1.103.1 (bru2p): Abänderungsmöglichkeiten der Notverordnung vom 5. Juni 1931.

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Abänderungsmöglichkeiten der Notverordnung vom 5. Juni 1931.

Auf Wunsch des Reichskanzlers führte zunächst der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen die Hauptstreitpunkte in seinem Geschäftsbereich auf.

a)

Kinderzulage der Beamten1.

Verlangt werde von vielen Seiten Wiederherstellung des Zustandes vor der Notverordnung2. Hier könne man nach seiner Ansicht nicht nachgeben.

b)

[1270] Beseitigung der differenzierten Behandlung bei den Abzügen der Sonderklasse und der Ortsklasse A im Vergleich zu den Ortsklassen B–D3. Es sei vielleicht möglich, hier den Wünschen entgegenzukommen4.

c)

Änderung der Krisensteuer5.

1

Anstelle des einheitlichen Kinderzuschlags von 20 RM (§ 14 des Besoldungsgesetzes vom 16.12.27, RGBl. I, S. 351 ) war durch die NotVO eine Staffelung, von 10 RM für das erste Kind bis zu 30 RM für das fünfte und jedes weitere Kind, getreten (NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kapitel I, § 4, RGBl. I, S.283 ).

2

Gegen die Kürzung der Kinderzulage hatten der Allgemeine Dt. Beamtenbund (Schreiben vom 25.6.31, R 43 I /2370 , Bl. 166–171, hier Bl. 169) und der Bund republikanischer Beamter (Schreiben vom 29.6.31, R 43 I /2370 , Bl. 194–195) protestiert.

3

Die Kürzungen der Beamtenbezüge waren für die Ortsklassen B–D um jeweils 1% höher als für die Sonderklasse und die Ortsklasse A (NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kapitel I, § 2, RGBl. I, S. 282 ).

4

Vgl. dazu die Forderungen des Allgemeinen Dt. Beamtenbundes (Schreiben vom 25.6.31, R 43 I /2370 , Bl. 166–171, hier Bl. 166) und des Bundes republikanischer Beamten (Schreiben vom 29.6.31, R 43 I /2370 , Bl. 194–195).

5

NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel III (RGBl. I, S. 298 –300).

Die Sozialdemokratie verlange die Heranziehung der veranlagten Einkommensempfänger zu den Sätzen der Krisenlohnsteuer6 und rechne mit einem Steuerertrage von rund 120 Millionen RM für 1931.

6

Die Lohn- und Gehaltsempfänger waren durch die Krisensteuer stärker belastet als die Selbständigen (vgl. § 5 mit § 11 des 3. Teils, Kapitel III der NotVO vom 5.6.31, RGBl. I, S. 298 –300). Zur Forderung der SPD vgl. auch Dok. Nr. 374.

Ferner wünsche die Sozialdemokratie die Heranziehung der Körperschaften zur Krisensteuer und berechne, daß eine Belastung in Höhe von nur 2% ungefähr 40 Millionen RM einbringen werde.

Nach seiner Ansicht müsse man hier noch nähere Unterlagen von der Sozialdemokratie verlangen, insbesondere für ihre Berechnung des Steuerertrages. Grundsätzlich stehe er diesen Wünschen ablehnend gegenüber.

d)

Beseitigung des Subventionsfonds in einem Teil der Krisensteuer.

Die Sozialdemokratie wende sich dagegen, daß ein Teil der Krisensteuer in Wahrheit nicht lediglich zur Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten verwendet werden solle7, sondern als reine Subvention zugewendet werde. Das gelte vor allem für die 35–40 Millionen RM, die dem Steinkohlenbergbau zugute kommen sollten.

7

NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel III, § 1, Abs. 1 (RGBl. I, S. 298 ).

e)

Erhöhung der steuerfreien Einkommensgrenze der Landwirtschaft auf 6000 RM8.

