1.8 (bru2p): Nr. 260 Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über die Besprechung des Reichskanzlers mit agrarischen Reichstagsabgeordneten am 12. März 1931

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[938] Nr. 260
Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über die Besprechung des Reichskanzlers mit agrarischen Reichstagsabgeordneten am 12. März 1931

R 43 I /2546 , Bl. 395–400

 

Unter dem Vorsitz des Reichskanzlers und im Beisein des Reichsministers Treviranus fand eine Besprechung mit den Abgeordneten Döbrich, Hepp, Dr. Schenk Freiherrn von Stauffenberg, Dr. Fehr, Sachsenberg, Freybe, Simpfendörfer, Freiherrn von Hammerstein-Loxten, Graf Westarp und Bornemann über die allgemeine politische Lage und insbesondere die aktuellen agrarpolitischen Fragen statt1.

1

In einem gemeinsamen Schreiben hatten diese Abgg. am 6.3.31 den RK um eine Unterredung gebeten (R 43 I /2546 , Bl. 394).

Graf WestarpWestarp wies auf die Bedenken hin, die der Wiedereinführung des Gefrierfleischkontingents entgegenstehen und bat alles zu tun, um es zu vermeiden, insbesondere durch Verbilligung des Bezuges von frischem Fleisch2.

2

Der RT hatte am 3.3.31 den SPD-Antrag auf zollfreie Einfuhr von 50 000 t Gefrierfleisch mit 218 gegen 152 Stimmen bei Stimmenthaltung des Abg. Heuss (DStP) angenommen (RT-Bd. 445, S. 1333 ; WTB Nr. 470 vom 3.3.31, R 43 I /2546 , Bl. 388).

Auch gegen das Genfer Handelsabkommen3 hatte er schwere Bedenken, insbesondere gegen die Bestimmung, daß regelmäßig Zollerhöhungen erst nach 20 Tagen in Kraft gesetzt werden möchten. Dadurch würde eine sehr weitgehende Vorversorgung ermöglicht. Durch Ausschluß der Kündigungsmöglichkeit für Handelsverträge würden die bevorstehenden Handelsvertragsverhandlungen wegen der Befreiung agrarischer Erzeugnisse von Zollbindung wesentlich erschwert.

3

Genfer Handelsabkommen vom 24.3.31 (Schultheß 1930, S. 459–465). Vgl. auch Dok. Nr. 267, Anm. 7.

In der Landwirtschaft zeige sich eine bedenkliche Beunruhigung. Sie sähe die Gefahr, daß das Ermächtigungsgesetz durch die Zollkonvention in seinen Wirkungen wesentlich beeinträchtigt würde.

Auch reparationspolitisch sei die Konvention bedenklich. Die in der Öffentlichkeit mehrfach erwähnte Notwendigkeit, die Einfuhr zu verringern, um durch Ausfuhrüberschüsse die Verpflichtungen erfüllen zu können, werde durch das Genfer Handelsabkommen in den Hintergrund gerückt. Das Ausland würde dann an dem ernsten Willen Deutschlands, die Einfuhr zu drosseln, zweifeln4.

4

Dieselben Bedenken trug Graf Westarp am 14. 3. im RT vor (RT-Bd. 445, S. 1540 ).

Das gelte schon, wenn Deutschland zustimme, ohne Rücksicht darauf, ob England und Frankreich das gleiche täten, die dazu noch nicht entschlossen schienen. Das Handelsabkommen möchte nicht abgelehnt, die Entscheidung aber aufgeschoben werden. Dies könne damit begründet werden, daß eine Mehrheit für die Annahme zufällig und unsicher wäre. Würden die äußersten Rechtsparteien in den Reichstag zurückkehren5, so sei eine Mehrheit für Ablehnung oder Aufhebung des Abkommens vorhanden.

