1.96 (bru2p): Nr. 348 Besprechung wegen der Aufhebung des Verbots der Spartakiade. 30. Juni 1931

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Nr. 348
Besprechung wegen der Aufhebung des Verbots der Spartakiade. 30. Juni 1931

R 43 I /2675 , Bl. 35–37

Anwesend: Brüning, Wirth; StS Pünder, Meissner, Zweigert; GenMaj. v. Schleicher; Protokoll: MinDir. v. Hagenow.

Der Reichskanzler berichtete über das Ergebnis seiner Besprechung mit Minister Severing und teilte mit, daß die Aussprache günstig verlaufen sei. Er habe beim Minister Severing volles Verständnis für die Haltung der Reichsregierung gefunden, habe mit ihm auch über die noch zu machenden neuen Auflagen gesprochen1. Minister Severing habe sich dazu bereit erklärt und sei auch geneigt, ein Verbot für Benutzung von Lastkraftwagen von und nach Berlin sowie in Berlin zu erlassen. Außerdem wolle Minister Severing die Veranstaltung sofort verbieten, wenn gegen die gemachten Auflagen verstoßen werde. Ferner sei Minister Severing bereit, dem Herrn Reichspräsidenten Vortrag zu halten und darzulegen, daß er gewillt sei, die Verordnung nach rechts und links gleichmäßig anzuwenden2.

1

S. Dok. Nr. 346.

2

S. Dok. Nr. 346, Anm. 7.

Was das Nichtverbot der Zeitung „Welt am Montag“ wegen Verhöhnung des Reichspräsidenten angehe, so habe Minister Severing erklärt, daß nicht Staatssekretär Abegg, sondern er dafür verantwortlich sei. Im übrigen habe sich Minister Severing bereit gezeigt, bei allen grundsätzlichen Entscheidungen in der Frage der Anwendung der Verordnung ein Einvernehmen mit der Reichsregierung herzustellen.

Staatssekretär MeissnerMeissner bemerkte zu den Darlegungen des Reichskanzlers, daß es wertvoll sei, wenn Minister Severing seine Bereitwilligkeit schriftlich[1252] in einem Schreiben an den Reichskanzler niederlege. Vielleicht werde dann ein Vortrag beim Herrn Reichspräsidenten entbehrlich sein.

Reichskanzler BrüningBrüning bemerkte, daß er persönlich großen Wert darauf lege, daß der Herr Reichspräsident Minister Severing empfange. Was die ihm überreichte Liste über die Anwendung der Verordnung betreffe, so habe er aus der Liste kein klares Bild gewinnen können. Hierzu führte Staatssekretär MeissnerMeissner aus, daß die Liste ergebe, daß bei Verbot von Zeitungen und Zeitschriften die Verordnung des Reichspräsidenten stärker gegen den Stahlhelm als gegen linke Anwendung gefunden habe, daß aber bei Versammlungsverboten die Verordnung mehr gegen die Kommunisten zur Anwendung gebracht worden sei.

General von SchleicherSchleicher betonte, daß man aus solcher Gegenüberstellung kein klares Bild gewinnen könne, vielmehr sei zur Beurteilung der Frage, ob die Verordnung nach rechts und links gleichmäßig angewendet werde, entscheidend, ob bei gleichartigen Verstößen die Verordnung im Strafmaß gleich hart nach rechts und links zur Anwendung komme3.

3

Im Protokoll wurde die Fortsetzung des Satzes gestrichen: „oder ob sie nach rechts bzw. nach links sich stärker in der Art und Zeitdauer der Verbote auswirke“ (R 43 I /2675 , Bl. 36).

