1.185.1 (bru2p): Politische Lage.

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Politische Lage.

In Abwesenheit des in Rom weilenden Reichskanzlers1 eröffnete und leitete der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen die Sitzung. Er führte aus, daß die von der Preußischen Staatsregierung sämtlichen in Preußen erscheinenden Tageszeitungen auferlegte Verpflichtung, eine Kundgebung der Staatsregierung gegen den Volksentscheid zu veröffentlichen2, in weitesten Kreisen große Erregung verursacht habe3. Er teilte[1540] sodann mit, daß der Reichskanzler gemäß einem fernmündlichen Gespräch eine Abänderung der Zweiten Verordnung des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 17. Juli 1931 in der Richtung für zweckmäßig halte, daß die Aufnahme der Kundgebungen an die Zustimmung der Reichsregierung geknüpft werde, bei denen es zweifelhaft sein könne, ob sie einen staatspolitischen oder parteipolitischen Charakter trügen4.

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Vgl. Dok. Nr. 440, P. 3.

2

Das RIMin. hatte der Rkei am 6.8.31 ein Exemplar des Aufrufs des PrStMin. gegen den Volksentscheid übersandt (R 43 I /2701a , Bl. 139–143). Text des Aufrufs in: Schultheß 1931, S. 175–177; Ursachen und Folgen Bd. VIII, Dok. Nr. 1780b; DAZ Nr. 357–358 vom 8.8.31.

3

Der DVP-Vorsitzende Dingeldey hatte am 21.7.31 in einem Schreiben an den RIM die Befürchtung geäußert, daß die Pr.Reg. die 2. NotVO zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 17.7.31 (RGBl. I, S. 371 ) einseitig zur „Beeinträchtigung der Freiheit der Bewegung für einen Volksentscheid“ anwenden werde. Eine Durchschrift des Schreibens hatte Dingeldey an StS Pünder gesandt (R 43 I /2701a , Bl. 117–119; Zitat Bl. 118). StS Pünder hatte Dingeldey mit Schreiben vom 5.8.31 versichert, „daß alles geschehen wird, um eine einseitige Handhabung dieser Notverordnung zu verhindern“ (Konzept des MinR Wienstein vom 31.7.31, R 43 I /2701a , Bl. 120). Am 6. 8. hatte Dingeldey ein Telegramm an Pünder gesandt, in dem er den von der Pr.Reg. unter Berufung auf § 1 der NotVO vom 17. 7. erzwungenen Abdruck des Aufrufs in allen pr. Tageszeitungen als politischen Mißbrauch der NotVO zum Zwecke der Wahlbeeinflussung bezeichnet hatte. Die RReg. müsse die Pr.Reg. von diesem Vorhaben abbringen, da anderenfalls die Stärkung radikaler Tendenzen und eine neue Erregung der Bevölkerung zu befürchten sei. Weite Kreise, die die RReg. bisher unterstützt hätten, würden durch die von Preußen geübte Anwendung der NotVO in eine Oppositionsstellung gedrängt, die schwere Gefahren in sich schließe (R 43 I /2701a , Bl. 136–137; das Telegramm wurde im Wortlaut von der DAZ Nr. 357–358 vom 8.8.31 veröffentlicht). MinDir. v. Hagenow hatte eine Abschrift des Telegramms an das RIMin. übermittelt. Kurz vor 19 Uhr habe der RIM ihn angerufen und folgendes mitgeteilt: er habe bereits von sich aus, sowohl beim MinPräs. Braun als auch beim Min. Severing seine Bedenken gegen das pr. Vorgehen angemeldet. Es bleibe zunächst abzuwarten, was Preußen tun werde. Sollte sich am nächsten Tage ein großer Sturm entfachen, dann müsse er um eine Ministerbesprechung bitten (Vermerk Hagenows vom 6.8.31, R 43 I /2701a , Bl. 138; Konzept der von Hagenow entworfenen Antwort Pünders an Dingeldey vom 6.8.31 mit Hinweis auf die vom RIM ergriffene Initiative, a.a.O., Bl. 144). Das Protestschreiben des „Stahlhelm“ an den RPräs. wurde von der DAZ Nr. 357–358 vom 8.8.31 veröffentlicht; auch in Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1780c. Aufrufe der DNVP und des „Stahlhelm“ an die pr. Wähler wegen des Aufrufs sind ebenfalls von der DAZ Nr. 357–358 vom 8.8.31 publiziert worden. Vgl. auch die Tagebucheintragung Schäffers vom 6.6.31: „Erlaß der Preußischen Regierung auf Grund der Berichtigung(spflicht) in die Reichspresse gezwungen. Ein Wahnsinn sondergleichen. Entsprechend mit dem Büro Staudinger und Ernst telefoniert“ (IfZ ED 93, Bd. 13, Bl. 569).