5

S. Dok. Nr. 234, Anm. 6.

Zur allgemeinen politischen Lage gab er der Besorgnis Ausdruck, daß die SPD ihre Stimmenthaltung bei Abstimmung über den Panzerkreuzer von sozialpolitischen[939] und steuerpolitischen Forderungen abhängig gemacht habe6. Ein Entgegenkommen wäre sachlich und politisch unerträglich.

6

Am 21.3.31 erklärte der SPD-Abg. Wels im RT, seine Fraktion werde sich bei der Abstimmung über die 3. Rate für das Panzerschiff A und die 1. Rate für das Panzerschiff B der Stimme enthalten, um einen Sturz der Reg. Brüning zu verhindern (RT-Bd. 445, S. 1800  bis 1801; zur Abstimmung vgl. S. 1806, 1854).

Der Reichskanzler dankte für die Ausführungen. Die Verhandlungen mit der Linken hätten das Ziel gehabt, die SPD von ihren Forderungen abzubringen. Zum Teil sei es gelungen, zum Teil aber dadurch fehlgeschlagen, daß einige Wirtschaftsführer der SPD erklärt hätten, mäßige Steuerforderungen seien eine Krise nicht wert. Der Reichskanzler bat ausdrücklich um vertrauliche Behandlung dieser Mitteilung.

Auf dem Gebiet der Sozialpolitik sei nichts zugestanden. Der SPD sei nur die Rede mitgeteilt worden, die der Reichsarbeitsminister zu seinem Etat halten wird7. Sie bringe keine Änderung des bisherigen Regierungskurses.

7

Vgl. die Rede des RArbM am 12.3.31 im RT (RT-Bd. 445, S. 1474 –1479).

Der Reichsrat werde gegen das Gefrierfleischkontingent Einspruch erheben8. Am Widerspruch gegen das Brotgesetz werde sich auch Preußen beteiligen9. Preußen sei bereit gewesen, dem Beimischungszwang bei Mühlen zuzustimmen. Die Mühlenindustrie habe aber stärksten Widerstand geleistet, auch das Handwerk und einzelne Parteien, die ihm naheständen.

8

Der RR erhob am 13.3.31 gegen das vom RT beschlossene Gefrierfleischkontingent Einspruch (Niederschriften über die Vollsitzungen des RR, Jahrgang 1931, S. 115).

9

Der RR legte gleichfalls am 13. 3. Einspruch ein gegen die am 3. 3. vom RT beschlossene Änderung der NotVO vom 1.12.30 betr. Beimischungszwang von Roggen zu Brot und Kleingebäck (RGBl. I, S. 600 ). Der RT hatte den Beimischungszwang für Großbrot über 200 g beschlossen (RT-Bd. 445, S. 1312 ; Einspruch des RR in Niederschriften über die Vollsitzungen des RR, Jahrgang 1931, S. 115).

Das Genfer Handelsabkommen sei von der Reichsregierung einstimmig angenommen worden10. Die Meinungen der bürgerlichen Parteien seien geteilt. Die Deutsche Volkspartei, ein Teil des Zentrums und die Deutsche Staatspartei seien dafür. Voraussichtlich werde es aber in Genf nicht ratifiziert werden. Es sei nötig, zur Abwehr von Maßnahmen, die Holland ergreifen könnte, wenn Deutschland von Zollermächtigungen Gebrauch macht. Dann entstehe die Gefahr erheblicher Verluste an Ausfuhr. Persönlich halte er einen Antrag des Reichstags für zweckmäßig, daß das Genfer Handelsabkommen nur ratifiziert werden solle, wenn es die reparationspolitische Lage Deutschlands zuließe11. Mit diesem Vorschlage habe sich allerdings das Kabinett noch nicht befaßt. Diese Voraussetzung würde nicht mehr vorliegen, wenn England seine Absicht durchführe, auf Halb- und Fertigfabrikate einen Einfuhrzoll in Höhe von 10% des Wertes zu erheben. Ob England diesen Beschluß fassen werde, sei noch ungewiß. Die Gewerkschaften seien dafür, auch wenn die Arbeiterpartei dagegen wäre12.

