1.11.1 (bru2p): Bericht über die Wiener Reise.

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Bericht über die Wiener Reise.

Einleitend berichtete der Reichsminister des Auswärtigen darüber, daß die Fragen der allgemeinen Politik mit den Vertretern der Österreichischen Bundesregierung, wie bei den vorhergegangenen Gelegenheiten, kurz erörtert worden seien1. Es habe sich sowohl für die großen politischen Probleme (Abrüstung und Europafrage) wie für die außerdem besprochenen Einzelfragen weitgehende Übereinstimmung ergeben.

1

Der Besuch des RAM in Wien hatte vom 3.–5.3.31 stattgefunden (Schultheß 1931, S. 278–280).

Im Vordergrund der Wiener Verhandlungen habe die Frage der deutsch-österreichischen Zollunion gestanden2.

2

Der Plan einer Zollunion war bereits anläßlich des Besuchs des damaligen österr. Bundeskanzlers Schober in Berlin im Februar 1931 erörtert worden (diese Edition, Das Kabinett Müller II, Dok. Nr. 453, bes. S. 1488 f. und S. 1492–1494). In einer Aufzeichnung vom 12.2.30 hatte das AA eine dt.-österr. Zollunion wegen der völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs als sehr schwierig bezeichnet (R 43 I /111 , Bl. 53–72, hier Bl. 60–63). In den Akten der Rkei befindet sich kein Material über die Verhandlungen zwischen dem AA und der österr. Reg. zur Vorbereitung der Zollunion. Zur Unterrichtung des Kabinetts vgl. Dok. Nr. 252, P. 3. Curtius, Bemühen um Österreich, S. 34 (auch in: Curtius, Sechs Jahre Minister der deutschen Republik, S. 191) behauptet, der RK habe ihn zum Abschluß der Zollunion ermächtigt. Dagegen bestreitet Brüning in seinen Memoiren, S. 265, daß er dem RAM eine Instruktion für den formellen Abschluß des Zollunionvertrages gegeben habe.

[953] Der Reichsminister des Auswärtigen gab zunächst eine historische Darstellung der bisherigen Entwicklung dieses Problems, wobei er hervorhob, daß die Haltung der Österreichischen Bundesregierung, die zunächst sehr zögerlich gewesen sei, jetzt grundsätzlich und eifrig zustimmend geworden sei. Österreich habe sich von dem Gedanken der wirtschaftlichen Donau-Konföderation abgewandt. Diese Situation müsse ausgenutzt werden. Politisch sei der Anschluß noch nicht reif, wirtschaftlich könne er jetzt, unter vorsichtigster Berücksichtigung der außenpolitischen Schwierigkeiten bei einem solchen Vorgehen, entscheidend gefördert werden.

Ministerialdirektor Dr. RitterRitter gab sodann eine Erläuterung des beiliegenden mit den Österreichern vereinbarten Entwurfs für ein Protokoll, das den ersten Akt einer Übereinstimmung der beiden Regierungen in Sachen der Zollunion darstellen soll3.

3

Der Entw. enthielt u. a. folgende Bestimmungen: I. Der Vertrag sollte den Anfang mit einer Neuordnung der europäischen Wirtschaftsverhältnisse auf dem Wege regionaler Vereinbarungen machen. Die Vertragspartner erklärten sich bereit, auch mit jedem anderen Land über eine gleichartige Regelung zu verhandeln. II. und III. Dtld.und Österreich wollten ein einheitliches Zollgesetz und einen gemeinsamen Zolltarif vereinbaren. Aus- und Einfuhrzölle sollten zwischen beiden Ländern nicht mehr erhoben werden. VIII. Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchführverbote sollten zwischen Dtld.und Österreich nicht mehr bestehen. XI. Ein paritätisch zusammengesetzter Schiedsausschuß sollte Streitigkeiten zwischen den Vertragspartnern schlichten. Wenn eine Reg. mit einem Schiedsspruch wegen lebenswichtiger wirtschaftlicher Interessen nicht einverstanden sein sollte, konnte sie die Entscheidung des Haager Gerichtshofs anrufen (ProtokollEntw. in R 43 I /1449 , Bl. 33–40).

Der Reichsminister des Auswärtigen schilderte sodann das geplante diplomatische Vorgehen. Man habe absichtlich nicht die Form eines Vertrages gewählt, sondern die eines Protokolls, das nur Richtlinien enthalte, um die interessierten auswärtigen Regierungen nicht von vornherein vor den Kopf zu stoßen. Besonders die Tschechoslowakei, und damit Frankreich, würden der deutsch-österreichischen Zollunion zunächst wahrscheinlich unfreundlich gegenüberstehen. Es sei also mit einer erheblichen außenpolitischen Diskussion zu rechnen. Nach Einigung der deutschen und österreichischen Kabinette solle daher zunächst gleichzeitig eine Demarche in Rom, Paris und London gemacht werden, an der Österreich ebenso beteiligt sein werde wie Deutschland. Das österreichische Kabinett habe bereits am Freitag dem Protokoll grundsätzlich zugestimmt.

