1.77.1 (bru3p): Politische Lage.

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Politische Lage.

Der Reichskanzler bemerkte, daß er es für erforderlich erachte, im Kreis der Herren Minister die politische Lage besprechen, um Klarheit zu schaffen1. Gegen die Notverordnung würden in Opposition stehen: die Nationalsozialisten, die Deutschnationalen und auch nach dem Beschlusse der Volkspartei die Deutsche Volkspartei2. Die Umsatzsteuer werde voraussichtlich die Wirtschaftspartei veranlassen, gegen die Regierung zu stimmen3. Bei den Sozialdemokraten sei die Lage besonders schwer. Das Hitler-Interview4 sowie der Aufenthalt des nationalsozialistischen Abgeordneten Rosenberg in London5 habe die Lage in der sozialdemokratischen Partei besonders schwierig gestaltet. Was die Staatspartei angehe, könne er nur darauf hinweisen, daß die der Staatspartei nahestehenden Zeitungen in den letzten Tagen und Wochen der Regierung Brüning kritisch gegenübergestanden hätten6. Über die Haltung der Landvolkpartei könne er sich zur Zeit kein Urteil bilden. Die politische Lage sei jedenfalls so, daß man mit einem Abspringen der sozialdemokratischen Partei rechnen müsse7. Vielleicht könne man nach Erlaß der[2070] Notverordnung Zeit gewinnen. Würde der Reichstag erst im Januar zusammentreten, dann sei vielleicht infolge des Zeitablaufs eine bessere politische Atmosphäre gegeben.

1

Vgl. hierzu auch Luthers Tagebucheintrag vom 6.12.31, auszugsweise abgedruckt in Schulz, Politik und Wirtschaft, Dok. Nr. 381.

2

Die DVP-Fraktion hatte am 4. 12. beschlossen, im Ältestenrat für die Einberufung des RT zu stimmen, da die Wirtschaftspartei gegen die Einberufung stimmen würde. Die DVP-Fraktion nahm gegenüber der Reg. Brüning II eine schwankende Haltung ein; einerseits war die Mehrheit für ein Mißtrauensvotum gegen den RK, andererseits war sie gegen die Einberufung des RT (R 45 II /67 , S. 353; vgl. auch S. 346, S. 347 und S. 351).

3

Der RK hatte am 7.12.31, 18 Uhr mit den Abgg. der WP Mollath, Köster und Hermann eine Unterredung (Nachl. Pünder , Nr. 44, Bl. 175).

4

Hitler hatte am 4.12.31 vor den Berliner Vertretern der englischen und amerikanischen Presse ein Interview gegeben. Er hatte die Verantwortung für private Ausarbeitungen von Parteimitgliedern (vgl. Dok. Nr. 572) abgelehnt, in der Partei entscheide sein Wille allein. Er hatte sich entschieden gegen den Verdacht verwahrt, daß die NSDAP etwas mit dem Bolschewismus zu tun habe; eine Enteignung komme für sie nicht in Frage. Die kommerziellen Auslandsschulden Deutschlands erkenne seine Partei an; im übrigen werde eine nationalsozialistische Reg. nur das ausführen, wovon sie wisse, daß sie es ausführen könne. Die kommende Abrüstungskonferenz sei der Prüfstein für die Vernunft der ganzen Welt; Frankreich müsse seine Erpresserpolitik aufgeben und darauf verzichten, Deutschland als eine zweitklassige Nation zu behandeln: „Deutschland ist nicht Karthago, und Frankreich ist nicht Rom“ (Egelhaafs Historisch-politische Jahresübersicht für 1931, S. 148).

5

Der NSDAP-Abg. Alfred Rosenberg hielt sich Anfang Dezember in London auf. Nach den Berichten der DAZ hatte das lebhafte Interesse der brit. Zeitungen an Rosenberg Hitler zu seinem Interview veranlaßt (DAZ Nr. 561 vom 5.12.31 und DAZ Nr. 563 vom 6.12.31).

6

Zur Kritik der Staatspartei an der Regierungspolitik siehe Dok. Nr. 595.

7

Vgl. Dok. Nr. 597 und Nr. 601.

