1.140.1 (bru2p): Politische Lage.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 14). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 2 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

Politische Lage.

Reise Paris – London.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß in den letzten Tagen durch Indiskretionen die deutsche Lage verschiedentlich erheblich geschädigt worden sei. U. a. habe z. B. die vorzeitige Meldung der B.Z. am 16. Juli von der Reise nach Paris in England geschadet1. Er müsse deswegen ausdrücklich feststellen, daß alle Mitteilungen, die in den nächsten fünf Tagen von Paris bzw. London von ihm oder der Delegation hierher gelangen würden, nur mit seiner ausdrücklichen Genehmigung weitergegeben werden dürften. Das müsse bei jedem auch für den Familienkreis gelten. Er müsse ankündigen, daß er mit niemandem weiter zusammenarbeiten könne, der diesen Wunsch nicht beachte, sei es, daß es sich um Kabinettsmitglieder oder um Beamte handle.

1

Der brit. Botschafter Rumbold hatte am 16.7.31 dem StS v. Bülow die Absage des vorgesehenen Besuchs MacDonalds in Berlin u. a. damit begründet, daß eine von Berlin nach London gelangte Pressenachricht die Aufgabe des Besuchs bereits gemeldet habe (Aufzeichnung Bülows vom 16.7.31, R 43 I /315 , Bl. 64). Vgl. auch Dok. Nr. 389, Anm. 3.

Sodann gab er Aufschluß über die Entwicklung des Planes zu der Reise nach Paris. Er machte Mitteilung von dem Besuch des englischen Botschaftsrats [Newton], der Anfang der Woche erschienen sei, um zu fragen, ob mit dem Besuch der englischen Minister noch gerechnet werde. Weiter machte er Mitteilung von der nächtlichen telefonischen Anfrage des Botschafters von Hoesch wegen der Frage einer Reise nach Paris und von der Tätigkeit Hendersons in Paris2. Er sei zu der Überzeugung gekommen, daß Henderson in Paris nicht die Politik des englischen Kabinetts, sondern mehr seine eigene Politik betrieben habe. Er erwähnte, daß Ministerpräsident MacDonald über gewisse Vorgänge unzufrieden sei. Sodann machte er Mitteilung von dem Besuch des amerikanischen Botschafters Sackett, der ihm heute mitgeteilt habe, daß eine Beteiligung Amerikas an einer finanziellen Hilfe für Deutschland unter den heute verlauteten französischen Bedingungen nicht in Frage kommen könne. (Reichsbankpräsident LutherLuther bestätigte, daß er gleiche Nachrichten aus Basel habe.)

2

Vgl. Dok. Nr. 389, Anm. 1–3.

[1376] Unter den ganzen Umständen wolle er, der Reichskanzler, seine Reise nach Paris nur als Besuch im Sinne seiner Rundfunkrede3 ansehen, um sich über allgemeine Fragen mit Frankreich auszusprechen, nicht dagegen um etwa bereits Anleihebedingungen festzulegen. Deswegen sei er zu dem Entschluß gekommen, nicht zuviel Sachverständige mitzunehmen, sondern nur eine möglichst kleine Kommission. Er bäte daher, daß Geheimrat Vocke von der Reichsbank und Staatssekretär Schäffer erst Sonntag nach Paris kommen möchten4.

3

Vgl. Dok. Nr. 389, Anm. 1.

4

Vgl. Brüning, Memoiren, S. 326; H. Schäffer, M. Wallenberg und die dt. Bankenkrise, Nachl. Dietrich Nr. 308, Bl. 38.

Es wurde vorgesehen, daß deren Abreise Samstag abend erfolgen solle.

Der Reichsminister der Finanzen äußerte sich zur Lage der Auszahlungsschwierigkeiten. Er meinte, man könne von Sonnabend5 an acht Tage in der vorgesehenen Weise durchhalten. Das Wechselmoratorium6 müsse aber möglichst umgehend aufgehoben werden. Das Reich könne keine Überweisungen an die Länder bewirken und würde auch am Ersten die Gehälter nicht voll auszahlen können. Deswegen werde gegebenenfalls nichts anderes übrigbleiben, als den Rückzug aus den getroffenen Maßnahmen anzutreten oder einen Zusammenschluß der Banken herbeizuführen. Wenn dieser nicht freiwillig erfolge, müsse er zwangsweise durch eine Notverordnung herbeigeführt werden. Auf jeden Fall müsse er verlangen, daß von Montag an eine erhebliche Lockerung der Zwangsmaßnahmen eintrete.

5

18.7.31.

6

Vgl. § 2 der VO über die Wiederaufnahme des Zahlungsverkehrs nach den Bankfeiertagen vom 15.7.31 (RGBl. I, S. 365 ).

Der Reichsbankpräsident meinte, er sehe die Dinge nicht so ungünstig. Es seien im Verlauf des Tages wieder erhebliche Einzahlungen bei den Banken erfolgt. Bei der Deutschen Bank z. B. betrügen diese 60% der Auszahlungen. (Nach Schluß der Sitzung berichtigte er sich auf Grund genauer Nachrichten, daß der Prozentsatz 40 betrüge.) Der Zusammenschluß der Banken werde vielleicht im Wege des Vertrages erfolgen. Daß die Wechsel aus den Sparmaßnahmen herausgenommen werden, halte auch er für erforderlich. Für den Auszahlungsverkehr von Montag an schlug er vor, daß auf Sparguthaben täglich bis zu 20 M ausgezahlt werden dürften, bei anderen Konten bis zu 100 M.

