1.67.1 (bru2p): Fortsetzung der Aussprache über Erlaß einer Notverordnung.

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Fortsetzung der Aussprache über Erlaß einer Notverordnung.

Die Aussprache vom Vormittag1 wurde nachmittags 4 Uhr fortgesetzt.

1

S. Dok. Nr. 318.

Zunächst wurde das landwirtschaftliche Kreditgenossenschaftswesen zur Debatte gestellt.

Reichsminister TreviranusTreviranus gab einen kurzen Bericht über die bisherigen Verhandlungen und über die Vorarbeiten für Bestimmungen zur Herbeiführung einer beschleunigten Rationalisierung des landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaftswesens.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg führte hierzu folgendes aus: Die Rationalisierung müsse auf die öffentlich-rechtlichen Kreditorganisationen des Ostens beschränkt werden. Ein Übergreifen auf die anderen Gebiete und die Privatbanken sei äußerst bedenklich. Die Bestimmungen des Depot- und Depositengesetzes2 könnten nicht neu eingeführt werden. Bei Einführung der Bestimmungen über die Bausparkassen3 sei ausdrücklich erklärt worden, daß davon abgesehen würde, nachdem dieses Gesetz ein Jahr außer Kraft gewesen[1157] sei. Wiedereinführung würden den Kredit schwer erschüttern, zumal wegen der Nervosität aus Anlaß der Wiener Bankvorgänge4. Dies sei auch die Stellungnahme hervorragender Bankiers.

2

Gesetz über die Aufbewahrung fremder Wertpapiere vom 5.7.1896 (RGBl., S. 183 ), Änderung durch NotVO vom 21.11.23 (RGBl. I, S. 1119 ).

3

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über private Versicherungsunternehmungen vom 30.3.31 (RGBl. I, S. 102 , hier S. 106–108).

4

S. Dok. Nr. 298 und Dok. Nr. 305.

Die Gesamtreform des Bankwesens könne nur mit Erfolg von innen heraus durchgeführt werden. Sollten die beabsichtigten Bestimmungen im Osten Erfolg zeigen, so könne schließlich ihre weitere Ausdehnung immer noch erwogen werden. Es sei zu erwägen, ob Kommissare eingesetzt werden, welche Sanierungspläne ausarbeiten, etwa mit den Folgen eines rechtskräftigen Urteils. In ähnlicher Weise seien vor 100 Jahren Grundstückszusammenlegungen erfolgt. Es müsse die Möglichkeit geschaffen werden, die Befugnis zum Depot- und Depositengeschäft zu entziehen.

Der Reichsbankpräsident trat diesen Ausführungen bei.

Reichsminister TreviranusTreviranus wies auf Schwierigkeiten hin, die sich in Hannover bei den Versuchen ergeben haben, die Girozentrale und die Landesbank zusammenzubringen. Die Regierung dürfe nicht tatenlos zusehen. Gleichwohl wolle er auf den umfassenderen Entwurf nicht bestehen.

Die Bestimmungen sollen der Aussprache gemäß umgestaltet werden. Zur Frage der Revision der Genossenschaften wünschte Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg einen Zusatz zu der Bestimmung im Gesetz von 18895, daß der Reichskanzler über die Auswahl der Revisoren Bestimmungen treffen könne. Dem soll bei der Formulierung entsprochen werden6.

5

Gesetz, betreffend Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1.5.1889 (RGBl., S. 55 , hier §§ 51–62, S. 68–70).

6

S. NotVO vom 5.6.31, 7. Teil, Kapitel V, RGBl. I, S. 313 .

Staatssekretär Dr. Trendelenburg stellte zur Frage der Aktienrechtsreform zur Erwägung, ob in die Notverordnung eine Bestimmung aufgenommen werden könnte, nach der die Reichsregierung ermächtigt würde, diese Reform durchzuführen.

