1.49 (bru3p): Nr. 563 Dr. Brandes, Dr. Holtmeier und v. Oppen an den Reichskanzler. 19. November 1931

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 4). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II Band 3Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

Nr. 563
Dr. Brandes, Dr. Holtmeier und v. Oppen an den Reichskanzler. 19. November 1931

R 43 I /1166 , Bl. 85–87

[Austritt aus dem Wirtschaftsbeirat]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Zu unserem Bedauern sehen wir uns gezwungen, Ihnen nachstehende Erklärungen zu unterbreiten1:

1

Abgedruckt in Schultheß 1931, S. 254–255.

Als vor einigen Wochen die Aufforderung des Herrn Reichspräsidenten an uns erging, uns zur Mitarbeit in dem neuen Wirtschaftsbeirat der Reichsregierung zur Verfügung zu stellen, haben wir dies trotz der Erfolglosigkeit aller bisherigen Bemühungen, die Reichsregierung zu entscheidenden Hilfsmaßnahmen für die unausgesetzt tiefer in Not geratende Landwirtschaft zu veranlassen, getan, weil wir glaubten, uns einem letzten Versuch, in gemeinsamen Beratungen mit der Reichsregierung und den anderen Wirtschaftszweigen eine Überwindung der großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Deutschlands und damit auch eine Wiedergesundung der deutschen Landwirtschaft zu erreichen, nicht versagen zu dürfen. Leider müssen wir heute nach mehrwöchigen Verhandlungen feststellen, daß wir von einer Klärung der Grundprobleme noch weit entfernt sind, nicht zuletzt deshalb, weil die Reichsregierung es nach unserer Überzeugung an der erforderlichen Initiative in den Verhandlungen des Wirtschaftsbeirates hat fehlen lassen. Aber diese Feststellung hätte uns allein nicht veranlassen können, von einer weiteren Mitarbeit in dem Wirtschaftsbeirat abzusehen, wenn nicht durch den Erlaß der neuen Notverordnung über die Osthilfe2 eine ganz neue Situation geschaffen worden wäre, die wir nicht hinzunehmen vermögen.

2

Vgl. Dok. Nr. 558, Anm. 2.

Es wäre unseres Erachtens Pflicht der Reichsregierung gewesen, in Übereinstimmung mit dem Wirtschaftsbeirat das gesamte Programm der Wirtschafts- und Finanzsanierung einheitlich zu beschließen, anstatt eine einzelne Maßnahme vorher herauszugreifen. Wir können solche Methoden durch unsere weitere Mitarbeit im Wirtschaftsbeirat nicht mit unserer Verantwortung decken, da kein Bauer in West- oder Süddeutschland es verstehen würde, daß die zum Teil rücksichtslose Eintreibung der von ihm aufzubringenden Lasten fortgeht, zu steigenden Zwangsversteigerungen führt, während gleichzeitig ein genereller Schutz für den Osten[1990] ausgesprochen wird. Der gegenwärtige Zustand ist um so untragbarer, als die Reichsregierung trotz der immer wiederholten Vorstellungen der deutschen landwirtschaftlichen Führer in den letzten Jahren nichts Entscheidendes für den Schutz der bäuerlichen Veredelungswirtschaft getan hat, und als gerade die Preisentwicklung für die Erzeugnisse der bäuerlichen Wirtschaft einen verhängnisvollen Verlauf genommen hat, und die Verzweiflungsstimmung in weitesten Kreisen gerade des Bauernstandes Formen anzunehmen droht, die zu einer Gefahr für unser Land werden müssen. Die Reichsregierung ist immer wieder mit dem größten Nachdruck auf diese außerordentliche Gefahr aufmerksam gemacht worden, hat aber nichts Durchgreifendes zum Schutze der deutschen Bauern unternommen.

Wir betonen ausdrücklich, daß wir für die ungeheure Not des Ostens, insbesondere der östlichen Landwirtschaft, volles Verständnis haben, und daß wir alle geeigneten Maßnahmen zur Linderung dieser Not begrüßen, daß aber diese Maßnahmen nur im Rahmen eines durchgreifenden Hilfsprogramms für die gesamte deutsche Landwirtschaft von uns vertreten werden können3.

3

StS Pünder bemerkte in einem handschriftlichen Vermerk vom 19.11.31: „Zu diesem Brief, der übrigens in Abschrift sofort auch dem Hn. Reichspräsidenten zugestellt worden ist, teilt Herr Minister Schlange mit, daß er den Entwurf des neuen Osthilfegesetzes rechtzeitig vor mehreren Tagen den drei Mitgliedern Brandes, v. Oppen und Holtmeier vorgelegt hätte; nach eingehender Durchsprache hätten diese drei Mitglieder den geplanten neuen Osthilfemaßnahmen begeistert zugestimmt. Offensichtlich habe also mittlerweile eine Beeinflussung von anderer Seite stattgefunden“ (R 43 I /1166 , Bl. 85).

