1.15.1 (bru2p): 1. Bericht über die Wiener Reise.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 6). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 2 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

1. Bericht über die Wiener Reise.

Ministerialdirektor RitterRitter führte aus, daß die Zollunion mit Österreich1 für Bayern voraussichtlich mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringen würde. Für Schweine und Hopfen insbesondere würden sich neue Absatzmöglichkeiten eröffnen. Die bayerische Forstwirtschaft werde allerdings noch am ehesten geschädigt. Hier müsse möglicherweise die Tarifpolitik der Reichsbahn ausgleichen. Die österreichische Vieheinfuhr halte er nicht für nachteilig. Im übrigen glaube er, daß für den deutschen Osten durch die Zollunion eher eine Entlastung eintreten werde, insbesondere durch die Verdrängung der polnischen Kohle aus Österreich.

1

Vgl. Dok. Nr. 262.

Ministerialdirektor Ritter berichtete sodann über die Ressortbesprechungen, betreffend den Protokollentwurf. Er teilte folgende Ergebnisse mit:

1. Die Einschaltung des Haager Schiedshofs sei im Einverständnis mit Wien wieder beseitigt worden.

2. Es bestehe grundsätzliche Einigung darüber, daß der deutsche Zolltarif übernommen werden solle. Änderungen dieses Tarifs dürften nur unwesentlicher Art sein. Währungsschwierigkeiten seien dadurch beseitigt, daß die Reichsmarkrechnung für die Tarife maßgebend sein werde. Der Austausch der Einnahmen müsse natürlich auf Goldbasis erfolgen.

3. Über Zusammensetzung und Vorsitz des Schlichtungsausschusses wolle man jetzt noch keine Festlegung vornehmen, damit nicht durch eine, mit einem solchen Ausschuß erfolgende Ausschaltung der Parlamente vorzeitige Schwierigkeiten entstünden. Aus außenpolitischen Gründen müsse die Parität natürlich nach außen gewahrt werden. Der Tatsache nach werde eine deutsche Präponderanz unschwer zu erreichen sein.

4. Als Verteilungsschlüssel der Zölle werde das Verhältnis der Bevölkerungszahl maßgebend werden.

5. Eine einheitliche Veterinärpolizei sei selbstverständlich. Innerhalb des Zollgebiets müßten Abgrenzungen möglich sein, so, wie bisher innerhalb des Deutschen Reichs.

[970] 6. Es müsse sichergestellt werden, daß die rasche Wirkungsmöglichkeit des agrarischen Ermächtigungsgesetzes2 durch die Zollunion nicht beeinträchtigt werde. Das Interesse an diesem raschen Wirken liege ja auch bei Österreich. Deutschland könne daher zunächst allein handeln und an der Zwischenzollgrenze die Differenz erheben, falls Österreich nicht schnell genug folgen könne.

2

Gesetz über Zolländerungen vom 28.3.31 (RGBl. I, S. 101 ). Vgl. auch Dok. Nr. 260, Anm. 18.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte, daß er trotz erheblicher Bedenken gegen das vorliegende Protokoll über eine Zollangleichung Österreichs und Deutschlands keinen Widerspruch erheben wolle. Er setze dabei auf Grund der gestrigen Besprechung im Auswärtigen Amt3 voraus, daß im endgültigen Vertrage mit Österreich – wenn auch durch interne geheime Vereinbarungen – folgende Voraussetzungen erfüllt werden:

3

In den Akten der Rkei nicht ermittelt.

1.

Der deutsche Zolltarif wird von Österreich übernommen,

2.

über den Vorsitz im Schiedsausschuß wird eine Regelung getroffen, die die deutsche Präponderanz unter allen Umständen sicherstellt,

3.

Deutschland muß nach wie vor die Möglichkeit haben, Zolländerungen in dringenden Fällen aus eigenem Recht vorzunehmen.

Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß die neue Fassung des Protokolls ihm stark verbessert erscheine. Besondere Sorgfalt bitte er auf die Frage des Vorsitzes zu verwenden. Gegenüber dem heute vorliegenden Protokollentwurf stelle er seine Bedenken zurück.

Auf Befragen des Reichskanzlers erklärte der Reichsbankpräsident daß von der Währungsseite gegen das Projekt keine Bedenken bestünden.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg führte aus, daß ein Teil seiner Bedenken ausgeräumt sei. Im übrigen sei der jetzt vorliegende Plan ja nur eine Notlösung, dem hoffentlich bessere internationale Abmachungen folgen würden. Wenn deutscherseits der feste Entschluß vorhanden sei, die Führung in der Hand zu behalten, könne er sich mit den geplanten Richtlinien abfinden.

Abschließend machte der Reichsminister des Auswärtigen darauf aufmerksam, daß gewiß bei dieser kommenden Vereinbarung Österreich vorläufig den größeren Vorteil habe. Dies sei aber auch in der Ordnung, da der Stärkere in derartigen Fällen dem Schwächeren zweckmäßigerweise entgegenkomme. Er erinnere daran, daß der Paritätsgedanke auch in anderen Ländern (Vereinigte Staaten von Amerika, Schweiz) sehr erfolgreich angewandt worden sei. Das politische Risiko sei bei unserem Vorgehen erheblich4. Wenn man es aber überhaupt wagen wolle, sei die gegenwärtige Situation besonders günstig. Vielleicht gebe der deutsch-österreichische Schritt den Anstoß zu einer besseren Regelung der europäischen Verhältnisse, die nach dem Scheitern der Genfer Zollfriedensverhandlungen5 allgemein besonders dringlich herbeigewünscht werde. Auch innerpolitisch verspreche der deutsche Schritt[971] entlastend zu wirken. Es könne unter Umständen eine Einheitsfront von den Sozialdemokraten bis zu den Nationalsozialisten in dieser Frage entstehen.

4

Zu den dt. Bedenken vgl. Dok. Nr. 263, Anm. 2. Zur Haltung Großbritanniens und Frankreichs vgl. Dok. Nr. 271 und Anm. 4.

5

Vgl. Anm. 7.

Der Reichsminister des Auswärtigen ersuchte, den Beschluß noch völlig geheim zu halten. Die auswärtigen Regierungen sollten am Sonnabend informiert werden. Am Sonnabend und Montag beabsichtige er mit den Parteiführern des Reichstages zu verhandeln, am Montag ferner die Presse zu informieren.

Es wurde vereinbart, daß die Nachricht ausgegeben werden solle, das Kabinett habe nur über das Scheitern der Genfer Verhandlungen beraten.

Der Reichskanzler stellte hierauf die einmütige Zustimmung des Reichskabinetts zu den Vorschlägen des Reichsministers des Auswärtigen und dem nunmehr vorliegenden Wortlaut der Richtlinien fest6.

6

Die RReg. veröffentlichte am 21.3.31 eine Verlautbarung über die Zollunion (WTB Nr. 613 vom 21.3.31 in R 43 I /114 , Bl. 36) und am 23. 3. den Text des Protokolls (WTB Nr. 625 vom 23.3.31 in R 43 I /114 , Bl. 37–38; Verlautbarung und Protokoll auch in Schultheß 1931, S. 86–90). Zur weiteren Behandlung des Projekts vgl. Dok. Nr. 293, P. 3.

Extras (Fußzeile):