Staatssekretär Dr. JoëlJoël sprach sich dagegen aus. In der Verlautbarung, die mit der Notverordnung veröffentlicht werden solle, könnte eine entsprechende Ankündigung enthalten sein7. Es sei nicht möglich, die Arbeiten an den Gesetzesbestimmungen, die bereits jahrelang geführt worden seien und ihren Niederschlag in einem großen Gesetzeswerk von 260 Paragraphen und einem komplizierten Einführungsgesetz gefunden haben, so rechtzeitig zum Abschluß zu bringen, daß sie in die Notverordnung Aufnahme finden könnten. Die Verhandlungen über die Formulierung müßten fortgesetzt werden. Mindestens sechs Wochen seien hierzu noch erforderlich.

7

In der Mitteilung über die NotVO wurde die Beschleunigung der Arbeit an der Aktienrechtsreform angekündigt (WTB Nr. 1173 vom 6.6.31 in R 43 I /2369 , Bl. 271).

Der Reichsbankpräsident bedauerte diese Tatsache. Er wies auf die Beunruhigungen hin, die auch durch den FAVAG-Prozeß8 in die Öffentlichkeit getragen werde.

8

Die Frankfurter Allgemeine Versicherungs AG war im August 1929 durch versicherungsfremde Geschäfte (Verluste bei Abzahlungsfinanzierungen in der Autobranche, Börsenspekulationen und Industriefinanzierungen) illiquide geworden (MNN Nr. 224 vom 19.8.29). Der Zusammenbruch der FAVAG gab den Anstoß zur Änderung des Gesetzes über private Versicherungsunternehmungen vom 30.3.31 (s. Anm. 3).

[1158] In ähnlichem Sinne sprachen sich der Reichskanzler und der Reichsminister der Finanzen aus.

Auch der Reichsminister des Auswärtigen und Reichsminister TreviranusTreviranus äußerten sich in diesem Sinne.

Die Verhandlung über die Frage wurde dann zurückgestellt und im Beisein des zuständigen Ministerialdirektors des Reichsjustizministeriums fortgesetzt.

Nach längerer Aussprache, bei der die Vertreter des Reichsjustizministeriums auf die Unmöglichkeit hinwiesen, einzelne Bestimmungen zur Änderung des Aktienrechts vorweg in der Notverordnung zu veröffentlichen, wurde die Beschlußfassung zurückgestellt.

Zur Frage des Stickstoffzolles berichtete Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg über den Stand der internationalen Verhandlungen. Der Syndikatsvertrag sei abgelaufen. Frankreich habe ein Einfuhrverbot im Interesse seiner Landesverteidigung erlassen und wolle sich vom internationalen Stickstoffmarkt unabhängig machen. Käme kein Syndikat zustande, so wäre die deutsche Stickstoffindustrie gefährdet.

Ein Einfuhrverbot sei unmöglich. Stickstoffzölle würden nur lückenhaft wirken, weil schwefelsaures Ammoniak im Vertrage mit Belgien gebunden sei. Dem von der Industrie geforderten Beimischungszwang ständen durchschlagende handelspolitische Bedenken entgegen.

Zölle auf den wichtigen Rohstoff würden im übrigen beim Sinken der Weltmarktpreise die Landwirtschaft in ihrer Konkurrenz mit dem Auslande stören. Trotzdem möchte im Interesse der Industrie der Regierung durch die Notverordnung die Ermächtigung gegeben werden, Zölle festzusetzen9.

9

S. Dok. Nr. 347, Anm. 2.

Bei Zink lägen die Verhältnisse ähnlich wie beim Stickstoff. Der Zoll sei gegen Belgien gebunden10. Trotz der Bemühungen der Interessenten lehne Belgien den Verzicht auf die Bindung ab.

10

Nach dem dt.-belg. Handelsvertrag vom 3.9.25 (RGBl. II, S. 883 ).

