1.204.1 (bru2p): Wirtschaftspolitische Maßnahmen.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 8). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 2 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

Wirtschaftspolitische Maßnahmen.

(Fortsetzung der Besprechung vom Sonnabend, dem 22. August 1931, über Bankfragen)1.

1

Dieses Dok. ist auch veröffentlicht in: Born, Die dt. Bankenkrise, S. 232–237.

Der Reichskanzler stellte eingangs fest, daß Eile geboten sei, die Bankfragen nunmehr zu regeln. Unter anderem wüchsen im Lande die Sorgen wegen der Schäden für die kleinen und mittleren wirtschaftlichen Betriebe infolge der Drosselung der Kredite.

Minister a. D. DernburgDernburg legte dar, es habe den Anschein, daß die finanzielle Lage zum Stehen gekommen sei. Das liege aber nur daran, daß das Reich insgesamt rund 1,5 Milliarden in die hauptsächlich notleidenden Betriebe eingeschossen habe. Tatsächlich gäbe es keine Staatsbank, die nicht unter dem Druck der Finanznot des Staates völlig illiquide sei. U. a. seien namentlich Hessen und Sachsen wegen dieser Nöte in den letzten Tagen noch vorstellig geworden2. Auch die Lage bei den Privatbanken biete Anlaß zu Bedenken. Die Reichsbank habe nicht genügend Einblicke in diese Verhältnisse. Sie kenne nur ihre eigenen Wechselportefeuilles, nicht jedoch, wie die Verhältnisse bei den Banken genauer liegen. Er wolle nicht zu einer neuen Enquête raten. Eine weitere Klärung der Verhältnisse sei aber unbedingt erforderlich. Auch die Reichsbankpolitik müsse erörtert werden.

2

Nicht ermittelt. Vgl. aber zur finanziellen Notlage Sachsens Dok. Nr. 432. Der hess. FM Kirnberger hatte in Schreiben vom 14.7.31 an den StS Rkei einen Reichskredit von 9 Mio RM für das Land Hessen und von 3 Mio RM für die „mit Wohlfahrtslasten übersetzten Städte“ erbeten. Wenn das Reich den Kredit nicht gewähre, sei ein Aufstand der Bevölkerung zu befürchten. „Wenn es in dieser Westecke, die nicht nur von Frankreich dauernd beobachtet wird, sondern wo sich Städte und Industrie zusammenballen wie nur an wenigen Plätzen Deutschlands und wo eine sehr leicht erregbare Bevölkerung wohnt, zum Aufstand kommt, dann werden die Wirkungen unübersehbar sein. Da wir im neutralen Gebiet wohnen, und deshalb keine Reichswehr haben, wird eine Niederschlagung des Aufstandes undenkbar sein. Die große Gefahr besteht, daß dann die Franzosen ‚zur Sicherung der Ruhe in ihrem Gebiet‘ einmarschieren“ (R 43 I /2272 , S. 157–160; Zitat 158 f.). Laut Vermerk des ORegR Planck vom 14.7.31 (R 43 I /2272 , Bl. 157) wurde das Schreiben ebenso wie das Schreiben des Sächs. MinPräs. behandelt: s. Dok. Nr. 432, Anm. 4.

Direktor ReinhartReinhart meinte, er halte, im Gegensatz zu Minister Dernburg, eine besondere Bankaufsicht nicht für angebracht. Diese gehöre zur Reichsbank.

