1.43.2 (bru3p): 2. Osthilfemaßnahmen.

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2. Osthilfemaßnahmen.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, gegen die Vorlage des Reichskommissars für die Osthilfe seit der Beratung am Vorabend neue, und zwar sehr erhebliche Bedenken bekommen zu haben, nachdem er Gelegenheit gehabt habe, den Entwurf zu lesen. Die Vorlage sei am Tage vorher erst verteilt worden, so daß er bis zur Sitzung nicht die Zeit gehabt habe, sie durchzulesen7. Seine Bedenken bezögen sich besonders auf die Bestimmungen wegen der Kapitalherabsetzung (§ 18)8. Die Maßnahmen des Vorschlages gingen zu weit. Es seien Gewaltmaßnahmen, namentlich für die 2. Hypotheken. Er erklärte, die neuen Bedenken hätten ihn derart beunruhigt, daß er sie vormittags in der Frühe sogleich telephonisch Herrn Staatssekretär Pünder für den Herrn Reichskanzler mitgeteilt habe (Der Vermerk über dieses Gespräch […] liegt als Anlage 3 der Niederschrift bei)9.

7

Siehe Dok. Nr. 555, P. 1.

8

Vgl. Dok. Nr. 555, Anm. 1 und Anm. 3.

9

Der Vermerk von StS Pünder vom 17.11.31 hatte folgenden Wortlaut: „Herr Minister Dietrich rief mich soeben in Fragen des in der vergangenen Nacht vom Kabinett verabschiedeten neuen Osthilfegesetzes an. Er habe eigentlich die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ihm hinterher wegen der Gesamttendenz des Gesetzes noch größte Bedenken gekommen wären. Er hätte zwar in der gestrigen Abendsitzung ja erreicht, daß die zwei schlimmsten Giftzähne dem Entwurf herausgezogen seien. Wegen der Gesamttendenz des Gesetzes habe er sich aber zurückgehalten. Er hätte dies getan, weil er die Auffassung gehabt hätte, daß der Herr Reichskanzler aufgrund vorangegangener Besprechungen mit dem Herrn Reichspräsidenten sich wegen dieser Gesamttendenz schon völlig festgelegt hätte, und daß auch wohl entsprechende Verabredungen mit Herrn Reichsminister Schlange bei den Verhandlungen über seine Berufung vorangegangen seien. Herr Minister Dietrich wollte nun gern von mir hören, ob tatsächlich der Herr Reichskanzler schon feste Verabredungen mit dem Herrn Reichspräsidenten über die Art der neuen Osthilfe getroffen hätte und ob nicht doch hinsichtlich der grundsätzlichen Fragen noch einiges geändert werden könnte. Die Blankounterschrift unter die Notverordnung habe er in der vergangenen Nacht abgelehnt, da er naturgemäß zunächst einmal den gesamten Text durchlesen müsse.

Hierbei erklärte ich, daß dieses Verlangen selbstverständlich sei, und daß auch der Herr Reichskanzler noch heute morgen mit mir im gleichen Sinne gesprochen hätte. Der endgültige Text liege ihm übrigens in diesem Augenblick bereits vor.

Herr Minister Dietrich sagte dann noch, wenn die Reichsregierung solcher Art Dinge noch manche mache, würden wohl die Tage dieses Kabinetts bald gezählt sein, denn es sei eine sehr bedenkliche Geschichte, wenn in einem so riesigen Landesteil und in so großer allgemeiner Ausdehnung die Hälfte aller Schulden gestrichen würden, worauf die Sache doch in der Praxis hinauskäme. Er fürchte morgen einen Skandal ohnegleichen in dem größten Teil der deutschen Presse. Jedenfalls würde er es sehr begrüßen, wenn über diese Dinge in der heutigen Kabinettssitzung nochmals ein ruhiges Wort gesprochen werden könnte, da bekanntermaßen solche hetzerische Nachtarbeit nie etwas tauge“ (Nachl. Pünder  Nr. 113, Bl. 2).

[1976] Reichsminister Schlange erklärte, auch sein Bestreben gehe dahin, Kapitalherabsetzungen möglichst zu vermeiden.

Der Reichsbankpräsident schloß sich den Bedenken des Reichsministers der Finanzen bezüglich der zweiten Hypotheken an. Diese würden nach dem vorgeschlagenen Sicherungsverfahren fast stets ausfallen. Ohne Sicherungsverfahren würden die 2. Hypothekargläubiger sicherlich vielfach den Betrieb gern erwerben. Die Hypotheken seien ja häufig aus Gefälligkeit gegeben.

