1.106.1 (bru3p): Reparationsfrage.

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Reparationsfrage.

Der Reichskanzler schilderte zunächst in großen Zügen zur Unterrichtung der Herren Botschafter die Auffassung zur Reparationsfrage, wie sie sich aus den letzten Besprechungen des reparationspolitischen Ausschusses der Reichsregierung der letzten Tage ergeben hatte (vergl. die Niederschriften vom 5. und 6. Januar d. Js.)1. Insbesondere ging er näher auf seine Besprechungen mit Herrn Sprague ein. Er erwähnte auch die Besprechungen mit dem Französischen Botschafter, der ihn am vorausgegangenen Tage (6. I.) vor seiner Abreise nach Paris aufgesucht hatte. Herr Poncet, der noch in der letzten Besprechung vor Weihnachten lebhaft gegen die Absicht Deutschlands protestiert hatte, sich für reparationsunfähig zu erklären, habe es gestern schon als selbstverständlich hingenommen, daß Deutschland in Lausanne sich auf den Standpunkt stellen werde, Reparationen nicht zahlen zu können. Er habe nur gemeint, daß die Deutsche Regierung durch die Abgabe einer entsprechenden Erklärung die Französische Regierung in eine unmögliche Lage versetzen werde. Darauf habe er ihm erwidert, daß Deutschland ja nicht beabsichtige, diese Erklärung in scharfer Form abzugeben. Er habe ihm auch suggeriert, daß eine derartige deutsche Erklärung für die Franzosen eine günstige Basis darstellen werde, um mit Amerika die Frage des französisch-amerikanischen Schuldenverhältnisses zu erörtern. Dieses Argument habe bei Herrn Poncet offensichtlich Eindruck gemacht.

1

Dok. Nr. 618 und 619. Das Dokument ist auch veröffentlicht in ADAP, Serie B, Bd. XIX, Dok. Nr. 163.

Sodann erwähnte der Reichskanzler auch, daß er am 6. Januar bei dem Amerikanischen Botschafter Sackett an einem Frühstück teilgenommen habe, bei welchem auch der Amerikanische Botschafter in Paris, Herr Edge, anwesend gewesen sei. Als er Herrn Sackett und Herrn Edge auseinandergesetzt habe, wie nach deutscher Auffassung die Lausanner Konferenz vermutlich verlaufen werde, d. h. also, kurze Tagung von 3–5 Tagen und anschließende Vertagung bis zum Juni, dann Erörterung der Endlösung, seien die genannten Botschafter einigermaßen bestürzt gewesen2. Sie hätten darauf hingewiesen, daß es bei diesem Vorgehen unmöglich[2150] sei, den Amerikanischen Kongreß noch rechtzeitig mit dem Konferenzergebnis zu befassen. Der Kongreß vertage sich nämlich normalerweise Mitte Juni, und komme erst am 7. Dezember wieder zusammen. Wenn das Konferenzergebnis nicht vor Schluß des Kongresses, Mitte Juni, vorliege, werde es keine Macht der Welt geben, den Kongreß zu bewegen, sich vor seinem nächsten Zusammentritt mit dem Reparations- und Schuldenthema zu befassen. Bei der Kongreßtagung im Dezember würden innerpolitische Fragen Amerikas absolut im Vordergrunde stehen, da man dann nach den Wahlen und vor dem Amtsantritt des neuen Präsidenten gerade mit der innerpolitischen Umstellung beschäftigt sei. Die Botschafter hätten daher empfohlen, die zweite Konferenz, wenn sie schon unbedingt stattfinden müsse, in den Mai zu verlegen und sie so rechtzeitig abzuschließen, daß der Kongreß in die Lage versetzt werde, sich vor seinem Auseinandergehen im Juni mit dem Thema zu befassen.

2

Gegen eine Verlängerung des Hoover-Moratoriums bis Ende 1932 sprach sich auch Paul Silverberg in einer Besprechung mit StS Pünder aus; Silverberg plädierte für eine zweibis dreijährige Verlängerung des Hoover-Moratoriums, danach würde Dtld. keine Reparationen mehr zu zahlen brauchen (Aufzeichnung Pünders vom 7.1.32, R 43 I /335 , Bl. 195–196).

Staatssekretär von Bülow meinte, daß man vielleicht ohne eine endgültige Konferenz auskommen könne, nämlich dann, wenn man schon in Lausanne in einer für Frankreich schonenden Form sage, daß Deutschland Reparationszahlungen nicht wieder aufnehmen könne, und daß im übrigen eine etwaige Wiederaufnahme auch nur das Ergebnis haben würde, die Weltwirtschaftskrise zu erneuern. Man werde auf diese Weise möglicherweise auch ohne formelle Schlußkonferenz zu einer befriedigenden Lösung kommen können.

Botschafter von Hoesch berichtete sodann unter Bezugnahme auf seine vorliegende schriftliche Berichterstattung über seine in Paris gewonnenen Auffassungen zur Sache. Insbesondere berichtete er über seine letzte Besprechung mit Laval und Flandin3. Es sei zwar festzustellen, daß in Frankreich eine gewisse Bewegung nach der Richtung einer vollkommenen Streichung der Reparationen vorhanden sei, wie sie sich zur Evidenz aus dem bekannten Artikel in der „Dépêche de Toulouse“ ergebe4. Herr Laval habe diesen Artikel mit ihm eingehend erörtert. Er ging auch besonders eingehend auf die Verhandlungen ein, die Herren der Botschaft, Rießer und Forster, mit den Franzosen Coulondre und Laboulaye zum Reparationsthema geführt hatten. Die Einzelheiten dieser Besprechungen ergeben sich aus den schon vorliegenden Berichttelegrammen der Botschaft5.

