1.108.1 (bru2p): Wirtschaftsprobleme.

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Wirtschaftsprobleme.

I. AngelegenheitNordwolle#..“

Der Herr Reichskanzler stellte zunächst den Fall des Textilunternehmens „Nordwolle“ zur Erörterung. Er erklärte, daß eine schnelle Entscheidung dieser Angelegenheit unbedingt erforderlich wäre im Hinblick auf die ganze deutsche Kreditlage. Es liege die Gefahr weiterer hoher Devisenabzüge seitens des Auslandes vor, wenn das Unternehmen zusammenbreche. Die Entscheidung sei allerdings nach verschiedenen Richtungen sehr gefährlich. Er bat dann den Stellvertreter des Reichswirtschaftsministers, die Sachlage vorzutragen.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg schilderte die Lage des Unternehmens im allgemeinen, wie sie in den Besprechungen des Herrn Reichskanzlers mit den beteiligten Ressortministern am 1. und 3. Juli dargelegt worden war1[1281] […]. Er wies darauf hin, daß es sich um ein Unternehmen von ganz besonderer Bedeutung handele, an dem das Ausland finanziell sehr stark interessiert sei. Die Fabrikation des Unternehmens gehe herab bis zur Wollverarbeitung im Kleinen. Die Zahl der beschäftigten Arbeiter belaufe sich auf insgesamt 27 000. Er ging auf die Gründe der Schwierigkeiten ein und erwähnte die bedenklichen Geschäfte des Unternehmens in Südamerika2. Er stellte auch fest, daß die Schwierigkeiten zum Teil zurückzuführen seien auf ein Geschäftsgebaren, das sich jenseits des strafrechtlich Erlaubten bewegt habe. Es lägen u. a. zweifellos unrichtige Buchungen vor, z. B. von Forderungen an Tochterunternehmen bei der „Nordwolle“ als Bilanz-Aktiva, die bei den Tochtergesellschaften als Passiva nicht erschienen3. Der Fall habe aber für die ganze deutsche Wirtschaft dadurch eine ungewöhnliche Belastung, daß die deutschen Banken an der „Nordwolle“ so stark beteiligt wären4. Der Zusammenbruch der „Nordwolle“ würde daher eine Bankkrise zur Folge haben, deren Ausmaß sich gar nicht übersehen lasse. Obwohl er grundsätzlich vom allgemeinwirtschaftlichen Standpunkt gegen Subventionen eingestellt sei, müsse er unter diesen Umständen es doch für besser halten, das kleinere Unglück bei der „Nordwolle“ aufzufangen, als sich später einem viel größeren Schaden gegenüber zu sehen, der eine schwere Erschütterung des ganzen deutschen Kredits zur Folge haben würde und der dem Reich weit größere Opfer kosten würde. Es würde eine wirtschaftliche Katastrophe werden, wie sie auch international lange nicht erlebt worden sei.

1

S. Dok. Nr. 353 und Dok. Nr. 359.

2

Es war anhand der Akten der Rkei nicht festzustellen, um welche Art von Geschäften es sich handelte. Vgl. Dok. Nr. 353, Anm. 7.

3

Vgl. Dok. Nr. 353, Anm. 6. Am 17.7.31 wurden Carl und Heinz LahusenLahusen wegen des Verdachts des Konkursverbrechens und des Betrugs (Führung von Geheimkonten und Falschbuchungen) verhaftet (DAZ Nr. 323–324 vom 19.7.31).

4

Vgl. Dok. Nr. 353, Anm. 8.

Bezüglich der Finanzlage stellte er im einzelnen folgendes fest:

Die Verluste des Nordwolle-Konzerns beliefen sich nach den neueren Mitteilungen auf mindestens 200 Millionen RM5. Eine Sanierung erfordere einen Betrag von 50 Millionen RM, der als neues Aktienkapital einzubringen wäre.

5

Zur Zusammensetzung der „Nordwolle“-Verluste s. Dok. Nr. 357.

Als verloren hätten zu gelten:

1.

das Aktienkapital in Höhe von

75

Millionen RM,

2.