Die RReg. wies in der WTB-Meldung Nr. 2446 vom 20.11.31 die in dem offenen Brief erhobenen Vorwürfe als unzutreffend und unberechtigt zurück. Der Entw. mit handschriftlichen Korrekturen von der Hand Pünders und der Sichtparaphe des RK sowie die WTB-Meldung befinden sich in R 43 I /1166 , Bl. 89–91).

Solange aber bei der Reichsregierung ein Gesamtprogramm nicht erkennbar ist, solange an der Methode der Einzelmaßnahmen festgehalten wird, solange die wichtigsten und sofort durchführbaren Maßnahmen – wir erinnern nur an den Butterzoll und die Drosselung entbehrlicher Einfuhren durch entsprechende Devisenbewirtschaftung – immer wieder hinausgeschoben werden, vermögen wir uns auch von den Arbeiten des Wirtschaftsbeirats keinen durchschlagenden Erfolg zu versprechen. Wir werden deshalb den Arbeiten fernbleiben, bis sich die Regierung zu einer Änderung dieser Methoden und zur Aufstellung eines klaren Programms zwecks Durchführung der zur Rettung der gesamten Landwirtschaft erforderlichen Maßnahmen entschließt4.

4

StS Meissner teilte der Rkei am 23.11.31 abschriftlich das Schreiben von Brandes, v. Oppen und Holtmeier an den RPräs. vom 22. 11. und die Antwort des RPräs. an Brandes vom 23. 11. mit. In dem Schreiben an den RPräs. heißt es u. a.: „Dieser Entschluß ist wohl einer der schwersten gewesen, den wir im Leben gefaßt haben. […] Und doch glaubten wir nicht anders handeln zu können: Die Not der Landwirtschaft hat angefangen im Osten, ist jetzt, wie wir immer vorausgesagt haben, weitergegangen nach dem Westen und Süden, hat mitergriffen Industrie, Handel, Gewerbe, Arbeiterschaft, kurz die ganze deutsche Wirtschaft. Will man dieser großen Not Herr werden, so genügt dazu nicht mehr die eine oder andere Einzelmaßnahme, es gehört dazu ein sehr umfassendes, klares Wirtschaftsprogramm. Wir hatten erwartet, daß das Kabinett dem Wirtschaftsbeirat ein solches vorlegen würde, und daß dieses Programm die Grundlage der Verhandlungen im Beirat billigen würde. Das ist nicht geschehen: Es wurde über die verschiedensten Dinge verhandelt ohne Gesamtplan. […] Mit solchen Methoden kommen wir unseres Erachtens nicht mehr weiter. Wir haben nicht mehr so viel Zeit wie vor dem Kriege, wo eine Frage nach der anderen in Ruhe gelöst werden konnte. Die Ereignisse schreiten viel schneller fort als manche Stellen glauben. Sie drängen zur Entscheidung auf allen Gebieten der deutschen Wirtschaft, die Zeit der Einzelmaßnahmen ist vorbei, nur ein Gesamtplan kann noch helfen. […] Wir wollen durch unser Vorgehen erreichen, daß diese Methoden verlassen und durch wirksamere Methoden ersetzt werden. Wir glauben, diese klare Stellungnahme unserem Vaterlande schuldig zu sein, und haben nur die eine herzliche Bitte, daß der Herr Reichspräsident diese Motive würdigen und uns sein gütiges Wohlwollen nicht entziehen möge.“

In seiner Antwort an Brandes wies der RPräs. die Vorwürfe gegen die RReg. zurück: „[…] Ich würdige durchaus die Motive, die Sie, Herrn Dr. Holtmeier und Herrn von Oppen zu dem Entschluß, sich einstweilen an den Arbeiten des Wirtschaftsbeirats nicht mehr zu beteiligen, veranlaßt haben; dennoch halte ich den Weg, den Sie eingeschlagen haben, und insbesondere die Eile, mit der Sie Ihren Entschluß in die Tat umsetzten, für nicht glücklich. Da sowohl Wirtschaftsbeirat wie Reichsregierung in den festgelegten Leitsätzen eine Prüfung für notwendig erklären, wie weit Maßnahmen ähnlicher Art wie die der neuen Osthilfeverordnung auch für die anderen landwirtschaftlichen Gebiete des Reiches geboten erscheinen, und da das Wirtschaftsprogramm nicht von dem Wirtschaftsbeirat, sondern von der Reichsregierung beschlossen werden muß, ist die Frage einer allgemeinen Hilfe für die Landwirtschaft durchaus noch nicht abgeschlossen. Ich halte daher Ihren Entschluß mindestens für verfrüht.“ (R 43 I /1166 , Bl. 139–145).

Brandes, v. Oppen und Holtmeier sagten der Rkei mit Schreiben vom 21.11.31 ihre Teilnahme an der Schlußsitzung des Wirtschaftsbeirats ab; R 43 I /1166 , Bl. 103.

Mit vorzüglicher Hochachtung

ergebenst

Dr. Brandes            Dr. Holtmeier             von Oppen

Extras (Fußzeile):