3

Das Telegramm Nr. 13 vom 5.1.32 von Botschafter v. Hoesch in R 43 I /335 , Bl. 173–177 ist abgedruckt in ADAP, Serie B, Bd. XIX, Dok. Nr. 155.

4

In den Akten der Rkei nicht ermittelt. Vgl. dazu aber das Telegramm Forsters Nr. 1427 vom 29.12.31 über die Dämpfung der frz. Presseangriffe gegen Dtld. in der Reparationsfrage (R 43 I /335 , Bl. 133–135).

5

Vgl. Telegramm Nr. 1438 vom 31.12.31 über die Unterredung zwischen Coulondre und Riesser und Telegramm Nr. 1445 vom 31. 12. (R 43 I /335 , Bl. 153–158, das Telegramm Nr. 1438 auch in ADAP, Serie B, Band XIX, Dok. Nr. 150).

Zusammenfassend erklärte Herr von Hoesch, daß die französische offizielle These zum Reparationsthema in keiner Weise erschüttert sei. Frankreich halte an der ungeschützten Annuität unverändert fest. Das einzige Zugeständnis, das sie zu machen bereit seien, bestehe darin, daß sie den nicht moratoriumsgeschützten Teil ihrer Schulden an Amerika aus der ihnen zustehenden Tranche an der ungeschützten Annuität zu decken bereit seien.

[2151] Botschafter von Schubert berichtete, daß er Herrn Grandi vor seiner Abreise nicht mehr habe sprechen können, da dieser sich in Urlaub befinde. Indessen habe ihn der sehr gut unterrichtete Kabinettschef Grandis, Herr Ghigi, aufgesucht. Aus seiner Unterhaltung mit ihm könne er feststellen, daß die Italiener es durchaus begreiflich fänden, wenn Deutschland in Lausanne auf eine Endlösung der Reparationsfrage ausgehe6. Bezüglich der Aussichten auf eine amerikanische Mitwirkung bei der Bereinigung der Schuldenfrage, sehe man in Italien sehr schwarz wegen der innerpolitischen Schwierigkeiten, mit denen Präsident Hoover zu kämpfen habe. Mussolini sei stets für die Streichung der Reparationen gewesen aus der Überzeugung heraus, daß die Welt sich nur auf diese Weise von der Wirtschaftskrise wird erholen können7. Mussolini gebe sich aber auch keinen Illusionen über Frankreichs Machtstellung sowohl auf wirtschaftlichem wie auf militärischem und finanziellen Gebiete hin. Italien werde seinen Standpunkt höchstwahrscheinlich nach dem englischen Vorgehen orientieren und im englischen Fahrwasser schwimmen.

6

Vgl. auch das Schreiben v. Schuberts an den RK vom 30.12.31 in ADAP, Serie B, Bd. XIX, Dok. Nr. 148 sowie die WTB-Meldung Nr. 5 vom 2.1.32 über ital. Pressestimmen zur Reparationsfrage in R 43 I /335 , Bl. 170).

7

Vgl. Dok. Nr. 440, P. 3.

Botschafter von Neurath verlas eine von ihm gefertigte Aufzeichnung über seine Aussprache mit dem britischen Außenminister Simon, die kurz vor seiner Abreise stattgefunden hatte. Danach steht die englische Regierung auf dem Standpunkt, daß die Reparationen endgültig beseitigt werden müssen. Die englische Regierung selbst will auf alle Zahlungen aus den Reparationen verzichten. Die Endlösung soll so schnell wie möglich herbeigeführt werden. Andererseits haben die Engländer aber auch volles Verständnis für die Verquickung der Angelegenheit mit Amerika. Sie sind der Auffassung, daß für den Fall, daß eine Endlösung der Reparationen gelingen sollte, für das englisch-amerikanische Verhältnis eine Lösung gefunden werden wird8. Eine Beschlußfassung des englischen Kabinetts habe noch nicht stattgefunden. MacDonald werde erst am kommenden Tage nach London zurückkehren. Er habe aber während seines Besuches bei Simon fernmündlich angerufen und habe bei dieser Gelegenheit nochmals auf Beschleunigung der Vorarbeiten für die Konferenz gedrängt. Leith Ross werde Ende der Woche zu Verhandlungen mit der französischen Regierung nach Paris reisen. Aus diesem Grunde sei es erwünscht, wenn London die deutsche Stellungnahme noch vor der Abreise von Leith Ross erfahre. Im übrigen deckten sich die Eindrücke des Botschafters von Neurath durchaus mit den Darlegungen, die Herr Sprague dem Herrn Reichskanzler vor wenigen Tagen gemacht hatte9.

8

Vgl. die Aufzeichnung Neuraths vom 6.1.32 in ADAP, Serie B, Bd. XIX, Dok. Nr. 161.

9

Vgl. Dok. Nr. 618.

An die Berichte der drei Botschafter knüpfte sich eine kurze Aussprache. Sie wurde nachher in kleinem Kreise im Zimmer des Herrn Reichskanzlers fortgesetzt10.

10

Hierzu Dok. Nr. 621.

Beschlüsse wurden nicht gefaßt11.

11

Vgl. zu dieser Besprechung auch Schäffers Tagebuchaufzeichnung vom 7.1.32, IfZ ED 93, Bd. 17, Bl. 34–48.

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