10

S. Dok. Nr. 190, P. 8.

11

Der RT billigte am 16. 3. den GesEntw. über das Genfer Handelsabkommen ohne einen derartigen Antrag (RT-Bd. 445, S. 1602 ). Text des Abkommens im RGBl. 1931 II, S. 64 .

12

Vgl. Dok. Nr. 237, Anm. 5.

Notwendig sei eine baldige Vertagung des Reichstags. In Fortsetzung des September-Programms der Reichsregierung13 seien durchgreifende Maßnahmen[940] nicht möglich, solange der Reichstag zusammen wäre, auch wenn die Rechte in den Reichstag zurückkehre.

13

S. Dok. Nr. 124, P. 1.

Einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage scheine dadurch begegnet zu werden, daß [das] Auslandskapital wieder deutsche Aktien kaufe. Die Kreditlage verbessere sich dadurch bei den Großbanken, so daß die Gefahr weiterer Kreditrestriktionen durch das Steigen des Aktienkursniveaus verringert werde. Die Bewegung solle dadurch gefördert werden, daß der Etat parlamentarisch verabschiedet würde.

Es sei gelungen, Preußen zur Zustimmung zu den Zollermächtigungen zu bewegen. Diese Maßnahme sei eine der wichtigsten der letzten Zeit. Wenn daneben auch das Ostgesetz14 und der Etat15 parlamentarisch durchgebracht würden, dann müßten einzelne Schönheitsfehler in Kauf genommen werden.

14

Der Osthilfe-GesEntw. wurde vom RT am 26. 3. angenommen (RT-Bd. 445, S. 2045  f.). Gesetz vom 31.3.31 im RGBl. I, S. 117 .

15

Der RT nahm den Haushaltsplan am 25.3.31 an (RT-Bd. 445, S. 2002 ). Gesetz vom 30.3.31 im RGBl. II, S. 92 .

Es werde nicht möglich sein, das Steuerniveau noch 1½ Jahre aufrechtzuerhalten. Auch wenn Steuererhöhungen finanziell bedeutungslos wären, müßten sie aus psychologischen Gründen unterbleiben. Die Hoffnungen, die in der Wirtschaft erweckt worden seien, durch die Gesetzgebungswerke, würden beeinträchtigt.

Das Jahr 1931 sei finanziell und wirtschaftlich gefährlicher als das Jahr 1930. Die Ausgaben hätten ihr Höchstmaß erreicht. Bei der Landwirtschaft allerdings zeige sich eine Besserung.

Die Fehler übermäßiger Rationalisierung würden sich erst in diesem Jahre auswirken. Die Bestellungen bei den großen Industrieunternehmungen gingen erschreckend zurück. Wenn sie nicht mindestens zu 60% beschäftigt seien, könnten sie nicht rentabel arbeiten. Jetzt seien sie nur zu 40% beschäftigt. Die Rationalisierung bedeute eine dauernde Gefahr.

Bei den Kohlen sei die Lage besonders schlimm. Die deutschen Arbeiter hätten mit den rationellen Maschinen die Durchschnittsleistung der Welt wesentlich übertroffen. Sie ständen darin über den amerikanischen Arbeitern. Jetzt bereits müßten Zechen stillgelegt werden mit einer Tagesleistung von 1536 kg auf den Kopf des Arbeiters, also einer höheren Leistung als die des besten belgischen Werkes.

Der Abgeordnete HeppHepp führte zur allgemeinen politischen Lage aus, daß seine Partei es nach wie vor für erwünscht halte, wenn das Kabinett umgebildet würde. Sie würde ihre Gesamtpolitik auch weiter in dieser Richtung orientieren, lehne aber ab, sich den Rechtsparteien anzuschließen, die den Reichstag verlassen hätten. Dieses Vorgehen halte sie für falsch.

