1.151 (bru3p): Nr. 665 Vermerk des Staatssekretärs Pünder vom 6. Februar 1932

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Nr. 665
Vermerk des Staatssekretärs Pünder vom 6. Februar 1932

R 43 I /583 , Bl. 238–240

Betrifft: Reichspräsidentenwahl

Gestern abend waren dem Herrn Reichskanzler seriöse Nachrichten zugegangen, wonach die sogenannte nationale Opposition ausgerechnet die Tage seiner Anwesenheit in Genf dazu benutzen wollte, um zu einem letzten politischen Streich[2279] gegen die Regierung Brüning auszuholen1. Den Herrn Reichskanzler quälte daher die doppelte Sorge, ob er in einem solchen Falle überhaupt wirksam in Genf als der Verfechter der deutschen Abrüstungsthese auftreten könne, und ob er nicht angesichts einer solchen politischen Zuspitzung der Lage überhaupt besser in Berlin bliebe. Da für heute mittag als letzte Vorbereitung der Genfer Rede ein Vortrag des Herrn Reichskanzlers beim Herrn Reichspräsidenten vorgesehen war, hatten wir heute früh eine politische Besprechung in demselben Kreise, wie auch in den letzten Monaten mehrmals2, arrangiert, an der außer dem Herrn Reichskanzler und mir Exzellenz Groener mit General von Schleicher und die Staatssekretäre Meissner und von Bülow teilnahmen.

1

Das Dok. auch in Schulz, Politik und Wirtschaft in der Krise, Dok. Nr. 421. Der RK nahm vom 6. 2.–10.2.32 an der Eröffnung der Genfer Abrüstungskonferenz teil (Schultheß 1932, S. 23).

2

Vgl. Dok. Nr. 626 und Dok. Nr. 646.

Der Herr Reichskanzler entwickelte in dieser Besprechung, ohne selber abschließend Stellung zu nehmen, seine Sorgen und schilderte die Lage für die Reichsregierung als nach seiner Meinung nicht mehr länger erträglich. Nach seiner Auffassung müsse möglichst bald Klarheit in der Frage der Reichspräsidentenwahl geschaffen werden, da jeder weitere Tag zu einer Abnutzung der Autorität der Reichsregierung und schließlich auch des Herrn Reichspräsidenten beitrage. Wenn der Herr Reichspräsident noch sehr lange mit seiner endgültigen Entscheidung über Annahme der Kandidatur warte3, könnten sehr schwierige Situationen entstehen. Die Forderungen der extremen Rechten würden sicher steigen, und schließlich könnte eine Lage eintreten, in der es dem Herrn Reichspräsidenten überhaupt unmöglich werde, die Kandidatur noch anzunehmen. Er werde die Sorge nicht los, daß über der ganzen Angelegenheit schließlich noch das Wort „zu spät“ stehen könne.

3

Vgl. hierzu das Schreiben des RPräs. über die Bedingungen zur Annahme seiner Kandidatur in Brüning, Memoiren, S. 518 f.

An diese Ausführungen des Herrn Reichskanzlers, die, wie erwähnt, nur vorläufige Überlegungen und noch keine abschließende Stellungnahme bedeuteten, schloß sich eine eingehende Aussprache. Schließlich waren wir alle der Überzeugung, daß eine Absage der Reise des Herrn Reichskanzlers nach Genf nicht in Betracht komme. Gerade umgekehrt würde eine solche Absage als eine Schwäche der Reichsregierung ausgelegt werden. Wenn wirklich während der Anwesenheit des Herrn Reichskanzlers in Genf die Rechtsopposition einen Schlag gegen die Regierung wagen sollte, so würde sich dieser Pfeil schließlich nur gegen den Schützen selber richten; das deutsche Volk würde in seiner überwältigenden Mehrheit für eine solche Art heimtückischer Politik kein Verständnis haben, daß gerade diejenigen, die fortgesetzt von der nationalen Würde Deutschlands sprechen, in einem Augenblick, wo die Regierung in Verteidigung dieser nationalen Grundrechte sozusagen vor dem Feind stände, ihr hinterlistig in den Rücken fielen.

