1.214 (bru3p): Nr. 728 Staatssekretär Pünder an den Reichskanzler in Genf. 27. April 1932

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[2470] Nr. 728
Staatssekretär Pünder an den Reichskanzler in Genf. 27. April 1932

Nachl. Pünder Nr. 680 Durchschrift

Betrifft: Innenpolitische Lage nach den Landtagswahlen vom 24. April 1932

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Soeben lese ich im WTB, daß Herr Tardieu wegen Krankheit nun doch nicht mehr nach Genf kommt. Vielleicht ändern sich dadurch doch noch Ihre Reisedispositionen in Richtung einer früheren Abfahrt. Trotzdem will ich versuchen, Ihnen noch vor Antritt der Reise ein kleines Stimmungsbild über meine Auffassung zur politischen Lage, wie sie sich mir aufgrund der Landtagswahlen darstellt, zukommen zu lassen.

Wer nüchtern die Zahlen der vorangegangenen Wahlen1 auf sich wirken ließ, mußte absolut damit rechnen, daß in Preußen bis zu 164 Nationalsozialisten gewählt werden könnten. Nur wer sich in optimistische Utopien verrannt hatte, ist nach dieser Richtung durch die Wahlen enttäuscht. Andererseits war zweifellos eine große Enttäuschung das völlige Fiasko der bürgerlichen Mittelgruppen. Dabei ist die zahlenmäßige Auswirkung bei den abgegebenen Stimmen noch nicht einmal so schlimm wie die Auswirkung auf die Abgeordnetenzahl. In Wirklichkeit sind ja durch die unglückselige Zersplitterung und ungenügende Listenverbindung 1½ bis 2 Millionen wertvollster bürgerlicher Mittelstimmen vollkommen ins Leere gefallen2. So traurig diese Entwicklung für manche wertvolle Bewegung, wie etwa die des Christlichen Volksdienstes, auch ist, so hat sie naturgemäß auch ihre guten Seiten. Wie ich bereits Herrn Planck gestern abend fernmündlich erzählte, habe ich dies deutlich in der gestrigen Ältestenratssitzung und den anschließenden politischen Einzelbesprechungen merken können. Für Wirtschaftspartei, Landvolk, Christlichen Volksdienst wäre es ja politischer Selbstmord, wenn sie der Reichsregierung Brüning die Gefolgschaft endgültig aufsagen wollten. Mit Herrn Abgeordneten Simpfendörfer habe ich, zumal ich glaubte, damit besonders in Ihrem Sinne zu handeln, sehr eingehend gesprochen. Er ist natürlich bedrückt, aber in keiner Weise gewillt, die Flinte ins Korn zu werfen. Wegen des SA-Verbots3 wird mit ihm oder vielleicht mehr noch mit dem einen oder anderen seiner politischen Freunde vor oder bei Gelegenheit der bevorstehenden Pfingst-Tagung des Reichstags zu sprechen sein; ich halte es dann für vollkommen ausgeschlossen, daß politische Schwierigkeiten dort eintreten werden. Auch die Deutsche Volkspartei hat nach[2471] meinen Beobachtungen augenblicklich kein großes Interesse an der Annahme eines Mißtrauensvotums in der Maitagung4. Im übrigen ist naturgemäß in dieser Maitagung5 abermals mit Mißtrauensvoten, Anträgen auf Auflösung des Reichstags und ähnlichen schönen Dingen zu rechnen6. Die Tagung wird voraussichtlich vier Tage dauern, und in Anknüpfung an die Erörterung über das Schuldentilgungsgesetz wird sich eine große politische Debatte entwickeln. Mit Herrn Minister Dietrich habe ich einstweilen verabredet, daß er die Debatte mit finanzpolitischen Ausführungen eröffnen wird; auch für die Debatte steht er zur Verfügung7. Ob sich eine Notwendigkeit für Sie, hochverehrter Herr Reichskanzler, ergeben wird, auch selber einzugreifen, kann man im Augenblick noch nicht übersehen8. Ich halte es aber für durchaus möglich.

1

Zu den Ergebnissen der RPräs.-Wahlen vom 13. 3. und 10.4.32 siehe Dok. Nr. 696, Anm. 1 und Dok. Nr. 715, Anm. 1.

