1.223 (bru2p): Nr. 475 Besprechung mit Vertretern des Reichsverbands der deutschen Industrie vom 18. September 1931 [12 Uhr]

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[1700] Nr. 475
Besprechung mit Vertretern des Reichsverbands der deutschen Industrie vom 18. September 1931 [12 Uhr]

R 43 I /2373 , S. 1121–1132

Anwesend: Brüning; StS Trendelenburg, Pünder, Schäffer; MinDir. Weigert; Duisberg, Kraemer, Frowein, Kastl, Herle; Protokoll: MinR Feßler.

Geheimrat Duisberg schilderte die Stimmung im Lande1. Rasche Entscheidungen der Regierung würden gefordert. Das Vertrauen in sie litte durch die Ungewißheit über ihre Ziele und Absichten.

1

Das geschäftsführende Präsidialmitglied des RdI, Kastl, hatte mit Schreiben vom 31.8.31 an den StSRkei um eine Besprechung beim RK gebeten (R 43 I /2373 , S. 237).

FroweinFrowein wies auf die wesentlichen Forderungen und Auffassungen des Reichsverbandes über die Lage hin, wie sie in der Denkschrift niedergelegt sind2.

2

Der RdI hatte am 19.8.31 dem RK eine 22 Seiten starke Aufzeichnung zur Finanz- und Wirtschaftslage übersandt. Die Vorschläge waren in der Mehrzahl schon früher in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Der RdI lehnte eine neue Auslandsanleihe ab; verfehlte Maßnahmen der seit der Inflation durch sozialistische Dogmen beeinflußten Wirtschafts- und Finanzpolitik müßten beseitigt werden; die Preise müßten gesenkt werden, wobei die Kartelle in der Preispolitik eine nationale Aufgabe erfüllten; die Kreditpolitik müsse verhindern, daß langfristige Anlagen mit kurzfristigen Geldern finanziert würden; die Selbstkosten müßten durch Senkung der Steuern und Abgaben, der sozialen Lasten, der Löhne und Gehälter und der Verkehrstarife ermäßigt werden; RB und RP sollten vermehrt Aufträge vergeben; eine neue Reparationsregelung müsse unverzüglich in Angriff genommen werden; Mißstände in der Privatwirtschaft dürften nicht verallgemeinert werden, denn nicht die Privatwirtschaft habe versagt, sondern ein System, das mit politischem Zwang die Privatwirtschaft künstlich beraubt habe (R 43 I /2373 , S. 35–81; vgl. auch den Vermerk von RegR Krebs vom 27.8.31 über diese Aufzeichnung a.a.O., S. 85–89).

KraemerKraemer wünschte vor allem Klarheit über das Schicksal der Banken. Trotz Staatshilfe seien sie noch immer gefährdet. Personalfragen müßten endgültig entschieden werden, sonst könnten die Leitungen nicht durchgreifen. Er hatte Bedenken gegen kurzfristige Kredite auf der Unterlage von Wechseln. Handelswechsel seien nicht mehr in erforderlichem Umfange vorhanden. Die Finanzierung vieler Exportgeschäfte litte unter der langen Laufdauer der Russenwechsel. Die Garantie der Wirtschaft in Höhe von 500 Millionen sei durch den unerfreulichen Ausgang der Stillhalteverhandlungen voll in Anspruch genommen worden.

Die Garantiebank dürfe die Kredite nicht übermäßig verteuern. Ihre Zinsen seien zu hoch. Die Provinz fordere 15–17%. Die mittleren und kleinen Betriebe litten unter diesen Kreditschwierigkeiten besonders stark. Gemeinsame Richtlinien zwischen dem Reich und der Reichsbank und der Wirtschaft seien für die Kreditgewährung notwendig. Die Reichsbank würde damit einverstanden sein.

Der Reichskanzler führte aus: Er verstehe die Stimmung im Lande. Sie komme zwangsläufig aus der Lage. Die Reichsregierung habe bereits seit langem mit der Krise gerechnet.

[1701] Wenn das Volk rasches Handeln vermisse, so verweise er auf England. Dort habe die nationale Regierung3 ebenfalls keine Wunder wirken können. Das Kreditsystem der ganzen Welt sei eben erschüttert.

3

Nach dem Rücktritt der Labour-Reg. MacDonald am 24. 8. hatte dieser gegen den Willen der Labour Party am 25.8.31 ein nationales Konzentrationskabinett unter Beteiligung von Konservativen und Liberalen gebildet (Schultheß 1931, S. 335 ff.).

