1.167.1 (bru3p): 1. Entwurf einer Verordnung des Reichspräsidenten zur Ergänzung der Vorschriften über die Zwangsvollstreckung bei landwirtschaftlichen Betrieben und über das Sicherungsverfahren.

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1. Entwurf einer Verordnung des Reichspräsidenten zur Ergänzung der Vorschriften über die Zwangsvollstreckung bei landwirtschaftlichen Betrieben und über das Sicherungsverfahren.

Der Reichskommissar für die Osthilfe trug den Inhalt des in der Sitzung verteilten als Anlage I beigefügten Entwurfs einer Notverordnung vor1. Er legte dar, daß[2314] diese sich durch die bisherigen Erfahrungen bei der Anwendung des Sicherungsverfahrens2 sowie der Verordnung betreffend Finanzierung der Düngemittelbeschaffung3 als notwendig herausgestellt habe. Die Bestimmungen im Artikel I sollten im ganzen Reichsgebiet Geltung haben, die übrigen Bestimmungen nur in dem Anwendungsgebiet der Osthilfe. Die sämtlichen Bestimmungen, vor allem auch die des Artikel I zum Schutze der Naturalvergütungen der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft und der Forderungen aus Milchlieferungen vor dem Zugriff der Gläubiger bezweckten einen möglichst weiten Schutz der landwirtschaftlichen Erzeugung.

1

Der REM und der ROsthilfeKom. hatten mit Schreiben vom 18.2.32 den NotVoEntw. gemeinsam vorgelegt. Art. I stellte die Naturalvergütung für landwirtschaftliche Arbeitnehmer und Forderungen aus Milchlieferungen unter Vollstreckungsschutz. Die Art. II und III sollten die Belieferung der im Sicherungsverfahren stehenden Betriebe mit Düngemitteln sicherstellen. Art. IV regelte Rechtsfragen der Zwangsverwaltung. Art. V eröffnete bereits umgeschuldeten Betrieben die erneute Eröffnung des Sicherungsverfahrens; von dieser Möglichkeit waren die Betriebe, über die Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung angeordnet war, ausgenommen (Anschreiben des REM und RM Schlange in R 43 I /2250 , Bl. 172–173; der NotVoEntw. in R 43 I /1454 , Bl. 162–165).

2

Siehe Dok. Nr. 558, Anm. 2.

3

Siehe Dok. Nr. 641, Anm. 11.

Der Reichsarbeitsminister äußerte Bedenken gegen die sofortige Verhandlung der Vorlage. Namentlich die Artikel I und II hätten weitere Auswirkungen für das Arbeitsgebiet seines Ressorts. Da die Vorlage erst in der Sitzung verteilt worden sei, habe er indes noch keine Gelegenheit gehabt, den Standpunkt der zuständigen Referenten seines Ministeriums dazu zu hören.

Der Reichsminister der Justiz erklärte, sein Ministerium sei zwar im Laufe des Tages zur Redaktion des Entwurfes zugezogen worden, über die Einzelheiten sei er jedoch auch noch nicht genauer unterrichtet.

Der Reichsminister der Finanzen äußerte gleichfalls Bedenken gegen die Verhandlung des Entwurfs, weil er von der Vorlage bisher keine Kenntnis erlangt habe. Er müsse sachlich weiteren Maßnahmen, wie sie der Entwurf vorsehe, ausdrücklich widersprechen, wie er bereits bei den Verhandlungen über das Sicherungsverfahren und über die Düngemittelverordnung ernste Sorgen wegen der Auswirkungen geltend gemacht habe4. Vor allem könne er unter keinen Umständen einer Ausdehnung von weiteren Ausnahmemaßnahmen für die Landwirtschaft auf das Gebiet westlich der Elbe zustimmen. Im Osthilfegebiet sei durch die nach seiner Ansicht völlig verfehlten Maßnahmen der Kredit der Landwirtschaft bereits zerstört. Links der Elbe müsse der Kredit, den die Landwirtschaft noch einigermaßen habe, erhalten bleiben.

4

Vgl. Dok. Nr. 557, P. 2; aus dem Protokoll zu Dok. Nr. 641, P. 5 ist keine Stellungnahme des RFM überliefert.

Der Reichskanzler machte darauf den Vorschlag, die Bestimmungen des Artikel I unter den beteiligten Ressorts bis zum nächsten Tage (19. II.) zu erörtern.

Bei der Erörterung der weiteren Bestimmungen wurden von verschiedenen Seiten Bedenken, namentlich gegen die Artikel II und V des Entwurfs vorgebracht. Daß durch den Artikel II die Möglichkeit geschaffen werden solle, die Düngemittelverordnung auch auf Betriebe auszudehnen, die zur Zeit unter dem Sicherungsverfahren ständen, erschiene vielfach zu weitgehend. Zu Artikel V des Entwurfs wurde für überflüssig befunden, den nach den alten Osthilfebestimmungen umgeschuldeten Betrieben nochmals die Möglichkeit des Sicherungsverfahrens zu geben. Es wurde die Befürchtung geäußert, daß die Öffentlichkeit diese Bestimmung dahin auslegen würde, daß die Umschuldungs- und Schutzverfahren im Osten bei den einzelnen Betrieben überhaupt kein Ende nehmen und daß die Betriebe gewaltsam gestützt werden sollten.