Das Kabinett dürfe nicht mit der Mehrheit der Linken als mit einer gegebenen Tatsache rechnen. Es müsse das Programm des Reichspräsidenten16 auch weiter durchführen. Der Einfluß des Reichskanzlers auf die SPD sei sehr[941] stark. Das Kabinett müsse die Parteien, die hinter ihm ständen, in der Agrarpolitik auf seiner Linie halten.

16

Vgl. die Schreiben des RPräs. an RK Müller vom 13.3.30 über die Sanierung der Finanzen und Hilfe für die Landwirtschaft und vom 18.3.30 wegen der Osthilfe (diese Edition, Das Kabinett Müller II, Dok. Nr. 474 und 480).

Beim Gefrierfleisch sei es nicht geschehen. Die Abstimmung im Ausschuß habe für das Kontingent 11 Stimmen der SPD und Kommunisten, 1 des Zentrums und 1 der Staatspartei ergeben, dagegen hätten 8 Abgeordnete gestimmt, 2 Vertreter des Zentrums hätten sich der Stimme enthalten, andernfalls hätte die Abstimmung Stimmengleichheit ergeben.

Zum Genfer Abkommen führte er aus, das Gesetz wegen Zollermächtigungen sei sehr wertvoll, das Genfer Handelsabkommen aber schaffe eine unklare handelspolitische Lage. Die reparationspolitischen Bedenken des Grafen Westarp teile er. Der vom Reichskanzler vorgeschlagene Zusatz würde praktisch die Anerkennung der Reparationspolitik bedeuten, die seiner Partei nicht möglich wäre.

Durch das Handelsabkommen sei die Diskussion über das Wirrwarr auf den Weltmärkten verschoben. Es beruhe auf der gesamtpolitischen Lage des Deutschen Reichs, den Reparationsleistungen und dem Friedensvertrag mit der Grenzziehung im Osten17.

17

Ähnlich argumentierte der Abg. Hemeter (Dt. Landvolk) in der RT-Debatte am 14.3.31 (RT-Bd. 445, S. 1536 ).

Seine Partei habe als Oppositionspartei die bisherige Politik mitgemacht. Das würde in Zukunft erschwert oder unmöglich sein, wenn eine Handelspolitik getrieben würde, der die Partei widersprechen müsse. Insbesondere auch die Ratifizierung des deutsch-polnischen Handelsvertrages würde von seiner Partei nicht verstanden werden.

Der Reichskanzler führte hierzu aus, daß auf dem Gebiet der Steuerpolitik ein starker Druck auf die SPD ausgeübt worden sei. Die Zollermächtigungen18 müßten unter allen Umständen durchgebracht werden, obwohl auch andere Parteien Bedenken hätten. Die Agrarpolitik solle fortgesetzt werden. Allerdings müsse auch die Konsumkraft für agrarische Erzeugnisse vorhanden sein, sonst hätten die Zölle keine Wirkung.

18

Das Gesetz über Zolländerungen vom 28.3.31 ermächtigte in Art. I die RReg. zu selbständiger Bestimmung der Zollsätze (RGBl. I, S. 101 ).

Die Entscheidung über das Genfer Handelsabkommen soll möglichst lange hinausgezögert werden. Bei der Kabinettsbildung sei vereinbart worden, es dem Reichstag vorzulegen. Er werde in der Richtung verhandeln, daß die Entscheidung hinausgezogen wird und bereits am Nachmittag die entsprechenden Feststellungen treffen. Vom Ergebnis werde er den Parteivertretern Mitteilung machen.

Im Reichsrat werde gegen Steuerbeschlüsse des Parlaments Einspruch erhoben werden, wenn Sachsen mitmache19.

19

Der RR widersprach am 27. 3. den vom RT am 23. 3. (RT-Bd. 445, S. 1890 ) beschlossenen Zuschlägen zur Einkommensteuer und Zuschlägen der Aufsichtsratsmitglieder zur Einkommensteuer (Niederschriften über die Vollsitzungen des RR, Jahrgang 1931, S. 131).

