1.42.1 (bru2p): 1. Genfer Tagung.

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1. Genfer Tagung.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft äußerte zunächst seine Zustimmung zur Weiterverfolgung der deutsch-österreichischen Zollunion. Er schlug vor, die Handelsvertragsverhandlungen mit Ungarn, unabhängig von den deutsch-österreichischen Abmachungen rasch zu fördern. Für Genf bat er den Reichsminister des Auswärtigen zu erwägen, ob er die deutsch-belgische Auseinandersetzung über den Hopfenzoll im Sinne der deutschen Interessen fördern könne und ob Verhandlungen mit Italien und Jugoslawien über Eier und andere Produkte angebahnt werden könnten.

Der Reichsminister des Auswärtigen bemerkte hierzu, daß er sein Bestes zu den beiden letzten Fragen tun werde, andererseits in den gegenwärtigen Kämpfen um die deutsch-österreichische Zollunion den Augenblick nicht als sehr günstig ansehen könne, derartige deutsche Wünsche anzuschneiden. Der Reichsminister des Auswärtigen erläuterte sodann die voraussichtliche Haltung verschiedener Länder zur deutsch-österreichischen Zollunion. Bei Rumänien und Jugoslawien könne man wohl annehmen, daß gegenüber dem politischen Einfluß Frankreichs auch die wirtschaftlichen Bedürfnisse wirksam werden würden, die der französischen These entgegenliefen. Für die Haltung Ungarns würde das Inaussichtstellen eines Entgegenkommens auf den Ungarn wichtigen Gebieten (Fleisch, Salami, Rindvieh) von Bedeutung sein. Italien nehme den deutsch-österreichischen Plänen gegenüber in letzter Zeit eine noch etwas kühlere Haltung ein. Man müsse sich dabei an die früheren Versuche Italiens erinnern, selbst eine engere Gemeinschaft mit Österreich zu erreichen. Andererseits werde sich Italien wohl kaum völlig an die Seite Frankreichs stellen können. In rein politischer Hinsicht stellte der Reichsminister des Auswärtigen fest, daß natürlich eine Konzession etwa in der Richtung der Anerkennung der Brenner-Grenze nicht in Frage kommen könne. England sei weder für den deutsch-österreichischen Plan noch für das Briand-Benesch’sche Projekt zu haben.[1069] Seine Wünsche gingen vielmehr allgemein auf Herabsetzung der Zollsätze. Die nordischen Staaten, z. B. Norwegen, seien für die Zollunion sehr eingenommen, ähnlich würden sich voraussichtlich die baltischen Randstaaten einstellen müssen. Frankreichs ablehnende Haltung werde nicht von allen französischen Wirtschaftskreisen geteilt. S. habe sich z. B. Herr de Peyerimhoff1 sehr für das deutsch-österreichische Abkommen ausgesprochen. Deutschland werde in Genf Sorge tragen müssen, den grundsätzlichen Gedanken der Nützlichkeit solcher Zollunion in den Vordergrund zu schieben.

1

Henri de Peyerimhoff de Fontenelle, Präs. des frz. Kohlensyndikats.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg gab zunächst eine Beurteilung des Präferentialsystems für die Südoststaaten. Nachdem der Gedanke von Frankreich aufgegriffen sei, bestehe die Gefahr, daß die Südoststaaten eine Art moralischen Anspruch auf Präferenzen erhielten, wodurch die Möglichkeit, für Deutschland Konzessionen dafür zu erhalten, vermindert werde. Dagegen werde man arbeiten müssen. Hinsichtlich der Zollunion seien drei Fragen zu beurteilen:

Erstens die Frage, ob das Protokoll juristisch mit dem Vertrage2 vereinbar sei. Eine Entscheidung hierüber wäre in jedem Falle zu begrüßen. Falle sie negativ aus, so sei das besser als ein unklarer Zustand. Ergehe sie positiv, so sei die deutsche Stellung sehr verbessert.

2

Verbot des Anschlusses Österreichs an das Dt. Reich in Art. 80 VV und Art. 88 des Vertrags von St. Germain.

Die zweite Frage sei, ob es sich um eine echte Zollunion handele oder ob nicht vielmehr die Meistbegünstigungsverträge in Anspruch genommen werden könnten. In dieser Hinsicht würde der völlige Wegfall von Zwischenzöllen klärend sein.

Der dritte Gesichtspunkt sei der zu erwartende handelspolitische Kampf. Hierbei sei zu bedenken, daß Frankreich die intereuropäische Arbeitsteilung im Grunde ja nicht verbessern wolle. Frankreich wolle nur den gegenwärtigen Zustand durch internationale Kartellierung verankern. England andererseits wünsche lediglich eine Senkung des Zollniveaus. Deutschland könne wirtschaftspolitisch nicht viel bieten. Es sei zur Zeit ein schlechter Markt und ein gefährlicher Konkurrent. Hinsichtlich der Aussichten äußerte sich Staatssekretär Dr. Trendelenburg pessimistisch. Er rechne weder mit einem vollen Erfolge noch mit einer vollen Ablehnung. Fortschritte auf dem Gebiet der internationalen Kooperation würden für Deutschland leider innerpolitisch kaum verwertbar sein.

Der Reichskanzler stellte die Frage, ob die Weiterverfolgung der Zollunion durch eine Überweisung an die Haager Cour auf lange Sicht verzögert würde.

Diese wurde vom Reichsminister des Auswärtigen bejaht, da Österreich eigentliche „Verhandlungen“ in diesem Fall nicht weiterführen wolle.

Zu Punkt 2 der Ausführungen des Staatssekretärs Dr. Trendelenburg bemerkte Ministerialdirektor RitterRitter, daß Zwischenzölle in geringem Umfang, etwa in dem Ausmaß, daß 95% des Handels zollfrei seien und nur 5 den Zwischenzöllen[1070] unterlägen, den Charakter einer reinen Zollunion nicht beeinträchtigen würde. Die internationale Praxis weise bisher wenig derartige Fälle auf, doch seien verschiedene Beispiele für Zollunionen unter Beibehaltung gewisser Zwischenzölle vorhanden. Es sei im übrigen für andere Länder schwer, die Meistbegünstigung auf Grund solcher Zwischenzölle in Anspruch zu nehmen.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg wies darauf hin, daß für ein Abschwenken Österreichs besonders verlockend das Angebot sei, Österreich mit Präferentialabmachungen der Anliegerstaaten auszustatten. Deutschland würde dabei allerdings nicht ausgeschlossen sein, aber doch den Gedanken der Zollunion damit begraben müssen. Für diese Lösung interessiere sich scheinbar besonders die Rothschildgruppe.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wies abschließend nochmals auf die Notwendigkeit hin, die deutschen Agrarinteressen Ungarn gegenüber zu wahren.

Die Fortsetzung der Aussprache wurde für den 13. 5. vereinbart3.

3

S. Dok. Nr. 296.

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