1.15.1 (bru3p): Ostfragen.

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Ostfragen.

Der Reichsverkehrsminister gab eine Darstellung des Standes der Osthilfearbeiten. Die Versuche, zu langfristigen Umschuldungen zu gelangen, würden immer schwieriger. Auch die erststelligen Hypotheken würden unsicher. Nur ein geringer Teil der Umschuldungsmittel sei festgelegt.

Wegen der Taxierung landwirtschaftlicher Betriebe bestände ein Streit zwischen den Banken und der Oststelle. Die Banken hielten das Taxniveau für zu hoch.

Der Apparat leide an technischer Schwerfälligkeit und an dem Kondominimum zwischen Reich und Preußen. Persönlich sei die Zusammenarbeit erfreulich gewesen, aber sachlich hätten sich starke Reibungen ergeben1.

1

Vgl. auch Dok. Nr. 525.

So schwebe die Frage der Ausstattung der Ablösungsscheine seit einem Jahre. Der Preußische Handelsminister habe noch nicht Stellung genommen. Die Zusammenarbeit mit der Industriebank habe sich noch nicht eingespielt. Auch die landwirtschaftliche Interessenvertretung habe sich noch nicht ausgewirkt. Entscheidungen würden verschleppt, die Mißstimmung wachse draußen.

Die schlechte Ernte habe die Sicherheit der Schuldner beeinträchtigt. Erstklassige Betriebe ständen vor dem Zusammenbruch. Der Drang zu einer allgemeinen Stillhalteverpflichtung steigere sich. Es gäbe allerdings neben den schlechtstehenden Betrieben auch noch gute. Im Kreise Meseritz sei beispielsweise nur ein Fünftel der Betriebe notleidend. Pommern sei verhetzt worden. Es hätte die Termine für die Umschuldung verpaßt. Ein großes Durcheinander sei die Folge.

Eine allgemeine Stillhalteanordnung würde die Krise lediglich verschieben. Würde der Zinssatz allgemein verbilligt, so wäre wieder eine Arbeit der Oststelle möglich. Weitere Umschuldungsmittel dürften erst nach endgültiger Klärung dieser Grundfrage eingesetzt werden.

Der Preußische Wohlfahrtsminister stimmte den Ausführungen zu. Die Zahl der nicht mehr sanierungsfähigen Betriebe sei stark gewachsen. Die Siedlung läge darnieder. Er verwies auf die Denkschrift, die Preußen eingereicht habe und die drei Maßnahmen, die es vorschlage:

1.

Schaffung von Abwicklungsmöglichkeiten für die zusammenbrechenden Betriebe,

2.

[1876]Sicherstellung der Produktionserhaltung bei den landwirtschaftlich nutzungsfähigen Böden,

3.

Stützung der für die Wirtschaft unentbehrlichen Kreditorganisationen2.

2

Vgl. § 17 Absatz 2 des OsthilfeGes. vom 31.3.31 (RGBl. I, S. 119 ).

Der Abgeordnete Schlange-Schöningen erklärte, die Lage habe sich seit dem Osthilfegesetz und der Schaffung der Industriebank geändert. Dem Reiche stehen nicht die ausreichenden Mittel zur Durchführung der Umschuldung zur Verfügung. Im Osten bestehe die Gefahr starken Produktionsrückganges und weitgehender Vernachlässigung der Frühjahrsbestellung.

Es sei unwichtig, wer den Betrieb leite, notwendig aber, daß er fortgeführt werde. Käufer fänden sich kaum, überall würden Zwangsmaßnahmen durchgeführt. Im Dezember sei mit völligem Zusammenbruch und Einstellung der Zahlungen bei einem großen Teil der östlichen Landwirtschaft zu rechnen. Schreite der politische Radikalismus weiter, dann könnten auch durchgreifende Maßnahmen nicht mehr helfen, weil die Menschen zur Mitarbeit nicht mehr bereit wären.

