1.139.1 (bru2p): [Wirtschaftslage]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 9). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 2 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

[Wirtschaftslage]

Der Reichskanzler gab die Zusammensetzung der Delegation bekannt, die nach Paris und London fahren wird1. Sie wird sich unter seiner Leitung aus dem Reichsminister des Auswärtigen, dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, dem Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, Ministerialdirektor Graf Schwerin von Krosigk, Geheimrat Vocke für die Reichsbank, einem Mitglied der Reichskanzlei2 und zur persönlichen Verfügung Legationssekretär Graf Saurma[1372] für den Aufenthalt in Frankreich sowie Baron Plessen für den Aufenthalt in England zusammensetzen.

1

S. Dok. Nr. 389, Anm. 1–3.

2

MinR Feßler. Vgl. Dok. Nr. 395.

Der Reichskanzler wird vom Vizekanzler in Berlin vertreten. Der Reichswehrminister ist vom Urlaub zurückgebeten. Die notwendigen Maßnahmen sind mit dem Stellvertreter des Reichskanzlers durchgesprochen.

Der Reichsminister der Finanzen trug den wesentlichen Inhalt der beigefügten Aufzeichnung über die anzustrebenden Maßnahmen auf dem Gebiete des internationalen Kreditwesens vor3.

3

Die in der Aufzeichnung erörterten internationalen Kreditmaßnahmen sollten zwei Ziele verfolgen: 1. die Rbk durch Auffüllung ihres Devisen- und Goldbestandes wieder voll aktionsfähig zu machen; 2. den weiteren Abzug von kurzfristigen Auslandskrediten zu verhindern. Notwendig sei ein Auslandskredit für die Gemeinden und Länder. Wenn diesen mit einer Anleihe geholfen würde, so würde das Ergebnis auf der einen Seite sein, daß die Devisen der Rbk zuflössen; auf der anderen Seite würden die kurzfristigen Kredite der Kommunen abgezahlt und der Geldmarkt wieder gekräftigt werden können. Für eine Sammelanleihe der Gemeinden in Höhe von 300 Mio $ (bei einer Gesamtverschuldung von Ländern und Gemeinden von 2,8 Mrd. $ müsse eine Reichsgarantie gegeben werden. Notwendig sei auch eine Reichsaufsicht über die Gemeindefinanzen. Die Belassung kurzfristiger ausländischer Kredite in Dtld sollte am zweckmäßigsten durch direkte Verhandlungen zwischen Schuldnern und Gläubigern geklärt werden (Durchschrift in R 43 I /2371 , S. 383–389).

Der Reichskanzler wünschte, daß die vorgelegten Stücke der Aufzeichnung wieder eingezogen würden. Vor seiner Abreise müsse die Zusammenarbeit der Banken mit der Reichsbank hinsichtlich der Kreditregelung sichergestellt sein.

Der englische Gast (Sprague) sei auf seine persönliche Einladung hergekommen4. Er habe mit der Reichsbank nichts zu tun gehabt. Es sollte gerade vermieden werden, daß sein Besuch mit der Reichsbank in Zusammenhang gebracht würde. Trotzdem sei es in einem Berliner Mittagsblatt geschehen. Veröffentlichungen dieser Art seien für die Unabhängigkeit der Reichsbank äußerst gefährlich. Auch der frühere Reichsbankpräsident Dr. Schacht habe sich der Meinung angeschlossen, daß die Lage nur gehalten werden könne, wenn alle Großbanken, außer der Danatbank, sich gegenseitig Garantiehilfe leisten. Die Reichsbank müsse dies durchsetzen. Geschehe es durch eine Notverordnung, so würde die Wirkung verringert.

4

Vgl. Dok. Nr. 385, Anm. 3.

Maßgebende Bankiers hätten bereits vor 14 Tagen diesen Zusammenschluß gefordert, bei den Verhandlungen über die Danatbank teilweise aber nicht zu ihrem Wort gestanden.