[1620] Direktor PferdmengesPferdmenges ging näher auf die Entstehung der Krise ein und erklärte, es handele sich nicht um eine Bankenkrise. Die Schwierigkeiten seien lediglich eine Folge der allgemeinen Krise. Die kurzfristigen Kredite seien bei den Banken zunächst wohl als solche behandelt worden. Die an die Industrie weiter vergebenen Kredite seien bei dieser aber aufgezehrt worden, und zwar namentlich durch die hohen Abgaben und sozialen Lasten. Dadurch seien die kurzfristig vergebenen Kredite eingefroren und zu langfristigen geworden. Die Bankaufsicht brauche daher nicht weit zu gehen. Er stimme mit Direktor Reinhart darin überein, daß auch nur eine Bankaufsicht eingeführt werden dürfe, die der Reichsbank angegliedert sei.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg betonte, daß sich aus der Stützung der Banken durch das Reich eine ganz außerordentliche Verantwortung für die beteiligten Stellen der Reichsregierung ergeben habe. Man müsse daher für die Zukunft unbedingt mehr Klarheit und Sicherheit schaffen. Man könne nicht abwarten, bis die nächste Bank zusammenbreche. Deswegen könne er die Einwände des Direktors Pferdmenges und dessen Bedenken gegen eine durchgreifende Bankaufsicht nicht teilen, wenn er auch bezüglich der Entstehung der Schwierigkeiten ihm weitgehend beipflichte.

Die Frage der Bankaufsicht sei im wesentlichen eine Personenfrage. Im Vordergrund stehe nicht die Frage der Organisation, sondern eine geeignete Persönlichkeit zu finden, die die Aufgaben übernähme. Sodann frage es sich, ob eine solche Persönlichkeit bei der Reichsbank bestellt werde, oder ob der Reichsbankpräsident die Aufgabe übernähme, und sie durch ein Mitglied des Direktoriums ausüben lasse. Die Verantwortung der Reichsregierung erfordere aber, daß der Wille zum Ausdruck gebracht werde, die Bankverhältnisse künftighin mehr zu sichern. Die Bankaufsicht könne rücksichtsvoll ausgeübt werden und auch im privatwirtschaftlichen Interesse des Bankgewerbes liegen. Das Vertrauen zu den Banken könnte dadurch wieder erhöht werden. Mißstände des Konkurrenzkampfes könnten dadurch erschwert werden.

Der Reichsbankpräsident führte näher aus, daß die Entwicklung der letzten Zeit kaum anders gekommen wäre, wenn eine Bankaufsicht bereits bestanden hätte. (Diese Ansicht wurde durch Zwischenbemerkungen der übrigen Sachverständigen fast allgemein angezweifelt). Man dürfe darum nicht zu große materielle Erwartungen an die Einrichtung einer Bankaufsicht knüpfen. Während seiner Amtsführung wenigstens hätte auch durch eine Bankaufsicht nichts geändert werden können. Die Einzelheiten der Bankaufsicht müßten nunmehr zwischen dem Reichskanzler und ihm besprochen werden.

Die allgemeine Finanzlage sei kurz zu charakterisieren als Folge eines Devisenruns.

Professor SteinStein äußerte die Ansicht, daß die Bankaufsicht sicherlich auch materiellen Nutzen haben werde.

Minister a. D. DernburgDernburg führte aus, daß schon die Reichsbankpolitik zum Gedanken der Bankaufsicht überleiten müsse. Die Restriktionen seien ein Unglück für die Wirtschaft. Die Regierung müsse ein Organ haben für alle Handlungen gegenüber den Banken. Die durch die Beteiligung an Banken übernommene[1621] Verantwortung mache ein solches Organ für das Reich unentbehrlich. Auch die personelle Zusammensetzung und deren Tradition bei der Reichsbank mache die Reichsbank für die Bankaufsicht ungeeignet. Die Reichsregierung werde dann Gefahr laufen, weiterhin in Bankfragen von der Reichsbank möglichst ausgeschaltet zu werden, wie das häufig erlebt worden sei. Aber nicht nur aus sachlichen, sondern auch aus politischen Gründen sei ein besonderes Organ neben der Reichsbank notwendig. Dessen Aufgabe würde auch dahin gehen, bessere Aufschlüsse zu beschaffen. Die Bankaufsicht brauche keine Verkleinerung der Bedeutung der Reichsbank zu sein. Die beiden Organe Reichsbank und Bankaufsicht sollten nicht gegen-, sondern miteinander arbeiten.

Auch die Leitung der Kreditpolitik müsse auf diese Weise geändert werden.

