1.120.1 (bru3p): Lage der bäuerlichen Wirtschaft.

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Lage der bäuerlichen Wirtschaft.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft faßte die wesentlichen Gesichtspunkte seiner Darlegungen zusammen, mit denen er in der Ministerbesprechung vom 15. Januar für Hilfsmaßnahmen zugunsten der bäuerlichen Wirtschaft eingetreten war1. Er ging nochmals besonders ein auf die Lage am Buttermarkt und wies darauf hin, daß es sich nicht nur um die Folgen der veränderten Währungsverhältnisse handele, sondern auch um die Folgen einer erheblichen Überproduktion auf dem Weltmarkte. Er wiederholte seinen früheren Antrag, eine allgemeine Zollerhöhung für die Buttereinfuhr vorzunehmen.

1

Vgl. Dok. Nr. 631.

Der Reichswirtschaftsminister wies nochmals darauf hin, daß ähnliche Verhältnisse wie auf dem Buttermarkt für den Zellstoff vorlägen wie auch noch auf anderen Gebieten. Er halte deswegen für erforderlich, sich nicht auf Maßnahmen zugunsten des Butterpreises zu beschränken, sondern neue Wege in der Handelspolitik zu gehen. Er empfehle 1.) gegenüber Ländern, mit denen Deutschland keine Meistbegünstigungs-Vereinbarungen habe (Kanada, Neuseeland, Australien, Polen) einen Obertarif einzuführen, der prohibitiv wirke; 2.) gegenüber Ländern mit Meistbegünstigung als Abwehrmaßnahme Valutazuschläge einzuführen. In ein solches System müsse die Butter eingebaut werden. Mit Holland lasse sich vielleicht eine Sonderregelung treffen, um dessen Sonderwünschen entgegenzukommen.

Der Reichskanzler stellte fest, daß dieser Vorschlag von großer Tragweite sei; es frage sich, ob dieses System für andere Gebiete und für Butter gleichzeitig ausgebaut werden könne, oder ob die Lage auf dem Buttermarkt es erforderlich mache, daß für die Butter sofort etwas geschehe. In dem letzteren Falle könne man vielleicht aus dem zu erwartenden nicht ausreichenden Ergebnis die Berechtigung[2188] zu weitergehenden Maßnahmen herleiten. Ein solches schrittweises Vorgehen sei vielleicht besser für die Reparationspolitik.

Staatssekretär von Bülow teilte mit, daß die Unruhe über die beabsichtigten deutschen Maßnahmen in den nordischen Ländern jetzt schon groß sei. Es lägen bereits bestimmte Äußerungen dafür vor. Die Dänische Regierung habe schon eine schriftliche Aufzeichnung über ihren Standpunkt überreichen lassen. Es erscheine daher sehr zweckmäßig, möglichst schonend und allmählich vorzugehen2.

2

Telegramme der dt. Gesandtschaft in Kopenhagen über die dänische Beunruhigung wegen der Butterzollerhöhung in R 43 I /2427 , Bl. 238–240, 246–247, 249.

Der Reichskanzler erklärte, daß vor allem Holland möglichst lange von den notwendigen Maßnahmen verschont werden sollte3.

3

Der dt. Gesandte in Haag, Graf Zech, berichtete mit Telegramm Nr. 5 vom 18.1.32 vom Wiederaufleben der holländischen Boykottbewegung gegen dt. Waren (R 43 I /2427 , Bl. 241), andererseits erkannte die niederländische Reg. das Bemühen der RReg. an, bei der Butterzollerhöhung Rücksicht auf holländische Ausfuhrinteressen zu nehmen (Telegramm Nr. 6 von Zech vom 20.1.32 in R 43 I /2427 , Bl. 248).

Der Reichswirtschaftsminister meinte, das geschehe am besten, wenn man die Hilfe in Valutazuschlägen suche, weil Holland davon nicht betroffen werde.

Ministerialdirektor Dr. Posse trat für diesen Vorschlag ein mit dem Hinweis darauf, daß die Erhöhung der autonomen Zölle ein Effektivwerden der Kontingente bedeute und insofern Widerstand auslösen würde.

Starke Bedenken seien auch hinsichtlich Englands vorhanden. Er äußerte sich sodann näher über die Bedenken, die gegenüber den Abwehrmaßnahmen im Hinblick auf England vorlägen.