Eine neue Notverordnung zur Rettung der Finanzen des Preußischen Staats sei nicht möglich. Die Staaten müßten sich selbst helfen, insbesondere müßten gegen eine Illiquidität der Preußischen Staatsbank Mittel gefunden werden.

Es werde notwendig sein, in nächster Zeit die Lebensmittelpreise dauernd zu überwachen, doch dürften keine Verfügungen getroffen werden, die nicht durchführbar wären.

Der Reichskanzler bat Ministerialdirektor Dr. Ernst vom Preußischen Handelsministerium, sich dieser Frage besonders anzunehmen. Höchstpreise würden nicht festgesetzt werden können. Wenn die Butterpreise steigen5, weil[1373] die Einfuhr auf Schwierigkeiten stoße, so sei das wegen der Forderung nach Butterzöllen6 und wegen der Wirkung auf die Butter liefernden Staaten nicht ungünstig. Die Novelle zum Aktienrecht werde nach seiner Rückkehr als Notverordnung erscheinen müssen7. Die Frage eines Generalbankkommissars sei auf nächste Woche zu vertagen. Der früheste Termin für die Rückkehr werde Mittwoch abend sein8.

5

In Berlin war am 16.7.31 der Preis für ein Zentner Butter um 4 RM heraufgesetzt worden. Die Butterimporte waren eingestellt worden, weil die ausländischen Buttererzeuger Barzahlung in Devisen forderten (DAZ Nr. 319–320 vom 17.7.31).

6

Der REM forderte seit Februar 1931 eine Erhöhung des Butterzolls: s. Dok. Nr. 244, Anm. 16.

7

Vgl. dazu Dok. Nr. 469, P. 1.

8

22.7.31.

Geheimrat VockeVocke erklärte, die Verhandlungen wegen Stillhaltekonsortien hätten bisher ergeben, daß eine Anzahl von Ausländern für diese Maßnahmen eintrete und andere sich ihnen anschließen würden. Sie forderten aber gewisse Sicherheiten gegen die Kapitalflucht.

Die Umwandlung von Guthaben in Devisen spiele eine verhältnismäßig entscheidende Rolle.

Der Reichsminister der Finanzen hielt die Frage der Dresdner Bank für vordringlich, sie sei geklärt, wenn es zu einem Zusammenschluß der Banken im geplanten Ausmaß käme. Nach Ablauf der Geltung der neuen Notverordnung über den Zahlungsverkehr müsse dieser weiter gelockert werden. Käme es zum Zusammenschluß der Banken, so könnten Überweisungen bis zu 100 000 RM zugelassen werden.

Bestimmungen über die Kapitalflucht würden mit Rücksicht auf die Forderungen in der Öffentlichkeit notwendig sein. Sie würden den Deklarierungszwang für Auslandsvermögen mit der Wirkung einer Amnestie und bei Unterlassung der Bestrafung mit Gefängnis und gegebenenfalls Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte enthalten. Die Geldausfuhr müsse verboten werden, auch die Ausreise ins Ausland sei zu erschweren.

Reichsminister TreviranusTreviranus trat dafür ein, daß die Reichsbank der Preußenkasse größeren Spielraum bei der Kreditgewährung lasse als bisher.

Die Landwirtschaft scheine zu beabsichtigen, ihre Erntevorräte zurückzubehalten. Die Reichsregierung dürfe dem nicht tatenlos zusehen. Es müßten 20–25 Millionen für die Erntefinanzierung bereitgestellt werden, zumal die Gläubiger bei den Umschuldungsmaßnahmen versuchten, durch Zugriff die Ernte auf dem Halm in die Hand zu bekommen.

Der Vertreter der Reichsbank sagte zu, daß er die Angelegenheit im Direktorium zur Sprache bringen werde.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg begrüßte es, daß die Postscheckeinrichtungen reibungslos funktionieren. Darauf müsse dauernd in stärkstem Maße hingewirkt werden, um den Barzahlungsverkehr nicht um sich greifen zu lassen.

