1.9.1 (bru3p): 1. Außerhalb der Tagesordnung: Schultheiss-Patzenhofer

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1. Außerhalb der Tagesordnung: Schultheiss-Patzenhofer

Über den Fall Schultheiß-Patzenhofer fand zunächst eine längere Aussprache statt1.

1

Am 23.10.31 hatte der Aufsichtsrat der Schultheiß-Patzenhofer AG bekanntgegeben, daß der Generaldir. der seit September 1930 mit Schultheiß fusionierten Ostwerke AG, Ludwig Katzenellenbogen, ohne Wissen des Konzerns Schultheiß-Aktien in Höhe von nominell 14,5 MioRM aufgekauft hatte; dieses Aktienpaket sollte die Schultheiß AG bis zum 1.1.34 übernehmen. Durch diese Spekulation hatte die Schultheiß-Patzenhofer AG einen Verlust von mindestens 30 MioRM erlitten. Katzenellenbogen war am 23. 10. aus dem Vorstand des Schultheiß-Konzerns ausgeschieden (DAZ Nr. 491–492 vom 25.10.31 und DAZ Nr. 493–494 vom 27.10.31). Die Stützungskäufe waren seit 1929 durch zwei Konsortien, das eine unter Führung der Danatbank, das andere unter der Commerzbank als leitender Bank, getätigt worden. Beide Konsortien hatten keinerlei Fühlung untereinander. Bei der Fusion der Schultheiß AG mit den Ostwerken im Jahre 1930 waren die durch den Aufkauf der Schultheiß-Aktien entstandenen Verluste nicht in Form von Rückstellungen in die Bilanz der Ostwerke AG aufgenommen worden. Die unvollständige Bilanz der Ostwerke AG war in den Prospekt aufgenommen worden, der zur Einführung von 25 Mio. neuer Stammaktien der Schultheiß-Patzenhofer-Brauerei im Februar 1931 veröffentlicht worden war. Der RKom. für das Bankgewerbe MinDir. Ernst stellte in seinem Bericht vom 3.11.31 fest, daß Commerzbank-Dir. Reinhart den Konsortialvertrag nicht unterzeichnet hatte, „sondern mit der Angelegenheit nur im gleichem Maße befaßt worden ist, wie die übrigen Direktoren der Commerzbank“ (R 43 I /1205 , Bl. 124–132, Zitat Bl. 127. Vgl. auch die Abschrift des Schreibens der Danatbank an den Rkom. für das Bankgewerbe vom 28.10.31 [R 43 I /1205 , Bl. 109–117]).

Reinhart war als Mitglied des Wirtschaftsbeirats vorgeschlagen worden: Brüning, Memoiren, S. 457.

Der Reichskanzler hatte gegen eine zögerliche Behandlung der Angelegenheit die stärksten Bedenken. Er wies auf die Wirkung in der Öffentlichkeit hin.

Auch der Reichsminister der Justiz hielt es für notwendig, daß die Untersuchung gegen die in Frage kommenden Personen mit aller Beschleunigung durchgeführt werden. Es handele sich um den Verdacht schwerer Delikte, Untreue von Aufsichtsratsmitgliedern, Bilanzverschleierung, unrichtige Darstellung in Prospekten. Preußen müßte darauf hingewiesen werden, daß ohne jede Schonung durchzugreifen sei. Er wolle mit dem Preußischen Justizminister in diesem Sinne verhandeln.

Solange das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren schwebe, halte er es für selbstverständlich, daß Personen, die in dieses Verfahren verwickelt sind, nicht vom Reichspräsidenten empfangen werden könnten.

[1842] Ministerialdirektor Dr. von Hagenow trug vor, daß er in den Vormittagsstunden mit Herrn Staatssekretär Dr. Weismann über die Frage der strafrechtlichen Untersuchung des Falles Schultheiß-Patzenhofer gesprochen habe. Staatssekretär Weismann habe mitgeteilt, daß die strafrechtliche Untersuchung bei der Staatsanwaltschaft Berlin in vollem Gange sei. Anscheinend lägen drei Strafdelikte vor:

a) Bilanzverschleierung,

b) Untreue,

c) Aufstellung eines falschen Prospektes.