Die Regierung habe sich weit in die Wirtschaft hinein begeben müssen, weil diese auf Sand gebaut habe. Dieser Sand habe sich in Bewegung gesetzt. Es sei schwer, diese Bewegungen abzudämmen. Es frage sich, ob das allgemeine Vertrauen soweit erschüttert sei, daß an der Wiederherstellung gezweifelt werden müßte. Die Umkehr habe in Deutschland früher begonnen als in England. Die Bevölkerung müsse langsam auf den richtigen Weg gebracht werden.

Die Bankenfrage habe nicht schneller gelöst werden können, als es geschehe. Die Privatbanken, Staatsbanken und Landesbanken sowie die Sparkassen seien festgefroren. Das dürfe in der Öffentlichkeit nicht ausgesprochen werden, weil sonst ein Ansturm auf die Kassen zu befürchten sei. Dieser Ansturm werde bestimmt kommen, wenn die Presse weiter in Pessimismus mache. Wenn die Regierung gestürzt werde, so würde ihn das nicht persönlich aufregen. Die Wirkungen seien aber nicht abzusehen. Ein Artikel in der Hugenberg-Presse bewirke regelmäßig vermehrte Abhebungen bei den Sparkassen. Wo die Presse in radikalem Sinne schreibe, seien die Kündigungen von Guthaben wesentlich stärker als anderwärts. Die Politiker schüfen einen schlechten Start für eine neue Regierung.

In der Reparationsfrage hätte ein Moratorium sofort die Finanzkontrolle zur Folge gehabt. Die Initiative zu weiteren Schritten müsse derselben Stelle vorbehalten bleiben, von der die ersten ausgegangen seien, sonst würde das Vertrauen gänzlich schwinden.

Die volle Wahrheit über die Verschuldung sei noch nicht bekannt geworden. Auch der Layton-Bericht enthalte geringere Summen als tatsächlich in Frage zu kommen scheinen. Die Großbanken hätten selber nicht gewußt, wie tief sie verschuldet wären.

Wenn nach außen hin auch gesagt werde, daß die Aufrechterhaltung der Wirtschaft trotz der Zurückziehung der Auslandsgelder eine große Leistung sei, so bestände doch darüber Klarheit, daß die ganze Wirtschaft ungeheuer erschüttert sei. Die Banken hätten erst gezwungen werden müssen, einen gewissen Grad an Solidarität aufzubringen.

Wenn die Staatswirtschaft vorwärtsschreite, so sei das die Schuld der Gruppen, die im entscheidenden Augenblick einen großen Gedanken nicht ausreichend vorbereitet und nicht durchgeführt hätten.

Die Verschuldung der „Nordwolle“ sei nur durch die Bank von England zur Kenntnis der Reichsregierung gekommen. Sie sei von den Interessenten zunächst mit 30, dann von den Banken mit 50 Millionen angegeben worden. Tatsächlich habe sie aber mindestens 200 Millionen betragen4. Wenn die politische Agitation weiter gehe, so werde er sich gezwungen sehen, über derartige[1702] Tatsachen im Reichstag offen zu sprechen. Allerdings würde die Wirtschaft dadurch ungeheuer geschädigt, und das wollte er vermeiden. Darum sei er auch manchen Besprechungen aus dem Weg gegangen.

4

Vgl. Dok. Nr. 353 und Dok. Nr. 357.

Die westliche Großindustrie habe für 200 Millionen M Erze auf der Halde. Der Gesamtwert der Halden belaufe sich etwa auf 440 Millionen. Auf Anfrage sei keine Antwort erteilt worden. Noch am 28. Juli habe die Industrie in einer Denkschrift erklärt, die Schwedenverträge über die Erzlieferung entsprächen dem normalen Bedürfnis. Insofern sei die Lage ähnlich wie bei den Banken. Es bestehe nur die Wahl, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären oder ohne diese Aufklärung Hilfe zu versuchen.

Mit Lohnsenkungen könnten weitere Fortschritte kaum gemacht werden. Vielfach werde nur 3 Tage gearbeitet und ein Wochenlohn von etwa 18 M verdient. Das könne nicht weitergehen. Die Regierung habe der westlichen Schwerindustrie die Arbeitslosenunterstützung erlassen wollen, damit sie ihre Halden hätte absetzen können. Sie habe aber diese Hilfe abgelehnt und der Regierung wegen dieser Subventionierung schwerste Vorwürfe gemacht5. Kämen die Zusammenhänge an den Tag, so würde das Vertrauen in die Wirtschaftsführung weiter auf das Schwerste erschüttert. Dann sei kein Ausweg mehr zu finden.