8

Die Einkommensteuerfreigrenze für die Landwirtschaft war bereits durch die NotVO vom 1.12.30 auf 6000 RM festgesetzt worden (RGBl. 1930 I, S. 575 ).

Auch diese Forderung werde von der Sozialdemokratie vertreten, die er jedoch energisch ablehnen müsse, weil andernfalls die Landwirtschaft völlig zusammenbrechen würde.

Sodann trug der Reichsarbeitsminister die Hauptstreitpunkte zur Notverordnung vom 5. Juni aus seinem Geschäftsbereich vor.

a)

Einbeziehung der Jugendlichen unter 21 Jahre in die Erwerbslosenfürsorge9.

9

Im 3. Teil, Kapitel I, Artikel 1, Nr. 2 der NotVO vom 5.6.31 (RGBl. I, S. 293 ) war das Alter, das zum Bezug der Arbeitslosenunterstützung berechtigte, vom 16. auf das 21. Lebensjahr heraufgesetzt worden.

Diese Sache sei nicht mehr so aktuell wie noch vor kurzem. Die Sozialdemokratie wünsche, daß die Jugendlichen unter 21 Jahren wie die Frauen behandelt würden10. In Wirklichkeit würden sie jedoch in einer Reihe von Fällen[1271] besser behandelt als die Frauen. Die oben angegebene Forderung sei deshalb auch in letzter Zeit verstummt11.

10

Verheirateten Frauen wurde die Unterstützung nur nach einer Bedürftigkeitsprüfung gewährt (3. Teil, Kapitel I, Artikel 1, Nr. 15 der NotVO vom 5.6.31, RGBl. I, S. 294 ).

11

Gegen den Ausschluß der Jugendlichen unter 21 Jahren aus der ALV hatten sich auch der Gewerkschaftsbund der Angestellten (Schreiben vom 2.7.31, R 43 I /2370 , Bl. 253–262, hier Bl. 256 f.) und der Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften (Schreiben vom 4.7.31, R 43 I /2370 , Bl. 265–280, hier Bl. 270 f.) ausgesprochen.

b)

Gewährung der Unterstützungssätze der Krisenfürsorge an die Saisonarbeiter im SommerSommer12.

12

Nach der Bestimmung der NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel I, Artikel 1, Nr. 9 (RGBl. I, S. 293 ) betrug die Höchstdauer der Arbeitslosenunterstützung für Saisonarbeiter 20 Wochen.

Diese Bestimmung werde von verschiedenen Seiten sehr angegriffen. Man weise u. a. darauf hin, daß das Baugewerbe auch im Sommer in den nächsten Jahren keine Belebung erfahren werde, die Bauarbeiter hierfür jedoch nicht verantwortlich gemacht werden könnten13. Wenn man jedoch dem Saisonarbeiter im Sommer die Unterstützungssätze der Erwerbslosenfürsorge gebe, müsse eine Mehrausgabe von ungefähr 88 Millionen RM entstehen, für die keine Deckung vorhanden sei.

13

Ähnlich argumentierte der Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften in seinem Schreiben vom 4.7.31 (R 43 I /2370 , Bl. 265–280, hier Bl. 268).

c)

Ausgleich von Härten bei den Kriegsbeschädigten.

Die Renten der Kriegsbeschädigten seien bei den bis zu 90% Kriegsbeschädigten gekürzt worden. Wenn diese nun gleichzeitig Beamte seien, so hätten sie sowohl eine Kürzung ihrer Rente als auch eine Kürzung ihrer Gehälter erfahren14. Ein Beamter, der 90% kriegsbeschädigt sei, sei deshalb pekuniär durch die Notverordnung v. 5. 6. unverhältnismäßig schlechter gestellt worden als ein 100% Kriegsbeschädigter. Es lasse sich nicht leugnen, daß hier gewisse Härten vorhanden seien, die unschwer ausgeglichen werden könnten15. Den erforderlichen Mehraufwand schätze er auf 5 Millionen RM.

