1.156.2 (bru2p): 2. Bericht über die Verhandlungen in Paris und London.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 13). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 2 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

2. Bericht über die Verhandlungen in Paris und London.

Der Reichskanzler erstattete eingehend Bericht über seine Eindrücke von den Verhandlungen in Paris und London2. Es habe sich gezeigt, daß die Reise nach Paris schon deshalb zweckmäßig gewesen sei, weil die Konferenz in London sonst gar nicht zustande gekommen wäre. Es habe sich außerdem als nützlich erwiesen, schon in Paris bei den Herren Mellon und Stimson etwas dem französischen Einfluß entgegenzuarbeiten, dem sie stark unterlegen gewesen wären.

2

Über die Plenarsitzungen und die Verhandlungen der Finanzminister während der Londoner Konferenz vom 20.–23.7.31 wurde ein Wortprotokoll in engl. Sprache angefertigt; ein vervielfältigtes Manuskript dieses Protokolls befindet sich in R 43 I /319 , Bl. 247–574; ein gedrucktes Exemplar des Protokolls ist in R 43 I /315 , Bl. 168–230 vorhanden. Das Protokoll ist gekürzt veröffentlicht in: Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. II, p. 435–484. Zur Londoner Konferenz vgl. auch StS Schäffers Tagebuchaufzeichnungen vom 20.–23.7.31, IfZ, ED 93, Bd. 12, Bl. 392–433. Der RbkPräs. wurde über den Verlauf der Londoner Besprechungen von RbkDir. Vocke telefonisch unterrichtet: Nachl. Luther Nr. 365, Bl. 93–98. Aufzeichnungen des RAM über Unterhaltungen mit verschiedenen Politikern am Rande der Konferenz s. Pol. Arch. des AA, Büro RM, Akten betr. Finanzkrise, Kreditaktion, Bd. 2. Die Pariser und Londoner Konferenzen sind aus den amerik. Akten dokumentiert in FRUS 1931 Vol. I, p. 286 –323. Zur brit. Beurteilung der Konferenzen s. Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. II, p. 212–221. Vgl. auch Brüning, Memoiren, S. 327–343; Curtius, Sechs Jahre Minister, S. 218–221; Schmidt, Statist auf diplomatischer Bühne, S. 218–223; Schwerin v. Krosigk, Es geschah in Deutschland, S. 135–137.

Der Reichskanzler berichtete, er habe mit dem französischen Ministerpräsidenten sehr offen gesprochen. Dabei habe er eine Anleihe für Deutschland[1422] nicht erbeten. Von der Gegenseite seien gewisse Möglichkeiten für eine solche Anleihe angedeutet worden, worauf er erwidert habe, es sei unzweckmäßig, in Paris Dinge zu vereinbaren, durch die nachträglich die vertragschließenden Regierungen infolge der innerpolitischen Wirkungen nur gestürzt würden. Bei der Besprechung im größeren Kreise habe Flandin erklärt, eine langfristige Anleihe an Deutschland sei nur im Verein mit England und Amerika möglich. Auch hier hätten sich die deutschen Herren völlig rezeptiv verhalten3. Die internationale Konferenz am zweiten Tage in Paris habe eigentlich nur die formelle Bedeutung gehabt, es der französischen Regierung zu ermöglichen, nach London zu fahren. Der französische Vorschlag für ein abschließendes Kommuniqué habe einen Hinweis auf die Stabilisierung der gegenwärtigen Verhältnisse in Europa enthalten und mußte deutscherseits infolgedessen abgelehnt werden. Man habe sich dann mit dem bekannten harmlosen Kommuniqué geholfen4.

3

Vgl. Dok. Nr. 398.

4

Vgl. Dok. Nr. 398, Anm. 10.