Direktor PferdmengesPferdmenges erklärte, Mißstände bei der Privatwirtschaft und bei den Banken müßten zugegeben werden. Es sei auch anzuerkennen, daß nach der Beteiligung des Reichs bei den drei Banken etwas geschehen müsse, um die ganzen Bankverhältnisse zu beaufsichtigen. Auf die Kreditverteilung allein komme es aber nicht an. Der Ausweg aus der allgemeinen Schwierigkeit der Volkswirtschaft müsse gefunden werden durch billige Arbeit und Steigerung des Veredlungsverkehrs. Damit müsse Geld in das Land hereingeholt werden. Die Banken seien zur Zeit durch die Stillhaltungsaktion einigermaßen beruhigt.

Der Reichsbankpräsident meinte, er befürchte Reibungsmöglichkeiten im Falle der Einrichtung einer besonderen Bankaufsicht. Was die Kreditrestriktionen angehe, so habe die Reichsbank allerdings gedrosselt. Zur Zeit drossele sie aber nicht. Eine generelle Drosselung sei auch verfehlt und werde die noch gesunden Unternehmungen ruinieren. Es zeige sich aber, daß die Banken und auch die Sparkassen generell zurückforderten.

Direktor Pferdmenges habe zugegeben, daß die Reichsbank auch durch noch so liberale Politik keine Geldmittel schaffen könne.

Professor SteinStein gab zu, daß die Reichsbank zur Zeit nicht mehr drossele. Es werde aber beobachtet, daß die Einlagen bei den Geldinstituten schwinden. Die genossenschaftlichen Kassen hätten generelle Aufforderungen zu Rückzahlungen ergehen lassen, aber nur, um individuelle Verhandlungen dadurch einzuleiten.

Ministerialdirektor SchlegelbergerSchlegelberger machte Mitteilungen über seine Erfahrungen über die Bankaufsicht in Chile3. Die Regelung sei dort außerordentlich[1622] weit gegangen, z. B. auch bezüglich der Strafbefugnisse. Sie sei aber zum großen Teil Theorie geblieben. Praktisch habe sich eine mehr beratende Tätigkeit der Bankaufsicht herausgebildet, und zwar durch den Superintendenten der Bankaufsicht. Die Zusammenarbeit habe sich sehr gut entwickelt. Ein Zeichen dafür sei, daß die Banken ihre Beiträge für die Bankaufsicht sogar sehr gern zahlten. Eine solche Einrichtung müsse auch in Deutschland angestrebt werden.

3

Mit Dekret vom 26.9.25 war in Chile eine staatliche Bankenaufsicht durch einen mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten Generalkommissar eingerichtet worden. Der Bankenkommissar war befugt, jegliche Auskunft von Verwaltungsräten und Bankbeamten über den Geschäftsbetrieb zu verlangen. Wenigstens einmal im Jahr mußte er ohne vorherige Ankündigung eine gründliche Revision vornehmen. Kapital und offene Reserven der Banken mußten mindestens 25% der Depositengelder betragen. Den Banken war ausdrücklich untersagt, eigene Aktien zu erwerben oder zu bevorschussen (Aufstellung der Reichs-Kredit-Gesellschaft über „Die staatliche Regelung des Bankwesens im Auslande“ R 43 I /647 , Bl. 132–153, hier Bl. 150–151).

Minister a. D. DernburgDernburg äußerte die Befürchtung, daß die jetzige Ruhe der Finanzverhältnisse sicher wieder gestört werden würde durch die weitere außenwirtschaftliche Entwicklung. Die Stillhaltung werde ablaufen, ebenfalls das Hooverjahr. Weitere Erschütterungen aus solchen Ereignissen würden bestimmt nicht ausbleiben können. Daraus würden sich Aufgaben ergeben, die nicht von der Reichsbank nebenamtlich ausgeübt werden könnten. Ein besonderes Bankamt werde nötig sein. Das Reich dürfe nicht an der Sorge um die Währung zusammenbrechen. Unter den jetzigen Verhältnissen könnten wir zudem unmöglich wieder hochkommen, wenn auch die Ruhe erhalten worden sei.

