1.250.1 (bru2p): Fortsetzung der Beratung des Reichskabinetts über den Entwurf der dritten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen.

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[1782]Fortsetzung der Beratung des Reichskabinetts über den Entwurf der dritten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen.

Bekämpfung politischer Ausschreitungen.

Der Reichsminister des Innern trug den Inhalt des beiliegenden Entwurfs einer Verordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vor1. Er machte insbesondere auf den § 6 des Entwurfs aufmerksam, der die Ermächtigung für den Reichsminister des Innern enthält, Bildstreifen, die lebenswichtige Interessen des Reichs gefährden, ganz oder teilweise von der Prüfung durch die amtlichen Dienststellen auszuschließen oder Bildstreifen dieser Art, die von den Prüfstellen zugelassen sind, ganz oder teilweise zu verbieten.

1

Der neue NotVOEntw. befindet sich in R 43 I /1453 , Bl. 23–27. Zum ersten NotVO-Entw. s. Dok. Nr. 497, P. 1.

Staatssekretär Dr. JoëlJoël führte aus, daß die Vorschriften des § 6 eine grundsätzliche Änderung des Lichtspielgesetzes2 bedeute. Der § 6 verleihe dem Reichsminister des Innern diktatorische Befugnisse.

2

Lichtspielgesetz vom 12.5.20 (RGBl., S. 953 ).

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg führte aus, daß durch den § 6 ein neues Element der Unsicherheit in die Filmindustrie getragen werde. Er bat zu erwägen, ob nicht besser eine Vorschrift geschaffen werden könne, nach der auf Antrag des Reichsministers des Innern von der Prüfstelle ein Film verboten werden müsse.

Der Reichswehrminister äußerte Bedenken gegen die Worte „lebenswichtige Interessen des Reichs gefährden“ im § 6. Vielleicht sei es möglich, hier noch eine bestimmtere Fassung zu wählen.

Das Reichskabinett stimmte dem Entwurf zu3. Bis zur zweiten Lesung soll jedoch das Reichsministerium des Innern die Frage einer noch bestimmteren Fassung des § 6 prüfen.

3

S. den 7. Teil der 3. VO des RPräs. zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6.10.31 (RGBl. I, S. 566 ).

Es wurde ferner folgender, vom Reichsministerium des Innern vorgeschlagener § 9 a vom Reichskabinett angenommen:

„Wer einem auf Grund des Artikel 123 Abs. 2 der Reichsverfassung4 erlassenen Versammlungs- oder Aufzugsverbot zuwider handelt, wird nach den Vorschriften der § 2, 3 der Verordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28.3.1931 (Reichsgesetzblatt I S. 79) bestraft.“5

4

Artikel 123 Absatz 2 RV beschränkte die Versammlungsfreiheit.

5

Die Teilnahme an verbotenen Versammlungen konnte mit Gefängnis nicht unter drei Monaten oder mit einer Geldstrafe bestraft werden.

Wirtschaftsprogramm.

Der Reichskanzler führte aus, daß das Kabinett sich in nächster Zeit über die Auswirkungen der Pfundkrise klar werden müsse6. Oberster Grundsatz sei, die deutsche Währung stabil zu erhalten. Dabei müsse man von zwei Überlegungen ausgehen.

6

S. Dok. Nr. 483, Anm. 1.

1. Die kurzfristige Verschuldung Deutschlands im Gesamtbetrage von etwa 26 Milliarden RM werde mit wenigen Ausnahmen in ausländischer Währung[1783] geschuldet. Da diese Summe zurückgezahlt werden müsse, werde man bei einer Senkung der Währung nichts gewinnen.

2. Deutschland habe bereits eine Inflation hinter sich. Es sei unmöglich, dem Volke nochmals eine Inflation zuzumuten. Es sei auch eine Unmöglichkeit zu hoffen, daß man den Stand der Währung auf einem um 20 v.H. abgesenkten Niveau halten könne.

Deutschland müsse damit rechnen, daß England nach dem Absinken des Kurses zunächst eine starke Konkurrenz für uns im Exporthandel werde. Ferner würden noch andere Länder sich gegen unsere Einfuhr in zunehmendem Maße zu schützen versuchen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Tatsache, daß Italien bereits einen 15%igen Zollzuschlag erhebt7. Zu entscheiden sei daher die Frage, wie wir unseren Exportüberschuß sichern können. Sicherlich werde die Reichsregierung bei diesen Überlegungen zu entscheidenden Maßnahmen kommen müssen. Für Deutschland sei es unmöglich, sich von dem Prozeß, der sich in der ganzen Welt vollziehe, auszuschließen. Der Schrumpfungsprozeß müsse daher fortgesetzt werden. Fraglich sei aber, wie man aus dem Kreislauf herauskomme, der sich durch das Nachlaufen hinter den Fehleinnahmen ergebe. An weiteren Einsparungen bei Löhnen und Gehältern werde man nicht vorbeikommen. Eine derartige Maßnahme sei nur möglich bei weiterer Senkung der Preise. Der Lebenshaltungsindex stehe immer noch [bei] 134. Gehälter und Löhne seien schon weit über dieses Niveau hinaus gesenkt. Die Reichsregierung werde radikal durchgreifen müssen, insbesondere auch bei der Bauwirtschaft. Man werde sich nicht darauf beschränken können, die Senkung zu wollen wie im Vorjahre, man werde auch praktisch eingreifen müssen. Nach seiner Meinung gäbe es eine ganze Reihe von Wegen, die Senkung durchzusetzen, ohne das Tarifsystem aufzuheben. Mit den Gewerkschaften werde man sich einigen können.