Die Reichsbank müsse mitteilen, wieweit sie die Möglichkeit zu einer stärkeren Auszahlung sähe. Bei den Sparkassen würden große Schwierigkeiten auftreten. Die Entscheidung über eine Ausweitung des Notenumlaufs der Privatbanken werde am nächsten Tage getroffen werden müssen. Das Land[1374] lebe im Zustand ungeheurer Deflation, weil sich die Umlaufsgeschwindigkeit der Noten verringert hätte. Bei der Landwirtschaft beständen allerdings Inflationsbefürchtungen. Sie halte mit Ware zurück.

Wenn die Banken nicht ihre Verhältnisse ordneten, würde das Postscheckwesen ihre Aufgabe im Überweisungsverkehr übernehmen können.

Soweit Lieferanten Devisen fordern, müsse eingegriffen werden.

Das Problem der Auslandsflucht der Kapitalien sei schwieriger als 1923. Die internationale Kapitalverflechtung habe neue starke Fortschritte gemacht. Hohe steuerliche Belastungen hätten fördernd gewirkt. Gründungen von Filialen im Ausland seien zum Teil volkswirtschaftlich notwendig und erwünscht gewesen, um das Zusammengehen mit der ausländischen Industrie zu ermöglichen. Andere Auslandsgründungen seien dagegen vom volkswirtschaftlichen und finanzpolitischen Standpunkte aus zu verurteilen. Die Unterscheidung werde schwierig sein, der Erfolg von Maßnahmen zweifelhaft. Gleichwohl müßten sie getroffen werden, insbesondere, soweit es sich um Einzelpersonen handele.

Ministerialdirektor Dr. ErnstErnst regte an, die Gehaltszahlungen bei den öffentlichen Kassen in 2–3 Raten im Monat vorzunehmen und bei den Privatangestellten zum Teil vorzuverlegen, damit der Zahlungsmittelbedarf am Ende des Monats nicht übermäßige Formen annehme.

Die Preisbewegung im Großhandel sei ruhig. Nötigenfalls müßten Devisen für den Importhandel freigemacht werden. Es sei zu prüfen, ob Großhandel und Industrie bei Barzahlungen Rabatte gewähren sollten. Dadurch würden die Zahlungsmittel aus dem Einzelhandel in den Verkehr zurückkommen. Vielleicht empfehle sich eine Anregung bei den Verbänden.

Hinsichtlich der Kapitalfluchtbekämpfung schließe er sich den Ausführungen von Staatssekretär Dr. Trendelenburg an.

Staatssekretär Dr. MeissnerMeissner erklärte, der Reichspräsident lege Wert auf Bestimmungen gegen die Kapitalflucht.

Ministerialdirektor Dr. ZardenZarden gab Erläuterungen über die Möglichkeiten in dieser Richtung. Es werde erforderlich sein, wenige klare Tatbestände zu schaffen, durch die die Anschaffung und der Besitz der Devisen getroffen würden.

Staatssekretär Dr. SchäfferSchäffer wies darauf hin, daß die Anmeldung ausländischer Wertpapiere die Unterlage für Beschlagnahmen durch ausländische Regierungen bieten könnte. Das wäre für die deutsche Volkswirtschaft ein außerordentlicher Verlust.

Die Verhandlungen sollen am 17. vormittags 11 Uhr fortgesetzt werden. Abends 6 Uhr findet eine Kabinettssitzung statt9.

9

In der Chefbesprechung vom 17. 7 31, 11 Uhr, wurden die VOEntwürfe gegen die Kapitalflucht, zur Regelung des weiteren Zahlungsverkehrs und über eine Ausreisegebühr beraten: vgl. hierzu Dok. Nr. 392. Zum Fall „Nordwolle“ schlug MinR Claußen eine NotVO über die ordnungsgemäße Konkursabwicklung dieses Konzerns vor: Dok. Nr. 399, P. 4 (Protokoll des RegR Krebs in R 43 I /2371 , S. 467–474).

Extras (Fußzeile):