1.56.1 (bru2p): Handelsvertragsverhandlungen mit Ungarn.

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Handelsvertragsverhandlungen mit Ungarn.

Der Reichsminister des Auswärtigen bat um möglichst weitgehende Vollmachten für die Delegation. Der Vertrag müsse aus agrar- und allgemeinpolitischen Gründen bald abgeschlossen werden1. Die Weizenpräferenz und das Schweinekontingent sowie das Zugeständnis wegen der Rindvieheinfuhr seien für die Ungarn wenig wertvoll. Wichtig sei ihnen aber ein Entgegenkommen bei der Einfuhr von Warmblutpferden.

1

Der RAM hatte am 10.5.31 in einem Schreiben an die Rkei, in Übereinstimmung mit den beteiligten Ressorts, folgende handelspolitische Zugeständnisse an Ungarn vorgeschlagen: Einen ermäßigten Zollsatz für frische Weintrauben, Äpfel und Kirschen; die Herabsetzung des Zollsatzes für Warmblutpferde von 500 RM auf 400 RM; Freigabe der Einfuhr von ungarischer Salamiwurst (R 43 I /1124 , Bl. 57–58).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft schlug vor, das Rinderkontingent wie bei den Vereinbarungen über die Schweineausfuhr aus Polen auf geschlachtete Rinder zu beschränken, die in Wurstfabriken zu verwenden wären. Mit lebenden Rindern sei in Deutschland nicht viel anzufangen. Die nordischen Länder würden gleichfalls Einfuhr unter Umgehung der Grenzschlachthäuser fordern. Geschlachtete Rinder wären das Korrelat zu den von Ungarn einzuführenden geschlachteten Fettschweinen für die Herstellung von Wurst. Die Länder würden keine Einwendungen erheben.

Wegen der Schweineeinfuhr bestehe Einmütigkeit.

Die Einfuhr von Warmblutpferden würde die Pferdezucht im Osten und insbesondere in Ostpreußen gefährden. Dort könnten die Pferde nicht unter 800 RM aufgezogen werden. Gleichwertige ungarische Pferde stellten sich auf etwa 375 M. Bei einem Zoll von 400 M kämen sie also herein. Er bitte, ihn bei der Entscheidung auszuschalten und keinesfalls den Satz von 400 M herabzusetzen2.

2

Die Reichsverbände der Warmblut- und Kaltblutzüchter hatten in einem gemeinsamen Telegramm an den RK gegen eine Herabsetzung der Pferdezölle protestiert (R 43 I /1124 , Bl. 53–54).

Den Ungarn könnten 100 000 t Weichweizen abgekauft werden. Von den 600 000 t Überschuß sollten 200 000 t von Italien, 200 000 t von Österreich, 100 000 t von der Tschechoslowakei und weitere 100 000 t von Deutschland aufgenommen werden. Die deutsche Menge könne eosiniert zollverbilligt für die Geflügelzüchter eingeführt werden, die sich in schwieriger Lage befänden.

[1120] Die Vertreter des Auswärtigen Amts berichteten, daß die ungarische Delegation nur wenige Tage zur allgemeinen Orientierung in Berlin weile und daß eine allgemeine Entscheidung getroffen werden müsse. Die ungarischen Verhandlungen mit Prag ständen unmittelbar bevor. Der französische Gesandte habe den Ungarn mitgeteilt, daß die Prager Regierung von Paris aus zum Nachgeben veranlaßt werde.

Die Ungarn würden sich auf die Vereinbarung der Einfuhrerleichterung für geschlachtetes Rindvieh nicht einlassen können, weil die Abnahme in den Fleischfabriken unsicher und der Zoll für geschlachtetes Rindvieh prohibitiv (55 M gegen 16 M Lebendgewicht) sei. Die Einfuhr von 5000–7000 Stück unter deutscher veterinärpolizeilicher Überwachung müsse in Aussicht gestellt werden.

