1.248.1 (bru3p): Fortsetzung der Aussprache über die wirtschaftlichen sozialpolitischen und finanziellen Maßnahmen der Reichsregierung.

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Fortsetzung der Aussprache über die wirtschaftlichen sozialpolitischen und finanziellen Maßnahmen der Reichsregierung.

Industriekredite.

Staatssekretär Trendelenburg trug vor, daß die für 1932 fällige Industrieumlage von 100 Millionen Mark nach den bisherigen Plänen wie folgt verteilt seien:

60 Millionen Ablieferung an den Reichsetat,

30 Millionen für Osthilfe,

10 Millionen für gewerbliche Genossenschaften.

Er regte an, im Interesse einer Kredithilfe für die Industrie, insbesondere für Sachsen den Betrag von 30 Millionen auf 20 Millionen herabzusetzen.

Ministerialdirektor Zarden erwiderte, daß die Verteilung der Summen aus der Industrieumlage festliege und unmöglich geändert werden könne, ohne den vorgesehenen Verwendungszweck zu gefährden.

[2566] Auf die Frage von Staatssekretär Trendelenburg, ob denn das Land Sachsen im Arbeitsbeschaffungsprogramm besonders berücksichtigt worden sei, antwortete Staatssekretär Koenigs im verneinenden Sinne.

Staatssekretär Trendelenburg hielt diese Übergehung Sachsens im Hinblick auf dessen katastrophale Wirtschaftslage für unvertretbar1).

1

Vgl. hierzu Dok. Nr. 746.

Der Reichskanzler erkannte diesen Standpunkt von Staatssekretär Trendelenburg als berechtigt an. Es solle daher zu Beginn der kommenden Woche in einer Chefbesprechung näher darüber gesprochen werden, inwieweit für die sächsische Industrie eine Kredithilfe möglich gemacht werden kann.

Arbeitszeitfrage.

Ministerialdirektor Sitzler erläuterte an Hand der den Reichsministern zugegangenen Vorlage des Reichsarbeitsministers vom 3. Mai 19322 […] und vom 13. Mai 19323 […] den Standpunkt des Reichsarbeitsministeriums.

2

Vgl. Dok. Nr. 735, Anm. 3.

3

Das Schreiben des RArbM vom 13.5.32 enthielt stichwortartig Erläuterungen zum Arbeitszeitverkürzungsprogramm. Zur Genehmigungspflicht für Mehrarbeit hieß es u.a.: „Genehmigungspflicht der tariflichen Mehrarbeit als solcher, nicht der in jedem einzelnen Fall erforderlich werdenden Mehrarbeit. Weitherzige Handhabung hinsichtlich vorübergehender Mehrarbeit für eilige Aufträge, aber Beseitigung entbehrlicher Mehrarbeit (Anweisung an Ausführungsbehörden). Neuer Behördenapparat nicht erforderlich. Keine neuen Kosten. Betroffen etwa 4½ Millionen […] Bedeutung der Maßnahme weniger arbeitsmarktpolitischer als psychologischer Art.“ Zur Verkürzung der Arbeitszeit auf 40 Stunden hatte der RArbM u.a. ausgeführt: „Lohnausgleich nicht vorgeschrieben. Hauptlast tragen Arbeiter in Form der Lohnkürzung; Mehrbelastung der Arbeitgeber geringfügig (etwa 1% der Lohnsumme). […] Betroffen etwa 1½ Millionen Arbeiter […] Schätzungsweise Mehreinstellung von etwa 100 00 Arbeitern. Stärkere Auswirkung bei Einbeziehung weiterer Gewerbezweige und bei Belebung der Beschäftigung, die sich dann sofort auf Arbeitsmarkt auswirkt. Ebenso wie Genehmigungspflicht der Mehrarbeit nur vorübergehende Notmaßnahme. Mit Wegfall der Notverordnung alte Arbeitszeitregelung wieder hergestellt“ (R 43 I /2043 , Bl. 90–91).

Der Reichskanzler bemerkte, daß er einer Förderung aller Möglichkeiten, durch freiwillige Vereinbarung zur Einführung der 40-Stunden-Woche zu kommen, unbedingt den Vorzug vor jeder gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung geben würde.

Staatssekretär Trendelenburg setzte auseinander, daß Zwangsmaßnahmen in der Arbeitszeitfrage die Selbstkosten der Produktion stark belasten würden. Er halte auch den gegenwärtigen Zeitpunkt für etwaige gesetzliche Maßnahmen für denkbar ungünstig. Zwangsmaßnahmen würden den Unternehmer stark gegen die Reichsregierung aufbringen. Zudem werde durch eine aufgezwungene Arbeitszeitverkürzung ja auch den Arbeitnehmern viel zugemutet. Diese hätten durch die Belastung der neuen Notverordnung ohnehin mancherlei neue Opfer zu tragen. Er halte es daher für besser, die Sache bis zum Herbst zu vertagen4.

4

Vgl. auch Dok. Nr. 735, Anm. 4.