 

Was die Entscheidung des Herrn Reichspräsidenten über Annahme der Kandidatur angeht, ging die Auffassung unserer heutigen Besprechung dahin, daß allerdings eine baldige Entscheidung an sich erwünscht sei. Nur dürfe man die Angelegenheit nicht zu sehr forcieren, da der Herr Reichspräsident im Augenblick beim besten Willen noch schwer etwas sagen könne. Vor allem wurde auch darauf hingewiesen,[2280] daß der „Stahlhelm“ den Herrn Reichskanzler um eine Erstreckung der Erklärungsfrist bis zum 9. d. Mts. gebeten hatte4. Es sei also zweckmäßig, die Rückkehr des Herrn Reichskanzlers am Mittwoch nachmittag nächster Woche abzuwarten. Insbesondere ging die Auffassung von Exzellenz Groener und von General von Schleicher dahin, daß unsere Front nicht zermürbt sei, sondern im Gegenteil die Situation sich von Tag zu Tag bessere. Die im Anfang nicht sehr glücklich gestartete Sahm-Aktion habe jetzt den richtigen Drall bekommen5. Auch Staatssekretär Meissner betonte, daß der Herr Reichspräsident in keiner Weise zermürbt, sondern fortgesetzt zuversichtlicher geworden sei, nicht zuletzt durch die sich dauernd steigernden Zuschriften und Aufrufe.

4

Siehe das folgende Dok. Nr. 666.

5
 

Die Aktionen des Sahm-Ausschusses waren vor allem von den Rechtsparteien scharf kritisiert worden: Material hierzu im Nachl. Pünder  Nr. 97, Bl. 171–175 und R 43 I /585 , Bl. 70. Den Beitritt zum Sahm-Ausschuß hatten der Präsident des RdI, Krupp v. Bohlen und Halbach (Abschrift seines Schreibens an OB Sahm vom 30.1.32 im Nachl. Pünder Nr. 97, Bl. 167) und die Kardinäle Bertram und Faulhaber abgelehnt: Nachl. Pünder Nr. 97, Bl. 150–151).

Im Anschluß an unsere heutige Besprechung suchte der Herr Reichskanzler 12 Uhr mittags den Herrn Reichspräsidenten auf. Die Besprechung verlief außerordentlich harmonisch und währte etwa ¾ Stunden. Der Herr Reichskanzler legte dem Herrn Reichspräsidenten dar, daß die gesamte politische Lage eine baldige Entscheidung verlange6. Viele bedeutsame Aktionen, die die Reichsregierung auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiete sich vorgenommen habe, könnten in solchen Wochen der Unsicherheit nicht gefördert und erledigt werden. Er bitte daher den Herrn Reichspräsidenten, nach seiner, des Reichskanzlers, Rückkehr aus Genf Ende nächster Woche seine endgültige Entscheidung treffen zu wollen. Der Herr Reichspräsident erklärte, daß er die Gründe des Herrn Reichskanzlers durchaus würdige und es selber sehr begrüßen würde, wenn er sich Ende kommender Woche endgültig erkläre könne, wenn er dies auch naturgemäß im Augenblick noch nicht fest versprechen könne. In diesem Zusammenhange erklärte der Herr Reichskanzler erneut, daß er zum Rücktritt sofort bereit sei, da, wie mehrfach dargelegt, die Wiederwahl des Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg und eine Vermeidung einer radikalsozialistischen Reichspräsidentschaft viel wichtiger sei als ein Fortbestand der gegenwärtigen Regierung. Der Herr Reichspräsident lehnte aber, wie der Herr Reichskanzler mir sofort nach seinem Vortrag erzählte, den Gedanken eines etwaigen Rücktritts der Reichsregierung mit deutlichen Handbewegungen energisch ab und äußerte sich dahin, daß es solche Forderungen und Bedingungen seitens einzelner politischer Gruppen ihm gegenüber nicht geben dürfe7.[2281] In diesem Zusammenhange unterließ der Herr Reichskanzler pflichtgemäß nicht die Bemerkung, daß er und das Zentrum einer solchen politischen Neuorientierung in keiner Weise hinderlich im Wege stehen wollen, daß aber eine Beteiligung seiner Person und seiner Partei an einer solchen Regierung unter keinen Umständen in Betracht kommen könne8.