Der Reichskanzler stellte sodann fest, daß Minister Severing ihm ausdrücklich erklärt habe, daß er zurücktreten werde, wenn die Aufhebung des Verbots der Veranstaltung durch den Herrn Reichspräsidenten beseitigt werde. Er, der Reichskanzler, legte hierbei noch einmal die Gründe dar, die den Minister Severing zu seiner Haltung bestimmt hätten. Minister Severing habe erklärt, daß er einsehe, daß die Richtsätze für die Wohlfahrtslasten in den Gemeinden noch weiter erheblich herabgesetzt werden müßten. Hierzu würden sich die Stadtverordnetenversammlungen nicht entschließen können. Infolgedessen sei er, Minister Severing, genötigt, dies zu tun. Voraussichtlich werde dieser Schritt noch im Sommer eingeleitet werden müssen, um nicht in der schlechten Jahreszeit des Winters dazu gezwungen zu sein. Wenn er, Min[ister] Severing, alle diese schweren Maßnahmen treffe, so tue er dies aus Verantwortungs- und Pflichtgefühl gegenüber dem Staat. Im übrigen habe Minister Severing dargelegt, daß das Verbot von Umzügen am 1. Mai 1929 zu den größten Unzuträglichkeiten geführt habe. Minister Severing habe damals schon gewarnt, solche Umzüge zu verbieten, weil sie nur zu Kämpfen führen würden4. Minister Severing sei, wie er ihm mitgeteilt habe, entschlossen, energisch durchzugreifen, aber nur dann, wenn dazu eine absolute Notwendigkeit gegeben sei. Eine solche Notwendigkeit habe Minister Severing bei sportlichen Veranstaltungen nicht erblicken können.

4

Vgl. dazu diese Edition, Das Kabinett Müller II, Dok. Nr. 197, P. 1.

Er habe mit Minister Severing auch die Frage besprochen, ob es nicht möglich sei, die Bezeichnung der Veranstaltung „Spartakiade“ abzuändern. Minister Severing habe geglaubt, dies verneinen zu müssen und zur Begründung seines Standpunktes dargelegt, daß bei Verbot dieser Bezeichnung voraussichtlich die Veranstaltung sich nennen werde „Kommunistisches Jugendsportfest“.[1253] Eine solche Bezeichnung habe Minister Severing noch für bedenklicher gehalten.

Der Reichskanzler bat sodann Staatssekretär Dr. Pünder, sofort mit Minister Severing zu telefonieren und ihn zu bitten, ihm noch heute schriftlich zu bestätigen, daß er bereit sei, noch die weiteren besprochenen Auflagen durchzuführen. Darüber hinaus soll in dem Schreiben Minister Severing zusagen:

a)

Sicherung der paritätischen Handhabung nach rechts und links sowie

b)

möglichste Herstellung eines Einvernehmens mit der Reichsregierung bei grundsätzlichen Entscheidungen5.

5

Severing entsprach diesen Forderungen in seinem Schreiben an den RK vom 30.6.31 (R 43 I /2675 , Bl. 31 mit Sichtparaphe des RK).

Der Reichskanzler betonte sodann, daß ein Verbot des Reichspräsidenten den Minister Severing zum Rücktritt veranlassen würde. Das gäbe weitere politische Konflikte mit Preußen und werde die innerpolitische Lage gefährden. Das würde weiterhin zur Folge haben, daß die eingeleiteten außenpolitischen Verhandlungen erheblich gestört würden.

In der Besprechung mit Minister Severing sei auch die Frage besprochen worden, welche Zustände in Deutschland eintreten würden, wenn die Hoover-Aktion6 durch den Druck Frankreichs scheitern werde. Sie beide seien sich einig gewesen, daß ein solches Scheitern erneut politische Unruhen in Deutschland bringen und insbesondere infolge der dann neu auftretenden Schwierigkeiten auf dem Geldmarkte die Sicherheit im Innern gefährden werde. Man war sich dabei darüber einig, daß für diesen Fall die Veranstaltung der Spartakiade nicht stattfinden könne. Minister Severing habe sich bereit erklärt, in diesem Fall die Spartakiade von sich aus zu verbieten.

