1.216.1 (bru2p): 1. Spar- und Sanierungsmaßnahmen.

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1. Spar- und Sanierungsmaßnahmen.

Der Reichsminister der Finanzen trug vor, daß die in Vorbereitung befindliche umfassende preußische Notverordnung über Ersparnisse in Preußen bei[1680] Land und Gemeinden von der Voraussetzung ausgehe, daß das Reich seinerseits bestimmte Maßnahmen auf dem Gebiet der Beamtenbesoldungspolitik sowie bezüglich der Pensionsregelung erlasse1. Da Preußen beabsichtige, seine Notverordnung nicht herauszugeben, bevor das Reich die von ihm zu treffenden Maßnahmen fertiggestellt habe und Preußen seine Notverordnung nicht länger zurückhalten könne, bitte er, die in Frage kommenden Verordnungen des Reichs baldigst zu verabschieden.

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S. Dok. Nr. 467, Anm. 1.

Er trug sodann den wesentlichen Inhalt des Entwurfs zu einer Notverordnung des Reichspräsidenten über verschiedene besoldungsrechtliche Bestimmungen […]2 sowie des Entwurfs einer Verordnung des Reichspräsidenen über die Neuregelung der versorgungsrechtlichen Vorschriften für die Beamten des Reichs, der Länder, Gemeinden (Gemeindeverbände) und der Körperschaften des öffentlichen Rechts und für die Offiziere der alten und neuen Wehrmacht (Pensionsänderungsverordnung) vor […]3.

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Der VOEntw. des RFM vom 5.9.31 enthielt verschiedene besoldungsrechtliche Vorschriften: § 1 hemmte die Dienstaltersaufrückung um 2 Jahre; § 2 verkürzte das Diätendienstalter der Assessoren; § 3 übertrug die Hemmung der Dienstaltersaufrückung auf Angestellte; § 4 beseitigte die Vorschrift, daß außerplanmäßige Beamte nach Ablauf einer außerplanmäßigen Dienstzeit von 5 bzw. 4 Jahren anzustellen seien; § 5 enthielt eine Klarstellung der Rechtsverhältnisse der Saarbeamten (R 43 I /2373 , S. 681–686).

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Der VOEntw. des RFM vom 5.9.31 enthielt u. a. Bestimmungen über die Herabsetzung der Höchstgrenze für Warte- und Ruhegeld von 80 auf 75% des ruhegeldfähigen Einkommens, die Einführung eines Höchstruhegeldes, die Herabsetzung des Höchstwitwengeldes, die unmittelbare Anwendung dieser VO auf Länder, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Anwendung der VO auf die bereits im Warte- und Ruhestand befindlichen Personen und deren Hinterbliebenen. Im Anschreiben hatte der RFM die verfassungsrechtliche Problematik des Art. 129 Abs. 1 RV erörtert; vgl. dazu Dok. Nr. 467 (R 43 I /2608 , Bl. 229–236). In einer Stellungnahme vom 9.9.31 zum Entw. des RFM hatte StS Joël vorgeschlagen, eine Bestimmung aufzunehmen, welche die durch die RV gewährleisteten Rechte gegenüber den Vorschriften der VO aufrechterhalten sollte. „Die Beurteilung, welche Rechte verfassungsmäßig gewährleistet sind, würde dann in erster Hand den Verwaltungsbehörden überlassen bleiben, die die Verordnung anzuwenden haben“ (R 43 I /2608 , Bl. 244–245, Zitat Bl. 244).

Einzelne dieser Bestimmungen wurden von Ministerialdirigent WeverWever und Ministerialrat SölchSölch näher erläutert.