7

Italien hatte am 25.9.31 zum Ausgleich des Staatshaushalts die Zölle um 15% erhöht (Schultheß 1931, S. 393).

Am Ende jeder Inflation bleibe das Ergebnis übrig, daß die Produktion auf den Schulden sitzen bleibe, und deshalb mit den Preisen auch nicht billiger werden könne. Darum müsse ein Schuldentilgungsplan für die Auslandsverschuldung aufgestellt werden, mit dem man an den Stillhalteblock herantreten müsse. Es sei selbstverständlich ausgeschlossen, daß Deutschland am 1. März 1932 die jetzt gehemmten Auslandsschulden8 bezahlen könne. Deshalb müsse man schon im November an die Gläubiger herantreten. Er denke sich die Sache etwa so, daß man die Auslandsschulden zuzüglich ihrer Verzinsung auf etwa 10 Jahre verteile. Aus diesem Plan werde sich ohne weiteres ergeben, daß daneben eine Reparationszahlung nicht möglich sei. Das Ausland werde zu wählen haben zwischen der Sicherung seiner Privatforderungen und den Reparationsforderungen. Diese Politik könne aber nur durchgeführt werden, wenn ein einheitlicher Plan aufgestellt werde.

8

Vgl. Dok. Nr. 465, Anm. 17.

Ferner werde Deutschland zur Senkung des Zinsfußes kommen müssen. Wenn dieses Ziel erreicht werde, werde auch eine Senkung der Preise für landwirtschaftliche[1784] Produkte eintreten. Die Verbilligung der landwirtschaftlichen Produktion sei ein wesentliches Ziel.

Der amerikanische Botschafter Sackett habe ihm in einer Unterredung am Vortage erklärt, daß der amerikanische Präsident Hoover einen Schritt auf größerer Basis nicht vor Mitte Dezember unternehmen werde9.

9

Vgl. das Schreiben des amerik. Botschafters Sackett an den amerik. AM Stimson vom 3.10.31 über die Unterhaltung mit dem RK am 1.10.31 in RFUS 1931 I, S. 326–331.

Die von der Reichsregierung zu treffenden Maßnahmen könnten aber nicht nur auf das innerpolitische Gebiet beschränkt bleiben, sie müßten auch das Exportinteresse stärken. In diesem Sinne müsse man auch an die Devisenbewirtschaftung herangehen. Devisen dürfe man in Zukunft nur für den Import absolut nötiger Dinge frei geben.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß er bisher stets auf dem Standpunkt gestanden habe, daß eine ständig fortgesetzte Deflationspolitik zu praktisch unmöglichen Ergebnissen führen werde. Durch die Pfundkrise sei die Situation sehr wesentlich verändert. Die durch diese Krise verursachten Störungen der Weltwirtschaft werden sich noch stärker ausdehnen. Die Hälfte des Welthandels fakturiere in englischen Pfunden. England habe der Welt durch die Absenkung seiner Währung etwa das Doppelte der Summe der deutschen Reparationen geschenkt. Er glaube, daß man im gegenwärtigen Zustand der Dinge zum Endkampf in der Reparationsfrage werde vorgehen können, wenn man den Kampf auf der ganzen Linie führe, d. h. wenn man Löhne und Preise gleichmäßig senke. Wenn man entschlossen sei, den Kampf auf der ganzen Linie aufzunehmen, so sei er bereit, eine derartige Politik mitzumachen, d. h., wenn man bereit sei, gleichzeitig an das Preisniveau, an die Mieten, an die Gehälter, an die Sozialgesetzgebung und an das Zinsniveau heranzugehen. An den Auslandsschulden sei nichts zu ändern. Hier bleibe also nur der Weg der Vereinbarung übrig. Auch er sei wie der Herr Reichskanzler der Meinung, daß die Auslandsschulden nur nach einem einheitlichen Plan getilgt werden könnten. Darum müsse man einen Versuch machen, sich mit der Gläubigerseite über einen derartigen Plan zu verständigen. Die Meinung der angelsächsischen Mächte sei von je her dahin gegangen, daß die Privatschulden den Reparationsschulden vorzugehen hätten.