An der Einfuhr von geschlachteten Schweinen werde Ungarn auch nur geringes Interesse haben, weil der Zoll von 55 M keine Einfuhr zulasse. Ungarn werde durch die Vertragsbestimmung nicht schlechter behandelt als Polen und habe die Hoffnung, daß bei einer Änderung der Preisverhältnisse und Senkung der autonomen Zölle keine veterinärpolizeilichen Hemmungen seiner Einfuhr entgegenständen.

Die Weizeneinfuhr aus Ungarn sei bei den hohen deutschen Zöllen unmöglich. Die Durchführung des Präferenzgedankens sei fraglicher als bisher. Ungarn glaube nicht an eine praktische Durchführung. Der Vorschlag wegen Einführung von Weichweizen werde günstig wirken. Der Zollnachlaß müsse erheblich sein, die Abnahme würde sofort wirksam werden und nicht zu politischen Konflikten führen.

Der Zoll für Warmblutpferde sei mit 500 M außerordentlich hoch. Er sei als Verhandlungszoll gedacht gewesen und für Kaltblutpferde in verschiedenen Handelsverträgen auf 140 M herabgesetzt worden. Die Kaltblutzucht habe darunter nicht gelitten. Die Einfuhr sei von 100 Millionen vor dem Kriege auf eine halbe Million zurückgegangen. Holland und Dänemark produzierten teurer. Die Zollhöhe müsse noch mit Sachverständigen besprochen werden. Wenn die Senkung nicht ausreiche, um den Ungarn einen gewissen Vorteil zu gewähren, so müsse eine erneute Entscheidung des Kabinetts erbeten werden.

Der Reichsminister der Finanzen wünschte die Zollermäßigung für Warmblutpferde höchstens auf 400 M bemessen. Dazu treten noch 100 M Unkosten. Eine gewisse Konkurrenz müsse zur Hochhaltung der deutschen Pferdezucht zugelassen werden.

Nach seiner Auffassung müsse Hühnerfutter zollfrei hereingelassen werden, um die Tausende von Existenzen zu retten, die auf behördliche Anregung hin die Hühnerzucht aufgenommen hätten.

Der gefärbte Weizen müsse zentral eingeführt, aber dann dem freien Verkehr überlassen werden. Ihn allein den Genossenschaften zuzuführen, sei unmöglich. Es müsse vermieden werden, daß der gefärbte Weizen zur Schweinefütterung verwendet würde.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft war mit dem freien Verkauf des eosinierten Weizens einverstanden. Die Einzelheiten sollen zum Gegenstand einer Ressortbesprechung gemacht werden.

[1121] Zu überlegen sei, ob die geschlachteten Rinder an die Schiffahrtsgesellschaften geliefert werden könnten, die einen Verbrauch von 35 000 Stück hätten. Hierüber müsse mit den Schiffahrtsgesellschaften verhandelt werden.

Der Reichswehrminister sprach sich im Interesse der deutschen Warmblutzucht und der Remontebeschaffung gegen die Herabsetzung des Zolles aus. Er käme voraussichtlich nicht den ungarischen Züchtern, sondern Zwischenhändlern zugute. Jetzt bereits würden ungarische Pferde eingeführt.

Im übrigen schloß er sich den Ausführungen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft an.

Der Reichsminister des Innern machte verterinärpolizeiliche Bedenken gegen die Einfuhr ungarischer Rinder geltend und verlas das Protokoll über die Besprechung der Veterinäre in dieser Angelegenheit3. Die veterinärpolizeilichen Bestimmungen seien vom Bundesrat im Jahre 1879 erlassen worden. Die Seuchenlage in Deutschland sei durch den außerordentlich starken Viehverkehr dauernd bedroht. In jeder Abmilderung der seuchenpolizeilichen Bestimmungen läge eine starke Gefahr.