Die Heeresverwaltung lege auf den Schutz der Industrie aus Gründen der Landesverteidigung großes Gewicht, ähnlich wie bei Kupfer des Mansfelder Werkes. Die Zinkverarbeitung sei gegen den Zinkzoll. Rückvergütungen beim Export würden den Inlandspreis erhöhen. Ebenso würde die Subventionierung Mansfelds auf den Kupferverbrauch umgelegt werden. Es bestände die Gefahr, daß sich die Verhältnisse wie beim Eisen entwickeln, wo Stabeisen im Ausland 73, im Inland 125 RM kostet. Die Eisenverarbeitung würde dadurch sehr schwer beeinträchtigt.

Auf Anregung des Reichswehrministers, die Zinkindustrie zu unterstützen, würde dieses Problem in Angriff genommen werden.

Bei Kupfer und Zink sei die deutsche Verarbeitung auf das Ausland angewiesen, bei Stickstoff dagegen sei die Erzeugung größer als der Verbrauch.

Staatssekretär Dr. JoëlJoël hatte Bedenken gegen eine Ermächtigung für den Stickstoffzoll in der Notverordnung. Der Eindruck würde entstehen, daß der Großindustrie geholfen, während einer Unzahl kleiner Industrien in ähnlich[1159] schwieriger Lage die Hilfe versagt würde. Es sei nur möglich, für ein größeres Gebiet Ausnahmemaßregeln zu treffen.

Der Reichsminister der Finanzen regte an, die Frage von Zöllen für alle Metalle zu prüfen. Unter Umständen könnten Zölle dieser Art für die Reparationsverhandlungen von Bedeutung sein. Ähnlich wie der Weizenzoll, auf Grund dessen eine Einwirkung auf die Weizenerzeuger der Welt möglich wäre. In dieser Richtung bedürfe es einer planmäßigen Bearbeitung der ausländischen Presse möglichst durch kurze Notizen.

Der Ölzoll müsse rückwirkend festgesetzt werden. Die Öleinfuhr nach Deutschland werde aufhören, denn Deutschland könne seinen Ölbedarf selbst decken. Auch Zink und Kupfer müßten in höherem Maße als bisher in Deutschland gewonnen werden. Grundsätzlich könnten die Hochschutzzölle nicht aufrechterhalten werden. Aber solange der Protektionismus in den anderen Ländern herrsche, müsse auch Deutschland sich selbst helfen.

Die Frage der Industriezölle soll weiter innerhalb der zuständigen Ressorts geprüft werden11.

11

Vgl. Dok. Nr. 321 und Dok. Nr. 328.

Arbeitsdienstpflicht.

Reichsminister TreviranusTreviranus regte an, den Entwurf des Reichsarbeitsministers für die Einführung eines neuen § 139 a in das AVAG dahin zu ergänzen, daß als Träger der Arbeiten des freiwilligen Arbeitsdienstes auch Einzelpersonen zugelassen werden dürfen. Ferner wünschte er die Einbeziehung des Gesetzes über die Quartierleistungen in die vorgesehene Regelung12.

12

In einer Vorlage vom 30.5.31 hatte RM Treviranus vorgeschlagen, den Ausdruck „freiwilliger Arbeitsdienst“ durch das Wort „Heimatsdienst“ zu ersetzen, um der neuen Einrichtung den leicht unterlegten Sinn einer Fron, einer Arbeitslast, zu nehmen. In einem eigenen Entw. des § 139 a AVAVG hatte Treviranus Körperschaften des öffentlichen Rechts, gemeinnützige Vereinigungen oder Stiftungen und Verbände, die Arbeitsgemeinschaften von Heimatsdienstwilligen aufstellen, als Träger des „Heimatsdienstes“ vorgesehen. Der RArbM sollte den Gemeinden die Einquartierungspflicht auferlegen können (R 43 I /2369 , Bl. 178 bis 181).

Diesem Wunsche gegenüber äußerte der Reichsarbeitsminister Bedenken, vor allen Dingen finanzieller Natur. Man dürfe jetzt nicht allzu große Perspektiven eröffnen, weil sonst die Enttäuschung demnächst zu groß werden würde.