Staatssekretär JoëlJoël äußerte Bedenken bezüglich der vorgesehenen Regelung des Rechtsverhältnisses der Saarbeamten in § 5 der erstgenannten Verordnung4. Er erklärte, daß der Vorschlag verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaft sei. Angesichts der in der Saarbeamtenfrage vorliegenden Reichsgerichts-Entscheidungen bestehe die große Gefahr, daß das Reichsgericht die[1681] Verordnung in diesem Punkte für verfassungswidrig erklären werde5. Einer solchen Gefahr dürfe man eine Verordnung des Reichspräsidenten nicht aussetzen. Er schlage daher eine andere Lösung vor. Durch die Verordnung sollen die Verwaltungsbehörden ermächtigt werden, die Bezüge der in Frage kommenden Gruppen von ins Saargebiet beurlaubten deutschen Beamten der Rechtslage entsprechend festzusetzen. Die Berechnung der Bezüge wäre alsdann Sache der Verwaltungsbehörden. Wenn die Verwaltungsbehörden demnächst bei der Durchführung ihrer Aufgabe von den Gerichten mißbilligt werden sollten, so wäre dies jedenfalls eher zu ertragen wie die Aufhebung einer Verordnung des Reichspräsidenten.

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§ 5 des VOEntw. über verschiedene besoldungsrechtliche Bestimmungen lautete: „Beurlaubte Reichsbeamte, denen hinsichtlich ihrer Dienstbezüge Gleichstellung mit den nichtbeurlaubten Beamten zugesichert ist, können aus dieser Zusicherung vermögensrechtliche Ansprüche nur insoweit erheben, als sie seit dem 1. Dezember 1923 bei Gegenüberstellung ihrer sämtlichen Dienstbezüge mit denen der vergleichbaren nichtbeurlaubten Beamten schlechter als diese gestanden haben oder stehen. Bei der Gegenüberstellung sind die allgemeinen wirtschaftlichen Umstände einschließlich der steuerlichen Belastung sowie etwaige allgemeine Zuwendungen zu berücksichtigen, die die beurlaubten Beamten erhalten haben. Die Gegenüberstellung der Bezüge hat sich auf die gesamte Zeit der Beurlaubung zu erstrecken“ (R 43 I /2373 , S. 684).

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Aufgrund einer Vereinbarung zwischen der RReg. und der Regierungskommission des Saargebiets erhielten die Saarbeamten Gehälter, die an der Besoldungsordnung für Reichsbeamte orientiert waren. Während die Regierungskommission die Auffassung vertreten hatte, die Bezüge der Saarbeamten müßten den Gehältern der Reichsbeamten nur „wirtschaftlich“ äquivalent sein, hatte das RG der Klage von drei Saarbeamten stattgegeben, daß ihre Bezüge auch ziffernmäßig mit den Gehältern der dt. Besoldungsordnung übereinstimmen müßten. Da nach der Besoldungsordnung der Regierungskommission die Saarbeamten nominell geringere Gehälter als die Reichsbeamten erhielten, hätte der Fiskus 20–25 Mio RM an Ausgleichszahlungen zugunsten der Saarbeamten aufwenden müssen (Aufzeichnung des AA über die Saarbeamtenfrage vom 28.3.31, R 43 I /251 , Bl. 173–210).

Der Reichskanzler stellte die Frage zur Erörterung, ob man die von dem Reichsfinanzministerium vorgelegten Verordnungsentwürfe für sich allein verabschieden und veröffentlichen könne, bevor das Gesamtprogramm fertiggestellt sei. Er selbst vertrat die Meinung, daß man mit einer vorweggenommenen Teillösung des Gesamtprogramms nicht schon jetzt hervortreten könne. In der Öffentlichkeit werde man der Reichsregierung zum Vorwurf machen, daß sie der Gesamtlage immer nur durch Kürzungsverordnungen Herr zu werden trachte, einen Gesamtsanierungsplan aber vermissen lasse. Aus diesem Grunde sei die allein mögliche Lösung die, die vorgetragenen Verordnungsentwürfe in das bevorstehende Gesamtprogramm einzugliedern. Fraglich sei nur, ob Preußen mit dem Erlaß seiner Notverordnung warten könne, bis das Gesamtprogramm der Reichsregierung fertiggestellt sei. Er rechne bestimmt damit, das Programm der Reichsregierung in der nächsten Woche zu Ende beraten zu können, so daß es dann Montag, den 21. September, veröffentlicht werden könne. Von dem Gesamtprogramm der Reichsregierung abgetrennt werden könne wohl nur der Fragenkomplex, der sich mit der Aktienrechtsreform und der Einrichtung einer Bankenaufsicht befasse und ferner auch die Maßnahmen auf dem Gebiete des Giro- und Sparkassenwesens. Dieses Teilgebiet könne schon in den ersten Tagen der kommenden Woche verabschiedet und anschließend veröffentlicht werden. Mit den Beratungen der großen Verordnung, die das Winterprogramm der Reichsregierung darstellen werde, könne am Mittwoch, dem 16. September, begonnen werden.