Reserven in Höhe von rd.

25

Millionen RM,

3.

Vorzugsaktien, die von einer Bremer Gruppe zu übernehmen sind, in Höhe von

30

Millionen RM,

4.

Forderungen der Banken, die im Wege des Nachlasses aufgegeben werden, in Höhe von

70

Millionen RM

insgesamt

200

Millionen RM.

Die Sanierung sei gedacht auf der Basis von 50% der gesamten Verbindlichkeiten. Die inländischen Gläubiger sollen für den ihnen verbleibenden Anteil von 50% stillhalten. Die ausländischen Gläubiger sollen in Höhe von 50% ausbezahlt[1282] werden. Dazu wäre eine Summe von 50 Millionen erforderlich. Das bisherige Aktienkapital solle dann im Verhältnis von 20 zu 1 zusammengelegt werden. Dadurch werde nach außen wenigstens vermieden, daß die Aktionäre vollständig leer ausgingen.

Bezüglich der Form der Reichshilfe durch Beschaffung der 50 Millionen sei zu beachten, daß nicht ein zweiter Fall Schichau6 geschaffen werden dürfe. Das Reich dürfe nicht Aktionär werden, sondern müsse den Beitrag einem Konsortium zur Verfügung stellen, um ihn nach einer gewissen Frist zurückzuerhalten. Auf diese Weise müsse auch verhütet werden, daß das Reich die ganze Verantwortung für das privatrechtliche Problem übernehme. Es könne also ein Darlehen von 50 Millionen an ein Bankenkonsortium gegeben werden. Dabei könne vielleicht eine ausländische Seite in Erscheinung treten. Das Reich dürfe nach außenhin unter keinen Umständen in Erscheinung treten.

6

Das Reich hatte im Mai 1929 zur Sanierung der Schichauwerke in Elbing und Danzig 14 Mio RM aufgewendet: s. diese Edition, Das Kabinett Müller II, Dok. Nr. 134, P. 2 und RGBl. 1929 I, S. 109 .

Die 50 Millionen, die auf solchem Wege neues Aktienkapital eingehen, sollen verwendet werden:

a)

zur Auszahlung der ausländischen Gläubiger (insgesamt 67 Millionen RM, wovon 27 Millionen auf die Filiale Neudek in der Tschechoslowakei entfallen),

b)

als Betriebskapital für die Fortführung der Konzernbetriebe.

Die Banken beantragen, daß das Reich diese 50 Millionen für das neue Aktienkapital zur Verfügung stellt.

Falls das Kabinett diesem Vorschlag zustimmt, schlägt der Reichswirtschaftsminister vor, den Banken folgende fünf Bedingungen zu stellen:

1.

Die Beteiligung des Reichs dürfe nach außen hin nicht in Erscheinung treten;

2.

die Gläubigerbanken verpflichten sich solidarisch, die 50 Millionen RM Aktien zu pari zurückzunehmen innerhalb eines Zeitraums von höchstens zehn Jahren;

3.

die Banken garantieren für diese 50 Millionen RM dem Reiche eine Verzinsung, die in den ersten fünf Jahren auf 5%, in den späteren Jahren auf 8% festgesetzt wird. Soweit die Aktien eine Dividende ergeben, wird diese auf die Zinsverpflichtung angerechnet. Soweit keine Dividende ausgeschüttet wird, werden die Zinsen dem Kapital zugerechnet und es erhöht sich insoweit der Rückkaufwert gemäß Ziffer 2 über pari;

4.

das Reich wäre von der Verwaltung des Konzerns fernzuhalten. Diese wäre vielmehr dem Konsortium der Gläubigerbanken zu überlassen;

5.

bei der Aufstellung des Status des Nordwolle-Konzerns und zur regelmäßigen Prüfung der Geschäftsführung während der Laufzeit des Reichskredits wäre die Deutsche Revisions- und Treuhand-AG heranzuziehen.