Beim Empfang der Industrievertreter, die in Rußland verhandelt haben, sei deren Bericht entgegengenommen worden. Er müsse geprüft werden20. Die[942] Bedingungen seien nicht restlos günstig. Zu bedauern sei, daß die Presse die Angelegenheit in großem Stile besprochen und die Aufträge für lebenswichtig erklärt habe. Das erschwere die Lage der Regierung außerordentlich. Wenn er gewußt hätte, daß die Presse sich mit der Angelegenheit befassen würde, hätte er die Industrievertreter nicht empfangen. Das Zollermächtigungsgesetz soll gerade gegen Dumpingmaßnahmen Schutz bieten. Es habe sich als notwendig erwiesen, den Roggenzoll sofort heraufzusetzen.

20

S. Dok. Nr. 259.

Die Meinungen über die Erfolge des russischen Fünfjahresplans seien geteilt. Auf dem Papier werde er durchgeführt werden, in Wirklichkeit sähe es anders aus. Eine Traktorenfabrik, die von den Amerikanern für 100 Millionen gebaut worden sei, soll täglich 14 Stück liefern. Bei einer Besichtigung seien nur zwei Stück vorgefunden worden, möglicherweise besonders herbeigeschafft. Mit Hilfe deutscher und insbesondere amerikanischer Ingenieure und Vorarbeiter würden allerdings Fabrikbetriebe ohne zahlreiche gelernte Arbeiterschaft geführt werden können.

 

Der Abgeordnete SachsenbergSachsenberg äußerte sich in ähnlichem Sinne wie die anderen Abgeordneten.

Der Abgeordnete Dr. FehrFehr bedauerte die Disziplinlosigkeit der Presse und trat für möglichst baldige Beurlaubung des Reichstags ein. Die Umbildung der Regierung sei eine platonische Forderung. Sie wäre beim Zusammentritt des Reichstags möglich gewesen, jetzt nicht. Die Opposition würde durch eine solche Maßnahme sehr gestärkt. Der Beschluß wegen des Gefrierfleischkontingents beruhe auf einem Regiefehler. Für das Handelsabkommen werde eine Mehrheit vorhanden sein. Es würde aber alle Maßnahmen zerschlagen können, die beabsichtigt seien, insbesondere die Befreiung von den Zollbindungen für agrarische Produkte. Falls die Annahme nicht zu umgehen sei, könnte neben der Voraussetzung entsprechender reparationspolitischer Lage noch weiter vorgesehen werden, daß die Zustimmung nur gegeben werden dürfe, wenn alle anderen Länder zugestimmt hätten.

Auf Anfrage wurde ihm mitgeteilt, daß der polnische Handelsvertrag zwar dem alten Reichstag vorgelegt, von diesem aber nicht mehr erledigt worden sei21. Dem neuen Reichstag sei er noch nicht zugegangen.

21

S. Dok. Nr. 24, P. 2 und Anm. 6.

Der Abgeordnete von StauffenbergStauffenberg berichtete über die Wirkungen des Genfer Handelsabkommens in der Bauernschaft. Sie verstände nicht, daß neben der Agrarvorlage diese Bindung eingegangen werden solle und halte die Politik für unaufrichtig. Durch den Weggang aus dem Parlament habe sich die Rechte geschadet, besonders weil dadurch die Annahme des Gefrierfleischantrages möglich geworden sei. Das Genfer Handelsabkommen wirke aber in gegensätzlicher Richtung. Die vorgeschlagenen Zusätze begrüße er. Erwünscht wäre, wenn die Regierung erkennen ließe, daß sie nicht an dem Abkommen interessiert sei.