Deutscherseits werde also eine abschließende Entscheidung des Reichskabinetts nicht über den 18. 3. hinausgeschoben werden können. Es sei bisher gelungen, die Verhandlungen so gut wie völlig geheimzuhalten. Wie lange dies noch weiter glücken werde, sei fraglich4. Deshalb müsse jetzt schnell gehandelt werden.

4

Die Wiener Presse berichtete am 17. 3. über die Zollunion (Schultheß 1931, S. 280). Die DAZ brachte in Nr. 125–126 vom 20.3.31 die erste Meldung über die Zollunion.

[954] Der Reichskanzler dankte dem Reichsminister des Auswärtigen für seine Ausführungen und insbesondere für die erfolgreiche in dieser Angelegenheit geleistete Vorarbeit. Er sprach sich, wie der Reichsminister des Auswärtigen, für eine beschleunigte Beschlußfassung aus. Der Zeitpunkt sei an sich vielleicht nicht besonders glücklich, hätte aber von Deutschland nicht anders gewählt werden können.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg erklärte, grundsätzlich stimme er dem Gedanken der Zollunion zu, müsse aber eine Reihe von Vorbedingungen anführen, die erst erfüllt werden müßten. Die deutsche Währung dürfe nicht durch die Vereinigung mit der österreichischen Währung gefährdet werden. Ferner sei wohl eine Angleichung in der Steuer- und Sozialgesetzgebung erforderlich. Besondere Bedenken äußerte Staatssekretär Dr. Trendelenburg gegen das im Protokoll vorgesehene Schiedssystem, bei dem Österreich, das doch nur ein Zehntel der deutschen Wirtschaftskraft besitze, gleichberechtigt neben Deutschland rangieren solle. Deutschland werde damit für alle seine Handelsvertragsverhandlungen unter die Kuratel des schwächeren Österreich gestellt. Die österreichische Bürokratie werde dies erfahrungsgemäß auszunutzen wissen. Ferner sei auch die Einschaltung des Haager Schiedshofs als letzte Instanz mißlich. Wenn nicht Deutschland bei der deutsch-österreichischen Wirtschaftsgemeinschaft einwandfrei die Führung habe, werde sich wieder einmal die Wahrheit des Sprichwortes bestätigen „Tu felix Austria nube“.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte, er sei grundsätzlich nicht ablehnend, mache aber auf die großen Gefahren dieses Vorgehens aufmerksam. Die Möglichkeit der Einbeziehung weiterer Länder sei für die deutsche Landwirtschaft recht bedrohlich. Er denke dabei besonders an Ungarn. Auch er spreche sich gegen die Einschaltung des Haager Schiedshofs aus. Dringend erforderlich sei die Vereinheitlichung der Veterinärpolizei im Falle einer Zollunion.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte sich grundsätzlich mit dem Gedanken der Zollunion einverstanden. Sie würde eine weitere Auflockerung des Friedensvertrages von Versailles bedeuten. Was jetzt geplant sei, sei aber keine echte Zollunion, sondern nur ein Vertrag, der zahlreiche Gefahren in sich berge. Er bedeute bezüglich der Handelsvertragsverhandlungen fast die Aufgabe der deutschen Souveränität. Der Haager Schiedshof müsse unbedingt ausgeschaltet werden. Der Gedanke der Zollunion würde besser gewahrt sein, wenn man lebendige Organe schaffe, die Entscheidungen fällen könnten, d. h. ein, zahlenmäßig allerdings sehr begrenztes, Zollparlament mit einem Vollzugsausschuß bei, dem Deutschland im Vorsitz stark bevorzugt sein müsse, und eine einheitliche Zollverwaltung.

Der Reichsarbeitsminister stimmte in seinen Ausführungen dem Staatssekretär des Reichswirtschaftsministeriums zu.

Auch er sprach sich gegen Einschaltung des Haager Schiedshofs aus.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte gegenüber dem Staatssekretär des Reichswirtschaftsministeriums an, daß es auf die Tätigkeit der deutschen Bürokratie ankommen werde, sich bei dieser Wirtschaftseinheit durchzusetzen.[955] Österreich bringe freilich nur eine schwache Mitgift mit, aber auch solche Ehen könnten bekanntlich sehr glücklich sein.

Die Einschaltung der Haager Cour sei eine deutsche Anregung gewesen, an der das Auswärtige Amt nicht festzuhalten brauche.

Es wurde auf Vorschlag des Reichskanzlers vereinbart, daß zunächst die beteiligten Ressorts einzelne Beamte zur Prüfung des Protokollentwurfs am nächsten Tage bestimmen sollten, wobei auf äußerste Geheimhaltung Wert gelegt werden solle. Die in der Sitzung verteilten Entwürfe des Protokolls wurden bis auf ein Exemplar, das der Niederschrift der Reichskanzlei anliegen soll, dem Auswärtigen Amt zurückgegeben.

Die Beratung soll am 18. 3. fortgesetzt werden5.

5

S. Dok. Nr. 267, P. 1.

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