Die Reichsregierung möge also folgenden Beschluß fassen:

„Die Reichsregierung erklärt sich grundsätzlich bereit, unter den vom Reichswirtschaftsminister vorgetragenen Bedingungen 50 Millionen RM zur[1283] Bildung neuen Aktienkapitals für den Nordwolle-Konzern zur Verfügung zu stellen in der Voraussetzung, daß die tatsächliche Lage des Konzerns sich nach sachverständiger Prüfung nicht in wesentlichen Punkten anders darstellt, als bisher zu übersehen ist und daß keine anderen Bedenken auftauchen, die den Erfolg der Aktion in Frage stellen könnten. Die Reichsregierung erklärt sich zugleich damit einverstanden, daß der erwähnte Betrag von 50 Millionen RM, solange eine Klärung der Lage des Nordwolle-Konzerns noch nicht herbeigeführt ist, dem Konsortium der Gläubigerbanken als Darlehen auf höchstens sechs Monate zur Stützung des Nordwolle-Konzerns zur Verfügung gestellt wird.“

Ministerialdirektor von KrosigkKrosigk erörterte auf Wunsch des Reichskanzlers sodann die etatsrechtliche Seite. Er erklärte, daß formell zwei Möglichkeiten bestünden, die 50 Millionen zur Verfügung zu stellen, nämlich:

1. den Betrag im Etat in Erscheinung treten zu lassen.

Dagegen müßten Bedenken bestehen.

2. Der Betrag könne aus Kassenmitteln entnommen werden als Kassenkredit.

Mit Rücksicht auf die Dauer der Zurverfügungstellung müßte dann aber wohl eine Verständigung mit den Parteiführern herbeigeführt werden.

Staatssekretär JoëlJoël machte darauf aufmerksam, daß bei der „Nordwolle“ nach der Sachschilderung des Staatssekretärs Trendelenburg Tatsachen vorlägen, die für die Gesellschaft Anlaß zu einer Prüfung bieten müßten, ob nach den einschlägigen Gesetzesbestimmungen eine Generalversammlung einberufen und ob ferner Konkurs angemeldet werden müsse. Er schlug vor, daß von seiten des Reichs ferner vermieden werde, den Leitern des Unternehmens ihre Verantwortung abzunehmen oder zu mildern.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg meinte, wenn die Umgründung in der bisher vorgesehenen Weise erfolge, bestehe allerdings die Gefahr, daß die strafrechtlich Verantwortlichen günstiger davonkämen und vielleicht sogar frei ausgingen. Das sei bedauerlich im Hinblick darauf, daß bei kleineren Unternehmen die Schuldigen in einem solchen Falle schärfer zur Verantwortung gezogen würden. Die erwähnte Kreditlage des Reichs erfordere gleichwohl zunächst wenigstens gewisse Rücksichten.

Der Reichskanzler sprach den Wunsch aus, daß die strafrechtlichen Konsequenzen möglichst bis zum äußersten verfolgt würden, bestätigte aber, daß zunächst der Kreditlage Rücksicht getragen werden müsse.

Der Reichsminister des Innern warf die Frage auf, ob nicht der Fall „Nordwolle“ im Zusammenhang mit anderen Fällen zu entscheiden wäre, etwa auch mit dem Fall der Landesbank Düsseldorf7, der neuerdings aufgetreten wäre.

7

S. Dok. Nr. 364, P. 2 a.

Der Reichskanzler erklärte, die Lage dürfte hinsichtlich der Gefahren für die gesamte Kreditlage so sein, daß, wenn der Fall „Nordwolle“ nicht geregelt werde, der Fall „Landesbank Düsseldorf“ überhaupt nicht mehr zu regeln sei.

Der Reichsbankpräsident bestätigte diese Ansicht.

[1284] Der Reichskanzler bemerkte sodann, daß ein Beschluß in der Angelegenheit nicht erfolgen könne, bevor Klarheit über den Ausgang der amerikanisch-französischen Verhandlungen in Paris vorläge8. Er werde deswegen voraussichtlich am Sonntag (5. Juli) zur Fortsetzung der Verhandlungen eine weitere Ministerbesprechung veranlassen9.

8

Vgl. Dok. Nr. 368, P. 1.

9

Zur weiteren Behandlung des Falles „Nordwolle“ s. Dok. Nr. 399, P. 4.

