1.82.1 (bru2p): Politische Lage.

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Politische Lage.

Der Reichskanzler nahm Bezug auf die am 15. nachmittags 4 Uhr in Gegenwart des Reichskabinetts geführten Verhandlungen mit den Führern der in der Regierung vertretenen Fraktionen. Er teilte weiter mit, daß die anschließende Besprechung mit den Führern der sozialdemokratischen Fraktion, an der nur einige Reichsminister teilgenommen hatten, damit geendet habe, daß die Sozialdemokratie auf Einberufung des Haushaltsausschusses bestehe1. Der Preußische Ministerpräsident habe ihm soeben auch vertraulich Nachricht zukommen lassen, daß die Fraktion von diesem Beschluß nicht abgehen werde. Ein Versuch, ein Kompromiß auf der Basis zustande zu bringen, die jugendlichen Erwerbslosen abweichend von der Notverordnung wiederum in beschränktem Maße der Betreuung durch die Reichsanstalt zuzuführen, sei gescheitert. Der Kompromiß habe eine Einigung zwischen der Sozialdemokratie und der Deutschen Volkspartei zur Voraussetzung gehabt. Der Einigungsversuch zwischen den Führern dieser Fraktionen, Dr. Breitscheid und Dr. Dingeldey, sei gescheitert2. Es bleibe also nur noch die Möglichkeit offen, daß im Ältestenrat die Anträge auf eine Einberufung des Reichstags und des V. Ausschusses mit wechselnden Mehrheiten abgelehnt würden. Das Landvolk habe sich bereits in dem Sinne festgelegt, daß es für die Einberufung stimmen werde3. Wenn ein Beschluß auf Einberufung des V. Ausschusses4 zustande kommen sollte, sei er persönlich nicht mehr in der Lage, die Verantwortung weiter zu tragen. Er beabsichtige daher, in diesem Falle dem Herrn Reichspräsidenten das Demissionsgesuch einzureichen, und er erbitte die Stellungnahme der übrigen Mitglieder des Kabinetts zu dieser Auffassung.

1

S. Dok. Nr. 332.

2

Im Beisein des RK hatten Breitscheid und Dingeldey am 15.6.31 nachts in der Rkei ergebnislos über einen Kompromiß verhandelt (Aktennotiz Dingeldeys im Nachl. Dingeldey Nr. 36, Bl. 76–77).

3

Vgl. die Äußerungen des RT-Abg. Döbrich in der Besprechung vom 15.6.31 (Dok. Nr. 332).

4

RT-Haushaltsausschuß.

Der Reichsarbeitsminister erklärte zunächst, daß der Versuch, ein Kompromiß in der Frage der Jugendlichen zustande zu bringen, wohl von nicht ganz richtigen Voraussetzungen ausgegangen sei. Er erklärte sich bereit, die Möglichkeiten für die Fortsetzung einer Betreuung der Jugendlichen durch die Reichsanstalt durch die Herren seines Ressorts nochmals formulieren zu lassen.

[1213] Der Reichswehrminister schloß sich der Auffassung des Reichskanzlers über die Notwendigkeit der Demission im Falle der Einberufung des Haushaltsausschusses vollinhaltlich an. Er meinte, es sei unter der Würde der Reichsregierung, sich in der jetzigen Lage mit dem Reichstag herumzuschlagen.

Die gleiche Auffassung vertrat der Reichsernährungsminister.

Der Reichsbankpräsident führte aus, daß er sich die ganze Angelegenheit nochmals genau überlegt habe. Wenn der Zusammentritt des Plenums des Reichstags abgelehnt werde und nur der V. Ausschuß zusammentreten sollte, und wenn man alsdann stark unterstreiche, daß die Beratungen des Ausschusses zunächst nur technische Bedeutung hätten, so werde vielleicht eine Beruhigung eintreten. Wenn er sich aber weiter überlege, was der Ausschuß machen werde, wenn er etwa darangehen werde, die Krisensteuer zu ändern, und wenn er ferner bedenke, daß der Ausschuß sich veranlaßt sehen sollte, die Änderungen so beschleunigt zu beschließen, daß alle Schwierigkeiten noch vor dem 1. Juli gelöst werden könnten, dann komme auch er zur Verneinung der Frage, daß der Zusammentritt des V. Ausschusses verantwortet werden könne.

Der Reichsverkehrsminister meinte, einem etwaigen Zusammentritt des V. Ausschusses müsse die Einberufung des Reichstags notwendigerweise folgen, da das Plenum doch zu den Beschlüssen des V. Ausschusses Stellung nehmen müsse. Auch er sei der Meinung, daß die Reichsregierung sich einer derartigen Lage nicht aussetzen könne.

Der Reichskanzler stellte daraufhin als einmütige Auffassung des Reichskabinetts fest, daß er ermächtigt sei, nach einem Beschluß des Ältestenrats auf Einberufung des Reichstags oder des V. Ausschusses dem Herrn Reichspräsidenten das Demissionsgesuch der Reichsregierung zu überreichen.