Durch eine Notverordnung müsse eine Art Moratorium und ein Vollstreckungsschutz eingeführt werden; nicht allgemein, aber für den Einzelfall. Die Einwendung, der Kredit des Ostens würde beeinträchtigt, sei nicht mehr durchschlagend, weil der Kredit bereits nicht mehr intakt wäre. Die unterste Verwaltungsbehörde müßte entscheiden, ob einem Betrieb der Verfahrensschutz zugebilligt würde, insbesondere, soweit sie sich zur Umschuldung gemeldet hätten. Zwangseingriffe dürften dann nicht stattfinden, soweit nicht Betriebskapital bis zur nächsten Ernte sichergestellt wäre. Vor allem müsse die Devastierung verhütet und die geordnete Bestellung gesichert werden.

Der schlechte Ausfall der Ernte habe schwere Verluste gebracht.

Die Akkordwilligkeit der Genossenschaften und Real-Kreditinstitute sei stark gewachsen. In der Furcht, das ganze Kapital zu verlieren, seien sie zu wesentlichen Zugeständnissen bereit. Die Übernahme der Güter erfordere starke Betriebsmittel, zumal der wirtschaftliche Zustand der Güter in vielen Fällen gebessert werden müsse. Die kleinen Gläubiger verlören ihre Forderungen, die Kaufkraft ginge allgemein stark zurück. Agrarsanierung sei deswegen Gläubigersicherung und Kaufkraftschutz.

Es sei deswegen notwendig, den Zinsfuß der ersten Hypotheken zu ermäßigen, wenn nicht allgemein, dann bei der Landwirtschaft. Sonst würde bei Akkorden nicht nur die Zinsforderung, sondern auch das Kapital in Mitleidenschaft gezogen.

Entscheidend sei die Frage, welche Zinslast der einzelne Betrieb tragen könne. Wenn der Betriebsleiter diesen Zinssatz nicht herauszuwirtschaften imstande sei, dann müsse ein Wechsel eintreten.

Bei den Sanierungsmaßnahmen müsse auf die kleinen Gläubiger besondere Rücksicht genommen werden. Bei den größeren sei mit Gutscheinen zu arbeiten, die diskontierbar seien.

Zum Teil werde unrentabler Boden aufgeforstet werden müssen, doch nur dort, wo Forstkulturen bereits beständen. Abverkäufe zur Sanierung seien in besseren[1877] Gegenden mehrfach gelungen. Die Anliegersiedlung müsse in großem Stil weitergeführt werden. Auch die Bauernsiedlung. Bisher seien die Siedlungen zu teuer angesetzt gewesen.

Eine Auffangorganisation müsse die Betriebe bewirtschaften und vor Devastierung bewahren, deren Besitzer nicht mehr in der Lage seien, sie fortzuführen. Für die Siedlung in einheitlicher Form müßten Gelder bereitgestellt werden3.

3

Die Denkschrift des PrWohlfM vom 21.10.31 war dem RK am 29.10.31 durch den PrMin-Präs. zugeleitet worden. Hirtsiefer hatte in seinem Memorandum die Aufsiedlung nicht entschuldungsfähiger landwirtschaftlicher Großbetriebe vorgeschlagen (R 43 I /1811 , Bl. 43–51).

Das Verfahren sei zu vereinheitlichen. Es ginge nicht an, daß drei Bankinstitute4 gegeneinander arbeiteten. Alle Hinderungen wären auszuschalten. Auch die Betriebsberatung müßte vereinheitlicht werden.

4

Industrieobligationenbank, Preußenkasse, Siedlungsbank.

Das Verfahren sei in kürzester Frist abzuwickeln. Es werde nicht möglich sein, 10 Jahre Ostsanierung zu betreiben. Auch der Westen würde in wenigen Monaten sanierungsbedürftig sein, da die Bauernwirtschaften in Not gerieten.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft trat ebenfalls dafür ein, daß die Ostpolitik bald liquidiert werden möchte. Die individuelle Umschuldung sei nicht weiter möglich. Zinsen müßten gesenkt, Stillhaltevorschriften erlassen, die Zwangsverwaltung vereinfacht werden. Die Elbe sei nicht mehr die Grenze der Notstandsgebiete. Sie erstreckten sich über das ganze Reich.