II. Fall BorsigBorsig.

Danach stellte er den Fall Borsig zur Erörterung10.

10

Wegen des drohenden Zusammenbruchs des Borsigkonzerns hatte am 3.7.31 vormittags eine Chefbesprechung stattgefunden. In dieser Besprechung hatte der RFM mitgeteilt, daß der Konkurs nur durch einen Zuschuß von mindestens 3 Mio RM vermieden werden könne. Das RWeMin. sei wegen der Kapazitäten der Borsigwerke für dt. Rüstungsmöglichkeiten an der Sanierung der Firma interessiert. Dagegen hatte sich StS Trendelenburg gegen eine Stützung des Werks ausgesprochen, weil dies eine große Zahl ähnlich gelagerter Fälle nach sich ziehen würde; das Reich könne nicht in dieser Weise in die Privatwirtschaft eingreifen. Auf Wunsch des RK war die Angelegenheit vertagt worden (Vermerk des ORegR Planck vom 3.7.31, R 43 I /2461 , Bl. 35).

Geheimrat ClaußenClaußen erläuterte die Lage der Firma, namentlich des Tegeler Werkes11. Nach den Ermittlungen des Reichswirtschaftsministeriums sei anzunehmen, daß die Firma Dienstag12 Konkurs erklären müsse, wenn sie nicht bis Montag 1,2 Millionen erhalte. Dienstag würden nämlich größere Wechsel präsentiert werden. Außerdem lägen erhebliche sonstige Verpflichtungen vor, u. a. seien die Versicherungsprämien rückständig. Die Firma hoffe, bei Zuwendung von 1,2 Millionen endgültig durchhalten zu können13.

11

Der RWeM hatte am 5.6.31 dem StSRkei ein Schreiben der Borsigwerke vom 4.5.31 übersandt. Dieses Memorandum hatte die Entwicklung geschildert, die zu der Notlage des Konzerns geführt hatte. Das Werk in Tegel, das bis 1914 ausschließlich Lokomotiven, Kessel, Kälteanlagen und Maschinen produziert habe, sei im Krieg völlig auf Rüstungsproduktion umgestellt worden. Die Umstellung auf die Friedensproduktion sei sehr kostspielig gewesen. Der Konzern hätte eine Kriegsanleihe in Höhe von 22 Mio M gezeichnet, die restlos verlorengegangen sei. Ebenso habe das Unternehmen durch Beteiligungen an polnischen und russischen Firmen Verluste erlitten, ohne daß Entschädigungen gezahlt worden seien. Nach dem Krieg seien zur Modernisierung des Werks hohe Investitionen notwendig gewesen; die Mittel hierfür hätten nur durch Bankkredite beschafft werden können. Das Ende der Investitionen sei unglückseligerweise mit der einsetzenden Wirtschaftsdepression zusammengefallen, so daß auch aus den inzwischen modernisierten Betrieben eine Rente nicht zu erzielen und eine Abdeckung der hohen Bankschulden des Konzerns nicht möglich sei. Bei einer Schließung des Tegeler Betriebs würden etwa 20 000 Menschen in Not geraten und größtenteils der Erwerbslosenfürsorge anheimfallen. Im Hinblick darauf, daß in Tegel Anlagen und Maschinen im Wert von über 5 Mio RM vorhanden waren, die für Zwecke der Landesverteidigung nutzbar gemacht werden könnten, hatte der Konzern um Reichshilfe von 3 Mio RM gebeten. In dem Schreiben war auch auf die schwierige Situation des Borsigwerks in Oberschlesien hingewiesen worden. Der RWeM hatte das Gesuch unterstützt (R 43 I /2461 , Bl. 14–23).

12

7.7.31.

13

Claußen stützte sich bei seinen Ausführungen auf einen Vermerk des MinR Bree vom 4.7.31. Der Vermerk sowie eine Bilanz der Borsigwerke befinden sich in R 43 I /1450 , S. 191–211). Gegenüber ORegR Meynen (RFMin.) hatte sich Borsig mit einer Kontrolle der Geschäftsleitung der Firma durch das Reich bereiterklärt und dem Reich 51% Stimmrecht angeboten (Vermerk Meynens vom 3.7.31, R 43 I /2461 , Bl. 28–29).