Der Reichsverkehrsminister führte aus, daß er die Auffassung des Herrn Reichskanzlers nicht ganz teilen könne. Er habe in den letzten Tagen mit verschiedenen Abgeordneten der Volkspartei und der Wirtschaftspartei gesprochen und dabei den Eindruck gewonnen, daß die oppositionelle Haltung nicht so stark sei wie der Herr Reichskanzler annehme. Im übrigen glaube er, daß die Reichsregierung noch gewisse Chancen habe, wenn man mit einer gewissen Offenheit die wirtschaftliche und finanzielle Lage klarstelle. Was die Linkspresse der Reichsregierung vorwerfe, sei, daß nach dem Hitler-Interview nichts veranlaßt worden sei. Es sei dringend geboten, daß der Reichskanzler in einer Runkfunkrede zum Hitler-Interview Klarheit schaffe8. Er habe auch mit dem sozialdemokratischen Abgeordneten Graßmann in letzter Zeit vielfach gesprochen und zu seinem Erstaunen feststellen können, daß Herr Graßmann die Situation ruhig beurteile, wenn auf dem Gebiete der Preisbindung etwas geschehe und der Regierungskurs klar herausgearbeitet werde9. Die Mittelparteien brächten der Regierung keine Gefahren. Er sei optimistisch eingestellt.

8

Der RK hielt am Abend des 8.12.31 eine programmatische Runkfunkrede über die Vierte NotVo.: Dok. Nr. 593, Anm. 4.

9

Vgl. Dok. Nr. 602.

Der Reichskanzler erwiderte darauf, daß er durchaus bereit sei, das Programm zu machen, er sich aber für verpflichtet halte, seine Ministerkollegen über die Situation zu unterrichten. Im übrigen möchte er nur feststellen, daß die Organisation der SA, wie sie in letzter Zeit durch verschiedene Meldungen bekannt geworden sei, außenpolitische Gefahren mit sich brächte.

Der Reichsarbeitsminister betonte, daß auch er mit Herrn Graßmann gesprochen habe und auch hier den Wunsch habe feststellen können, daß ein fester Regierungskurs nach außen hin in Erscheinung trete. Das sei nach seiner Meinung das Entscheidende. Im übrigen könne man die Rechtswelle nur brechen durch Erfolge auf außenpolitischem Gebiet. Die Zentrumspartei werde nach wie vor eine Mitregierung mit Hitler ablehnen10. Voraussetzung sei aber dafür vor allen Dingen, daß die Sozialdemokraten auch dem Zentrum gegenüber eine ruhigere Haltung einnehmen. Im übrigen müsse die Frage der Löhne politisch klar herausgestellt werden11. Die politische Situation sehe er so an, daß es zweifelhaft sei, daß das Landvolk für die Regierung stimmen würde, wenn die Wirtschaftspartei abspringe.

10

Zur Haltung des Zentrums gegenüber der NSDAP siehe Morsey, Protokolle, Fraktionssitzung vom 15.12.31, Dok. Nr. 689. Vgl. auch die entsprechende Äußerung des RK in Dok. Nr. 646.

11

Siehe die Rede Stegerwalds über die Vierte NotVo. auf einer Zentrumsversammlung in Münster am 8.12.31 (WTB Nr. 2585 vom 8.12.31, R 43 I /2375 , S. 779–783).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft legte dar, daß die Reichsregierung zur Zeit keinen festen politischen Boden unter ihren Füßen habe. Er glaube, daß es das richtigste sei, durch die Notverordnung ein sachliches Programm zu schaffen. Dann werde auch der Tiefpunkt für Deutschland überwunden sein. Aus einem solchen einwandfreien Programm werde sich die Rückwirkung von rechts her nach der Seite der Vernunft entwickeln. Die Landvolkpartei sei in der letzten[2071] Zeit hin und her geworfen worden, sie befände sich in einem wenig erfreulichen Zustande. Er glaube aber sagen zu können, daß das landwirtschaftliche Programm, soweit er es bisher in der Notverordnung sehe, einschließlich des Preissenkungsprogramms, auf die Landvolkpartei günstig wirken werde. Die starke Haltung Hugenbergs, die er in den letzten Tagen eingenommen habe, bedeute nur eine Stärkung nach außen. Nach ihm gewordenen Mitteilungen aus der Deutschnationalen Volkspartei sei die Stellung Hugenbergs im Innern nicht so stark, wie man allgemein annehme; sie sei sogar in letzter Zeit geschwächt worden.

Der Reichskanzler betonte noch einmal, daß auch er die Hoffnung habe, daß es möglich sein werde, das Programm durchzubringen.

