1.36 (bru2p): Nr. 288 Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über die Chefbesprechung wegen agrarpolitischer Maßnahmen. 29. April 1931 [18.15 Uhr]

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[1041] Nr. 288
Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über die Chefbesprechung wegen agrarpolitischer Maßnahmen. 29. April 1931 [18.15 Uhr]

R 43 I /2547 , Bl. 165–167

Unter dem Vorsitz des Reichskanzlers wurde zunächst mit dem Reichsminister des Auswärtigen, dem Reichsarbeitsminister, Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und Reichsminister Treviranus sowie Staatssekretär Dr. Pünder die Frage des Brotpreises besprochen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft berichtete über seine Verhandlungen mit dem Mühlengewerbe und dem Reichslandwirtschaftsrat. Er ging davon aus, daß bei einem zollbelasteten Preise des ausländischen Weizens von 350–360 RM und einem deutschen Weizenpreise von rund 300 RM bei 50%igem Beimahlungszwang dem Mehlpreise ein Weizenpreis von 325 RM im Durchschnitt zugrunde zu legen sei. Würde der Zoll um 50 RM verringert, so ermäßige sich der Preis auf 300 RM. Bei 75%iger Ausmahlung ergäbe das eine Verbilligung von 3,20 RM bei jedem Sack Mehl.

Durch die Verbilligung des Weizenmehls würden die Bäcker in die Lage versetzt, den Brotpreis zu ermäßigen. Sie legten jetzt einen Preis von 30,50 RM zugrunde und könnten dann mit 28,50 RM rechnen. Zu diesem Preise würden die Mühlen frei Bäckerei liefern.

Weiter kämen für die Verbilligung des Brotes die Lockerung des Brotgesetzes, insbesondere der Wegfall der Bestimmungen über die Ausmahlung und die Aufhebung des Nachtbackverbotes in Betracht.

Vor dem Kriege sei der Brotpreis in der Regel gleich dem Mehlpreise gewesen. Bei 30 RM für den Doppelzentner also 30 Pfg. für das Kilogramm Brot. Jetzt müsse mit einem Aufschlag von 20–40% gerechnet werden. Die Brötchen seien verteuert, die Bäcker hätten daraus Sondernutzen.

Das Mischbrot mit einem Fünftel Weizenmehl könnte um 3/5 Pfg. das Kilogramm verbilligt werden.

Die zollverbilligte Einfuhrmenge, zunächst etwa 150 000 t = ein halber Monatsbedarf, würde dort eingesetzt werden, wo die Brotpreise überhöht seien. Würde der Zoll allgemein ermäßigt, so wäre mit einer starken Voreindeckung zum Nachteil der neuen Ernte zu rechnen. Der Weltmarktüberfluß sei außerordentlich groß.

Der Reichsarbeitsminister würde sich mit der Aufhebung des Nachtbackverbots abfinden. Es käme allerdings nur den Brotfabriken zugute. In Mittelstandskreisen würden Schwierigkeiten entstehen1. Bei kleinen Bäckern sei keine Gewähr gegeben, daß die Aufhebung des Nachtbackverbots die Brotherstellung verbillige. Die meisten Konsumvereine hätten keine eigenen Bäckereien. Brotfabriken beständen nur an wenigen Plätzen. 6–8 Millionen könnten durch sie billiger beliefert werden.

1

Vgl. Dok. Nr. 284, Anm. 25.

[1042] Die Preise für Brot und Fleisch müßten ermäßigt werden, sonst sei es nicht möglich, die Arbeiter und Beamten zu entlasten. Das Sanierungsprogramm stände auf dem Spiel.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß mit dem baldigen Zusammentritt des Reichstags zu rechnen sei, wenn es nicht gelinge, den Brotpreis herabzusetzen2. Dann wäre die Möglichkeit, landwirtschaftliche Zölle zu erhöhen, geschwunden.

2

Vgl. dazu Dok. Nr. 287.

Die Aufhebung des Nachtbackverbotes müsse mit der SPD und der Wirtschaftspartei besprochen werden. Die Pressenotiz über die agrarpolitischen Entscheidungen müsse den Hinweis auf die Preisunterschiede in den einzelnen Gemeinden enthalten. Wegen der Fleischpreise müsse mit den Fleischern Fühlung genommen werden.

Hierzu erklärte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft eine Preisermäßigung könne wohl noch bei Rindfleisch erfolgen. Im übrigen aber seien die Preise außerordentlich gesunken. Die beste Grundlage für die Preislage auf dem Gebiete des Fleisches sei das Überangebot an Schweinen, das noch steigen werde, weil inzwischen die Futtermittel teurer geworden seien. Die ostpreußische Fleischwarenfabrik sei unrentabel. Verkaufsverhandlungen kämen nicht weiter, weil der Interessent einen Zuschuß aus öffentlichen Mitteln fordere. Dieser könne unmöglich zugebilligt werden3. Zu erwägen sei, ob die Landwirtschaft selbst Verkaufsläden für Fleisch schaffen solle, die die Preise werfen würden.

3

S. Dok. Nr. 66, Anm. 6.

Zur Schweinezollfrage wies der Reichsminister des Auswärtigen auf die psychologische Wirkung hin. Die Memelfrage und das Verhältnis zu Litauen würden in Mitleidenschaft gezogen und die deutsch-österreichischen Zollunionspläne ungünstig beeinflußt. Er bat, von der Erhöhung abzusehen.

Es könne schließlich in Frage kommen, den Schweinezoll auf gleicher Höhe zu bemessen wie in Österreich, nämlich 38 M.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft widersprach. Nach den Maßnahmen, die hauptsächlich dem Großgrundbesitz zugute gekommen seien, müsse diese Zollerhöhung für die Veredelungswirtschaft beschlossen werden. Auch außenpolitisch sei es besser, jetzt Farbe zu bekennen. Der Zoll würde auch draußen keine Wirkung haben. Der Preis für Schweine sei auf 45 RM gesunken, während der Richtpreis auf 70–75 RM normiert sei.

Auf Vorschlag des Reichskanzlers wurde beschlossen, die Zollerhöhung von 40 RM zeitlich bis November zu begrenzen4.

4

S. Dok. Nr. 286, Anm. 15.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wird die Pressenotiz über das Ergebnis der agrarpolitischen Beratungen formulieren und mit dem Reichsminister des Auswärtigen und dem Reichsarbeitsminister besprechen. Vor der Veröffentlichung wird sie dem Reichskanzler zur Genehmigung vorgelegt werden. Bis dahin sind die Beschlüsse strengstens geheimzuhalten.

[1043] Nach Vorarbeiten am 28. April wurde am 29. April vormittags in Beratungen beim Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter Zustimmung des Reichsarbeitsministers und des Auswärtigen Amts die beiliegende Pressenotiz verfaßt5.

5

Die Pressemitteilung wurde am 30.4.31 in WTB Nr. 888 veröffentlicht (R 43 I /2547 , Bl. 173).

F.[eßler]

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