Nach Ansicht des Reichswirtschaftsministeriums würden aber insgesamt 10 Millionen dazu erforderlich sein. Deswegen müßten auch von Preußen noch Mittel bereitgestellt werden. Vielleicht könne das Reich bei angemessener[1285] Hilfe Preußens noch einige weitere Millionen (3–4) für die Durchführung der gesamten Pläne der Firma hergeben. Es erscheine aber im Hinblick auf die oberschlesischen Projekte empfehlenswert, den Fall Tegel zusammen mit der Angelegenheit des oberschlesischen Unternehmens und der Angelegenheit der Preussag zu regeln14.

14

Über einen Verkauf seines Werks in Oberschlesien verhandelte Borsig mit der Vereinigten Oberschlesischen Hüttenwerke AG (Vermerke Brees und Meynens, R 43 I /1450 , S. 193, R 43 I /2461 , Bl. 28). Die Preussag hatte am 12.6.31 ihre Hütte Gleiwitz/Malapane an die Oberschlesischen Hüttenwerke verkauft (H.-J. Winkler, Preußen als Unternehmer, S. 162 f.).

Ministerialdirektor ErnstErnst (Preußen) schilderte näher die Entstehung der Notlage der Firma Borsig und erwähnte dabei grobe Verstöße gegen die einfachsten Geschäftsgrundsätze. Er bestätigte bezüglich des Tegeler Werkes den von Geheimrat Claußen vorgetragenen Standpunkt des Reichswirtschaftsministeriums, insgesamt 10 Millionen erforderlich sein würden, um das Werk Tegel auf die Dauer zu erhalten. Er meinte, daß davon vielleicht 3 Millionen über das Reichswehrministerium gegeben werden könnten, 3 Millionen über die schlesischen Unternehmen und etwa 5 Millionen noch durch Hereinnahme eines Teilhabers beschafft werden könnten. Er erwähnte, daß Verhandlungen nach zwei Seiten hin wegen Beteiligung schwebten. Er halte diese trotz der schwierigen Zeit keineswegs für aussichtslos. Er empfahl, daß aber nicht etwa sofort 3 Millionen über das Reichswehrministerium gegeben würden, sondern zunächst nur 1,2 Millionen.

Er erklärte weiter, daß die gesamten Gelder der Werkssparkasse im Betriebe drinsteckten, so daß sie im Konkursfalle verloren wären. Das läge aber nicht an unverantwortlichen Maßnahmen der Werksleitung, sondern habe sich zwangsläufig aus der seinerzeitigen großzügigen Art der Aufwertung der Werkssparkassengelder ergeben15.

15

Nach eigenen Angaben hatte der Konzern 4 Mio RM für die Aufwertung der Angestellten- und Arbeitersparkasse gezahlt (Schreiben vom 4.5.31, R 43 I /2461 , Bl. 14–23, hier Bl. 19).

Generalmajor von SchleicherSchleicher trat für das Reichswehrministerium stark für eine Reichshilfe ein. Er teilte mit, daß das Reichswehrministerium, wie bei anderen Betrieben, die für die Landesverteidigung von Bedeutung seien, bei dem Werk Tegel Geld in Maschinen investiert habe. Im Falle des Zusammenbruchs des Tegeler Werkes werde zudem die Einrichtung eines Ersatzes für dieses Werk notwendig werden. Dazu wären außer den Verlusten bei dem Tegeler Werk etwa 10 Millionen erforderlich.

Ministerialdirektor von KrosigkKrosigk wies auf weitere Gesichtspunkte hin, die für die Frage einer Reichshilfe für Borsig-Tegel wesentlich wären. Die Maschinenindustrie Deutschlands, die auf den Export angewiesen sei, würde beim Zusammenbruch von Borsig-Tegel in ihren Exportinteressen sehr geschädigt werden, weil das Ausland in seinem Vertrauen auf die deutsche Maschinenindustrie erschüttert werden würde und damit rechnen müßte, daß länger laufende Aufträge durch solche Vorkommnisse gefährdet wären.