Der Reichsverkehrsminister bemerkte hierzu, daß es vor allen Dingen darauf ankomme, nach außen zu zeigen, daß Reichskanzler und Reichsregierung für das Programm kämpfen werden. Die Leute im Volke wollen nur sehen und wissen, daß der Kanzler kämpft und sich nicht ohne weiteres unterkriegen läßt.

Der Reichsminister Schlange warf die Frage auf, ob es nicht zweckmäßig sei, mit der Auflösung des Reichstags zu drohen. Die Parteien im Reichstag hätten vor der Auflösung eine solche Angst, daß die Drohung mit der Auflösung die Position der Reichsregierung nur stärken könne. Keine Partei im Reichstag sei geneigt im gegenwärtigen Augenblick einen Wahlkampf zu riskieren.

Der Reichskanzler kam sodann auf die Rede Strassers zu sprechen, die er gestern gehalten habe. Die Rede Strassers müsse eingehend geprüft werden; sie erscheine ihm nicht ungefährlich12.

12

Der „Vorwärts“ hatte in seiner Ausgabe vom 6.12.31 aus der Rede Gregor Strassers in Stuttgart zitiert: „[…] Mit heißester Sehnsucht erwarten wir den Sturz Brünings, der unbedingt und auf jedem irgendwie möglichen Wege in nächster Zeit erreicht werden muß. Deshalb und solange bleibt auch die Harzburger Front bestehen […] Wir gehen in keine Regierung, wenn wir nicht das Heer und die Polizei in unsere Hände bekommen. Dann wollen wir dem deutschen Volke einmal etwas vorexerzieren. Wir wollen die legale, aber die Brachialgewalt im Staat, deshalb, weil wir für die nächsten Jahre sehr unpopuläre Dinge machen müssen. Wer nicht gehorcht, wird sehen, was mit ihm geschieht. Wir werden zeigen, was man mit der Presse und vor allem mit dem Rundfunk machen kann, wenn man die tausend Möglichkeiten der Regierungsgewalt in Händen hat. Wir werden die stärksten Beschützer des Privateigentums sein und möglichst wenig in die Wirtschaft hineinpfuschen, sondern jeden Unternehmer frei schaffen lassen, der nicht gegen das allgemeine Interesse verstößt. Marxisten und demokratische Republikaner gibt es, wenn wir regieren, nicht mehr. Wir werden ihnen einige Zeit zum Umlernen lassen. Wer sich zu irgendeiner Internationale bekennt, hört auf, Deutscher zu sein, und wer etwa ‚Heil Moskau‘ rufen sollte, wird aufgehängt. Komme uns ja keiner, wenn wir regieren, mit Mitleid. Wenn wir regieren, kommt der Endkampf, wenn wir versagen, kommt der Bolschewismus. Das wissen wir. Und weil wir wissen, daß dann wir gehenkt werden, sind wir so frei, vorher zu henken, und wenn wir bis an die Knöchel im Blut stehen müssen um Deutschlands willen, so haben wir es haben wollen. Entweder leben und befehlen wir, oder die anderen, dann krepieren wir […] Darum wollen wir ans Ruder. Wenn Frankreichs Macht wankt, werden wir die deutsche Volkskraft organisieren, um die Entwicklung im Kampf gegen Frankreich zu beschleunigen. Eine Verständigung mit Frankreich ist Wahnsinn. Es gilt nur Krieg mit Frankreich“. Vgl. auch Dok. Nr. 593.

Der Reichswirtschaftsminister habe ihm, dem Kanzler gegenüber, größte Bedenken gegen die Umsatzsteuer geäußert. Der Reichswirtschaftsminister sehe das ganze Programm gefährdet, wenn die Umsatzsteuer komme. Er, der Reichskanzler, sei infolgedessen noch einmal bereit, die Frage der Etatabdeckung – ohne Umsatzsteuer mit den Herren des Reichsfinanzministeriums zu besprechen.

[2072] Im Anschluß hieran trug der Reichswirtschaftsminister noch einmal seine Absichten über die Einführung einer Zwangsanleihe über die Reichsbahn vor13. Er bemerkte hierzu, daß in Ausführungen des bisherigen Programms die Steuern im Jahre 1932 stark sinken würden. Für diesen Fall müsse man sich unter allen Umständen die Umsatzsteuer reservieren. Er halte es daher für angezeigt, im gegenwärtigen Augenblick nicht auf der Erhöhung der Umsatzsteuer zu bestehen, sondern den von ihm bezeichneten Weg der Zwangsanleihe zu versuchen14.