Der Reichsminister der Finanzen begrüßte es, daß durch den Entwurf die Voraussetzungen für die Beschäftigung von Leuten geschaffen werde. In finanzieller Hinsicht müsse man etwas riskieren. Er sei auch bereit dazu und regte an, Vorschriften zu erlassen, nach denen beim Vorliegen besonderer Voraussetzungen dem Arbeitsdienstwilligen ein Betrag bis zur Höhe des ungefähren Unterschiedes zwischen der Arbeitslosenunterstützung und dem ortsüblichen Arbeitsentgelt gutgeschrieben werden kann. Der gutgeschriebene Betrag soll dazu dienen, innerhalb einer bestimmten Frist beim Erwerb einer Siedlungsstelle oder bei der Einrichtung eines Eigenheims Verwendung zu finden.

Hiermit erklärte das Kabinett sich grundsätzlich einverstanden13.

13

Die endgültige Formulierung des § 139 a AVAVG in der NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel I (RGBl. S. 295 ).

[1160] Fürsorgepflichtverordnung.

Der Reichsminister der Finanzen wünschte durch eine Änderung der Fürsorgepflichtverordnung, insbesondere durch Wiedereinfügung der Vorschriften über den Unterstützungswohnsitz Vorsorge dagegen zu treffen, daß in unerwünschter Weise ein Zuzug vom Lande nach der Stadt stattfindet.

Auf Grund der Aussprache einigte man sich auf Vorschlag des Reichsministers des Innern auf die Einfügung einer Ermächtigung für die Reichsregierung zum Erlaß einschlägiger Bestimmungen. Im übrigen bestanden gegen den Entwurf des Kapitels Fürsorgepflichtverordnung keine Bedenken14.

14

NotVO vom 5.6.31, 5. Teil, Kapitel VIII (RGBl. I, S. 305 ).

Krisenfonds.

Die Zuständigkeit zur Verfügung über den Krisenfonds wurde in der Weise geregelt, daß das Verfügungsrecht dem Reichsarbeitsminister im Benehmen mit dem Reichswirtschaftsminister und Reichsminister der Finanzen zustehen soll15.

15

S. NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel III, § 1 Abs. 2 (RGBl. I, S. 298 ).

Kürzung der Beamtengehälter.

Reichsminister Dr. DietrichDietrich erläuterte den Entwurf des in Frage kommenden Kapitels und berichtete über die von den Beamtenorganisationen bei dem Empfang durch den Herrn Reichskanzler geäußerten Wünsche zur Sache16.

16

Vgl. Dok. Nr. 317.

Beschlüsse wurden einstweilen nicht gefaßt.

Der Reichsarbeitsminister erhob lebhaften Einspruch gegen die Absicht, die Bezüge der Arbeiter im Dienste der öffentlichen Hand durch die Notverordnung unmittelbar zu kürzen. Er hielt einen derartigen Eingriff in das Tarifvertragsrecht für untragbar. Ferner wurde die Belastung der höheren Beamten für zu hoch gehalten im Hinblick darauf, daß sie schon bei einem Einkommen von über 8000 M in starkem Maße zur Krisensteuer der Veranlagten mitherangezogen werden. Das Kapitel soll erst bei der zweiten Lesung abschließend behandelt werden17.

17

Diese Frage wurde in der Sitzung vom 2. 6. erledigt (Dok. Nr. 321). Zur Gehaltskürzung s. NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kapitel I (RGBl. I, S. 282 ), zur Krisensteuer: NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel III (RGBl. I, S. 298 ).

In einer Ministerbesprechung wurde ohne Zuziehung von Ministerialbeamten mit Ausnahme von Staatssekretär Schäffer und Ministerialdirektor Zarden die Frage einer Kürzung der Ministergehälter erörtert.

Staatssekretär Dr. SchäfferSchäffer erläuterte an Hand von ziffernmäßigen Berechnungen die etwaige Minderung der Einkommen des Reichskanzlers und der Reichsminister bei Unterwerfung unter die für die Beamten vorgesehenen Kürzungssätze und bei Unterwerfung unter die Vorschriften der Krisensteuer.