Man neige der Auffassung zu, daß aus wirtschaftspolitischen Gründen mit Vorsicht vorgegangen werden müsse, da bei der Schultheiß-Brauerei die Gastwirte Guthaben in Höhe von 30 Millionen hätten. Im Hinblick auf die Pressemitteilungen seien bereits gestern 3 Millionen abgehoben worden. Würde man mit Voruntersuchung und Verhaftung gegen Katzenellenbogen vorgehen, so werde eine solche Mitteilung voraussichtlich zur Folge haben, daß die Guthaben bei den Brauereien abgefordert werden würden. Ob solche nicht unbeträchtlichen Abhebungen volkswirtschaftlich zu ertragen seien, erscheine den strafverfolgenden Behörden zweifelhaft.

Der Reichsminister der Finanzen fürchtete wirtschaftliche Schwierigkeiten bei einer Ausdehnung des Falles. Die Firma habe Depositen von Gastwirten in Höhe von 30 Millionen RM. Dringende Abhebungen dieser Gelder würden zwar aus Mitteln der Brauerei und der Banken gedeckt werden können. Die Beunruhigung könne aber weitergreifen. Im übrigen sei der Fall nach den authentischen Unterlagen, die ihm mitgeteilt worden seien, sehr kompliziert. Der Direktor der Deutschen Bank und Diskonto-Gesellschaft, von Stauss, soll angeblich die Firma angehalten haben, eine Garantie in eine Ausfallbürgschaft umzuwandeln. Die weitere Auswirkung der Angelegenheit sei nicht abzusehen. Es sei nicht sicher, ob die Staatsanwaltschaft werde durchgreifen können und ob das Material ausreichen werde. Er wolle keinen schonen. Reinhart und Goldschmidt hätten gewußt, wieviel Aktien von ihren Banken für das Konsortium bei den Ostwerken gekauft worden seien. Auf die Danatbank entfalle der doppelte Betrag der Ankäufe2 durch die Commerz- und Privatbank. Goldschmidt hätte darauf hinweisen müssen, daß 11 Millionen RM Schulden in der Bilanz angegeben seien, während außerdem noch 15 Millionen RM für aufgekaufte Aktien zu zahlen waren.

2

Die Danatbank hatte Schultheiß-Aktien in Höhe von nominell 9,3 MioRM gekauft (Abschrift des Schreibens der Danatbank an MinDir. Ernst vom 28.10.31, R 43 I /1205 , Bl. 109–117, hier Bl. 110).

Staatssekretär Dr. Meissner wies darauf hin, daß Direktor Reinhart eine Erklärung habe abgeben lassen, daß ihn keine Schuld treffe. Das Konsortium sei ihm unbekannt gewesen. Eine Untersuchung durch die Banken werde die Unrichtigkeit der Beschuldigungen klarstellen. Er sei getäuscht worden.

Nachdem auch der Reichsverkehrsminister seiner Meinung dahin zum Ausdruck gegeben hatte, daß Reinhart an der Sitzung des Beirats nicht teilnehmen könne, sagte Staatssekretär Dr. Meissner zu, er werde mit Reinhart vereinbaren, daß er seine Nichtteilnahme an den Sitzungen des Wirtschaftsbeirats entschuldigen solle, bis das Ergebnis der Untersuchung vorliege.

[1843] Der Reichskanzler berichtete, daß Direktor von Stauss ihm erklärt habe, der Staatsanwalt müsse in der Angelegenheit eingreifen.

Das Reichskabinett war damit einverstanden, daß der Reichsminister der Justiz über rasches und durchgreifendes Verfahren in der Angelegenheit verhandelt und daß Staatssekretär Dr. Meissner mit Direktor Reinhart gemäß seinem Vorschlage spricht3.

3

Zur Fortsetzung der Beratungen über diese Angelegenheit siehe Dok. Nr. 541, P. 3.

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