[1286] Außerdem bestehe ein Zusammenhang mit der Firma Junkers, die eine größere Schuld an Borsig habe. Diese würde im Konkursfalle sofort fällig, so daß das Reich für Junkers in Anspruch genommen werden würde16.

16

Das Reich war an den Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG, Dessau, beteiligt.

Ministerialdirektor ErnstErnst (Preußen) trat diesen Ausführungen bei. Er schlug vor, daß zunächst vom Reich 1,2 Millionen gegeben werden möchten und später weitere Mittel über das oberschlesische Unternehmen. Dessen Aussichten seien allerdings noch unsicher, so daß die Hergabe der 1,2 Millionen nicht ohne Risiko erfolgen würde.

Geheimrat ClaußenClaußen bemerkte, daß auch dem Reichswirtschaftsministerium der Komplex der mit dem schlesischen Unternehmen verbundenen Fragen so groß und noch so unklar scheine, daß dem Kabinett nicht zugemutet werden könne, sich schon in der Beziehung festzulegen.

Staatssekretär JoëlJoël fragte, ob es zutreffe, daß also entweder die 1,2 Millionen verloren sein könnten oder darüber hinaus noch rund 8 Millionen zugezahlt werden müßten.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg meinte, wenn die 1,2 Millionen jetzt gegeben würden, würde ein Konkurs zunächst nicht zu befürchten sein. Wegen der restlichen 8 Millionen müsse das Reich mit Preußen verhandeln und würde diese keinesfalls allein geben müssen.

Ministerialdirektor ErnstErnst (Preußen) bestätigte das. Das Reich werde vielleicht noch 3–4 Millionen zu geben haben, weil Aussicht bestehe, daß Borsig für etwa 5 Millionen einen Teilhaber finden werde.

Der Reichsminister der Finanzen stellte fest, daß nicht er, sondern der Reichswirtschaftsminister für diese Fragen zuständig sei.

Der Reichsarbeitsminister unterstrich die Befürchtungen des Ministerialdirektors von Krosigk bezüglich der Gefahren für die Maschinenindustrie. Er wies darauf hin, daß auch die Arbeiterschaft leiden und arbeitspolitische Schäden entstehen würden, wenn ein Zusammenbruch von Borsig eine Zurückhaltung des Auslands mit Maschinenaufträgen für Deutschland zur Folge haben würde.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg stellte demgegenüber fest, daß trotzdem der politische Gesichtspunkt der überwiegende sei.

Generalmajor von SchleicherSchleicher und der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft ebenso wie Reichsminister TreviranusTreviranus und schließlich auch der Reichsarbeitsminister schlossen sich dem an.

Der Reichsminister der Finanzen wies noch auf die Notwendigkeit schnellen Eingreifens hin. Freitag, den 3. Juli, habe das Werk nur mit Not die Lohngelder aufgebracht. Diese Schwierigkeit sei allerdings dadurch entstanden, daß der Antrag an das Reichswehrministerium nicht geheimgeblieben wäre. Daraufhin seien bei der Werkssparkasse rund 800 000 RM abgehoben worden.

Der Reichskanzler erklärte gleichwohl eine Entscheidung ablehnen zu müssen, bevor Klarheit über die Pariser Verhandlungen vorliege. Die Angelegenheit[1287] müsse daher mit den übrigen Fällen in der nächsten Ministerbesprechung erledigt werden17.

17

S. Dok. Nr. 364, P. 2 b.

III. Fall Mechernich.

Der Reichskanzler bat sodann um Bericht über die Sachlage im Falle Mechernich.

Geheimrat ClaußenClaußen legte den Sachverhalt dar. Er ging von dem letzten Kabinettsbeschluß aus und schilderte die Zuspitzung der Lage18. Er wies besonders auf die Bedeutung der ungewissen Bleipreisentwicklung für die Weiterexistenz des Bergwerkes hin, und erwähnte auch, daß weitere Mittel nicht als Darlehen in Frage kämen, weil der Betrieb zu einer Rückzahlung nicht in der Lage wäre. Die Regelung müßte vielleicht wie bei Mansfeld erfolgen19.