Minister a. D. HilferdingHilferding erklärte einzusehen, daß die Notenbank kein Geld schaffen könne. Das Herausziehen des Kapitals aus der Wirtschaft sei aber verhängnisvoll. Auch bei den Sparkassen dauerten die Abhebungen fort. (Minister a. D. Dernburg erwähnte zwischendurch, daß in Sachsen 10,7% bisher gekündigt worden seien.) Die Sparkassenkunden gingen zum Teil anscheinend zu den Banken wegen der Kündigungsklausel, die durch die Notverordnung festgelegt worden sei4. Es sei zu erwägen, ob diese Bestimmung nicht abgeschafft werden müsse; die Einlagen würden sonst doch gekündigt.

4

Vgl. § 2 der NotVO über Sparguthaben vom 6.8.31 (RGBl. I, S. 431 ).

Direktor ReinhartReinhart meinte, die Einlagegelder würden zurückkommen, wenn die Sparkassen auszahlen würden.

Professor SteinStein äußerte ebenfalls die Ansicht, daß die Gelder zum Teil zu den Banken übergehen. Die Abhebungen seien besonders in den Großstädten, Berlin, Rheinland und Westfalen groß.

Der Reichskanzler meinte, daraus sei vielleicht zu folgern, daß die Abhebungen zum Teil zum Verbrauch erfolgten, und zwar infolge der Not der kleinen Einleger. Diese kämen mit den geschmälerten Einkommen und den gekürzten Gehältern vielleicht zum großen Teil nicht aus.

Reichsbankdirektor MüllerMüller teilte mit, daß ein Steigen der Girokonten und eine Abnahme der Sparkonten festgestellt worden sei. Die Notverordnung habe offenbar ein gewisses Mißtrauen zu den Sparkassen verursacht. Auch er halte für erwägenswert, ob die Notverordnung in der Beziehung nicht aufgehoben werden solle. In Berlin sei ein Saldo von täglich 400 000–500 000 RM errechnet worden, um den die Einlagen hinter den Abnahmen zurückblieben.

Ministerialdirektor ErnstErnst bezeichnete den Vorschlag einer Abschaffung der Kündigungsklausel als sehr beachtlich. Zu dem Bedenken wegen der Kündigungsklausel komme aber beim Publikum noch das Mißtrauen gegen die Kommunen[1623] hinzu. Es sei vielleicht zu erwägen, eine Ausfallbürgschaft für die Sparkassen zu übernehmen.

Minister a. D. DernburgDernburg meinte, die 400 000–500 000 RM täglichen Einzahlungsrückgangs beunruhigten ihn nicht. Die Haupteinleger bei den Sparkassen seien Beamte. Die Senkung der Gehälter erkläre also den Einlagerückgang.

Der Reichskanzler erläuterte auf Grund von Unterlagen des Reichspostministers5, wie erheblich die Bedeutung der Gehaltssenkung der Beamten in den unteren und mittleren Gruppen für deren Lebenshaltung sei.

5

Nicht ermittelt.

Professor SteinStein gab der Befürchtung Ausdruck, daß eine Ausfallbürgschaft für die Sparkassen sich auswirken werde in einer Abkehr der Einleger von den Genossenschaften.

Ministerialdirektor ErnstErnst meinte, eine Umorganisation der Sparkassen sei in jedem Falle nötig. Bei dieser Gelegenheit könne die Ausfallbürgschaft übernommen werden, ohne daß sie in der Öffentlichkeit mehr als nötig Beachtung finden werde.

Der Reichskanzler vertagte die Beratung und teilte mit, daß bis zur nächsten Sitzung6 im Benehmen mit dem Reichsbankpräsidenten ein Entwurf für eine Bankaufsicht7 ausgearbeitet werde8.

6

S. Dok. Nr. 474.

7

S. Dok. Nr. 469, P. 3.

8

Vgl. zu dem Verlauf dieser Besprechung auch die Tagebuchaufzeichnung des StS Schäffer vom 29.8.31, IfZ ED 93, Bd. 13, Bl. 715–718.

Extras (Fußzeile):