Auf der Fahrt nach London habe er, der Reichskanzler, sich vornehmlich mit den Herren Flandin und Piétri5 unterhalten. Er habe bei ihnen eine sehr genaue Kenntnis der deutschen Wirtschafts- und Finanzverhältnisse und des deutschen Budgets festgestellt und dabei bemerkte, daß viel mehr Tatsachenmaterial, als für Deutschland wünschenswert sei, offenbar den Veröffentlichungen des Statistischen Reichsamts entnommen worden sei. Der Reichskanzler betonte, er müsse darauf bestehen, daß künftig das Statistische Reichsamt hinsichtlich seiner Veröffentlichungen unter schärfster Aufsicht des Reichswirtschaftsministers arbeite. Die französischen Regierungsmitglieder hätten sich im übrigen überhaupt ausgezeichnet über die deutschen Verhältnisse unterrichtet gezeigt. Selbst über die verschiedenen Strömungen im Reichskabinett hätten sie Bescheid gewußt. Der Herr Reichskanzler erklärte, er müsse sich Vorschläge an das Reichskabinett vorbehalten, in welcher Weise dem begegnet werden könne. Die Verhandlungen mit den französischen Herren hätten sich in den angenehmsten Formen abgespielt. Die Franzosen seien allerdings von der Voraussetzung ausgegangen, daß Deutschland in mindestens drei Monaten doch kapitulieren müsse, während sie von deutscher Seite immer wieder darauf hingewiesen worden seien, es empfehle sich, die deutsch-französische Zusammenarbeit in praktischen Einzelfällen anzufangen und dann auszubauen.

5

François Piétri, Minister für den Staatshaushalt im Kabinett Laval.

Der formale Gang der Londoner Konferenz sei bekannt. Es habe sich ein erschreckend tiefer Gegensatz zwischen England und Frankreich aufgetan, von dem Herr Henderson allerdings nichts wissen wolle. Zweifellos werde aber in England ganz allgemein die gegenwärtige Lage als eine schwere Demütigung empfunden. Montagu Norman habe scharf an seinem Grundsatz festgehalten, daß vorläufig eine langfristige Anleihe für Deutschland nicht erreichbar sei. Stimson andererseits habe in Antwort auf einen Vorstoß Snowdens erklärt, von neuen amerikanischen Opfern könne keine Rede sein. Schließlich habe man die Hilfsmöglichkeiten in den bekannten drei Punkten erblickt:

1.

[1423]Verlängerung des bereits gewährten Rediskontkredits,

2.

Stillhaltekonsortium,

3.

Einschaltung der Golddiskontbank etwa zur Diskontierung von Handelswechseln6.

6

Vgl. Dok. Nr. 405, Anm. 2.

Für das Problem der Golddiskontbank habe sich Flandin im Verlauf der Verhandlungen sehr interessiert. Die Einschaltung der BIZ sei von den Franzosen erreicht und von deutscher Seite nur dadurch gemildert worden, daß die Bestimmung eingefügt worden sei, die Sachverständigen müßten von den Notenbanken bestellt werden.

Jede ausländische Hilfe hänge also vom französischen Gelde ab. Deutscherseits habe man für den Fall neuer Schwierigkeiten mit dem Auslandsmoratorium gedroht und auf seine Folgen für das übrige Europa hingewiesen. Die deutschen Vertreter hätten großen Wert darauf gelegt, festzustellen, daß die Schuld am Scheitern des Youngplanes nicht bei uns, sondern bei den Gläubigermächten liege. Wichtig sei, daß man wohl die Amerikaner und die Engländer von den ehrlichen und sauberen Absichten der Reichsfinanzwirtschaft überzeugt habe. Gerade diese aber hätten den Standpunkt, daß Deutschland sich zunächst selbst helfen müsse. England seinerseits befinde sich in sehr ernster Lage, auch die englischen Banken begännen, in Schwierigkeiten zu geraten, und man werde in London den Diskont unter Umständen bis auf 10% zu erhöhen geneigt sein, um nur die Goldabzüge aufzuhalten. Im ganzen gesehen werde also Deutschland mindestens drei Monate hindurch auf seine eigene Kraft angewiesen sein. Man müsse abwarten, ob in einer solchen Lage nicht Ungarn, Österreich, Polen, die Tschechoslowakei schon sehr bald in ernsteste Schwierigkeiten geraten und die Franzosen dadurch zur Vernunft gebracht würden.

Der Reichskanzler betonte mit großem Ernst, daß er jedenfalls keinerlei politische Zugeständnisse unterschreiben werde.

Ergänzend berichtete der Reichsminister des Auswärtigen Die gegenseitige Abhängigkeit der Mächte habe sich in der Konferenz besonders auffallend herausgestellt. Im übrigen habe sich eine Front gegen Frankreich, d. h., wie das Schlagwort gelautet habe, „gegen französisches Gold und französische Tanks“ gebildet7. Besonders bestürzend habe bei den Amerikanern und Italienern das französische Abrüstungsmemorandum8 gewirkt, über das die Franzosen[1424] ganz offen erklärt hätten, nur der gegenwärtige Rüstungszustand entspreche der heutigen Sicherheit, man könne nur abrüsten, wenn diese Sicherheit erhöht werde. Herr Poncet habe im übrigen erklärt, die Abrüstungskonferenz werde die große Konferenz der Zukunft sein. Herr Stimson sei durch diese Enttäuschungen in sehr große Besorgnis über die europäische Entwicklung geraten, die viel ungünstiger sei, als er erwartet habe und weitere Rückschläge vermuten lasse9.