Ministerialrat Quassowski führte ergänzend hierzu noch aus, daß die Verschuldung nach Westen weiterschreite. Massenexekutionen wären die Folge. Ein allgemeines Moratorium und Zinsherabsetzung würde auch auf nichtdarniederliegende Betriebe wirken. Einzelmaßnahmen machten einen großen Apparat erforderlich, der nur langsam arbeite. Eine Betriebsaufsicht müsse individuell eingesetzt werden. Ihre Voraussetzungen wären Zwangsmaßnahmen der Gläubiger, Gefahr der Devastierung und Gefährdung der Frühjahrsbestellung. Wenn die Gläubiger stillhielten, bliebe ihre Substanz gesichert. Bei kleinen Betrieben müsse der Landrat die Betriebsaufsicht führen (bis zu 40 000 M Wehrbeitragswert im Osten). Winterschullehrer und tüchtige Nachbarn müßten eingreifen.

Bei größeren Betrieben sei die Überwachungsstelle bei der Provinz einzurichten. Im Osten die Landstelle, im Westen ähnliche Organisationen. Dann würden die Betriebe aus eigenen Mitteln weiterarbeiten. Der Überschuß müsse an die erststelligen Gläubiger ausgezahlt werden. Akkorde würden offenbleiben. Der Betrieb würde die Kreditfähigkeit verlieren. Das Kreditbedürfnis würde zurückgehen. Die Betriebsausgaben müßten als Zwangsverwaltungskosten bevorrechtigt werden. Für diese würden dann also Kredite möglich sein. Als Betriebsleiter solle im allgemeinen der bisherige Wirt weiterarbeiten, ausnahmsweise ein anderer tüchtiger Mann. Die Betriebsaufsicht sei aufzuheben, sobald ein Erwerber für den Betrieb nachgewiesen wird, der einen angemessenen Preis zahlt. Der Eigentümer müsse bis dahin – ähnlich wie der Konkursschuldner – mit einem Fixum zufrieden sein. Dadurch würde erreicht, daß von der Maßnahme nur in wirklich ernsten Fällen Gebrauch gemacht würde. Für die nachgeordneten Gläubiger würde eine gewisse Hilfeleistung nötig werden. Die Beschlüsse für die endgültige Regulierung könnten aber in Ruhe getroffen werden.

[1878] Ministerialdirektor Wachsmann berichtete eingehend über die bisherige Ostarbeit. Die Landschaften könnten die Verwaltungskosten für Betriebe, die sie zu übernehmen hätten, vielfach nicht zahlen. Die Oststelle habe eingreifen müssen. Die Kosten der Aufrechterhaltung der Betriebe im allgemeinen würden hoch sein.

Auch die Betriebsberatung erfordere erhebliche Mittel. Die Stellen, die jetzt damit befaßt seien, nähmen im allgemeinen in erster Linie die Interessen ihrer Institute wahr. Bisher sei es nicht gelungen, die Betriebsberatung in einer Einheit zusammenzufassen und diese Interessen auszuschalten.

Das Reichsjustizministerium habe dagegen Bedenken, daß die Verwaltungskosten den Vorrang genössen.

Die individuelle Zinssenkung sei durch die Osthilfe versucht worden. Die Entschuldigung müsse dahin ausgedehnt werden, daß Betriebsmittel für spätere Jahre zur Verfügung ständen.

Die völlige Einstellung der Umschuldungsaktion werde politisch nicht möglich sein. Die Anträge, die laufen, müßten weiterbehandelt werden.

Zahlreiche Versuche seien gemacht worden, um zu Akkorden zu gelangen. Die Schwierigkeiten seien groß. Die Akkordsummen hätten nicht aus der Aufbringungsumlage finanziert werden können. Es sei noch nicht möglich gewesen, Verpflichtungsscheine unterzubringen.

Die Ablösungsscheine seien mit 7% verzinslich. Zum Teil müßten sie lombardiert werden. Verhandlungen seien darüber im Gange. Die Möglichkeit aber sei beschränkt. Reichsbank und Preußenkasse wollten 30 Millionen hereinnehmen, hätten es aber bisher noch nicht getan.

