1.53.1 (bru3p): Baseler Verhandlungen

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Baseler Verhandlungen

Zu Beginn der Sitzung sprach der Reichskanzler Herrn Dr. Melchior seinen Dank aus, daß dieser sich erneut bereitgefunden hat, das verantwortungsvolle Amt eines Sachverständigen bei den kommenden Beratungen des Sonderausschusses des Young-Planes zu übernehmen1.

1

Melchior war von RbkPräs. Luther am 21.11.31 zum Mitglied des Beratenden Sonderausschusses ernannt worden (Schreiben des RbkPräs. an den RK vom 21.11.31 und WTB Nr. 2455 vom 22.11.31, R 43 I /331 , Bl. 182 und Bl. 165). Diese Besprechung über die personelle Zusammensetzung des Beratenden Sonderausschusses hatte StS Schäffer angeregt (Schreiben Schäffers an den RK vom 23.11.31, R 43 I /331 , Bl. 200).

Sodann wurden die Aufgaben des Sonderausschusses erörtert.

Reichsbankpräsident Dr. Luther teilte mit, daß man am vergangenen Tage in einer kurzen Vorbesprechung mit Dr. Melchior in der Reichsbank zu dem Ergebnis gekommen sei, daß der Ausschuß letzten Endes wohl nur die Aufgabe haben werde, den Wiggin-Layton-Bericht zu indossieren nach Hinzufügung gewisser Ergänzungen über die inzwischen eingetretene Verschlechterung der Verhältnisse. Zu einem praktischen Vorschlag werde der Ausschuß nicht kommen können, da er angesichts des vom Ausschuß festzustellenden Tatbestandes für die zu machenden umfassenden Vorschläge unzuständig sei. Ferner werde auch wohl das Komitee für die Stillhaltefragen zu keinem praktischen Ergebnis kommen. Herr Schlieper, der sich zur Zeit in England aufhalte, habe dort mit der englischen Gläubigergruppe Fühlung genommen. Die englische Gruppe beabsichtige, in London eine Art Vorkonferenz abzuhalten, mit dem Ziele, im Stillhaltekomitee einen möglichst starken Druck auf das Problem der politischen Schulden auszuüben. Das Komitee werde wohl zunächst mit einer Vertagung bis zum Vorliegen der Ergebnisse der Regierungskonferenz vorläufig enden. Das Schwergewicht der Entscheidung sowohl in der Schuldenfrage wie auch in der Reparationsfrage werde sich aller Voraussicht nach auf die Regierungskonferenz konzentrieren.

Aufgrund der eingehenden Aussprache kam man zu dem Ergebnis, daß der Baseler Ausschuß seine Aufgabe wesentlich weiter zu fassen habe, wie Dr. Luther dies zuvor umrissen hatte. Man war sich darüber einig, daß der Ausschuß selbst zu einem bestimmten Votum nicht werde kommen können. Der Ausschuß werde sich nicht als Wiederholung der Pariser Sachverständigenkonferenz2 ansehen können,[2004] da seine Zuständigkeit formell durch den Young-Plan begrenzt sei. Dagegen werde der Ausschuß den Tatbestand der Weltwirtschaftskrise und insbesondere der schwierigen wirtschaftlichen Lage in Deutschland möglichst umfassend feststellen und auch die Entscheidungsgründe für die von der politischen Konferenz zu fassenden Entschlüsse vorzubereiten haben. Der Ausschuß werde alle Fragen vorwegzunehmen haben, die auf der politischen Konferenz etwa auftauchen könnten, um zu verhüten, daß die politische Konferenz zur weiteren Vorklärung gewisser Tatbestände an einen Ausschuß vertagt werde.

2

Gemeint ist die Sachverständigenkonferenz, die im Sommer 1929 den Young-Plan vorgelegt hatte.