Der Reichsarbeitsminister warf sodann noch die Frage auf, was eintreten werde, wenn die Reichsregierung zurückgetreten sei.

Hierzu antwortete der Reichsernährungsminister daß es im Augenblick nur darauf ankomme, Klarheit und Festigkeit in der Haltung der Reichsregierung in den Vordergrund zu stellen.

Auf eine Frage des Reichsministers WirthWirth, ob nicht der V. Ausschuß auch dann zusammentreten werde, wenn die Reichsregierung demissioniere, antwortete der Reichswehrminister daß nach seiner Überzeugung der Sturz der Regierung im gegenwärtigen Augenblick gleichbedeutend mit dem Ende des Parlamentarismus sein werde.

Staatssekretär Dr. MeissnerMeissner führte im Einvernehmen mit dem Herrn Reichskanzler aus, daß bei dem kürzlichen Besuch des Herrn Reichskanzlers bei dem Herrn Reichspräsidenten5 für den Fall einer Demission des jetzigen Kabinetts folgende Maßnahmen des Herrn Reichspräsidenten in Aussicht genommen seien:

5

Die Unterredung zwischen RPräs. und RK hatte am 12.6.31 auf Gut Neudeck stattgefunden (Nachl. Pünder Nr. 43, Bl. 158).

Zunächst Betrauung des Führers der Deutschnationalen Partei, Dr. Hugenberg, mit der Regierungsbildung. Dieser werde voraussichtlich den Auftrag ablehnen, wenn der Auftrag an die Bedingung geknüpft sei, eine Mehrheitsregierung[1214] zustande zu bringen. Danach werde der Reichspräsident versuchen, mit einem gleichen Auftrag an den Führer der SPD, Dr. Breitscheid, weiterzukommen. Der Herr Reichspräsident glaubt jedoch, nicht damit rechnen zu können, daß dieser Auftrag zum Erfolg führen werde, so daß er alsdann wiederum an den Herrn Reichskanzler Dr. Brüning herantreten werde. Wahrscheinlich werde Dr. Brüning alsdann die Ermächtigung erhalten, notfalls eine Minderheitsregierung zu bilden.

Der Reichsminister des Auswärtigen bemerkte hierzu, daß es nach seiner Meinung jetzt nicht an der Zeit sei, den Entschließungen des Herrn Reichspräsidenten vorzugreifen. Er empfehle, bei dem soeben gefaßten Beschluß über den Rücktritt der Regierung zu bleiben, falls die Voraussetzungen eintreten sollten.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, er sei Gegner jeder Krisenpolitik. Eine Regierung, die am Ruder sei, dürfe unter keinen Umständen einen Weg einschlagen, der in den Abgrund führe. Trotzdem werde er in der gegenwärtigen Situation den Weg des Reichskanzlers mitgehen, wenn man die Parteien jetzt vor ihre Verantwortung stelle und ihnen sage, daß sie die volle Verantwortung für alles zu tragen hätten, was passiere, wenn sie den Sturz der Regierung herbeiführen würden.

Der Reichskanzler schloß darauf die Sitzung mit der nochmaligen Feststellung, daß er sich als ermächtigt halte, das Demissionsgesuch zu überreichen, falls der Ältestenrat zu dem von der Reichsregierung für unannehmbar gehaltenen Beschlusse kommen sollte6.

6

Der Ältestenrat des RT lehnte am 16. 6. kurz vor 13 Uhr mit den Stimmen des Z., der BVP, DVP, DStP, SPD und des ChrSVD die Einberufung des RT ab. Für eine RT-Sitzung stimmten NSDAP, DNVP, Landvolkpartei, WP und KPD. Die SPD änderte unter dem Eindruck der Drohung des Z, ein SPD-Votum für die Einberufung des RT werde zur Auflösung der Preußenkoalition führen, ihre Haltung. Die DVP forderte in einer Entschließung vom 16. 6. eine Umbildung des RKab. und rechtfertigte das Abrücken vom Fraktionsbeschluß vom 11.6.31 mit der Zusicherung des RK, die NotVO vom 5.6.31 abzuändern, und mit der Weigerung der DNVP und NSDAP, eine Mitverantwortung bei der Erfüllung der von der DVP aufgestellten Forderungen zu übernehmen (Schultheß 1931, S. 141 f.; vollständiger Text der DVP-Entschließung im Nachl. Dingeldey Nr. 36, Bl. 69–70). Zur Junikrise vgl. auch die Darstellungen von Brüning, Memoiren, S. 285–291, und H. Luther, Vor dem Abgrund, S. 164–168.

Einem kleinen Ausschuß, bestehend aus Vertretern des Reichsarbeitsministeriums, des Reichsfinanzministeriums und der Reichskanzlei wurde es überlassen, nochmals eine Formulierung für ein Kompromiß in der Frage der Jugendlichen zu bilden. Diese Kompromißmöglichkeit soll sofort den Führern der SPD und der Deutschen Volkspartei übermittelt werden.

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