Staatssekretär WeismannWeismann erklärte, daß auch die Preußische Staatsregierung es für richtiger halte, die zu treffenden besoldungsrechtlichen Bestimmungen und die Pensionsänderungen einheitlich mit dem Gesamtkomplex des Sanierungsprogramms zu regeln. Preußen werde nach wie vor daran festhalten, seine Verordnung nicht vor der Reichsregelung herauszugeben. Er glaube auch,[1682] daß die Preußische Staatsregierung in diesem Sinne noch etwa 10 Tage mit dem Erlaß ihrer Verordnung warten könne, länger jedoch nicht.

Der Reichsminister der Finanzen erwiderte, daß das Reichsfinanzministerium bisher unter dem Druck des Preußischen Finanzministers gestanden habe und nur aus diesem Grunde die vorgelegten Verordnungsentwürfe vorweggenommen habe. Angesichts der Erklärung von Staatssekretär Weismann halte er es selbstverständlich für richtiger, die Verordnungsentwürfe für das Gesamtprogramm zurückzustellen.

Der Reichskanzler bemerkte sodann noch, daß das Reichsernährungsministerium prüfen müsse, welche agrarpolitischen Maßnahmen in der neuen Notverordnung vorzusehen seien, nachdem sich aufgrund des Druschergebnisses der neuen Ernte herausgestellt habe, daß die verfügbaren Vorräte an Weizen und Roggen erheblich hinter den Schätzungen zurückbleiben.

Der Reichsarbeitsminister sprach sich ebenfalls für eine einheitliche Gesamtlösung der zu regelnden Materien aus.

Der Reichswehrminister erklärte zunächst, daß keine der vom Reichsminister der Finanzen vorgelegten Verordnungen getrennt vom Gesamtprogramm herausgebracht werden dürfe. Zu den Verordnungsentwürfen selbst erklärte er, man müsse sich darüber klar sein, daß am 1. Oktober ein großer Teil der Beamtenschaft vor der Aufrückung in eine höhere Gehaltsstufe stehe. Durch die im Verordnungsentwurf vorgesehene Hemmung der Dienstaltersaufrückung werde man die betroffenen Beamten aufs äußerste verbittern. Der Erfolg werde sein, daß dieser Kreis in das Lager der Nationalsozialisten abwandere. Er glaubte dringend empfehlen zu müssen, sich vor allen Dingen auch über die politische Wirkung der einzelnen Maßnahmen der vorgetragenen Verordnungsentwürfe klar zu sein.

Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß auch er an dem Inhalt der vorgetragenen Verordnungsentwürfe mancherlei auszusetzen habe. Insbesondere meinte er, daß man mit der Pensionsänderungsverordnung keine politische Beruhigung schaffen werde. Er kenne Fälle, daß Beamte nur 3 Wochen ein hohes Staatsamt innegehabt hätten und aufgrund dieser minimalen Dienstzeit eine lebenslängliche hohe Pension für sich und demnächst für ihre Hinterbliebenen zu beanspruchen hätten. Ferner enthalte der Verordnungsentwurf nichts in der Frage der Doppelverdiener und schließlich erzeuge die Sistierung der Dienstaltersaufrückung in der Beamtenschaft größte Unruhe. Man werde in der Beamtenschaft nicht verstehen, daß man die Besoldungsgruppen mit Aufrückungsstufen belaste, die Beamten mit Einzelgehältern aber verschone. Er halte es für besser, wenn man schon eine Pensionsveränderungsverordnung mache, etwas wirklich Durchgreifendes zu schaffen.

