1.107.1 (bru2p): Angelegenheit „Nordwolle“

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Angelegenheit „Nordwolle“

Im Anschluß an die heutige Reparationsbesprechung1 kam der Reichsminister der Finanzen auch auf die Frage des Unternehmens „Nordwolle“ zu sprechen und teilte mit, daß nach den ihm gewordenen Auskünften ein Betrag von 80 Millionen RM zu decken sei2.

1

S. Dok. Nr. 358.

2

Vgl. Dok. Nr. 357.

Reichsbankpräsident Dr. LutherLuther führte aus, daß im Fall der „Nordwolle“ etwas geschehen müsse. Was den Fall „Nordwolle“ so schwer mache, ist das Versagen der Wirtschaft. Der Zusammenbruch dieses Unternehmens werde die Stadt Bremen mit ihren gesamten Firmen mit sich reißen. Dazu komme noch die Frage der Arbeiter. Ein großer Teil der Arbeiter werde brotlos werden. Allerdings werde dieser Punkt nicht im Vordergrund stehen, da vielleicht eine gewisse Anzahl der Arbeiter wieder untergebracht werden könne3. Er habe[1279] inzwischen eine Besprechung mit den vier Großbanken4 gehabt. Diese Besprechung habe zu der Feststellung geführt, daß die Situation bei der „Nordwolle“ zu retten sei, wenn ein Betrag von 50 Millionen RM hineinkomme. Er habe in einer sehr ernsten Aussprache mit den Führern der Banken klargelegt, daß dieser Betrag nicht à fonds perdu gegeben werden könne. Die Banken müßten in irgendeiner Form den Betrag später wieder zurückerstatten. Die Banken hätten sich hierzu auch bereit erklärt. Der Sanierungsplan gehe nun dahin: Das Reich solle mit 50 Millionen ein neues Aktienkapital schaffen. 40 Millionen RM würden dazu dienen, um den Ausländern einen Teil des Verlustes abzunehmen. Der Rest werde neues Betriebskapital sein. Durch diese Sanierung würden die Dresdner und Danat-Bank eine wesentliche Erleichterung erfahren.

3

Vgl. dazu Schäffers Stichworte über Luthers Darlegung: „Die arbeitslos werdenden Personen sind nicht entscheidend. Das Entscheidende liegt im Kredit. Ausländische Kredite und Rembourskredite der Nordwolle“ (IfZ, ED 93, Tagebuch Schäffer, Eintragung vom 3.7.31, Bd. 11, Bl. 301).

4

Commerz- und Privatbank AG, Darmstädter und Nationalbank KGaA, Deutsche Bank, Dresdner Bank.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg bemerkte, daß er bereits in der letzten Besprechung grundsätzlichen Bedenken Ausdruck gegeben habe5. Da aber das Ausmaß unübersehbar sei, wenn ein solcher Zusammenbruch erfolge, so wolle er diese Bedenken zurückstellen. An dem Sanierungsplan gefalle ihm nicht, daß das Reich Aktionär werde. Seiner Meinung nach müsse ein Ausweg über ein Konsortium gefunden werden. Es müsse unbedingt angestrebt werden, daß die Leitung des Konsortiums in privater Hand bleibe. Die Sanierung des Unternehmens „Nordwolle“ könne man damit auch begründen, daß der Zusammenbruch des Unternehmens die gegenwärtigen Pariser Verhandlungen6 erheblich stören werde. Er habe auch inzwischen mit Herrn Wassermann7 über die Dinge gesprochen. Herr Direktor Wassermann habe sich gegen eine Aktienreform gewandt mit der Bemerkung, daß eine solche Reform zur Zeit neue Unruhe mit sich bringe. Er, Staatssekretär Dr. Trendelenburg, habe einen anderen Standpunkt in der Besprechung eingenommen, gebe aber zu, daß die Stellungnahme des Direktors Wassermann in dieser Frage beachtlich sei. Herr Direktor Wassermann habe die Idee geäußert, einen kleinen Kreis wirtschaftserfahrener Männer zusammenzuberufen, um die Wirtschaftslage zu erörtern. Er, Staatssekretär Dr. Trendelenburg, glaube, daß im Zusammenhang mit der Sanierung der „Nordwolle“ auf wirtschaftlichem Gebiete energische Maßnahmen ergriffen werden müssen. Er denke dabei an die Einsetzung einer sogenannten Wirtschaftskommission durch den Herrn Reichspräsidenten. Das Vertrauen könne nur in der Wirtschaft hergestellt werden, wenn etwas Energisches geschieht. Das Wirtschaftsgremium werde die gesamten Fragen der Wirtschaft zu erörtern haben und für die zu fassenden Maßnahmen moralisch die Verantwortung übernehmen müssen.

5

S. Dok. Nr. 353.

6

Vgl. Dok. Nr. 352, Anm. 1.

7

Oscar Wassermann, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank.

Der Reichskanzler führte aus, daß er mit Staatssekretär Joël über die Frage der Aktienreform gesprochen habe. Staatssekretär Joël habe ihm mitgeteilt, daß die Vorlage der Aktienreform in drei Wochen ins Kabinett zur Beratung kommen werde. Die Vorlage werde dann an den Reichsrat gehen. Er glaube, daß in all den Fällen, in denen die Leitung von wirtschaftlichen Unternehmungen[1280] Unregelmäßigkeiten, Betrug pp., begangen habe, durch Eingreifen des Staatsanwalts energisch vorgegangen werden müsse. Nur ein rücksichtsloses Durchgreifen in dieser Beziehung werde hier Hilfe schaffen und die Mißstände beseitigen. Diese Auffassung habe er auch mit allem Nachdruck Staatssekretär Joël gegenüber zum Ausdruck gebracht.

Im übrigen schlug der Reichskanzler vor, am morgigen Tage eine Ministerbesprechung über die einzelnen Fragen unter dem Worte: „Wirtschaftsprobleme“ abzuhalten8. Im Falle „Nordwolle“ teile er den Standpunkt des Reichsbankpräsidenten, daß etwas geschehen müsse.

8

S. Dok. Nr. 360.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß in dem Falle „Nordwolle“ nur seitens des Reichs geholfen werden könne, wenn die Großbanken und die Reichsbank sich bereit erklären würden, der durch die Hingabe von 50 Millionen RM entstehende Ausfall im Etat sowie die auftretenden finanziellen Schwierigkeiten mitbeseitigen zu helfen.

Der Reichskanzler bemerkte, daß er diese Auffassung teile. In der morgigen Ministerbesprechung könne weiter darüber gesprochen werden.

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