1.257 (bru2p): Nr. 509 Besprechung mit den präsidierenden Mitgliedern der Länderregierungen über Sanierungsmaßnahmen vom 6. Oktober 1931, 11 Uhr

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Nr. 509
Besprechung mit den präsidierenden Mitgliedern der Länderregierungen über Sanierungsmaßnahmen vom 6. Oktober 1931, 11 Uhr

R 43 I /2374 , S. 679–687

 

Anwesend: [Brüning, Dietrich]; für Bayern: MinPräs. Held, IM Stützel, Gesandter v. Preger; für Sachsen: MinPräs. Schieck, MinDir. Schettler, MinDir. Poetzsch-Heffter; für Württemberg: StPräs. Bolz, FM Dehlinger, Gesandter Bosler; für Baden: StPräs. Schmitt, MinDir. Fecht, OFinR Stöckinger; für Thüringen: StM Baum, Gesandter Münzel; für Hessen: StPräs. Adelung, FM Kirnberger, Gesandter Nuß; für Hamburg: Bürgermeister Roß, Petersen, Gesandter Piper; für Mecklenburg-Schwerin: MinPräs. Eschenburg, StM Haack, Gesandter Tischbein; für Oldenburg: MinPräs. Cassebohm, Gesandter Ahlhorn; für Braunschweig: StM Küchenthal, Gesandter Boden; für Anhalt: MinPräs. Deist; für Bremen: Bürgermeister Donandt, Gesandter Nebelthau; für Lippe: Präs. Drake; für Lübeck: Bürgermeister Löwigt, Gesandter Meyer-Lüerßen; für Mecklenburg-Strelitz: StM Freiherr v. Reibnitz; für Schaumburg-Lippe: StR Lorenz; Protokoll: MinR Feßler.

Der Reichskanzler führte vertraulich folgendes aus1: Die Entwicklung[1813] des englischen Pfundes sei von der englischen Regierung weder vorausgesehen noch gewollt. Sie habe sich aus dem starken Ansturm auf das Gold ergeben. Frankreich habe helfen wollen, unter der Bedingung, daß die Vereinigten Staaten die gleiche Summe zur Verfügung stellten. Diese seien aber dazu nicht mehr in der Lage gewesen. Auch dort wende sich das Bankwesen einer Krisis zu. Selbst Frankreich sei gezwungen, seine Banken zu stützen. Das Vertrauen in der Welt sei völlig erschüttert. Dies mache sich in den Währungen geltend. Der Kauf von Goldbarren beweise das deutlich. Die Notenbanken hätten weitgehend die Herrschaft über den Weltmarkt verloren. Es sei zu befürchten, daß sich die Kreditwirtschaft in hohem Grade auflösen werde. Schon im Juni dieses Jahres sei dies zu ahnen gewesen, als England Deutschland zu Hilfe kommen wollte.

1

Gegen die kurzfristig angesetzte Unterrichtung der MinPräss. über den Inhalt der neuen NotVO hatte der Bayer. Gesandte v. Preger beim StSRkei Einspruch erhoben. Diese Besprechung sei „kaum etwas anderes als eine höfliche Geste. Irgendwelche sachliche Einflußnahme auf die Gestaltung der Notverordnung wäre ausgeschlossen. […] Ich weiß nicht, ob ich unter diesen Umständen meinem Ministerpräsidenten auch nur raten kann, zur Sitzung am Dienstag nach Berlin zu fahren. Er hat schon bei einer der letzten Besprechungen geäußert, daß er nicht zu dem Zwecke nach Berlin fahre, um dort etwas vorgelesen zu bekommen, was er abends in der Presse lesen könne. Die Mißstimmung in den Münchener Regierungskreisen über die bisherige Behandlung der Länder bei den Beratungen über die Notverordnung ist außerordentlich groß und könnte auch zu für die Reichsregierung unangenehmen Folgen führen, wenn es nicht gelingt, sie durch entsprechende Schritte der Reichsregierung zu beseitigen“ (Schreiben Pregers an Pünder vom 3.10.31, R 43 I /2374 , S. 821–824, Zitat Bl. 823). Auch der Bayer. MinPräs. Held hatte in einem Schreiben an den RK vom 5.10.31 gegen die Ausschaltung der Länder protestiert und die wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen der RReg. als Weg zu einer unitaristischen und zentralistischen Reichsreform kritisiert (R 43 I /2374 , S. 829–831). Vgl. auch Dok. Nr. 513.

Für Deutschland sei das Stillhalteabkommen von größter Bedeutung. Insofern sei Deutschland gegenüber England im Vorteil. Dort sei der Goldschatz durch die Pfundstützungskredite aufgewogen. England habe eine geborgte Währung. Wo das Pfund enden werde, lasse sich noch nicht voraussagen.

England habe sich den Anschein gegeben, als wenn diese Entwicklung eine glänzende Lösung für seine Schwierigkeiten sei. Die Rauschstimmung in der Bevölkerung sei aber jetzt einer starken Ernüchterung gewichen. In den Vereinigten Staaten ginge der Verkauf von Wertpapieren gegen sichere Anlagen weiter und erschütterte die Privatbanken.