Der Reichswirtschaftsminister stellte fest, es sei möglich, nur eine Ermächtigung zu Valutazuschlägen zu begründen, die aber nicht gleichmäßig auf alle Länder und auch nicht für alle Waren angewandt zu werden brauchten. Man könne z. B. die Zuschläge nicht etwa schon bei 10%, sondern etwa erst bei 15% Währungsentwertung erheben. Dadurch sei die Möglichkeit geboten, einzelne Länder zu begünstigen. Er schlage vor, auf solche Weise außer der Butter zunächst die Zellstoffwirtschaft zu schützen, andere Wirtschaftsgebiete dann später.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wiederholte seine früheren Bedenken gegen Valutazuschläge, weil durch solche Hilfsmaßnahmen das von ihm gestellte Ziel gefährdet sei. Er halte es nicht für möglich, die Einfuhr aus valutaschwachen Ländern über dritte Länder abzuwehren.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß das vorgeschlagene System von Valutazuschlägen und Obertarifen zu differenziert sei, um praktisch durchführbar zu sein. Die jetzige Zollpolitik habe die Zollbeamten schon vor Aufgaben gestellt, die bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit herangingen.

Der Reichswirtschaftsminister erklärte, man brauche nicht Obertarif und Valutazuschläge zu verbinden, sondern könne entweder Obertarif oder Valutazuschläge wählen.

Ministerialdirektor Dr. Posse wies darauf hin, daß in jedem Falle nur drei Zollsätze anzuwenden seien. Wenn man sich für den Obertarif entschließe; 1.) dieser für Länder ohne Vertragsvereinbarungen; 2.) der autonome Tarif erhöht für alle Länder; 3.) der begünstigte Tarif für die Kontingente. Wenn man sich für Valutazuschläge[2189] entscheide, wäre anzuwenden: 1.) der betreffende Valutazuschlag, 2.) der autonome Zoll ohne Valutazuschlag, 3.) der begünstigte Tarif für die Kontingente. Holland werde bestimmt feindlich werden, falls die Kontingente effektiv würden. Diese Gefahr werde durch Einführung von Valutazuschlägen beseitigt. Die Gefahr der „Lücke“, die Minister Schiele für die Einfuhr über dritte Länder sehe, scheine ihm demgegenüber geringer. Kampfmaßnahmen von seiten Hollands seien zudem in ein paar Wochen sicherlich unvermeidbar. Dann könne man ja weitere Schritte tun. Er halte es für gefährlich, Holland gegenüber den ersten Schritt zu tun.

Der Reichsarbeitsminister legte dar, daß in der Milchwirtschaft vielerlei Mißstände bestünden, und daß namentlich an den Preisverhältnissen des Milchhandels einiges revidiert werden müsse. Zu der zur Erörterung stehenden Frage scheine ihm eine Hilfe allgemein handelspolitischer Art geboten. Er halte eine lediglich schematische Butterzollerhöhung nicht für ratsam.

Der Reichskanzler wies demgegenüber darauf hin, daß allgemeine Zollerhöhungen England besonders verärgern würden.

Ministerialdirektor Dr. Posse schlug folgenden praktischen Weg vor: die Reichsregierung möge durch eine Verordnung des Reichspräsidenten ermächtigt werden, die Zollsätze durch Zuschläge zu erhöhen. Nach dem Gutachten des Reichsjustizministeriums würde die bestehende Ermächtigung die Reichsregierung zwar auch zu Valutazuschlägen ermächtigen. Es scheine aber besser, allen Schwierigkeiten von vornherein dadurch zu begegnen, daß die Valutazuschläge durch eine Verordnung des Reichspräsidenten begründet würden.

Durch diese Verordnung möge die Reichsregierung ermächtigt werden, in Fällen eines dringenden wirtschaftlichen Bedarfs 1.) Länder mit entwerteter Währung für bestimmte Waren und Warenarten Valutazuschlägen zu unterwerfen, und 2.) bei nicht zollbegünstigten Ländern Obertarife festzusetzen.

In einer Ausführungsverordnung könne sodann unterschieden werden zwischen Ländern mit geringer und starker Währungsentwertung. Die Grenze könne etwa bei 30% liegen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft äußerte hiergegen erneut seine Bedenken wegen der verbleibenden „Lücke“.

Ministerialdirektor Dr. Posse erklärte, diesen Bedenken sei abzuhelfen durch Einführung von Ursprungszeugnissen. Außerdem werde Holland zu Beschränkungsmaßnahmen gegen die deutsche Einfuhr übergehen und dadurch bald Gelegenheit bieten, gegen Holland weitere Maßnahmen zu ergreifen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte, wenn die Maßnahmen sich nicht mengenmäßig auswirken würden, habe der ganze Hilfsplan keinen Wert.

Ministerialdirektor Dr. Posse erwiderte, er verspreche sich von den Verhandlungen mit Holland den Erfolg, daß die jetzige Exportmenge von Holland nicht überschritten würde.