5

S. Dok. Nr. 343.

Deutsche Banken hätten Schatzanweisungen deutscher Länder mit Giro versehen ins Ausland gelegt. Sie seien zu Protest gegangen. Die Reichsregierung habe sofort mit 40 Millionen eingreifen müssen, um den Kredit des Reiches nicht zu gefährden. Die Rheinische Landesbank habe sich seit 2 Jahren geweigert, sich einer Kontrolle durch den Revisionsverband zu unterziehen. Die Regierung sei mit einem ununterbrochenen Fluß von Entdeckungen über leichtsinnige und verlustreiche Manipulationen dauernd auf das Schwerste belastet worden. Der Norddeutsche Lloyd habe die Riesenschiffe gebaut, obwohl andere noch nicht bezahlt worden seien. Ihm sei über die Schröder-Bank geholfen worden. S. sähe die Arbeit der Regierung in den letzten zwei Monaten aus.

Er habe die Gefahr für die Hypotheken vorausgesehen und seine Bedenken bereits vor zwei Monaten ausgesprochen. Jetzt seien die Pläne in die Öffentlichkeit gelangt. Die Mietervereine wollten nun gehört werden. Der Aufwertungsgedanke sei wieder mobil geworden.

Das Hauszinssteuer-Problem sei nicht mit einem Male zu lösen6. Die Schätzungen für 1932 seien bedenklich. Es sei nicht möglich, bei dieser labilen Lage ein Programm aufzustellen, das bereits vier Wochen später nicht mehr durchgeführt werden könne und damit zu arger Enttäuschung führen würde. Die Forderungen, die in der Presse erhoben werden, seien vielfach nicht zu erfüllen. Die Lage dürfe nicht restlos entschleiert werden wegen der Gefahr des Ansturms auf die Kassen und wegen der außenpolitischen Wirkungen.

6

In einer Eingabe an die RReg. vom 24.9.31 forderte auch der DIHT die Aufhebung der Hauszinssteuer (R 43 I /2351 , Bl. 190–195).

[1703] Die Regierung könne nur Maßnahmen treffen, die ohne politische Erschütterungen im Lande durchführbar seien.

Die Sparkassen müßten unabhängig gestellt werden von den wechselnden Mehrheiten in den Stadtparlamenten. Sie dürften keine artfremden Geschäfte betreiben. Würden die erforderlichen Maßnahmen einheitlich alsbald getroffen, so würde wieder eine neue Beunruhigung der Sparer erfolgen, die nicht ertragen werden könne.

Die großen Engagements der Großbanken müßten vorsichtig abgewickelt werden. Das Schicksal der deutschen Industrie und anderer Erwerbsbestände hänge daran. Pflegliche Behandlung dieser Probleme und Schweigen darüber sei nötig. Es frage sich, wie die Lage der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie verbessert werden könne, obwohl sie nicht einmal mit den Erzverträgen fertig geworden sei7. Die Lage werde zunehmend schwieriger. Alles habe sich auf Aufwärtsbewegung der Wirtschaft eingestellt.

7

Vgl. Dok. Nr. 447.

Schwierig seien auch die Probleme der Landwirtschaft. Wenn es möglich wäre, die Produktionskosten zu senken, indem die Lebensmittelpreise auf den Weltstand herabgedrückt würden, so wäre das Lohnproblem gelöst.

Am 1. Oktober müsse bei den Landschaften eingegriffen werden. Die ostpreußische Landschaft habe sich in Bankgeschäften eingelassen und hohe Zinsen für Personalkredite gefordert. Fehler würden krampfhaft verdeckt, die besser rechtzeitig offen eingestanden worden wären.

Die schnelle Senkung der Löhne würde das Problem der 1. Hypotheken alsbald in die Erscheinung treten lassen, insbesondere wegen der hohen Neubaumieten. Es frage sich, wo zuerst eingegriffen werden müsse. Nach seiner Ansicht bei den I B Hypotheken. 800 Millionen seien darin von Kommunen oder unter ihrer Bürgschaft angelegt. Teile der Hauszinssteuer müßten dazu verwendet werden. Außerdem werde eine Zinsverbilligung notwendig sein.