14

Vgl. die NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kapitel IV, Artikel 1, Nr. 20 (RGBl. I, S. 287 ).

15

Gegen die Kürzung der Kriegsopferrenten hatten der Bund republikanischer Beamter (Schreiben vom 29.6.31, R 43 I /2370 , Bl. 194–195), der Verband der Kriegsbeschädiggten und Kriegshinterbliebenen im „Kyffhäuser“-Verband (Schreiben vom 19.6.31, R 43 I /2370 , Bl. 207–210; Schreiben vom 29.6.31, a.a.O., Bl. 228) und der Gewerkschaftsbund der Angestellten (Schreiben vom 2.7.31, R 43 I /2370 , Bl. 253–262, hier Bl. 258) protestiert. MinR Wienstein vermerkte am 8.7.31, das RArbMin. beabsichtige, die derzeit geltende Bestimmung, nach der ein schwerkriegsbeschädigter Beamter nur noch 3/10 seiner Versorgungsgebührnisse erhalte, dahingehend zu ändern, daß dieser Satz auf 5/10 erhöht werden solle (R 43 I /2370 , Bl. 236).

d)

Senkung der Löhne der Gemeindearbeiter.

Er, der Reichsarbeitsminister, halte es für unbedingt geboten, die Löhne der Gemeindearbeiter den Löhnen der Arbeiter des Reichs und der Länder anzupassen16. Die Gemeindearbeiter bereiteten hier die größten Schwierigkeiten, trotzdem sie seinerzeit stark auf eine Senkung der Beamtenbezüge der Gemeindebeamten gedrängt hätten. Eine allmähliche Senkung der Löhne der Gemeindearbeiter halte er für unbedingt geboten. Die Notverordnung vom 5. Juni 1931 werde hierdurch jedoch nicht betroffen.

16

Vgl. 2. Teil, Kapitel I, §§ 5–7 der NotVO vom 5.6.31 (RGBl. I, S. 283 ); nach § 7 sollten auch die Löhne der Gemeindearbeiter gekürzt werden.

[1272] Im übrigen betonte der Reichsarbeitsminister, daß es sich vor allem um politische Entscheidungen handle.

Der Reichskanzler bat, die in der heutigen Besprechung vorgetragenen Wünsche und Möglichkeiten einer Abänderung der Notverordnung v. 5. VI. 1931 schriftlich zu formulieren und ihm zu übersenden.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen sowie der Reichsarbeitsminister sagten alsbaldige Übersendung zu17.

17

Der RArbM übersandte dem RK am 3.7.31 eine Aufzeichnung, in der die in das Ressort des RArbMin. fallenden strittigen Punkte der NotVO noch einmal zusammengefaßt waren. Zur Sanierung der ALV sah der RArbM drei Alternativen: 1. die für die ALV nicht geeigneten Gruppen und Gewerbe (Jugendliche, verheiratete Frauen, Heimarbeiter, Saisonarbeiter) würden anders behandelt als die übrigen Versicherten; oder: 2. die für die ALV ungeeigneten Gruppen und Gewerbe schieden aus ihr aus; oder: 3. anstelle der ALV würde eine allgemeine Erwerbslosenfürsorge, „praktisch die veredelte Armenpflege“, eingeführt, wonach Arbeitslose nur nach einer Bedürftigkeitsprüfung unterstützt würden. Im übrigen erörterte der RArbM Probleme, die er bereits in dieser Chefbesprechung behandelt hatte (R 43 I /2370 , Bl. 282–287).

Der Reichskanzler nahm ferner eine baldige weitere Besprechung über die Angelegenheit in Aussicht18.

18

Zu den Änderungen der NotVO vom 5.6.31 vgl. den 1. Teil der NotVO vom 6.10.31 (RGBl. I, S. 538 –541).

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