13

Vgl. Dok. Nr. 588, P. 4 und Dok. Nr. 589.

14

StS Schäffer notierte hierzu in sein Tagebuch: „Trendelenburg erzählt mir, daß Warmbold erklärt hat, er trete zurück, wenn die Umsatzsteuer vor dem 1. VII. 32 erhöht würde. Er hat wiederholt auf die Zwangsanleihe als Möglichkeit hingewiesen. Der Kanzler sei auch etwas ängstlich, offenbar höre er von der Wirtschaftspartei und der Deutschen Volkspartei abmahnende Stimmen“ (Aufzeichnung vom 6.12.31, IfZ ED 93, Bd. 16, Bl. 1150–1151). Vgl. auch Dok. Nr. 596, Anm. 8.

Gegen die Zwangsanleihe wurden sowohl vom Reichsminister der Justiz wie vom Reichsminister der Finanzen grundsätzliche Bedenken geäußert, wobei der Reichsminister der Justiz zugab, daß die Umsatzsteuer eine letzte Reserve sei.

Reichsbankpräsident Dr. Luther führte aus, daß auch er anerkennen müsse, daß die Erhöhung der Umsatzsteuer Nachteile mit sich bringen werde. Aber auf der anderen Seite müsse er betonen, daß reparationspolitische Bedenken schwierigster Art bestünden, wenn man von der Erhöhung der Umsatzsteuer absehe. Im übrigen müsse er die Frage stellen: wie soll eine Zwangsanleihe aufkommen? Das arbeitende Kapital werde an Einnahmen um ein Viertel verringert durch die Zinssenkung15. Es sei kaum möglich, ein solches vermindertes Kapital zu Zwangsanleihe heranzuziehen. Er befürchte, daß das Geld im Wege der Zwangsanleihe gar nicht aufgebracht werden könne.

15

Vgl. hierzu Dok. Nr. 589 und Dok. Nr. 594, Anm. 17.

Der Reichsminister der Finanzen betonte, daß die sogenannten Objektbesitzer (Hausbesitzer, Landwirte und Bauern) wirklich nicht in der Lage seien, eine Zwangsanleihe zu zeichnen. Das habe zur Folge, daß die Zwangsanleihe nur aus dem Einkommen gezahlt werden könne, nicht aber auch dem Vermögen. Er sehe auch keine Möglichkeit, die Zwangsanleihe zu mobilisieren.

Der Reichswirtschaftsminister versuchte die Bedenken gegen seinen Plan der Zwangsanleihe zu zerstreuen und setzte u. a. auseinander, daß bei der Umsatzsteuer eine Milliarde aus der Wirtschaft herausgenommen werde. Das sei ein gefährliches Experiment, das sich später ungünstig auswirken werde. Die Erhöhung der Umsatzsteuer halte er nur für möglich, wenn der Reichsbankdiskontsatz gesenkt und das Kreditvolumen erweitert würde.

Der Reichsarbeitsminister betonte, daß er die Einwendungen des Herrn Reichswirtschaftsministers für sehr beachtenswert halte. Auf der anderen Seite müsse er aber zugeben, daß es nicht möglich sei, durch eine Zwangsanleihe den Etat auszugleichen. Im übrigen halte auch er es für sehr zweifelhaft, ob es möglich sein werde, im Wege der Anleihe den Betrag aufzubringen.

Ministerialdirektor Dr. Zarden, der inzwischen zugezogen wurde, trug die Bedenken gegen die Zwangsanleihe vor und legte u. a. dar, daß eine Zwangsanleihe das Vertrauen untergrabe. Die Zwangsanleihe müßte mindestens 6–700 Millionen aufbringen. Wenn man von den Einkommen ausgehe, werde sich die Zwangsanleihe[2073] auch nur als eine Erhöhung der Einkommensteuer auswirken müssen. In erster Linie komme wohl für die Zwangsanleihe als Maßstab das Vermögen in Frage. Die Vermögenssteuer habe aber einen Rückgang von etwa 25% gezeigt; sie habe bisher 125 Millionen gebracht und werde voraussichtlich jetzt nur noch 90–93 Millionen bringen, so daß es schon aus diesem Grunde nicht möglich sei, eine Zwangsanleihe vom Vermögen zu erheben. Nach außen hin werde die Auflage einer Zwangsanleihe als ein Verzweiflungsschritt ersten Ranges angesehen werden. Die Gelder würden nicht eingehen, und das bedeute eine schwere Niederlage für die Regierung. Im übrigen könne die Einzahlung der Zwangsanleihe auch nicht sofort erfolgen, zumal wenn man bedenke, daß die Einzahlung auf die Reichsbahnanleihe erst Anfang 1932 erfolge. Wenn vom Reichswirtschaftsminister dargelegt werde, daß durch die Zwangsanleihe dem Zeichner ein Gegenwert geschaffen werde, so solle er demgegenüber nur betonen, daß keiner im deutschen Volke an einen solchen Gegenwert glaube. An Hand der geschichtlichen Entwicklung legte Ministerialdirektor Zarden noch einmal dar, daß die Zwangsanleihe nichts bringen und die wirtschaftliche Entwicklung in keiner Weise fördern werde16.