In der Lohnfrage sei er dafür, die Tarife elastisch zu gestalten. Wo beide Parteien miteinander verhandelt hätten, seien Lösungen gefunden worden, die treffender seien als Anordnungen vom grünen Tisch. Er sei bereit, eine großzügige Regelung zu geben, etwa dahin, daß 80% des Tarifs festgestaltet und 20 beweglich gehalten würden. Die 20% müßten dann in einem Verhältnis zu der Neueinstellung von Mehrarbeitern gebracht werden.

Mit der Reichsbahn sei Einigkeit über die Finanzierung von Bestellungen erzielt. Die öffentliche Hand müsse Beschäftigung schaffen bis zu dem Punkte, an dem die Rentabilität der Werke erreicht sei. Wenn sich die Konjunktur bessere, könnten die Aufträge wegfallen. Die Kapitalinvestitionen seien in der deutschen Wirtschaft übermäßig groß gewesen. Im Grunde habe England gegenüber Deutschland das Risiko der Wirtschaftsführung übernommen. Deutschland könne das nicht seinerseits für Rußland tun.

Eine falsche Gesetzgebung von 10 Jahren müsse rückwärts entwickelt werden. Das müsse planmäßig geschehen. Kein Schritt dürfe gemacht werden, der den nächsten hindere. Insofern sei besser gearbeitet worden als von der französischen[1704] Regierung, die bei der Stabilisierung8 ihre Maßnahmen sehr bald wieder hätte ändern müssen.

8

Anspielung auf die Stabilisierung des frz. Francs durch MinPräs. und FM Poincaré im Jahre 1926.

Hinsichtlich der Preisbindung dürfe nicht davon ausgegangen werden, daß dauernd Preissenkungen möglich wären. Dann bestände die Gefahr, daß niemand mehr kaufen würde. Die Lösung sei ein internationales Problem. Die letzte Hoffnung sei, daß die Krise in der Welt so rasch vorwärts schreiten würde, daß alle zu gemeinsamen Verhandlungen gezwungen werden.

Das Mißtrauen müsse dann beseitigt, die Preissenkungen müßten aufgehalten werden. Sonst käme es zu einer allgemeinen Naturalienwirtschaft, wie sie sich in den Vereinigten Staaten bereits anbahne.

Handelspolitisch müsse sehr vorsichtig vorgegangen werden; auch in der Devisenfrage. Er sei gegen eine Politik, die nur den Zweck habe, populär zu machen. Würden für Butter keine Devisen gegeben, so seien Schwierigkeiten zu befürchten. Der Konsum ginge an sich zurück.

Das Volk vertrage es nicht, daß alle 14 Tage Krisen gemacht würden. Die Beschlüsse, den Reichstag zusammentreten zu lassen, habe das Gebäude der Maßnahmen, die sorgfältig vorbereitet worden seien, über den Haufen geworfen9. Er lehne Ultimaten wirtschaftlicher Art ab, die von Parteien gestellt würden. Sachliche Politik sei notwendig. Zwei getrennte Notverordnungen würden ergehen. Die Parteien würden am 13. Oktober vor die Verantwortung gestellt werden. Sollte dann die Regierung gestürzt werden, so würden diejenigen mit der Verantwortung belastet werden, die die Schuld daran trügen. Sie würden dann von der Krisenmacherei voraussichtlich endgültig geheilt werden.

9

Vgl. Dok. Nr. 329, Anm. 11 und Dok. Nr. 330.

Nachdem Geheimrat Duisberg für die offene Aussprache gedankt und versichert hatte, daß alles, was in Kräften des Reichsverbandes stehe, geschehen werde, um das Vertrauen in die Reichsregierung wieder zu stärken, führte der Reichskanzler noch weiter aus, die mittlere und kleine Industrie werde in ihren Kapitalbedürfnissen nicht genügend berücksichtigt. Dagegen würden an anderer Stelle Kapitalien falsch investiert, so beispielsweise in Vergnügungsstätten um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche etwa 100 Millionen. Die Großbanken übten an der öffentlichen Hand Kritik, hätten aber der Stadt Berlin die Kredite für die Untergrundbahn und Großkraftwerke aufgedrängt. Das müsse aufhören. Interne Maßnahmen und Personalreform seien nötig. Sonst sei nichts zu erreichen. Wie bei den Banken gearbeitet werde, sei nicht klar. Ein Teil verlange erhöhte Sicherheiten von den Schuldnern, die nicht geleistet werden könnten, obwohl die Werke arbeiteten. Andererseits hätten sie nicht den Mut, an große Fehlinvestitionen heranzugehen. Das könne die Regierung nicht dulden. Sonst käme zwangsläufig der Staatskapitalismus.