4

Vgl. dazu die Durchschrift des Vermerks von StS Pünder über ein Telefongespräch mit dem RK in Rom am 7.8.31, 12 Uhr. Der RK hatte sich gegen die Aufhebung der NotVO und für eine Abänderung ausgesprochen. „In einer solchen Abänderung liege zwar eine deutliche Distanzierung von dem preußischen Vorgehen, nicht aber eine völlige Desavouierung, die dem Herrn Reichskanzler politisch unbequem wäre“ (R 43 I /2701a , Bl. 145). Vgl. auch Brüning, Memoiren, S. 352 f.

Staatssekretär Dr. MeissnerMeissner teilte mit, daß der Herr Reichspräsident ursprünglich die Zweite Verordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen unter dem Eindruck des Vorgehens der Preußischen Staatsregierung sofort habe aufheben wollen. Dem Herrn Reichspräsidenten sei in zahllosen Zuschriften und Telegrammen aus dem Lande gesagt worden, er lasse sich mißbrauchen und würde den Rest seines Ansehens in nationalen Kreisen verlieren, wenn er jetzt nicht einschreite. Der Herr Reichspräsident stehe sehr stark unter dem Eindruck dieser Mitteilungen, werde aber nicht auf einer Aufhebung der Notverordnung bestehen, sondern mit einer Abänderung einverstanden sein, die derartige Mißbräuche künftighin ausschließe. Außerdem wolle der Herr Reichspräsident ganz klar seine Mißbilligung an dem Vorgehen der Preußischen Staatsregierung in der heutigen (7. 8.) Pressekonferenz zum Ausdruck bringen lassen5.

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StS Meissner hatte die Rkei bereits telefonisch über die Absichten des RPräs. informiert und im Namen Hindenburgs um die Einberufung einer Ministerbesprechung um 12 Uhr gebeten (Vermerk des ORegR Pukaß vom 7.8.31, R 43 I /2701a , Bl. 146).

Der Reichsminister des Innern führte aus, er habe am 6. August mittags zum ersten Mal von der Absicht der Preußischen Regierung gehört, den in Preußen erscheinenden Tageszeitungen eine Kundgebung der Preußischen Staatsregierung gegen den Volksentscheid zugehen zu lassen. Er habe sofort den Preußischen Minister des Innern davon unterrichtet, daß er diese Absicht mißbillige.

Wenn nun der Herr Reichspräsident eine scharfe Erklärung gegen den Veröffentlichungszwang der Kundgebung in der Pressekonferenz mitteilen lasse, werde diese Erklärung als Desavouierung der Preußischen Regierung von der Öffentlichkeit aufgefaßt werden. Darüber hinaus werde ein Konflikt mit der[1541] SPD entstehen. Nach seiner Ansicht sei es am besten, daß der Herr Reichspräsident in einer Erklärung lediglich zum Ausdruck bringe, er habe auf Grund der zahlreichen Anfragen aus dem Lande die Reichsregierung um Vorschläge zur Änderung der Notverordnung vom 17. Juli ersucht.