Die Verpflichtungsscheine würden weder lombardiert noch rediskontiert. Es müsse versucht werden, hier Wandel zu schaffen.

Im Osten seien die ersten Hypotheken etwa zu einem Viertel verloren. Die Landschaften beteiligten sich an den Akkorden zuerst in Pommern. Sie müßten Pfandbriefe aus dem Markte zurücknehmen und hätten kein eigenes Kapital mehr. Allein für Ostpreußen seien jetzt etwa 30–50 Millionen erforderlich. Mittel für die Verwaltung von Gütern durch eine Auffangorganisation seien nicht vorhanden. Auch die Anliegersiedlung sei nur begrenzt möglich gewesen. Wenn nichts geschähe, müßten im Osten etwa 4–500 Millionen Schulden abgeschrieben werden. Genossenschaften und andere Firmen brächen zusammen, darum müsse in der Stillhaltung der Gläubiger bald etwas geschehen. Es müßte eine Verpflichtung zur Annahme der Ablösungsscheine geschaffen werden, auch bei der Weitergabe. Allerdings seien die Zentralbanken nicht in der Lage, sie aufzunehmen.

Im ersten Jahr seien 57% der Anträge durchverhandelt worden. Für den Rest werde ein weiteres Jahr notwendig sein. Inzwischen würden die bereits sanierten Betriebe wieder krank.

Der Abgeordnete Schlange-Schöningen meinte hierzu, daß es besser wäre, die ganze Hilfe aufzugeben, wenn diese Schilderung zuträfe. Es sei notwendig, die Verhältnisse so einfach wie möglich zu gestalten. Er denke an eine Notverordnung, die eine Neuanmeldung der notleidenden Betriebe bei den Landräten vorsähe. Diese könnten einen Verfahrensschutz ohne Betriebsprüfung anordnen. Die Betriebsüberwachung sei die sofortige Folge des Antrages. Sie müsse kostenlos sein. Der Besitzer müsse den Betrieb ordnungsmäßig weiterführen. Er müsse die Verpflichtung[1879] übernehmen, daß er kein Geld herausnimmt, um Freunde abzufinden. Andernfalls würde er vom Verfahren ausgeschlossen.

Die Überwachung könne in Privathände gelegt werden, etwa in die von Vertrauensmännern in den Dörfern. Für die Umschuldung wäre ein abgekürztes Verfahren zu schaffen in Zusammenarbeit mit den Ländern.

Dann sei die Pfandbrieffrage weniger dringlich. Würden die Landschaften wieder sicher, so würde sich auch die Nachfrage nach Pfandbriefen heben.

Der Preußische Wohlfahrtsminister trat mit allem Nachdruck dem Plane einer Senkung der Zinsen für Pfandbriefe entgegen. Er fürchtete scharfe Rückschläge für den städtischen Realkreditmarkt, wenn zwangsweise vorgegangen würde. Allgemeine Versuche zur Zinsverbilligung dagegen hielt er für möglich.

Der Reichsverkehrsminister trat den Ausführungen des Abgeordneten Schlange-Schöningen bei. Neue Ergebnisse seien nicht festzustellen. Es sei notwendig, zu entscheiden, ob die Reichsbank der individuellen Stillhaltung zustimme und dem Verzicht auf den Vollstreckungsschutz. Der Wirtschaftsbeirat werde die Zinsfrage behandeln müssen. Das individuelle Verfahren bei den Landstellen sei zu vereinfachen.

Reichsbankdirektor Knaack schloß sich wegen der Pfandbriefzinsen den Ausführungen des Preußischen Wohlfahrtsministers an. Die individuelle Stillhaltung und der Verzicht auf den Vollstreckungsschutz wären für die Reichsbank diskutabel. Er werde dem Reichsbankpräsidenten entsprechende Vorschläge machen. Die landwirtschaftlichen Wechsel, die in der Hand der Reichsbank wären, würden von ihr gehalten werden. Allerdings würde es nicht möglich sein, neue Kredite zu geben.

Die Verhandlungen wurden dann abgebrochen5.

5

Zur Fortsetzung der Beratung siehe Dok. Nr. 537, P. 3.

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