Der Reichskanzler betonte insbesondere, daß aus dem Bericht des Sonderausschusses sich möglichst fundiert die Unterlagen für die Schlußfolgerung ergeben müssen, daß die Verhältnisse in Deutschland eine Reparationszahlung für eine weite Zukunft dauernd unmöglich erscheinen lassen. Deutschland müsse jedenfalls versuchen, auf eine Endlösung abzukommen. Keinesfalls dürfe Deutschland in den Verhandlungen durchblicken lassen, daß wir uns evtl. mit der Verlängerung eines Moratoriums zufrieden geben würden. Der Layton-Bericht sei eine ausgezeichnete Vorarbeit, da dieser Bericht Deutschland kein Verschulden an seiner gegenwärtigen Lage zur Last lege3. Auf dieser Basis müsse weiter gearbeitet werden. Ob man allerdings erreichen könne, daß der Ausschuß die Feststellung treffe, daß die Reparationen die Hauptursache der Weltwirtschaftskrise und der deutschen Zahlungsunfähigkeit sei, sei fraglich. Wahrscheinlich werde man hinsichtlich dieser Feststellung auf den Widerstand der Franzosen stoßen.

3

Siehe Dok. Nr. 444 und Dok. Nr. 445.

Dr. Melchior meinte, man müsse die Frage, ob der Ausschuß zu einem sachlichen Votum kommen könne, zurückstellen, bis man übersehen könne, welchen Verlauf die Ausschußberatungen voraussichtlich nehmen würden.

Hiermit erklärte sich der Reichskanzler einverstanden mit dem Bemerken, daß man in die Ausschußberatungen jedesmal mit einem Maximalziel eintreten müsse, und daß man sich dann nach der taktischen Lage einrichten müsse. Jedenfalls müsse der Ausschuß die Arbeiten der politischen Konferenz weitestgehend präjudizieren.

Nachdem so das Aufgabengebiet des Ausschusses vorerörtert war, wurde die personelle Zusammensetzung des Ausschusses besprochen. Es wurde festgestellt, daß dem Ausschuß angehören werden:

für Amerika

Herr Stewart, Walter,

für Frankreich

Herr Rist, Charles,

für England

Herr Layton,

für Belgien

Herr Francqui,

für Italien

Herr Beneduce, Alberto,

für Japan

Herr Nohara.

Ferner steht fest, daß die vier übrigen Sitze zu entfallen hätten auf Schweden, die Schweiz, Holland und Jugoslawien. Für den schwedischen Vertreter sei man bezüglich der Persönlichkeit von Herrn Rydbeck bereits einig. Für die Schweiz komme in erster Linie in Frage Herr Sarazin. Im übrigen habe man sich informell dahin geeinigt, daß die Bestimmung der Person des Jugoslawen den Franzosen[2005] überlassen werden solle4 und uns dafür die Auswahl des Holländers. Da der Amerikaner Stewart den Vorsitz nicht übernehmen werde, werde der Vorsitz auf einen der Neutralen entfallen. Wenn man Herrn Sarazin in den Ausschuß hineinnehme, werde diesem wahrscheinlich der Vorsitz zufallen. Mit dieser Lösung werde man sich abfinden können. Für die Person des Holländers nannte Reichsbankpräsident Dr. Luther die Namen Bruins und Colijn.

4

Vgl. dazu Dok. Nr. 561, Anm. 1. Nach Nachl. Luther , Nr. 367, Bl. 26 war der Vorschlag, den Jugoslawen durch Frankreich und den Niederländer durch Dtld. zu berufen, aus Basel gekommen.

In der Aussprache war man allgemein der Auffassung, daß es sehr zu begrüßen sein würde, wenn Herr Colijn gewonnen werden könne. Bejahendenfalls werde Colijn auch als Vorsitzender des Ausschusses willkommen sein.

Staatssekretär Dr. von Bülow übernahm es, auf diplomatischem Wege wegen der Bereitwilligkeit Colijns zu sondieren.

Herr Dr. Melchior übernahm es, Herrn Rist über die deutsche Auffassung von der Vertretung der vorgenannten vier neutralen Länder fernmündlich zu unterrichten5.

5

Siehe Dok. Nr. 570. Aufzeichnungen über diese Sitzung auch in Schäffers Tagebuch vom 24.11.31, IfZ ED 93, Bd. 15, Bl. 1074–1080 und im Nachl. Luther , Nr. 367, Bl. 25–26.

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