6

S. Dok. Nr. 341, P. 1.

Am Schluß der Aussprache wurde festgestellt, daß der Reichskanzler durch das Büro des Reichspräsidenten die sich aus der Anlage ergebende Mitteilung an den Herrn Reichspräsidenten gelangen lassen soll7. Die neue Verordnung[1254] des Reichspräsidenten soll dem Reichskanzler zu treuen Händen – nicht gegengezeichnet – ausgehändigt werden, damit er in der Lage ist, sie im gegebenen Falle zur Durchführung zu bringen8.

7

Der RK informierte den RPräs. in einem Reichsdiensttelegramm vom 30.6.31 über die Vereinbarung mit Severing. Da bei einem Rücktritt Severings mit innenpolitischen Erschütterungen und Störungen der Außenpolitik zu rechnen sei, bat der RK den RPräs. „nachdrücklich“, sich mit den erreichten Auflagen zufrieden zu erklären und von einem Verbot abzusehen (Abschrift in R 43 I /2675 , Bl. 29–30). Der RPräs. kritisierte in einem, am 11.7.31 in Neudeck abgesandten Brief an den ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen die Untätigkeit der pr. Behörden gegenüber der „Spartakiade“: „Mit Eurer Kaiserlichen Hoheit beklage auch ich die Duldsamkeit und Nachsicht, welche das Preußische Ministerium des Innern den Veranstaltungen der radikalen Linken entgegenbringt, und die so augenfällig von der Strenge absticht, mit der gegen Presseäußerungen und Kundgebungen der Rechten vorgegangen wird. […] Wegen der Haltung der preußischen Behörden im allgemeinen habe ich bereits vor einiger Zeit – als ich die Reichsregierung veranlaßte, das Verbot der Spartakiade bei der Preußischen Regierung zu fordern – den Reichskanzler und den Reichsminister des Innern auf die nach meiner Auffassung unparitätische Handhabung meiner Verordnung vom 28. März 1931 aufmerksam gemacht, sie aufgefordert, Material über die bisher preußischerseits ausgesprochenen Verbote zusammenzustellen und, hierauf gestützt, beim preußischen Ministerpräsidenten nachdrücklichst Zusicherungen über eine künftige anderweitige und gerechtere Anwendung der Verbote zu verlangen. Ich werde die Gelegenheit meiner Anwesenheit in Berlin in den Tagen vom 18. bis 21. Juli dazu benutzen, mit dem Reichskanzler zu besprechen und ihn zu veranlassen, trotz seiner großen derzeitigen Inanspruchnahme durch die wirtschafts- und finanzpolitischen Sorgen auch dieser Angelegenheit, die mir sehr am Herzen liegt, sich mit allem gebotenen Nachdruck anzunehmen“ (Abschrift im BA-MA, N 42 Nachl. Schleicher, Nr. 21, Bl. 43).

8

Dieser VOEntw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verbot die Abhaltung der „Spartakiade“. Da diese Veranstaltung vom Berliner Polizeipräsidium am 1.7.31 aufgrund der NotVO zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28.3.31 (RGBl. I, S. 79 ) verboten wurde (DAZ Nr. 293–294 vom 2.7.31), brauchte die spezielle VO nicht vollzogen zu werden. Zum Verbot der Spartakiade s. Brüning, Memoiren S. 297 ff.; Severing, Mein Lebensweg, Bd. II, S. 288–291.

Schließlich wurde noch die Haltung der sozialistischen Turnjugend besprochen. Nach Mitteilung des Ministers Wirth sowie des Generals von Schleicher lehnt diese Turnjugend es ab, in irgendeiner Form mit bürgerlichen Verbänden zu Veranstaltungen zusammen zu kommen9.

9

Die DAZ Nr. 285–286 vom 27.6.31 hatte berichtet, daß Gruppen der SPD-Jugendorganisation in den Spartakiadeverbänden organisiert seien.

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