Auf dem Gebiete der Preissenkung dürfe man insbesondere vor den landwirtschaftlichen Produkten nicht haltmachen. Ferner müsse die entbehrliche Einfuhr schärfstens gedrosselt werden. Dies sei in erster Linie eine Frage der Devisenbewirtschaftung. Die zu treffenden Maßnahmen müsse man aber den anderen Staaten, mit denen wir im Handelsverkehr stehen, vorher ankündigen. Man werde in Zukunft in steigendem Maße dazu kommen müssen, Tauschgeschäfte mit dem Auslande zu machen

Das Schwergewicht der Entscheidung werde auf die Stärkung der deutschen Binnenwirtschaft zu legen sein. Noch heute sei die deutsche Binnenwirtschaft 3–4mal so groß wie die Beteiligung Deutschlands an der Weltwirtschaft. Für die Inganghaltung der Binnenwirtschaft fehle es aber an dem erforderlichen Kapital. Ferner sei auch nicht damit zu rechnen, daß irgend jemand in Deutschland[1785] bei der Höhe des gegenwärtigen Zinsfußes etwas unternehme. Die Bauwirtschaft stehe fast gänzlich still. An diesem Zustand könne man auch kaum etwas ändern, denn bei dem gegenwärtigen Stand der Verhältnisse sei an diese gar nicht zu denken.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft führte aus, daß nach seiner Meinung die in der Welt vorhandene Arbeitslosigkeit der Ausgangspunkt der ganzen Krise sei. Jedes Land der Welt strebe nur danach, im eigenen Lande vorhandene Arbeitslosigkeit dem anderen Lande zuzuschieben. Er sehe mit Sicherheit voraus, daß die zukünftige Entwicklung dahin gehe, daß andere Länder sich mehr und mehr gegen die deutsche Einfuhr abzusperren suchen würden. Wenn Deutschland daher in die Lage gedrängt werde, seine eigene Einfuhr stärker zu drosseln, so werde mit Rücksicht auf die Gegenmaßnahmen des Auslandes eine stärkere Arbeitslosigkeit im Inlande letzten Endes die Folge sein. Nach seiner Meinung komme es ausschlaggebend darauf an, den deutschen Binnenmarkt kaufkräftig zu erhalten. In diesem Sinne sei er mit der verstärkten Förderung des Siedlungsgedankens einverstanden. Die innere Wirtschaft leide unter der scheinbar unaufhaltsamen Schrumpfung. Der Kurs der Reichsregierung müsse daher dahin eingestellt sein, den inneren Apparat auszubauen und den inneren Absatz zu fördern. Hinzukommen müsse eine äußerst kluge Handhabung der Devisenbewirtschaftung. Ernährungssorgen brauche Deutschland nicht zu haben, denn an landwirtschaftlichen Vorräten fehle es keineswegs. Den Weg der Inflation müsse Deutschland auch nach seiner Meinung unter allen Umständen vermeiden. Der Preisbildung müsse man nach englischem Muster mit unmittelbaren Maßnahmen beikommen. Er selbst sei bereit, eine derartige Politik mitzumachen.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg erklärte, daß er den Ausführungen des Reichskanzlers über die unbedingte Notwendigkeit der Stabilerhaltung der Reichsmark beipflichte, und daß deshalb alle Maßnahmen ausgeschaltet bleiben müßten, die mittelbar oder unmittelbar auf eine Inflation hinauslaufen könnten. Diese Politik könne jedoch nur dann durchgehalten werden, wenn der innere Wert der Mark bestärkt werde. Alles müsse darauf gerichtet sein, den Etat der öffentlichen Hand stabil zu halten. Ferner müsse das Selbstkostenniveau der deutschen Wirtschaft gesenkt werden, und schließlich müsse alles geschehen, um das Preisniveau der Senkung des Lohnniveaus anzupassen. Das Absinken des englischen Pfundes sei das größte wirtschaftliche Ereignis seit Friedensschluß. Für Deutschland liege das Schwergewicht der zu treffenden Maßnahmen bei der Pflege des Binnenmarktes. Für den Außenhandel komme es letzten Endes hauptsächlich auf die Frage an, wie die Außenhandelsbilanz in ihrer Gesamtheit aussehe. Die zu entscheidende Frage sei also, ob man durch künstliche Mittel die Außenhandelsbilanz verbessern könne. Durch das Absinken des englischen Pfundes sei der deutsche Außenhandel stark geschädigt worden. Er schätze die Schädigung bis jetzt auf mindestens 75–100 Millionen RM.

Sodann äußerte sich Staatssekretär Dr. Trendelenburg eingehend zu dem Problem der Zinssenkung. Er kam auf Grund seiner Erwägungen zu dem Ergebnis,[1786] daß eine zwangsweise Beeinflussung des Zinsniveaus nicht möglich sein werde10.

10

Vgl. zu dieser Sitzung auch die Tagebucheintragungen des StS Schäffers (IfZ ED 93, Bd. 14, Bl. 874–880). Zur Fortsetzung der Beratung s. Dok. Nr. 503.

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