3

Auf einer am 21.5.31 im RIMin. abgehaltenen Tagung hatten die Veterinärreferenten der Länder die Einfuhr lebender Rinder aus Rumänien und Ungarn mit der Begründung abgelehnt, daß durch die Errichtung von Grenzschlachthäusern an der grünen Grenze keine ausreichende Sicherung gegen die Einschleppung von Seuchen gegeben sei. Ferner könnten bei einem derartigen Zugeständnis ähnliche Ansprüche anderer Länder nicht mehr mit veterinärpolizeilichen Gründen abgewehrt werden. In der Entsendung eines dt. beamteten Tierarztes nach Ungarn und Rumänien könne eine Sicherung gegen die Einschleppung von Seuchen nicht erblickt werden. Der RIM hatte diese Stellungnahme am 22.5.31 dem RK übersandt (R 43 I /1124 , Bl. 59–60). Vgl. auch Dok. Nr. 286, Anm. 3.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft trat diesen Ausführungen bei. Er stellte aber anheim, die politische Entscheidung so zu fällen, wie sie bei den Verhandlungen für verwertbar erscheinen würde. Als Korrelat forderte er die Möglichkeit, die Rinderausfuhr durch Einfuhrscheine zu steigern. Jetzt bereits würden unter Unterstützung des Reichsernährungsministeriums wöchentlich 600–700 Stück Rinder aus Süddeutschland ausgeführt mit einem Zuschuß von 16 M für das Stück.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, zur Zeit keine Zusage geben zu können. Zunächst müsse die Gesamtlage der Finanzen im Kabinett besprochen werden, die bereits zu schweren Auseinandersetzungen mit dem Preußischen Finanzminister geführt habe. Es werde möglich sein, die Schwierigkeiten des Reiches einigermaßen zu überwinden. Bei den Ländern aber werde es in einigen Monaten zweifelhaft sein, ob sie allen Verpflichtungen entsprechen könnten. Auch bei den Gemeinden und sozialen Versicherungsträgern seien die Schwierigkeiten außerordentlich groß.

Nach eingehenden Verhandlungen beschloß das Kabinett zu 1) mit Stimmenmehrheit:

1.

Die Delegation wird ermächtigt, den Zoll für Warmblutpferde bis auf 400 RM für das Stück herabzusetzen.

2.

In Ungarn sollen etwa 100 000 t eosinierten Weichweizens zur Förderung der deutschen Geflügelzucht eingekauft werden. Die Einzelheiten sind in einer Ressortbesprechung zu vereinbaren.

3.

[1122]Den Vorschlägen des Handelspolitischen Ausschusses wegen der Schweineeinfuhr wird zugestimmt.

4.

Die Einfuhr eines Veterinärkontingents von jährlich 5000–7000, für 1931 6000 Stück Rindvieh wird zugelassen unter der Bedingung, daß

a) ein deutscher Veterinärbeamter der Ungarischen Regierung zur Beobachtung der allgemeinen veterinärpolizeilichen Verhältnisse und zur Berichterstattung beigegeben wird und daß dieser

b) die Transporte von Rindvieh zu untersuchen hat, die nach Deutschland bestimmt sind. Ohne seine Genehmigung kann die Einfuhr nach Deutschland nicht erfolgen.

Das Zugeständnis ist davon abhängig, daß es von keinem anderen Staate in Anspruch genommen wird, mit dem es nicht ausdrücklich vereinbart ist. Wird auf Grund der Meistbegünstigung die gleiche Vergünstigung gefordert, so kann die Deutsche Regierung von dieser Bestimmung zurücktreten.

5.

Hinsichtlich der Bindung des Zollsatzes für Weintrauben wird dem Vorschlage der Mehrheit des Handelspolitischen Ausschusses zugestimmt4.

4

Der dt.-ungarische Handelsvertrag wurde am 18.7.31 in Genf paraphiert (WTB Nr. 1514 vom 19.7.31 in R 43 I /1124 , Bl. 79). Text des Vertrags im RGBl. 1931 II, S. 637 .

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