18

Das RKab. hatte am 27.3.31 (Dok. Nr. 274, P. 2) den Mechernicher Bleibergwerken ein Darlehen von 200 000 RM gewährt. In einer Vorlage vom 13.5.31 hatte StS Trendelenburg eine Kabinettsentscheidung darüber erbeten, ob die Hilfsmaßnahmen für die Mechernicher Werke nunmehr in Form verlorener Zuschüsse fortgesetzt werden sollten (Schreiben Trendelenburgs mit einer Aufzeichnung über die Mechernicher Werke in R 43 I /2178 , Bl. 115 bis 125). Am 23. 6. hatte Trendelenburg seine Bitte wiederholt (R 43 I /2178 , Bl. 184). Am 30.6.31 hatte die Leitung der Mechernicher Werke in einem Schreiben an StS Pünder die Stillegung des Betriebes angekündigt, falls das Reich die Unterstützung nicht fortsetzen würde (Schreiben mit Anlagen in R 43 I /2178 , Bl. 200–210).

19

Das Reich hatte der Mansfeld AG für Bergbau und Hüttenbetrieb, Eisleben, im Jahr 1930 2,65 Mio RM an Zuschüssen gewährt (Der Dt. Volkswirt, Beilage 1931, S. 645).

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg ergänzte die Sachdarstellung und wies auf die Möglichkeit von Berufungen hin. Der Abgeordnete Becker-Arnsberg z. B. sei erst kürzlich vorstellig geworden wegen Hilfsmaßnahmen des Reichs für die Grube Glanzenberg im Kreise Olpe. Es sei nicht zu bestreiten, daß auch im Kreise Olpe die Notlage besonders groß sei.

Für Mechernich kämen drei Möglichkeiten in Frage:

1.

eine Unterstützung ganz abzulehnen; dadurch werde der Betrieb zur Stillegung gezwungen;

2.

eine Unterstützung zu geben, die es ermögliche, den Betrieb bis Ende des Jahres durchzuhalten. Dazu wären 1 000 000 RM erforderlich (die von Reich und Preußen je zur Hälfte zu tragen wären), wenn bei dem Abbau der Erze sowie der ganzen Betriebsführung nicht Rücksicht darauf genommen werden brauchte, daß der Betrieb noch im nächsten Jahre weitergeführt werden müsse;

3.

Wenn der Betrieb für die Dauer erhalten werden solle und der Erzabbau und die Betriebsführung ordnungsmäßig geschehen müsse, sei bis zum Ende des Etatjahres ein Betrag von 2 Millionen nötig, von dem das Reich 1 Million zu tragen habe.

Der Reichsfinanzminister wies noch auf die arbeitspolitische Seite hin. Es handele sich um 600 Arbeiter. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß, wenn Mechernich zum Erliegen komme, für 2 Millionen Blei künftig aus dem Ausland mehr eingeführt werden müsse.

[1288] Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg meinte, es käme auf die politische Beurteilung der Angelegenheit an.

Ministerialdirektor NobisNobis bestätigte das und legte die Erwägungen dar, die früher für die Zubilligung der öffentlichen Hilfe maßgebend gewesen seien.

Ministerialdirektor ErnstErnst schlug vor, von den erwähnten Möglichkeiten nur zwischen denen zu Ziff. 1) oder zu Ziffer 3) zu wählen. Eine Stillegung während des Winters habe man gerade im letzten Jahre verhüten wollen20. Die damaligen Erwägungen sprächen auch dafür, den Betrieb jetzt entweder sofort aufzugeben oder, falls er gestützt werden solle, auch über den Winter hinaus zu erhalten.

20

Vgl. Dok. Nr. 157, P. 3.

Der Reichskanzler vertagte die weitere Erörterung zusammen mit der Fortsetzung der Besprechung über die Fälle „Nordwolle“ und Borsig21.

21

S. Dok. Nr. 364, P. 20.

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