Demgegenüber wandte der Reichswehrminister ein, daß man nicht wegen einiger zugegebenermaßen unbillig geregelter Pensionsfälle die ganze Struktur des Beamtenrechts verändern dürfe.

Auch der Reichsverkehrsminister wandte sich gegen die Ausführungen des Reichsarbeitsministers. Er glaubte, daß man nicht weitergehen könne, wie der Vorschlag des Reichsministers der Finanzen dies vorsehe. Allerdings müsse[1683] er zugeben, daß die Frage der Doppelverdiener die Öffentlichkeit genau so aufrege wie die Frage der Höchstpensionen, darum müsse die Neuregelung der Frage der Doppelverdiener in die neue Notverordnung einbezogen werden. Ebenso stimme er mit dem Reichsarbeitsminister darin überein, daß solche Beamte, die nur ganz kurze Zeit ein hohes Amt innegehabt hätten, nicht die Höchstpension bekommen könnten.

Der Reichsminister des Innern wies darauf hin, daß in dem Entwurf der Pensionsveränderungsverordnung eine „Gut-Wetter-Bestimmung“ enthalten sei, die er für anfechtbar halte. § 3 des Entwurfs6 sehe nämlich vor, daß die Vorschriften über die Bemessung der Ruhegelder der Mitglieder des Reichsgerichts, des Reichsfinanzhofs und des Reichsmilitärgerichts von der vorgesehenen Kürzung ausgeschlossen sein sollten. Bekanntlich betrage das Ruhegeld dieser Beamtenkategorien 100% des aktiven Gehalts.

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S. § 3 der PensionsänderungsNotVO in R 43 I /2608 , Bl. 232.

Demgegenüber erklärte der Reichskanzler daß er die Besserstellung der obersten Reichsrichter für durchaus berechtigt halte. Die Erhaltung einer gesunden Justiz sei eine Fundamentalforderung der Staatspolitik.

Die Weiterberatung der Verordnungsentwürfe wurde sodann abgebrochen.

Der Reichsminister der Finanzen wurde gebeten, die Verordnungsentwürfe einer Durcharbeitung unterziehen zu lassen. Die Frage der Doppelverdiener soll miteinbezogen werden, ebenso soll geprüft werden, ob an den Vorschriften über die Altersgrenze etwas geändert werden soll7.

7

Zur Fortsetzung der Beratung s. Dok. Nr. 485.

Der Reichskanzler hatte zur Begründung dieser letzteren Anregung ausgeführt, daß er an sich ein Gegner der Herabsetzung der Altersgrenze sei. Andererseits führe die notwendige Drosselung der Ausgaben auf dem Gebiete des Schulwesens dazu, daß der Nachwuchs der Lehrerschaft einschließlich der Studienassessoren sich hoffnungslosen Anstellungsverhältnissen gegenüber sehe. Ihm seien Fälle bekannt geworden, daß Studienassessoren im Alter von 45 Jahren, die den ganzen Krieg mitgemacht hätten, noch immer ohne feste Anstellung seien. Ein derartiger Zustand der Dinge sei unmöglich, weil er dieser Kategorie von Beamtenanwärtern jede Lebenshoffnung nehme. Man werde ihnen wohl nur dadurch helfen können, daß die Dienstaltersgrenze für den älteren Teil der Lehrerschaft herabgesetzt werde.

Staatssekretär JoëlJoël wurde gebeten, in seinem Ministerium eine Regelung der Frage vorzubereiten, wie die hohen Gehälter in der Privatwirtschaft herabgesetzt werden können8.

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S. Dok. Nr. 493.

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