Der Reichskanzler regte an, die Ministergehälter um 10 v.H. ihrer effektiven Höhe zu senken.

Hiergegen wurden von einzelnen Reichsministern Bedenken geäußert.

Die Frage wurde nicht abschließend geregelt, vielmehr zur weiteren Beratung für die zweite Lesung zurückgestellt18.

18

S. Dok. Nr. 321.

[1161] Steuervereinheitlichung.

Der Reichskanzler berichtete über die von Bayern vor dem Staatsgerichtshof anhängig gemachte Klage auf Änderung der Bestimmungen der Notverordnung vom 1. Dezember sowie über den Stand der in dieser Sache mit Bayern geführten Schlichtungsverhandlungen19. Er teilte mit, daß von Bayern ein bestimmter Vergleichsvorschlag gemacht worden sei, der die Zurückziehung der Klage zur Voraussetzung habe20. Die Bayerische Volkspartei, die in der Klagesache mit der Bayerischen Staatsregierung praktisch identisch sei, habe zu diesem Vergleichsvorschlag am 30. Mai Stellung genommen. Der Vorsitzende der Bayerischen Volkspartei, Oberregierungsrat Schäffer, habe ihm in einem Schreiben vom 30. Mai, dessen Inhalt er bekanntgab, mitgeteilt, die Bayerische Volkspartei werde den Vergleichsvorschlag unter gewissen Modalitäten annehmen, die Klage vor dem Staatsgerichtshof aber nicht zurückziehen, vielmehr nur ruhen lassen21. Er erblicke in dem Schreiben der Bayerischen Volkspartei einen Affront gegen die Reichsregierung. Es könne keine Rede davon sein, die Angelegenheit auf der Basis dieses Briefes beizulegen. Er werde am kommenden Tage mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten eine Aussprache zur Sache haben. Alsdann werde sich ergeben, ob und gegebenenfalls welche Bestimmungen des Steuervereinheitlichungsgesetzes in den vorliegenden Entwurf der Notverordnung aufgenommen werden könnten22.

19

S. dazu Dok. Nr. 285.

20

In der Besprechung zwischen der RReg. und der BVP am 21.5.31 war eine grundsätzliche Einigung über den Streitfall erzielt worden (Vermerk des MinR Vogels in R 43 I /2227 , Bl. 226–227).

21

Der Landesvorstand der BVP hatte am 30.5.31 beschlossen, die Klage vor dem Staatsgerichtshof unter zwei Bedingungen ruhen zu lassen: 1.) daß die NotVO vom 1.12.30 im 3. Teil, Kapitel II (Grundsteuer) und Kapitel III (Gewerbesteuer) (RGBl. I, S. 531 , 537) dahin geändert werde, daß den Ländern die eigene Zuständigkeit belassen wird, und 2.) daß die Änderung nicht durch NotVO, sondern auf dem ordentlichen Gesetzgebungswege erfolge (Bericht der „Germania“ Nr. 248 vom 31.5.31 in R 43 I /1450 , S. 1).

22

Vgl. Dok. Nr. 321.

Kapitalverwaltungsgesellschaften.

Ministerialdirektor ZardenZarden trug vor, daß durch das Gesetz über die Ermächtigung zu steuerlichen Maßnahmen zwecks Erleichterung und Verbilligung der Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft vom 9. Juni 1930 die Reichsregierung ermächtigt worden sei, mit Zustimmung des Reichsrats und eines Ausschusses des Reichstags eine Reihe von steuerlichen Erleichterungen zu treffen, u. a. auch für Kapitalverwaltungsgesellschaften23. Es seien diese Aktiengesellschaften, deren Zweck in der Verwaltung dem Erwerb und in der Veräußerung von Aktien usw. anderer Erwerbsgesellschaften oder von Schuldverschreibungen in geringen Posten besteht. Solche Verwaltungsgesellschaften gebe es im Ausland vielfach, in Deutschland so gut wie gar nicht. Der Grund hierfür liege darin, daß nach geltendem deutschen Steuerrecht solche Gesellschaften einer dreifachen Besteuerung unterliegen. Eine solche Belastung sei für derartige Gesellschaften untragbar. Es sei schon seit längerer Zeit beabsichtigt, die Entstehung solcher Gesellschaften dadurch zu ermöglichen, daß[1162] für sie steuerliche Erleichterungen vorgesehen werden. Er trug den wesentlichen Inhalt des Entwurfs für den Erlaß derartiger Steuererleichterungen vor.