Der Notenumlauf habe bisher zugenommen, weil keine Wechsel eingezogen werden konnten und keine Rückflüsse vorlagen. Dadurch sei die Notendeckung weiter heruntergegangen. Die ausländischen Notenbankpräsidenten würden dafür aber Verständnis haben. Immerhin schlügen die Beträge erheblich ins Gewicht. Auf die Beamtengehälter müßten am nächsten Monatsersten eventuell Teilzahlungen erfolgen.

Der Reichsminister der Finanzen meinte, es sei sehr dringend, daß Überweisungen an die Länder erfolgen könnten, weil diese sonst überhaupt keine Gehaltszahlungen vornehmen könnten. Er fürchte auch, daß die Wirtschaft zusammenbreche, wenn der Reichsbankpräsident nicht noch weitere 100 bis 170 Millionen Noten beschaffe. Er müsse darauf unter allen Umständen bestehen und mache davon seine weitere Mitarbeit im Kabinett abhängig.

[1377] Der Reichskanzler bat, darüber eine Regelung am anderen Tage zu treffen. Er hoffe, daß der Reichsminister der Finanzen und der Reichsbankpräsident sich verständigen würden. Vor seiner Abreise müßten die drei vorgesehenen Notverordnungen noch durchberaten werden. Dazu wäre nur bis 8 Uhr Zeit.

Kapitalfluchtverordnung.

Der Reichsbankpräsident äußerte sich darauf zu dem Entwurf der Kapitalfluchtverordnung7. Er meinte bezüglich der vorgesehenen Freigrenze und den dazu genannten Zahlen8, daß er auch für die „Anmeldung“ mehr an Beträge gedacht habe, die ganz erheblich über diesen Zahlen lägen. Im Laufe der weiteren Erörterung nannte er als ungefähren Anhaltspunkt für seine Ansicht den Betrag von 20.000 RM. In dem bisher vorgesehenen Umfang eine Erfassung zu regeln, halte er für gänzlich ausgeschlossen. Eine Abrufung der Devisen in solchem Umfange würde praktisch überhaupt nicht durchzuführen sein. Es empfehle sich daher, in der Verordnung nur eine Ermächtigung für die Reichsbank zu begründen, Devisen abzurufen, ohne eine Grenze festzusetzen. Ein Abruf würde dann nach und nach erfolgen, wie es 1923 geschehen sei.

7

Der Entw. war in den Akten der Rkei nicht zu ermitteln; der VOEntw. war bereits in der Chefbesprechung vom 17.7.31, 11 Uhr besprochen worden (Protokoll des RegR Krebs, R 43 I /2371 , S. 467–474, hier S. 468–472).

8

StS Trendelenburg hatte in der Chefbesprechung als Freigrenze für die Devisenanmeldepflicht Beträge bis zu 100 RM vorgeschlagen (R 43 I /2371 , S. 470).

Ministerialdirektor ZardenZarden trat dem Vorschlag entgegen, den Abruf der Reichsbank zu überlassen.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg trat gleichfalls dafür ein, daß die Ermächtigung dem Reich vorbehalten bleibe. Von einer Freigrenze könne ja abgesehen werden.

Das Kabinett war mit der vom Reichsfinanzministerium vorgeschlagenen Verordnung in dieser abgeänderten Form einverstanden9.

9

S. die VO gegen die Kapital- und Steuerflucht vom 18.7.31 (RGBl. I, S. 373 ).

Ausreiseabgabe.

Die Fortsetzung der Besprechung über eine solche Maßnahme10 führte zu einer Einigung dahin, daß eine Ausnahme erfolgen solle lediglich bei Auswanderung, dem Grenzverkehr und bei Wanderarbeitern.

10

Dieser Entw. war ebenfalls in der Chefbesprechung vom 17.7.31, 11 Uhr behandelt worden (R 43 I /2371 , S. 473).

Mit dieser Maßgabe war das Kabinett mit dem Vorschlag des Reichsfinanzministeriums einverstanden11.

11

VO über die Erhebung einer Gebühr für Auslandsreisen vom 18.7.31 (RGBl. I, S. 376 ).

Notverordnung zur Verhinderung politischer Unruhen.

Der Reichsminister des Innern erläuterte den Entwurf12 seines Ministeriums und schlug die Bestimmung vor, daß das Verbot bis sechs Monate erfolgen könne.

12

In den Akten der Rkei nicht vorhanden.

Der Reichsminister der Finanzen hielt eine solche Dauer für erheblich zu lange und schlug drei Monate vor.

[1378] Der Reichskanzler meinte, daß acht Wochen genügen würden entsprechend der Regelung in der Notverordnung vom 28. März13.

13

Vgl. § 12 Abs. 2 der VO zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28.3.31 (RGBl. I, S. 80 ).

Staatssekretär ZweigertZweigert teilte mit, daß die Organisationen der Presse bei ihm vorstellig geworden wären. Sie seien mit Ziffer 1 einverstanden, hätten aber starke Bedenken gegen Ziffer 3, betreffend die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit.

Staatssekretär Dr. PünderPünder machte Mitteilung von einer Aussprache mit dem Preußischen Innenminister Severing und Ministerialdirektor Klausener. Danach hätten die Behörden in den preußischen Provinzen dringend um entsprechende Regierungsmaßnahmen gebeten. Sie glaubten sonst zu große Schwierigkeiten zu haben bei der Regelung der Presseverhältnisse.

Das Kabinett erklärte sich mit dem Entwurf des Reichsinnenministeriums einverstanden mit der vom Reichskanzler angeregten Maßgabe, die Höchstdauer des Verbots zu beschränken14.

14

2. VO zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 17.7.31 (RGBl. I, S. 371 ).

Extras (Fußzeile):