6
 

Der Pressechef der Pr.Reg., MinR Goslar, forderte OB Sahm im Auftrag des Pr.MinPräs. in einem Schreiben vom 9.2.32 auf, „nicht einen Tag länger“ zu warten, „um dem Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg die neue Kandidatur anzubieten. Es muß unbedingt vermieden werden, daß von der äußersten Rechten her – was jeden Tag trotz aller Zwistigkeiten doch noch ganz unerwartet kommen kann – ein Kandidat zuerst nominiert wird. Es besteht dann die Gefahr, daß Herr Präsident von Hindenburg, insbesondere, wenn es sich um einen alten Offizier, etwa Lietzmann oder soweiter handelt, seine Gegenkandidatur nicht mehr aufstellen will, während er jetzt als erster Kandidat nach dem persönlichen Eindruck, den der Herr Ministerpräsident vor einigen Tagen in einer Aussprache mit ihm gehabt hat, höchst wahrscheinlich seine Zustimmung zur sofortigen Nominierung als Präsidentschaftskandidat geben würde“ (Abschrift im Nachl. Pünder  Nr. 97, Bl. 134–135, Zitat Bl. 134). Vgl. auch Dok. Nr. 657.

7

Vgl. Dok. Nr. 646. Zu den Befürwortern des Rücktritts gehörte das frühere MdR (DVP) Albrecht Graf von Stolberg-Wernigerode in einem Schreiben vom 21.2.32 an den RK: „Wenn man sieht, wie alle die, die gesinnungsmäßig naturgemäß näherstehen, als die links eingestellten Parteien, gegen die Kandidatur des hochverehrten Herrn Reichspräsidenten Stellung nehmen, so kann man nur sagen, daß er in eine für ihn ganz unmögliche Lage gebracht worden ist. Sie, Herr Reichskanzler, haben immer wieder mit Recht betont, welche ungeheure Bedeutung die Person des Herrn Reichspräsidenten besonders für unsere Stellung dem Auslande gegenüber hat. Sie, Herr Reichskanzler, sind der einzige, der es im Augenblick in der Hand noch hat, seine Stellung im Inneren gegen gehässige Agitation mit seinem Namen zu schützen, und zwar indem Sie sofort Ihren Rücktritt erklären, noch ehe die anderen einen Gegenkandidaten aufgestellt haben. Nur ein Kanzler von der überragenden Bedeutung Bismarcks hatte das Recht, sich für unentbehrlich zu erklären und zu halten. Fassen Sie also den mannhaften Entschluß, das sind Sie dem Herrn Reichspräsidenten, gerade weil er sich in den schweren Kämpfen der letzten Jahre vor Sie gestellt hat, schuldig“ (R 43 I /585 , Bl. 116; das Schreiben wurde von der Rkei nicht beantwortet).

8

Vgl. auch Dok. Nr. 646, Anm. 11.

Dieser Teil der Aussprache wurde aber nicht vertieft, da der Herr Reichspräsident, wie gesagt, energisch betonte, daß er Forderungen und Bedingungen, wenn sie etwa von Herrn Hitler oder Herrn Hugenberg oder sonstwoher anläßlich seiner Wiederwahl kommen sollten, von vornherein ablehnen würde. Im übrigen hatte der Herr Reichskanzler den Eindruck, daß der Herr Reichspräsident wohl im Augenblick selber noch nicht ganz klar sehe, wohin seine endgültige Entscheidung gehen werde.

Abschließend wurde verabredet, daß Ende nächster Woche ein erneuter Vortrag des Herrn Reichskanzlers beim Herrn Reichspräsidenten stattfinden solle9.

9

Vgl. Dok. Nr. 673.

Inzwischen habe ich Herrn Präsidenten Löbe schriftlich mitgeteilt, daß die Reichsregierung sich den Wahltermin am Sonntag, den 13. März, dächte. Bei dieser Mitteilung habe ich ihm die Entscheidung anheimgegeben, ob wegen Herbeiführung eines solchen Reichstagsbeschlusses eine vorzeitige Einberufung des Reichstags noch erforderlich erscheine. Nach meiner Meinung ist das nicht der Fall10.

10

Vgl. Dok. Nr. 672, Anm. 4.

Pünder

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