2

Die LT-Wahl in Preußen am 24.4.32 brachte im Abg.-Haus folgende Sitzverteilung: NSDAP 162 (bisher 9), SPD 94 (137), Zentrum 67 (71), KPD 57 (48), DNVP 31 (71), DVP 7 (40), DtStP 2 (22), ChrSVD 2 (4), Dt.-Hannoversche Partei 1 (5), WP 0 (16), Landvolk 0 (12), Sozialistische Arbeiterpartei 0 (3), Volksrechtspartei 0 (2): Schultheß 1932, S. 69; vgl. auch das amtliche Ergebnis im Reichsanzeiger und Pr. Staatsanzeiger Nr. 117 vom 21. 5 32, auch in Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1810.

3

Vgl. Dok. Nr. 714 und Dok. Nr. 716.

4

Zur Haltung der DVP vgl. den Rundbrief des DVP-Vors. Dingeldey vom 25.4.32 in Schulz, Politik und Wirtschaft in der Krise, Dok. Nr. 479.

5

Reichstagstagung vom 9.–12.5.32.

6

Vgl. die Mißtrauensanträge der NSDAP (Drucks. Nr. 1153), DNVP (Drucks. Nr. 1157) und KPD (Drucks. Nr. 1161: RT-Bd. 451 ).

7

Rede des RFM im RT am 9.5.32, RT-Bd. 446, S. 2468 –2473.

8

Vgl. die Rede des RK am 12.5.32, RT-Bd. 446, S. 2593 –2603, siehe auch Dok. Nr. 745, Anm. 4.

Was nun die spezifisch preußischen Dinge angeht, so wäre die Annahme völlig falsch, daß die preußischen Machthaber die Tendenz hätten, das gegenwärtige dortige Regime zu galvanisieren. Wenn es auch noch heute da und dort böswillig in der Presse behauptet wird, ist es völlig unwahr. Dies geht ja auch schon deutlich aus dem gestrigen Beschluß des Preuß. Staatsministeriums hervor. Wie ich Ihnen schon vertraulich berichten durfte, ist insbesondere Herr Ministerpräsident Braun der Auffassung, daß nur im äußersten Notfalle eine geschäftsführende Regierung die Dinge in Preußen weiter leiten dürfe, und selbst für diesen Fall ist er nicht bereit, dann noch sein Amt weiterzuführen.

Ganz entscheidend wird es naturgemäß auf die Haltung des Zentrums ankommen. Die Stellung des Zentrums ist, wie wohl noch nie in der deutschen und preußischen Verfassungsgeschichte der letzten Dezennien, ungeheuer stark. Es wäre deshalb geradezu verantwortungslos, wenn das Zentrum leichtfertig den Staatsapparat in andere Hände gleiten ließe, ohne daß bis zum letzten I-Tüpfelchen die erforderlichen verfassungsmäßigen Garantien geschaffen wären. Über diese Dinge habe ich in den letzten Tagen mich mehrfach mit Herrn Dr. Vockel unterhalten, der seinerseits natürlich auch Fühlung mit anderen Herren aufgenommen hatte. Die Verhandlungsbereitschaft wird nicht nur stark betont, sondern ist auch wirklich ehrlich gemeint. Dieser ehrliche Wille darf aber nicht in leichtfertige Gutmütigkeit ausarten. Herr Prälat Kaas hat mich aus Trier mehrfach angerufen und wird morgen früh nach seiner Ankunft in Berlin mich hier aufsuchen. Er ist mit dem Arrangement hinsichtlich der Sonnabend-Tagung sehr einverstanden, insbesondere auch damit, daß wegen Ihrer etwaigen Behinderung die Tagung evtl. am Sonntag festgesetzt werden muß. Außer Ihnen und ihm werden voraussichtlich teilnehmen die Herren Beyerle, Esser, Kaiser, Fürst Löwenstein, Stegerwald, Wirth, Marx, Frl. Dr. Wingerath, Föhr, Raestrup, Hirtsiefer, Joos, Mönnig, Frl. Weber, Bolz, Ersing, Hoffmann[2472] (Hessen) und Reinke (Oldenburg)9. Entgegen anderslautenden Pressestimmen ist festzustellen, daß bisher irgendwelche Fühlungnahmen mit der Zentrumspartei von anderen Parteien noch in keiner Weise unternommen worden sind.

9

Der RK nahm nach seiner Rückkehr aus Genf am 30.4.32 morgens gegen Mittag an der Sitzung des geschäftsführenden Vorstandes der RT-Fraktion des Zentrums teil (Nachl. Pünder , Nr. 44, Bl. 33).