Mit Rückwirkungen dieser Krise auf Deutschland müsse gerechnet werden, bis es zu einer internationalen Verständigung komme. Ihre erste Aufgabe sei es, alle Hemmnisse des Vertrauens zu beseitigen.

Dieses Ziel habe die Reichsregierung seit einem Jahre verfolgt. In anderen Ländern hätten sich Hemmungen ergeben. Wie die Entscheidung schließlich fallen werde, sei noch unsicher. In zwei Monaten müsse der Kongreß der Vereinigten Staaten zum Hoover-Plan Stellung nehmen. Vielleicht wäre der Dezember schon für eine allgemeine Ordnung der Verhältnisse zu spät.

Alle Länder kämpften um den Devisenschutz. In Italien seien die Zölle um 15% erhöht worden. Frankreich habe Kontingente geschaffen, die Einfuhr verboten. Die Pfundentwertung wirke wie ein Zoll.

Es handele sich darum, das Vertrauen in die politische und finanzielle Atmosphäre in möglichst kurzer Frist wieder herzustellen.

Deutschland könne der Pfundwährung nicht folgen. Es sei versucht worden, die skandinavischen Währungen zu halten. Aber in Paris seien die Anleiheverhandlungen dieser Länder gescheitert. Binnenwährungen seien Inflation. Das schlechte Geld verdränge das bessere.

[1814] Reichsbank und Reichsregierung ständen vor Aufgaben, die die Finanzgeschichte bisher noch nicht gekannt habe. Eine pessimistische Stimmung sei nicht günstig für ihre Lösung. Das Spiel mit Schlagworten sei ein Zeichen schlechter Nerven. Jedes Land sei in besonderer Lage. Wenn England seine Gehälter und sonstigen Unkosten schrittweise gesenkt hätte, hätte es die Revolte vermieden, durch welche Panikstimmung ausgelöst worden sei. Sie habe den Anstoß zum Abgehen vom Goldstandard gegeben.

Etatsfragen könnten nicht auf lange Sicht festgelegt werden. Sobald England in seiner Ausfuhr zur Goldrechnung übergehe, werde sich die Lage für Deutschland grundlegend ändern. Bisher habe England keine erhebliche Exporterfolge gehabt. Die Zahl der Arbeitslosen sei gestiegen. Nur die Kohlen seien vermehrt ausgeführt worden.

Die Reichsregierung wolle das Etatsjahr bis 1. Juli verlängern wegen der Unsicherheit der Lage und wegen des Hooverjahres.

Den Gläubigern müsse ein Plan zur Amortisierung der kurzfristigen Stillhalteschulden vorgelegt werden. Daraus werde sich die Behandlung der Reparationsfrage zwangsläufig ergeben.

Die neue und die letzte Notverordnung sollen Maßnahmen vorwegnehmen, durch welche die Wirtschaft konsolidiert werden kann. Fehler bei den Banken, Sparkassen und anderwärts müßten unmöglich gemacht werden. Die entscheidenden Maßnahmen würden dann in wenigen Tagen mit Wirtschaftssachverständigen durchgesprochen. Notwendig sei die Senkung aller Preise wegen des geringeren Kreditvolumens. Preise und Löhne müßten restlos aufeinander abgestimmt werden. Die öffentliche Hand müsse weitere Sparmaßnahmen treffen, das Zinsproblem sei in Angriff zu nehmen. Die Wege müßten gefunden werden, um in kürzester Frist die Produktions- und Lebenshaltungskosten auszubalancieren.

Die Devisenkontrolle sei durchzuführen. Die Kaufkraft dürfe nicht weiter geschwächt werden. Alle Länder der Welt würden sich vermehrt auf den Binnenmarkt einstellen. Gleichwohl müsse versucht werden, die Exportmöglichkeiten zu halten. Einheitlicher Wille und die Abstandnahme von störenden Gegenzügen könnten es ermöglichen, die Lage bis zu einer internationalen Lösung durchzuhalten. Ohne diese sei eine grundlegende Besserung der weltwirtschaftlichen Verhältnisse nicht möglich.

Die Notverordnung sei unter diesen Gesichtspunkten zu betrachten. Wenn der Reichstag auseinandergegangen sei, würde das Gesamtproblem in Angriff genommen werden.

Auf Länder und Gemeinden sei Rücksicht genommen. Erst vom 1. April 1932 an seien Abstriche vorgesehen. Bis dahin müßten entsprechend diesen Abstrichen bei der Hauszinssteuer andere Erleichterungen gefunden werden. Zuvor aber handele es sich darum, die Wirtschaftspolitik zu regulieren.

Die Zeiten seien überall außergewöhnlich. Deutschland sei das einzige der großen Länder, das keine Anleihen bekommen könnte. Es müsse durchhalten, bis der Geldmarkt wieder offen sei. Kritik werde nicht helfen und an Tatsachen nichts ändern. Die Lage müsse gesehen werden, wie sie ist. Aus ihr werden die zwingenden Folgerungen zu ziehen und konsequent einzuhalten sein.

[1815] Der Reichsminister der Finanzen gab sodann eine eingehende Darstellung des Inhalts der neuen Notverordnung.

Die Vertreter der Länder äußerten hierzu ihre Bedenken und Wünsche.

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