Der Reichskanzler stellte das Einverständnis des Kabinetts fest, daß grundsätzlich eine Notverordnung des Reichspräsidenten über Zollmaßnahmen angebracht erscheine.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wünschte, daß genau festgelegt werde, wie gegenüber Holland vorgegangen werden solle.

[2190] Der Reichswirtschaftsminister stellte in Aussicht, daß Verhandlungen vorgesehen würden mit dem Ziele, über das Einigkeit bestehe (Monatsmengen festzusetzen). Wenn diese nicht den gewünschten Erfolg haben würden, sollten die weiteren Maßnahmen noch beraten werden4.

4

Verhandlungen mit den nordischen Ländern und den Niederlanden wurden erst durch das Rkab. v. Papen aufgenommen: diese Edition, Das Kabinett v. Papen, Dok. Nr. 63, P. 5.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft war damit einverstanden.

Es wurde sodann erörtert, ob unterschieden werden solle zwischen den verschieden entwerteten Währungen.

Der Reichsminister der Finanzen hatte dagegen Bedenken, wegen der praktischen Durchführung. Er stellte fest, daß Wertzuschläge zudem schon deswegen unmöglich wären, weil die bisherige deutsche Zollregelung nur einen Gewichtszoll, aber keinen Wertzoll kenne.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft schlug eine Formulierung der betreffenden Verordnung dahin vor, daß die Reichsregierung ermächtigt werde, bezüglich einzelner zollpflichtiger Waren oder Warengruppen Länder, deren Währung wesentlich unter Goldparität gesunken sei, besonderen Zollzuschlägen zu unterwerfen.

Durch Ministerialrat Dr. Feßler wurde telephonisch die Zustimmung des Reichsbankdirektors Dreyse dazu eingeholt, daß die Formulierung abstellen solle auf „Länder, deren Währung unter Goldparität gesunken ist“.

Gegen einen Vorschlag, in der Überschrift der Verordnung von Geldentwertung oder Währungszuschlägen zu sprechen, wurden Bedenken erhoben.

Das Kabinett beschloß sodann nach eingehender Aussprache, die „Verordnung des Reichspräsidenten über außerordentliche Zollmaßnahmen“ in dem im Reichsgesetzblatt I S. 27 veröffentlichten Wortlaut. […]

Es folgten sodann eingehende Erörterungen über die Ausgestaltung des Obertarifs.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft schlug vor, diesen auf etwa 175% für Butter zu erhöhen.

Ministerialdirektor Ritter erklärte, um seine Stellungnahme zu den vorgesehenen Maßnahmen gebeten, er müsse davor warnen, die Zollsätze zu sehr zu erhöhen. Vor allem halte er es für gefährlich unter Berufung auf die Währungsentwertung Valutazuschläge willkürlich festzusetzen. Die Währungsentwertung rechtfertige das nicht. Ein solches Verfahren würde neu sein und nach internationalem Recht contra liegen. In den nordischen Ländern sei sicherlich geradezu ein Wutausbruch zu erwarten. Es würde zu einem Schiedsverfahren führen, und Deutschland würde in 14 Tagen voraussichtlich seine Maßnahme zurückziehen müssen. Er rate dringend, eine Regelung zu treffen, die auch durchgehalten werden könne.

Der Reichswirtschaftsminister meinte, es müsse bei den Valutazuschlägen ausgegangen werden von dem letzten Preis vor der Währungsentwertung.

Der Reichskanzler warf die Frage auf, ob das vorgesehene Verfahren nicht vielleicht geeignet sei, Holland zu zeigen, daß Deutschland alles tun wolle, um Holland zu schonen, und um eine allgemeine Erhöhung zu vermeiden.

[2191] Er stellte zur Erörterung, den weitergehenden Wünschen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft Rechnung zu tragen dadurch, daß neben den in der beschlossenen Verordnung vorgesehenen Maßnahmen – Valutazuschlägen und Prohibitivzöllen – eine mäßige allgemeine Zollerhöhung eingeführt werde. Der jetzige Satz von 50 RM sei auf etwa 100 RM zu erhöhen. Zu diesem erhöhten Satz würden die Valutazuschläge berechnet. Dazu wären die Prohibitivzölle einzuführen.

Er meinte, vor allem würde Holland dann sehen, daß wir Holland möglichst schonen wollen.

Nach weiterer Aussprache hierüber stellte der Reichskanzler die Zustimmung des Kabinetts zu diesem Vorschlag fest.

Der Reichsarbeitsminister erklärte, „im Augenblick sein Einverständnis noch nicht abgeben zu können“5.

5

Zum Kabinettsbeschluß siehe Dok. Nr. 635, P. 1, zur Einführung des Obertarifs siehe Dok. Nr. 688, P. 7.

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