7

In einem Gespräch mit dem RAM in der dt. Botschaft in London am 22.7.31 abends hatte der ital. AM Grandi geäußert, er halte es für unvermeidlich, „daß Frankreich, gestützt auf […] Gold und Tanks, den Versuch mache, eine europäische Hegemonie zu stabilisieren“ (Vermerk des RAM vom 24.7.31, Pol. Arch. des AA, Büro RM, Akten betr. Finanzkrise, Kreditaktion, Bd. 2).

8

Der Generalsekretär des VB, Drummond, hatte die an der Allgemeinen Abrüstungskonferenz teilnehmenden Staaten aufgefordert, Angaben über den Rüstungsstand einzureichen. Die frz. Reg. hatte daraufhin dem Generalsekretär am 15.7.31 ein Memorandum übersandt, das am 21. 7. veröffentlicht worden war. In dieser Denkschrift hatte die frz. Reg. betont, daß der Zustand der Sicherheit, in dem sich ein Land befinde, ausschlaggebend für das Maß seiner Rüstungsbeschränkung sei. Die Sicherheit werde bestimmt durch geographische und andere Bedingungen. Wegen seiner geopolitischen Lage und seiner Verpflichtungen in den überseeischen Kolonien könne Frankreich einer schematischen und nivellierenden Rüstungsherabsetzung nicht zustimmen. Das Memorandum hatte u. a. hervorgehoben, daß Frankreich durch die Verkürzung der Wehrdienstzeit von 3 Jahren auf 1 Jahr bereits eine erhebliche Vorleistung für die allgemeine Abrüstung erbracht habe. Dt. Übersetzung des Memorandums in: Europäische Gespräche, 9 (1931), S. 366–379; Auszug in: Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1747; Wertende Zusammenfassung des Memorandums durch WTB Nr. 1535 vom 21. 7. und Nr. 1538 vom 22.7.31 in R 43 I /518 , Bl. 169–170.

9

Der frz. AM Briand hatte dem REM gegenüber das Memorandum als eine theoretische Arbeit des frz. Kriegsministeriums bezeichnet; das eigentliche Memorandum zur Abrüstungskonferenz würde erst später überreicht werden. Dagegen hatte MinPräs. Laval die Denkschrift als Arbeit des frz. Ministerrats gekennzeichnet. Der ital. AM Grandi hatte in einem Gespräch mit Curtius gemeint, er sehe keine Aussicht, die Franzosen auf der Allgemeinen Abrüstungskonferenz zu einer wirksamen Herabsetzung der Rüstungen zu zwingen. Das frz. Memorandum zeige deutlich, wohin der Weg gehe. Stimson sei durch die Haltung der Franzosen aufs tiefste enttäuscht gewesen. Die Franzosen hätten ihm auch wohl einzureden versucht, daß Dtld stark gerüstet wäre. Stimson hätte aber den Franzosen klar gemacht, daß nach amerik. Auffassung Dtld wirklich abgerüstet sei. Abschließend hatte Grandi gesagt, es liege ihm nicht daran, eine wirkliche Abrüstung zu fördern. Die ital. Reg. würde Dtld in den Fragen der Gleichberechtigung und Sicherheit unterstützen (Aufzeichnungen des RAM vom 22., 23. und 25.7.31, Pol. Arch. des AA, Büro RM, Akten betr. Finanzkrise, Kreditaktion, Bd. 2).

Immer wieder hätten die Franzosen versucht, uns eine Anleihe geradezu aufzudrängen, allerdings unter der Bedingung eines politischen Moratoriums auf zehn Jahre, dessen schärfste Fassung etwa die Verpflichtung gewesen sei, in dieser Zeit den Artikel 19 des Vertrages von Versailles10 nicht anzuwenden. Die schwächste Fassung habe etwa gelautet, daß Deutschland keine Aktion in den nächsten Jahren unternehmen dürfe, „die den Frieden Europas gefährden könne“. Natürlich habe die deutsche Delegation in dieser Richtung überhaupt nichts zugestanden. Man habe sich auf keine auch nur irgendwie bedenkliche Formulierung eingelassen, so daß schließlich Herr Laval seine Anwesenheit in London nur noch als Höflichkeitsakt angesehen habe, da die Franzosen ja nicht gut wieder abreisen konnten. Andererseits sei uns von allen anderen Ländern, den Engländern, Amerikanern und Italienern dringend nahegelegt worden, doch weiter zu versuchen, mit den Franzosen in ein erträgliches Verhältnis zu kommen. Man werde ungeachtet des Festhaltens an der vom Reichskanzler geschilderten politischen Linie guttun, die französischen Herren bald nach Berlin einzuladen, wie es ihrem Wunsche entspreche.

