handele sich also um zusätzliche Finanzierung und zusätzliche Arbeitsgelegenheit.

Auf Frage des Reichsministers des Auswärtigen führte er noch aus, die Russen könnten keine Anzahlungen in bar leisten. Sie hätten hohe Verpflichtungen übernommen und deren Deckung genau vorausberechnet. Die 300 Millionen aus alten Verträgen seien bar gezahlt worden. Auch Italien habe weitgehende Kredite gewährt, für Schiffslieferungen fünf Jahre. Voraussichtlich werde auch da der Staat eine Garantie übernommen haben.

Die Amerikaner hätten ebenfalls lange Kreditfristen. Die letzten Zahlungen würden besonders weit hinausgeschoben. Es handele sich um sehr große Objekte, beispielsweise eine Traktorenfabrik im Werte von 200 Millionen Dollar.

Die Generaldirektoren KöttgenKöttgen, ReuterReuter und PoensgenPoensgen erläuterten die Ausführungen weiter. Amerika habe in der Elektrotechnik größere Aufträge übernommen. Im Durchschnitt seien die Zahlungsfristen dieselben wie in Deutschland.

Nach den Erklärungen der Russen kämen jetzt Abschlüsse mit Deutschland mehr in Frage als mit den Vereinigten Staaten, weil es sich jetzt um Einzelausführungen, nicht mehr um Massenwaren handele. Für die Einrichtung von Hütten käme nur Deutschland in Betracht. Würden die Bedingungen nicht angenommen, so würden zwar weitere Bestellungen gemacht, aber nicht in dem vorgesehenen Maße.

Die Auftragsbestände in Deutschland seien erschreckend zurückgegangen. Sie seien um 50% geringer als im Vormonat. Die Reichsbahn habe statt 40 000 bis 45 000 t nur 20 000 t bestellt. Die Preise seien sehr stark gesunken. Es bestehe die Gefahr, daß die größten Hütten in zwei bis drei Monaten zum Erliegen kämen. Mit einer Beschäftigung von 60% der Produktionskapazität werde bei Hereinnahme der Russenaufträge gerechnet.

Die Löhne und Gesamtkosten müßten im Westen um mindestens 20% gesenkt werden, wenn die Stillegung ohne Russenaufträge vermieden werden sollte.

[952] Der Reichsarbeitsminister erklärte, es sei Anweisung ergangen, daß die Löhne der Bauhandwerker mindestens um 10% gesenkt werden sollten. Im Inlande könnte auch ein Arbeitsprogramm in Höhe von 1½ Milliarden aufgestellt werden. Allein die Eisenbahn brauche für 1 Million t Eisen. Es handele sich nur um die Finanzierung.

Auf eine Anfrage des Reichsministers des Auswärtigen wegen der Unterbringung der Russenwechsel erklärte Geheimrat KlöcknerKlöckner, daß zunächst die Entscheidung des Reichs abgewartet werde, bevor mit den Banken Fühlung genommen werde. Nach vorsichtiger Feststellung hätten die Berliner Banken die Ansicht vertreten, daß das Geschäft abgeschlossen werden müßte. Sie würden zwar keine Globalkredite geben, die Geschäfte aber im einzelnen wohl finanzieren.

Der Reichskanzler sagte zu, daß die Stellungnahme der Länder alsbald herbeigeführt und die gesamte außenpolitische Lage einer eingehenden Prüfung unterzogen würde. Die Entscheidung der Reichsregierung werde bis Ende der laufenden Woche getroffen werden3.

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Zu den weiteren Beratungen des Kabinetts über das Russengeschäft s. Dok. Nr. 268.

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