Er bitte um Unterstützung des Reichsverbandes in diesen Richtungen.

FroweinFrowein erklärte, niemand würde die Fehler der Wirtschaft billigen. Jetzt sei ihm erst klar geworden, woran manche Schwierigkeiten lägen. Die mittleren und kleineren Betriebe müßten erhalten werden. Wie falsch die Einstellung[1705] gewesen sei, ergebe sich aus einem Ausspruch von Geheimrat Deutsch im Reichsverband der Deutschen Industrie, der behauptet habe, für die nächsten 10 Jahre sei nur ein Problem zu lösen, nämlich wie möglichst viel Ware geschaffen werden könnte.

Die Regierung dürfe nicht zuviel schweigen. Die Tatsache, daß nach außen nichts geschehe, irritiere auch Wohlmeinende. Die Bevölkerung müsse sehen, daß Mißwirtschaft Schaden brächte, und daß die Schuldigen verschwänden. Einzelne Teile der deutschen Industrie möchten wohl darin anderer Ansicht sein, aber die Mehrzahl stehe auf dem Standpunkt, daß ein Verbergen von Fehlern nichts helfe. Lohnsenkung sei nicht gleich Einkommenssenkung. Im Gegenteil sei eine gewisse Erhöhung des Gesamteinkommens möglich. Die Verhältnisse lägen unendlich verschieden. Die Freilassung von 20% des Lohnes dürfte nur bei großen Betrieben angebracht sein. Die Vernunft müsse freigesetzt werden10.

10

Gegen eine untertarifliche Entlohnung bis zu 20% bei vermehrter Einstellung von Arbeitskräften wandte sich die Vereinigung der Dt. Arbeitgeberverbände in einem Schreiben an den RK vom 23.9.31. Die Ausweitung von Arbeitsplätzen würde zu einer Produktionssteigerung führen, ohne daß gleichzeitig eine entsprechende Absatzsteigerung zu erwarten sei. Derartige Maßnahmen würden außerdem eine Verschiebung der Konkurrenzgrundlagen bedeuten und eine Fülle technischer Schwierigkeiten hervorrufen (R 43 I /1160 , Bl. 371–372).

Der Reichskanzler hielt es für geboten, von der Verbindlichkeitserklärung möglichst geringen Gebrauch zu machen. Teilweise seien üble Erfahrungen gemacht worden, insbesondere auch im Baugewerbe und in der schlesischen Landwirtschaft, wo die Arbeitgeber der Lohnsenkung selbst widersprochen hätten. Jetzt würden dagegen die hohen Löhne als Grund der Krise hingestellt. Auch das Versicherungsgewerbe habe die Löhne nicht senken wollen. Die Hauptsache sei, über den Winter ruhig hinwegzukommen. Im Westen konzentriere sich die kommunistische Gefahr, weil dort die Reichswehr in der entmilitarisierten Zone nicht eingesetzt werden könne.

Geheimrat KastlKastl bedauert, daß der Reichsverband in der Bankenfrage nicht früher orientiert worden sei, sonst hätte er andere Folgerungen gezogen. Er sprach sich gegen Subventionen aus und bat, neben Großunternehmern auch kleinere zu empfangen. Wenn die Vorräte der Rheinisch-Westfälischen Schwerindustrie billig abgestoßen würden, so bestände die Gefahr, daß auch die neue Förderung nur niedrige Preise erlange. Schließlich sei es besser, die Werke vier Wochen still zu legen, als die Kohlenhalden weiter anwachsen zu lassen. Er begrüßte die Auffassung des Reichskanzlers über die Notwendigkeit der Kredithilfe für die mittlere und kleine Industrie und wies besonders darauf hin, daß die „Nordwolle“ seit Jahren im Gegensatz und in Kampfstellung zum Reichsverband der deutschen Industrie und zum Arbeitgeberverband gestanden habe.

Nachdem die Vertreter der Industrie noch gebeten hatten, auch die beiden Organisationen bisweilen anzuhören, wurde die Aussprache beendet.

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