[2315] Staatssekretär Dr. Meissner teilte mit, daß die Bestimmung des Artikel V auf Anregung des Herrn Reichspräsidenten in den Entwurf aufgenommen worden sei, und zwar aufgrund von zahlreichen Klagen, die dem Herrn Reichspräsidenten aus Ostpreußen zugegangen seien. Daraus habe sich die Befürchtung ergeben, daß ohne eine solche Bestimmung bei den betreffenden Betrieben die Ernte ausfallen werde.

Der Reichskanzler stellte zu dem Artikel V fest, daß die Begründung der Möglichkeit des Sicherungsverfahrens nur für solche Betriebe gelten solle, die seit der Umschuldung nach den alten Osthilfebestimmungen nicht in die Zwangsversteigerung oder in die Zwangsverwaltung gekommen seien.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, den Artikel V unmöglich mit seinem Namen decken zu können und gegebenenfalls die Verordnung nicht unterschreiben zu wollen.

Das Reichskabinett nahm hiervon Kenntnis.

Der Reichskanzler machte den Vorschlag, den Artikel I zurückzustellen und die Artikel II bis V in der Sitzung zu erledigen.

Der Reichsarbeitsminister erklärte sich dagegen, weil er auch den Inhalt der Artikel II bis V noch näher prüfen müsse.

Staatssekretär Dr. Meissner erklärte, unter diesen Umständen damit einverstanden zu sein, daß die Verordnung am übernächsten Tage (20. Februar) erledigt werde.

Der Reichsminister der Finanzen kündigte an, daß er wegen seiner abweichenden Stellungnahme nicht erscheinen werde. Er habe weitgehende Bedenken auch gegen den Artikel II. Die Bestimmungen in Artikel I § 2, betreffend eine Befreiung der Forderungen für Milchlieferanten usw. vor Gläubigerzugriffen, zerstörten geradezu das Privatrecht, das man im Westen im großen und ganzen bisher noch erhalten habe. Er sei einverstanden, wenn die Bestimmungen auf den Osten beschränkt würden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte dann, den § 2 fallenlassen zu wollen, um den übrigen Teil der Verordnung zu retten.

Das Reichskabinett stimmte dem Entwurf der Verordnung zu mit der Maßgabe, daß Artikel I § 2 gestrichen werde5.

5

Vgl. die NotVo. zur Ergänzung der Vorschriften über die Zwangsvollstreckung bei landwirtschaftlichen Betrieben und über das Sicherungsverfahren vom 19.2.32 (RGBl. I, S. 71 ).

Im Zusammenhang mit den Erörterungen über den Verordnungsentwurf wurde darauf hingewiesen, daß die Landwirtschaft eine Erleichterung durch Preiserhöhungen auf verschiedenen Gebieten erfahren habe. Erst vor der Sitzung sei eine Erhöhung des Milchpreises in Berlin um 4 Pfennig bekannt geworden.

Der Reichskanzler erklärte, diese Preiserhöhung für Milch sei sehr unklug. Durch solche Übertreibungen könne die ganze Zollpolitik der Regierung gefährdet werden. Er halte es nicht für tragbar, daß diese Erhöhung beibehalten werde.

Der Reichskommissar für Preisüberwachung stimmte dem zu. Er bedauerte, seinen Namen für die Preissenkungsaktion hergeben zu müssen, während in der letzten Zeit wichtige Lebensmittel im Preise wesentlich anzögen. Für die Maßnahmen zum Schutze des Butterpreises habe die Bevölkerung Verständnis gehabt. Danach[2316] seien aber die Fleischpreise erheblich angezogen. Wenn jetzt der Milchpreis heraufgehe, sei das für die Bevölkerung nicht tragbar. Er werde am nächsten Tage sich der Angelegenheit annehmen. Er habe bisher die Einwirkung auf die Milchpreise durch die Länder ausüben lassen, weil er nicht alle Preisgebiete und an allen Orten selbst regeln könne. Er sei aber entschlossen, auf den Gebieten, bei denen die Länder versagten, durch zentrale Maßnahmen einzugreifen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft meinte, die Erhöhung der Fleisch- und Milchpreise läge nicht an den Erzeugerpreisen, sondern an den Handelsspannen.

Der Reichskanzler bemerkte demgegenüber, daß das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft zur besseren Organisierung der Milchwirtschaft, die schon lange sehr dringlich sei, mehr tun müsse. Namentlich sei zur Durchführung des Milchgesetzes, nachdem dieses endlich in Kraft getreten sei6, nicht genügend geschehen. Die Genossenschaften für Milchverwertung z. B. stritten sich nach wie vor noch um die nebensächlichsten Fragen und Äußerlichkeiten, statt die Standardisierung und den Zusammenschluß ernstlich in Angriff zu nehmen.

6

Das Milchgesetz vom 31.7.30 (RGBl. I, S. 421 ) war durch Vo. vom 15.5.31 (RGBl. I, S. 149 ) am 1.1.32 in Kraft getreten.

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