Interessant war mir gestern ein längeres Gespräch mit dem bekannten politischen Leiter der Redaktion der „Vossischen Zeitung“, Herrn Max Reiner, der es für eigentlich selbstverständlich hielt, daß, wenn irgend möglich, ein Arrangement zwischen Zentrum und Nationalsozialisten zustande kommen müsse. In dem Gespräch war ich derjenige, der bremsen mußte und auf die absolut notwendige Sicherung unverrückbarer Grundsätze künftiger Regierungspolitik hinwies. Herr Reiner glaubte, daß die Führer der Sozialdemokraten, nicht zuletzt auch Herr Ministerpräsident Braun, gerade vom Standpunkt der wohlverstandenen Grundsätze der Demokratie für eine solche Entwicklung volles Verständnis haben würden. Man muß sich natürlich darüber klar sein, daß die Auswirkungen auf die Reichspolitik selbstverständlich nicht ausbleiben werden. Selbst wenn die Sozialdemokraten Verständnis für einen politischen Wandel in Preußen haben sollten, kann man unter keinen Umständen annehmen, daß sie die bisherige a latere-Stellung im Reiche dann noch weiter behalten sollten. Gerade bei diesem Punkt werden aber die Schwierigkeiten der kommenden politischen Verhandlungen einsetzen, da ich mir einstweilen noch nicht vorstellen kann, wie die Nationalsozialisten in den großen Grundfragen der deutschen Politik auf innen- und außenpolitischem Gebiet der erforderlichen Garantien geben könnten und wollten. Gerade weil dies der schwierigste Punkt ist, darf in Bezug auf ihn kein Helldunkel übrig bleiben.

Zwischen allen Stühlen sitzt Herr Geheimrat Hugenberg. Wenngleich er im Gegensatz zu den übrigen bürgerlichen Rechtsparteien mit seinen 30 Abgeordneten noch mit einem leidlich blauen Auge davongekommen ist, ist seine Fraktion im Landtag zu völliger Bedeutungslosigkeit verurteilt. Diese Feststellung wird überall anerkannt, nicht zuletzt auch in den Redaktionsstuben der Scherl-Presse. Dort ist infolgedessen auch der eigentümliche Plan entstanden, es müßte zu baldiger Klärung der politischen Verhältnisse jetzt mit Beschleunigung noch der alte Landtag zusammenberufen werden. Ziemlich deutlich wurde dabei ausgesprochen, es müsse im alten Landtag nach dem Muster der englischen Regierung MacDonald10 eine Regierung auf überparteilicher Grundlage gebildet werden, die sich aber in loser Form auf einen Block von den Deutschnationalen bis zu den Sozialdemokraten stützen müsse. Die Regierung, die im alten Landtag eine riesige Mehrheit gehabt hätte, müsse alsdann vor den neuen Landtag treten. Wenn sie dort auch ein Mißtrauensvotum bekomme, würde sie dann als geschäftsführende Regierung die Geschäfte weiterleiten. Dieser pfiffige Plan hat aber außer in den erwähnten Redaktionsstuben und ähnlichen Konventikeln keinen rechten Beifall gefunden. Immerhin wird man bei den weiteren Verhandlungen mit Gegenminen von dortiger Seite unbedingt rechnen müssen.

10

Vgl. Dok. Nr. 475, Anm. 3.

[2473] Beobachtung verdient auch eine gewisse Bewegung auf dem entgegengesetzten Flügel. Ausgehend von der russischen Sowjet-Presse sind gewisse Anbiederungsversuche bei den Sozialdemokraten zu beobachten. Von der sozialdemokratischen Presse sind sie nicht rundweg abgelehnt worden, wenngleich man eine starke Skepsis zeigt.

Wenn ich zum Schluß dieses innerpolitischen Kapitels noch erwähnen darf, daß die Bayerische Volkspartei mit Recht außerordentlich stolz auf ihre großen Erfolge ist und sich infolgedessen als absolute Beherrscherin der Lage in Bayern fühlt, kann ich damit meine heutigen innenpolitischen Betrachtungen schließen11.

11

Die LT-Wahl in Bayern hatte folgendes Ergebnis: BVP 45 (bisher 46), NSDAP 43 (9), SPD 20 (35), Bauernbund 9 (17), KPD 8 (3), DNVP 3 (13), DVP 0 (4): Schultheß 1932, S. 69.