Der Reichsminister der Justiz trat diesen Bedenken entgegen und wies darauf hin, daß auch die Aufwertungsregelung seinerzeit Verluste mit sich gebracht habe. Auch die Aktionäre erlitten zur Zeit Verluste.

Der Reichsminister der Finanzen stellte fest, er sei einverstanden mit den Stillhaltemaßnahmen der Vorlage; er sei auch einverstanden mit der vorgesehenen Zinsabwertung. Er könne sich dagegen nicht einverstanden erklären mit der Kapitalherabsetzung. Nach der Vorlage sei es den Gläubigern nicht einmal möglich10, falls der Besitzer später einmal wieder emporkomme, dann auch nur teilweise wieder zu dem verlorenen Gelde zu kommen. Er befürchte auch Berufungen der Industrie bezüglich der Industrieobligationen sowie der Landwirte westlich der Elbe.

10

Vgl. den § 18 des NotVoEntw. in Dok. Nr. 555, Anm. 3.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft schloß sich diesem Standpunkt des Reichsministers der Finanzen an. Er meinte, das kapitalistische System werde durch die Vorlage schwer erschüttert werden.

Der Reichsbankpräsident erklärte gegenüber den letzten Ausführungen des Reichsjustizministers, der zur Rechtfertigung der Vorlage angezogene Vergleich mit der Inflation und den heutigen Verlusten der Aktienbesitzer treffe vorliegend nicht zu. Solche Gesichtspunkte sprächen im Gegenteil für die Bedenken des Reichsfinanzministers. Von einer Inflation könne heute keine Rede sein. Die gleichen Sparer, die in der Inflationszeit ihr Geld verloren hätten, würden ihre Ersparnisse zum zweiten Male verlieren. Was die Verluste an Aktien angehe, so[1977] seien die Aktionäre ja gerade die Besitzer. Es verlören dabei also nicht die Gläubiger.

Der Reichsjustizminister erklärte, Bedenken gegen die Forderung des Reichsministers der Finanzen zu haben, für die zweiten Hypotheken mehr Rechte zu begründen. Den Gedanken, etwa die ersten und zweiten Hypotheken gleichmäßig herabzusetzen, halte er nicht für vertretbar. Für die ausfallenden zweiten Hypotheken könnten Grundschulden geschaffen werden, die unverzinslich seien und nur für den Fall der Besserung Bedeutung haben könnten. Ein solcher Plan sei mit dem Reichskommissar für die Osthilfe erörtert worden. Dieser fürchte indes, daß dann den Besitzern die Möglichkeit genommen werde, künftighin weitere Kredite aufzunehmen.

Reichsminister Schlange erklärte, die Sorge um die zweiten Hypotheken sei gegenstandslos. Wenn die Verordnung nicht gemacht werde, würden in wenigen Wochen die Zwangsversteigerungen so ungeheuer anwachsen, daß die zweiten Hypotheken sowieso ausfallen würden.

Der Reichskanzler schlug vor, bei einer Änderung des § 8 zu unterscheiden, ob der in Frage kommende Betrieb unter zu hoher Kapitallast oder unter zu hohen Zinssätzen leide.

Reichsminister Schlange meinte demgegenüber, daß es Fälle gäbe, in denen auch die Kapitalsumme der Hypothek zu 50% durch Zinsen und Provisionen entstanden sei.

Der Reichskanzler erklärte, es müßten Milderungen in den Entwurf hineingearbeitet werden. In der bisherigen Fassung wirke er konfiskatorisch. Die Sanierung der Landwirtschaft nach den Freiheitskriegen habe seinerzeit Eigentümer und Gläubiger gleichmäßig getroffen. Der vorliegende Entwurf scheine ihm einseitig für die Eigentümer einzutreten.

Der Reichsbankpräsident stellte fest, bezüglich der Erntesicherung sei er unbedingt für den Standpunkt des Reichsministers Schlange. Die notwendigen Maßnahmen dazu könnten aber getrennt werden von den weitergehenden Entschuldungsmaßnahmen.

Der Reichskanzler bat schließlich die beteiligten Ressorts, den geäußerten Bedenken durch weitere Änderungen des Entwurfs Rechnung zu tragen. Die Beratung solle dann nachmittags fortgesetzt werden11.

11

Siehe Dok. Nr. 558.

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