Reichskommissar Goerdeler schloß sich den von Staatssekretär Trendelenburg geäußerten Zweifeln darüber an, ob die vom Reichsarbeitsminister vorgeschlagenen Maßnahmen den damit verfolgten Zweck erreichen würden. Günstigstenfalls werde man durch die Zwangsmaßnahme 100 000 Arbeiter wieder in Arbeit bringen können. Dieser Erfolg werde durch die Nachteile kaum aufgewogen. Auch er halte es daher für besser, im gegenwärtigen Augenblick nichts zu machen.

[2567] Der Reichsarbeitsminister erörterte das Für und Wider der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten der Probleme, ohne selbst abschließend zur Sache Stellung zu nehmen. Er erklärte, daß seine Entscheidung ausschlaggebend von der Gestaltung der Gesamtverordnung abhängig werde. Einstweilen seien nach dieser Richtung wesentliche Punkte ja noch ungeklärt, so z.B. die Frage der Änderung der Umsatzsteuer, ferner die Frage der Finanzierung der Siedlung, der Verwendung des Aufkommens aus der Prämienanleihe, sowie die Vorlage über die Sozialversicherung. Feststehe nur das eine, daß er seine Kabinettsvorlage zur Sache nicht zurückziehen könne, das Kabinett werde darüber Beschluß zu fassen haben. Seine letzte Entschließung werde vom Ausfall des Gesamtbildes der Notverordnung abhängen.

Der Reichskanzler vertagte darauf die Weiterberatung dieses Gegenstandes.

Forterhebung der Krisensteuer und der Bürgersteuer.

Der Reichsminister der Finanzen legte den Entwurf der zur Forterhebung der Krisensteuer und der Bürgersteuer erforderlichen Bestimmungen vor5.

5

In den Akten der Rkei nicht ermittelt.

Sie wurden ohne weitere Aussprache gebilligt, da der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß es sich um zwangsläufige Maßnahmen handele. Er teilte ferner mit, daß in seinem Ministerium noch die Entwürfe zu folgenden Kapiteln vorbereitet seien:

1)

Änderungen des Umsatzsteuergesetzes,

2)

Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden (dieses Kapitel regele die Verteilung der Einnahmen für die Arbeitslosenversicherung). – Entwurf liegt bei6.

3)

Landesfinanzausgleich. – Entwurf liegt bei7.

4)

Sicherung der Haushalte der Gemeinden (Ausdehnung der sogenannten Dietramszeller Verordnung vom 24.8.31). – Entwurf liegt bei8.

5)

Beschäftigtenabgabe – Entwurf liegt bei9.

6

Der Entw. regelte die Verteilung der Reichsmittel für die Wohlfahrtslasten der Gemeinden und Gemeindeverbände (R 43 I /1456 , S. 253–257).

7

Der Entw. verbot für das Rechnungsjahr 1932, das Landesrecht der Finanzausgleichs zu Ungunsten der Gemeinden zu ändern (R 43 I /1456 , S. 259).

8

Die obersten Leiter der Gemeindeverwaltungen wurden durch Übernahme der Dietramszeller NotVo. vom 24.8.31 (RGBl. I, S. 453 , vgl. Dok. Nr. 455, P. 6) zum Ausgleich ermächtigt, alle Maßnahmen zu treffen, die zum Ausgleich der Haushalte erforderlich waren (VoEntw. in R 43 I /1456 , S. 261).

9

Der Entw. für eine Beschäftigtenabgabe zugunsten der Krankenkassen befindet sich in R 43 I /1456 , S. 263–265.

Der Reichskanzler erklärte, daß die endgültige Beschlußfassung des Reichskabinetts über den Abschluß des Reichsetats zurückgestellt werden müsse bis zur Rückkehr von Staatssekretär Meissner, der im Begriff stehe, sich zu dem Herrn Reichspräsidenten nach Neudeck zu begeben, um dem Herrn Reichspräsidenten über den Stand der Vorarbeiten zur Notverordnung und deren wesentlichen Inhalt zu unterrichten10. Insbesondere müsse die Entscheidung des Herrn Reichspräsidenten darüber abgewartet werden, ob und inwieweit er eine Beschränkung der Kriegsbeschädigtenfürsorge zulassen werde11. Im übrigen bitte er, für die Aufnahme in die Notversorgung nur solche Gegenstände vorzusehen, die in den Rahmen[2568] eines wohl überlegten Finanz- und Wirtschaftsprogramms hineinpaßten. In der Öffentlichkeit dürfe nicht der Gedanke entstehen, daß die Reichsregierung die Notverordnung dazu verwendet habe, ein Vielerlei unzusammenhängender Dinge zusammenzufassen.

10

Vgl. Dok. Nr. 766 und Dok. Nr. 773.

11

Vgl. Dok. Nr. 760, P. 2.

Die weiteren Vorarbeiten zur Notverordnung sollen zunächst durch Chefbesprechungen weiter gefördert werden.

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