16

Vgl. hierzu Dok. Nr. 589, Anm. 19.

Der Reichsminister der Finanzen führte in Anlehnung an die Ausführungen des Ministerialdirektors Zarden aus, daß er die Darlegungen des Ministerialdirektors Zarden voll und ganz teile. Auch sei er bereit, der Umsatzsteuer aus dem Wege zu gehen, wenn er einen anderen Lösungsweg sehe. Auch er erkenne an, daß die Umsatzsteuer eine neue Belastung bringe, die sich aber in den heutigen Zeitverhältnissen nicht vermeiden lasse. Bei dieser Gelegenheit bekämpfte der Reichsminister der Finanzen sehr scharf die von der Hauptverwaltung der Reichsbahn betriebene Reichsbahnpolitik. Es müsse unbedingt dafür Sorge getragen werden, daß die Reichsbahn eine Politik betriebe, die sich mit den Richtlinien der Reichsregierung in Einklang bringen lasse.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft glaubte, daß es nicht möglich sei, die Umsatzsteuer erst in den nächsten Monaten zu erhöhen. Man werde nicht herumkommen, sie schon jetzt einzuführen. Wenn man die Erhöhung der Umsatzsteuer hinausziehen wolle, so sei seiner Meinung nach der äußerste Termin der 1. März17.

17

Nach Schäffers Tagebuch sagte Schiele: „Die ganze Preispolitik geht kaputt, wenn wir jetzt die Umsatzsteuer zum 1. I. verhängen. Wenn wir auf den 1. III. gehen, hätte sich der Finanzminister schon einverstanden erklärt. Für zwei Monate wollte ich den Lohn- und Gehaltsempfängern den Betrag lassen“ (IfZ ED 93, Bd. 16, Bl. 1151).

Der Reichskanzler bemerkte hierzu, daß man das Preisniveau in die Höhe treiben werde, wenn man erst vom 1. März ab die Umsatzsteuer einführe. Im übrigen wies der Reichskanzler noch einmal auf die Senkung des Zinsniveaus hin und setzte auseinander, daß sich die Senkung sehr stark auswirken werde.

Der Reichsarbeitsminister betonte, daß der Plan des Reichswirtschaftsministers wirtschaftlich richtig gesehen sei, indem er eine längere Anlaufzeit für die Umsatzsteuer haben werde. Trotzdem sehe er aber keinen Weg, im gegenwärtigen Augenblick von der Erhöhung der Umsatzsteuer abzusehen. Würde man die Umsatzsteuer vom 1. Juli ab einführen, so würde das zur Zeit einen Ausfall von 450 Millionen bedeuten, das heiße also einen nicht ausgeglichenen Etat. Bei einem nicht ausgeglichenen[2074] Etat würde es aber bei den gegenwärtigen außenpolitischen Verhandlungen leicht dazu führen können, daß die Gegner eine Finanzkontrolle verlangen.

Am Schluß der Ministerbesprechung trug der Reichsbankpräsident noch einmal seine Bedenken gegen den Plan des Reichswirtschaftsministers vor und bemerkte, daß er keine andere Lösungsmöglichkeit sehe, als die Umsatzsteuer zu erhöhen18.

18

Hierzu auch Luthers Tagesbericht in Schulz, Staat und Wirtschaft in der Krise, Dok. Nr. 381.

Die Besprechungen sollen am morgigen Tage um 10 Uhr vormittags im kleinen Kreise fortgesetzt werden19.

19

Vgl. Dok. Nr. 592.

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