23

RGBl. 1930 I, S. 187 .

Das Kabinett erklärte sich mit diesem Entwurf grundsätzlich einverstanden24.

24

Vgl. die NotVO vom 5.6.31, 7. Teil, Kapitel IV, RGBl. I, S. 312 .

Zuckersteuer.

Nach kurzer Aussprache erklärte sich das Kabinett mit dem vorliegenden Entwurf für die Erhöhung der Zuckersteuer einverstanden25.

25

NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kapitel II, RGBl. I, S. 284 .

Ferner billigte das Kabinett den Entwurf des Kapitels über Zollmaßnahmen26.

26

Vgl. dazu Dok. Nr. 321.

Haushaltsabstriche.

Ministerialdirektor Dr. von KrosigkKrosigk trug vor, daß die jetzige Fassung des § 18 des Reichshaushaltsgesetzes nicht ausreiche, um zu ermöglichen, daß ein ausgeglichener Reichsetat vorgelegt wird. Es sei eine Ergänzung des § 18 nach der Richtung nötig, daß auch die Einnahmeschätzungen berücksichtigt werden können. Eine entsprechende Formulierung sei gefunden. Er trug ihren wesentlichen Inhalt vor27.

27

NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kapitel V, § 1 (RGBl. I, S. 289 ).

Das Kabinett erklärte sich mit dieser Formulierung einverstanden.

Ferner genehmigte das Kabinett den Entwurf einer Vorschrift, wonach die Reichsregierung in den Entwürfen der Reichshaushaltspläne für die Rechnungsjahre 1932 und 1933 Ausgabenansätze in den außerordentlichen Haushalt nicht einstellen dürfe28.

28

NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kapitel V, § 5 (RGBl. I, S. 290 ).

Sicherung der Haushaltsführung der Gemeinden und Gemeindeverbände.

Auf Vortrag des Reichsministers der Finanzen billigte das Kabinett den Entwurf dieses Kapitels29.

29

NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kapitel IX (RGBl. I, S. 292 ).

Die Entwürfe der Kapitel Invalidenversicherung und Unfallversicherung wurden gleichfalls nach kurzer Aussprache genehmigt30.

30

NotVO vom 5.6.31, 5. Teil, Kapitel II und III (RGBl. I, S. 304 ).

Agrarfragen.

Auf Grund der Aussprache einigte sich das Kabinett auf folgende Beschlüsse:

Der Futtergerstenzoll von 6 M wird auf 5 M ermäßigt in Verbindung mit Verbilligung der Beifutter (Mais und Kartoffelflocken) auf einen Durchschnittspreis von 153 [RM] für die Tonne Futtermittel31.

31

VO vom 20.6.31 (RGBl. I, S. 343 ).

Der Zoll für Hirse zu Schälzwecken wird auf 1,50 M festgesetzt,

Der Zoll für Weizen zur Viehfütterung auf 7 M.

Der Mehlzoll soll 1⅔ des Weizenzolles betragen mit einem Zuschlag von 1,50 M. Dies bedeutet bei einem Weizenzoll von 25 M die Herabsetzung des Mehlzolles von 51,50 M auf 43,16 M32.

32

VO vom 4.6.31 (RGBl. I, S. 336 ).

[1163] Das Kabinett trat sodann in eine erste Lesung über die Aufnahme von Bestimmungen über das Kartell- und Innungswesen sowie über eine Reform des Aktienrechts ein.

Die Fortsetzung der Beratung wurde auf Dienstag, den 2. Juni, vertagt33.

33

S. Dok. Nr. 321.

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