Der Abgeordnete FreybeFreybe wies auf die ungünstigen Wirkungen des kleinen Grenzverkehrs hin, unter denen die Landwirtschaft und das Gewerbe leide.[943] Auch vom Standpunkt des Fleischergewerbes sei das Gefrierfleischkontingent gefährlich. Die Landwirtschaft werde dadurch von der Umstellung auf eine Durchschnittsqualität abgelenkt.

Der Preissenkungsaktion wirke entgegen, daß die Gebühren und öffentlichen Abgaben, Schlachtsteuer und ähnliches, nicht gesenkt würden. Darauf müsse hingewirkt werden. Tatsächlich sei die Preisspanne in den Großstädten stark gesenkt worden.

Die Zölle für Fette könnten erhöht werden im Interesse der Schweinezucht. Verwendungszwang für Schweinefett sei nicht durchzuführen. Es müsse umgearbeitet werden und belaste dann die Produjktionskosten der Industrie übermäßig.

Der Reichskanzler führte aus, er habe maßgebende Vertreter der Presse gebeten, über die Russenverhandlungen nicht zu berichten. Trotzdem sei es am nächsten Tage geschehen. Wer das veranlaßt habe, lasse sich auch nicht feststellen. Die Industrie scheine zu sehr auf den Abschluß eingestellt zu sein.

Die Erklärungen der Vertreter Ostpreußens und Brandenburgs im Reichsrat vor Abstimmung über die Osthilfevorlagen22, haben im Westen außerordentliche Erregung hervorgerufen. Er werde deswegen an einer Industrietagung, insbesondere mittlerer und kleinerer Unternehmer im Westen teilnehmen und das Wort ergreifen, auch wegen des Zollermächtigungsgesetzes, das weite industrielle Kreise über die Zukunft der Ausfuhr beunruhigt habe.

22

Bei der Beratung des OsthilfegesEntw. im RR am 9.3.31 hatte sich der Vertreter Ostpreußens, v. Gayl, der Stimme enthalten, der Vertreter Brandenburgs, v. Quast, hatte gegen den GesEntw. votiert (Niederschriften über die Vollsitzungen des RR, Jahrgang 1931, S. 92–93).

Die Städte müßten ihre Etats ausbalancieren und vorlegen. Köln habe dies bereits getan, es sei aber fraglich, ob die Parteien den Etat in dieser Form annehmen würden. Der Preisabbau würde in den einzelnen Ländern und Verwaltungsbezirken unterschiedlich gehandhabt. Fleisch sei nicht einheitlich gesenkt worden, insbesondere nicht in den mittleren und kleineren Städten. Er beabsichtige, sich darüber besonders mit dem Abgeordneten Freybe zu unterhalten. Die Schweinefleischpreise müßten der geringeren Konsumkraft der Bevölkerung angepaßt werden, sonst würde das Fleisch nicht mehr gekauft. Der Rückgang in den Löhnen sei außerordentlich stark. Bei der AEG durch Herabsetzung und Kürzung der Arbeitszeit etwa 26½% innerhalb von zwei Monaten. Wenn die Preise nicht entsprechend folgten, könnten die Agrarmaßnahmen kein Ergebnis haben.

Nach Schluß der Aussprache wurde folgende Pressenotiz vereinbart:

 

„Der Reichskanzler empfing heute mittag auf ihren Wunsch die Abgeordneten Döbrich, Hepp, Dr. Schenk Freiherrn von Stauffenberg, Dr. Fehr, Sachsenberg, Freybe, Simpfendörfer, Freiherrn von Hammerstein-Loxten, Graf von Westarp und Bornemann zu einer Aussprache, in der ihre Auffassungen über die gesamtpolitische Lage, insbesondere auf dem agrarischen Gebiete vorgebracht und eingehend besprochen wurden.“

[944] Die Notiz wurde der Presseabteilung zur Veröffentlichung weitergegeben23.

23

Die Meldung wurde von WTB Nr. 541 am 12.3.31 veröffentlicht (R 43 I /2546 , Bl. 403).

F.[eßler]

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