Staatssekretär Dr. MeissnerMeissner verlas daraufhin folgende Verlautbarung:

„Berlin, den 7. August 1931. Der Herr Reichspräsident läßt auf die ihm heute zugegangenen zahlreichen telegraphischen Anfragen mitteilen, daß die Anordnung der Veröffentlichung der gestrigen Kundgebung der Preußischen Staatsregierung ihm Veranlassung gegeben habt, die Reichsregierung um Vorschläge zur Abänderung der Verordnung vom 17. Juli d. Js. zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen zu ersuchen.

Die Reichsregierung wird unverzüglich solche Vorschläge dem Herrn Reichspräsidenten unterbreiten.“6

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Eine schärfer formulierte Erklärung hatte StS Meissner der Rkei telefonisch um 11.30 Uhr übermittelt: „Der Herr Reichspräsident läßt auf die ihm heute zugegangenen zahlreichen telegraphischen Anfragen mitteilen, daß die Anordnung der Veröffentlichung der gestrigen Kundgebung der Preußischen Staatsregierung nach seiner Auffassung nicht dem Sinne und dem Zwecke seiner Verordnung vom 17. Juli 1931 zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen entspricht. Der Herr Reichspräsident hat diese seine Auffassung sofort dem Herrn Reichskanzler und der Reichsregierung mitgeteilt, um eine Nachprüfung der Vorgänge und um entsprechende Vorschläge ersucht.“ Meissner wollte diese Verlautbarung noch bis 12.30 Uhr zurückhalten (Vermerk des ORegR Pukaß vom 7.8.31, 11.30 Uhr, R 43 I /2701a , Bl. 147). Die von Meissner in der Ministerbesprechung verlesene Erklärung wurde von WTB Nr. 1659 vom 7.8.31 veröffentlicht (R 43 I /2701a , Bl. 149; auch in Schultheß 1931, S. 177).

Der Reichsminister des Innern führte aus, daß die Abänderung der Notverordnung nicht überstürzt werden dürfe. Nach seiner Ansicht sei es zweckmäßig, im § 1 hinter dem verantwortlichen Schriftleiter auch die Verleger zu nennen und ferner allgemein den Aufnahmezwang von Kundgebungen von der Zustimmung der Reichsregierung abhängig zu machen. Er müsse diese Dinge aber noch mit den Verlegern und den Redakteuren besprechen und gebrauche hierfür Sonnabend, den 8. August, so daß das Reichskabinett erst am Montag sich mit einer Abänderung befassen könne.

Reichsminister TreviranusTreviranus führte aus, daß das Vorgehen der Preußischen Regierung sämtliche Parteien rechts vom Zentrum veranlassen werde, für den Volksentscheid zu stimmen. Darüber hinaus aber glaube er, daß von diesen Parteien baldigst ein Antrag auf Einberufung des Reichstags gestellt werden würde, wenn nicht umgehend eine Aufhebung oder zum mindesten eine Abänderung der Notverordnung vom 17. Juli 1931 erfolge, die derartige Mißbräuche ausschließen.

Staatssekretär Dr. MeissnerMeissner führte aus, daß der Herr Reichspräsident damit einverstanden sein werde, wenn das Reichskabinett unter Vorsitz des inzwischen zurückgekehrten Reichskanzlers am Montag, dem 10. August, sich mit der Frage der Abänderung der Notverordnung vom 17. Juli zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen befassen werde.

Es bestand Übereinstimmung darüber, daß eine Ministerbesprechung am Montag, den 10. August, um 11 Uhr vormittags sich mit dieser Angelegenheit befassen soll7.

7

S. Dok. Nr. 440, P. 1.

[1542] Der Reichsminister des Innern wird am Freitag, den 7. August, und am Sonnabend, den 8. August, mit den Verlegern und Redakteuren wegen der Abänderung der Notverordnung Fühlung nehmen.

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