Hinsichtlich unserer Reichspolitik darf ich hervorheben, daß der gestrige Vortrag von Exzellenz Groener bei dem Herrn Reichspräsidenten außerordentlich harmonisch verlaufen ist. Die beiden Herren waren unter vier Augen 2¾ Stunden sehr gemütlich beisammen und haben naturgemäß auch von den alten Zeiten gesprochen12. Da von vornherein, wie ja bereits der Vortrag von Exzellenz Groener bei Ihnen am Sonntag ergeben hatte13, der Zweck des gestrigen Besuchs nicht eine konkrete Entschließung war, ist das mehr persönliche und stimmungsgemäßige naturgemäß von sehr großer Bedeutung. Sachlich hat Exzellenz Groener übernommen, im Sinne des Ihnen erstatteten Vortrags einen Modus auszudenken, durch den die mit dem bekannten Präsidialbrief begonnene neue Aktion ein sichtbares und zufriedenstellendes Ende erfährt. So sehr die persönlichen Beziehungen der beiden hohen Herren durch die gestrige eingehende Aussprache verbessert worden sind, so ist das Verhältnis im Reichswehrministerium nach wie vor nicht mehr das alte. Persönlich ist alles in Ordnung, aber die leitenden Herren, mit denen ich in den letzten Tagen in großer Harmonie und Offenheit gesprochen habe, sind doch der Meinung, daß mit der Zeit eine Änderung eintreten müsse. Persönlich möchte ich die Hoffnung keineswegs aufgeben, daß sich auch diese Auffassung wieder ändern wird.

12

Der Vortrag Groeners beim RPräs. fand am 26.4.32 statt: vgl. die Gesprächsunterlagen des Büros des Reichspräsidenten vom 26.4.32 in Schulz, Politik und Wirtschaft in der Krise, Dok. Nr. 481 und Schultheß 1932, S. 69 f.

13

Vgl. Brüning, Memoiren, S. 546–552.

Neben diesen großen politischen Dingen gehen die sachlichen Vorarbeiten der Ressorts gut vorwärts. Ich glaube, daß bald nach Ihrer Rückkehr das Kabinett die noch ausstehenden letzten Entschließungen über Reichshaushaltsplan, sozialpolitische Reformen, Siedlung, Prämienanleihe und sonstige Wirtschaftsankurbelung sowie Arbeitsdienst in der nächsten Woche bald treffen kann. Wenn wir diese Dinge sachlich und in der Form gut herausbringen, verspreche ich mir davon doch einen recht großen psychologischen Auftrieb. Ob wirtschaftlich sehr viel herausspringen wird, muß man nach dem amerikanischen Beispiel wohl etwas skeptischer beurteilen14. Aber das rein wirtschaftliche darf in den heutigen wirren Zeiten nicht allein ausschlaggebend sein.

14

Vgl. Dok. Nr. 644, Anm. 10.

Heute habe ich im Preußischen Innenministerium unter Vorsitz des Herrn Ministers Severing und zahlreicher sonstiger Beteiligung an einer Sitzung über Sanierung der Rheinischen Landesbank teilgenommen, wobei ich Ihr persönliches starkes[2474] Interesse an einer positiven Lösung mehrfach unterstrichen habe15. Trotz größten und vielleicht sachlich nicht ganz unberechtigten Widerstands der Reichsbank glaube ich, daß wir doch noch zu einem guten Ende kommen. Herr Landeshauptmann Horion war auch da und dürfte wohl keinen Anlaß haben, nach Rückkehr ins Rheinland in stark kritischer Weise über Berlin und dortiges mangelndes Verständnis zu referieren.

15

Vgl. Dok. Nr. 756.

Daß der Reichsbank-Diskont erneut um ½% gesenkt werden konnte, werden Sie gelesen haben16. Wenngleich die Entlastung der Reichsbank wirtschaftlich naturgemäß teilweise auch in gewisser Beziehung mit dem Kirchhofsfrieden der deutschen Wirtschaft zusammenhängt, hat diese abermalige Senkung doch auch ihre guten Seiten.

16

Der Diskont wurde von 5½% auf 5% und der Lombard von 6½ auf 6% gesenkt (Schultheß 1932, S. 70).

Ihre bedeutsamen Verhandlungen in Genf werden von ganz Deutschland mit höchstem Interesse verfolgt. Eigentlich überall begegnet man instinktiv der festen Überzeugung, daß diese Ihre Besprechungen mit den übrigen leitenden Männern der Erde für Deutschland von großer Bedeutung sein werden17.

17

Vgl. Dok. Nr. 727 und Dok. Nr. 732, P. 1.

In der frohen Hoffnung, Sie in einigen Tagen wieder bei uns in der Reichskanzlei begrüßen zu dürfen, bin ich

mit den ehrerbietigsten Empfehlungen

in herzlicher Begrüßung

m.p. Ihr

Ihnen treu ergebener

gez. Pünder

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