10

Vgl. Dok. Nr. 111, Anm. 8.

Staatssekretär Dr. SchäfferSchäffer teilte zwischendurch eine Nachricht aus Basel mit, welche Zusammensetzung man sich dort für den beratenden Ausschuß der BIZ denke. Diese Vorschläge wurden vom Reichskanzler als sehr wenig im deutschen Interesse gelegen bezeichnet und Staatssekretär Schäffer angewiesen, sogleich entsprechende Schritte durch die Reichsbank in Basel zu veranlassen11.

11

Nach Schäffers Tagebuch hatte der RK StS Schäffer die vorgesehenen Mitglieder des Beratenden Sonderausschusses mitgeteilt; Brüning hatte die Auffassung vertreten, daß diese Herren im wesentlichen französisch eingestellt seien, die zu dem Ergebnis kommen würden, Dtld müsse eine Anleihe bekommen. Da die Anleihe nur in Frankreich zu haben sei, bedeute dies indirekt eine Annahme der frz. Bedingungen. Der RK hatte RM Treviranus und Schäffer gebeten, zum RbkPräs. zu gehen und auf ihn einzuwirken, daß Großbritannien Sprague benenne und Schweden Wallenberg (Aufzeichnung vom 25.8.31, IfZ ED 93, Bd. 12, Bl. 438). Luther hatte daraufhin mit Siepmann von der Bank of England telefoniert, der mitgeteilt hatte, daß als brit. Teilnehmer Layton benannt werden würde (Nachl. Luther Nr. 365, Bl. 104).

[1425] Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen berichtete sodann über die besonderen Schwierigkeiten, die beim Norddeutschen Lloyd12, bei der Schröder-Bank13 und damit auch bei der Deschimag aufgetreten seien. Eine Rekonstruktion der Schröder-Bank wäre zur Zeit in dem Sinne geplant, daß der Staat Bremen, das Reich und die Bremer Wirtschaft je 5 Millionen RM zuschössen. Im übrigen müsse der Staat auf weitere Forderungen in Höhe von 15 Millionen RM verzichten. Ob auf diese Weise eine Sanierung möglich sei, stehe noch offen.

12

S. Dok. Nr. 405, P. 4a.

13

Vgl. Dok. Nr. 402, P. 10.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen berichtete ferner über die Verhandlungen darüber, wie die Banken bei der bevorstehenden Öffnung der Schalter geschützt werden könnten. Die Reichsbank sei zur Hilfe bereit unter der Voraussetzung, daß sie nicht mehr durch Abzüge kurzfristiger Auslandsschulden bedrängt werde. Man könne dann eine neue öffentliche Gesellschaft, etwa mit 200 Millionen RM Kapital durch Zusammenwirken der Reichsbank und der Banken gründen und Wechsel auf diese neue Bank als Unterlage für Notenausgabe nehmen. Zur Lage der Danatbank erklärte der Reichsminister der Finanzen, daß von englischer Bankseite der dringende Wunsch ausgehe, sie wieder in Gang zu bringen. Eine Entschließung sei noch nicht gefaßt.

Der Reichsminister der Finanzen berichtete abschließend noch über die Schwierigkeiten der Orientbank, die besonders dadurch erhöht worden seien, daß die unter rein englischem Einfluß stehende Ägyptische Nationalbank sich weigere, deutsche Schatzanweisungen zu lombardieren, mittels derer die Reichsbank habe helfen wollen14.

14

S. Dok. Nr. 405, Anm. 8.

Abschließend wies der Reichskanzler nochmals alle anwesenden Herren darauf hin, es müsse bei den Entschließungen des Reichskabinetts die Tatsache zu Grunde gelegt werden, daß er, der Reichskanzler, keinerlei politische Konzessionen an Frankreich einzuräumen geneigt sei, um dadurch eine finanzielle Unterstützung zu erlangen.

Die Ministerbesprechung wurde hierauf geschlossen.

Extras (Fußzeile):